Der Präsidentschaftskandidat der FPÖ konnte 2016 in zwei Wahlgängen knapp 50 Prozent der Wahlberechtigten mobilisieren. Die Nachwahlbefragungen verzeichneten knapp 85 Prozent Zustimmung bei «Arbeitern». Gemeint sind damit allerdings Menschen in sozialversicherungspflichtigen Normarbeitsverhältnissen. Das Stimmverhalten von prekär Beschäftigten wird bei solchen Befragungen nicht erhoben. Die Wirksamkeit des rechten Populismus lässt sich aber nicht nur an Wahlergebnissen festmachen. Und keineswegs ist die FPÖ eine «proletarische» Partei. Die Funktionär*innen kommen aus dem gehobenen Bürger*innentum und sind oft in Burschenschaften organisiert: Rechte Intellektuelle haben das Kommando. Wirksam ist dieser Populismus vielmehr, weil seine Agenda politisch übernommen und umgesetzt wird. Insbesondere in der Sozial- und Flüchtlingspolitik setzt die derzeitige Regierung aus SPÖ und ÖVP autoritäre, restriktive und repressive Maßnahmen durch: Verschärfung des Asylgesetzes bis hin zu Internierungen von Asylwerber*innen, Sicherheitsgesetze, mit denen grundlegende bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden können. Diese finden den uneingeschränkten Beifall des Boulevards – und der FPÖ. Denn es ist ihre Politik.

13.9.1986: Österreich wird zum Labor des Rechtspopulismus

  1. September 1986 in Innsbruck, Tirol. Die Geburt des postmodernen, europäischen Rechtspopulismus besitzt ein Datum und einen Ort: Jörg Haider übernimmt in einem Parteiputsch gegen Norbert Steger die Führung der FPÖ. In den Umfragen grundelte die Partei damals bei rund vier Prozent. Sie war in einer Koalition mit der früher noch allmächtigen SPÖ. Ein Bündnis, das Jörg Haider sofort aufkündigte und damit Neuwahlen provozierte.

Konsequent wird seitdem gegen «Die-da-oben» mobilisiert, und in einem Atemzug gegen alles Fremde. Über das österreichische System der Sozialpartnerschaft – Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer – reicht der Zugriff politischer Macht und Unterwerfung sicht- und erlebbar bis in die Mikrophysik der Macht: bis in die Kleingartensiedlungen, Betriebe und Büros. Widerstand und Opposition – und das gilt für die von rechts wie die von links – wurde durch dieses Machtdispositiv der Großen Koalition wirksam neutralisiert und immer wieder an das kritisierte System zurückgebunden. Das ist einer der Gründe, warum eine unabhängige und radikale Linke in Österreich vergleichsweise schwach und politisch bedeutungslos blieb – und es bis heute ist.

Populare Kritik als permanente rebellische Selbstunterwerfung

Populare Kritik war an die Stammtische, Pausenräume oder Freundeskreise verwiesen, wo man sich politisch wirkungslos beschweren konnte. Plötzlich tauchte mit Jörg Haider aber jemand auf, der mithilfe der rechtspopulistischen Diskursmaschine öffentlich sagbar machte, was zuvor verborgen bleiben musste. Von diesen – zuvor politisch neutralisierten – gesellschaftlichen Orten aus konnte man sich plötzlich mit dem neuen, rechten Diskurs einer «rebellischen Selbstunterwerfung» (Norah Rätzel) identifizieren und ihn – was ebenso wichtig ist – weitertragen. Dort zirkulierten die zahllosen Alltagsgeschichten der kleinen und großen Ungerechtigkeiten, für die «Die-da-oben» verantwortlich sind. Und natürlich handelten diese kleinen, schmutzigen Geschichtchen immer auch von «den Ausländern», denen permanent unterstellt wurde, nur im Land zu sein, um es auszunutzen und zu berauben. Ins Visier gerieten je nach politischer Konjunktur verschiedene Bevölkerungsgruppen: Pol*innen, dann Jüd*innen, dann Rumän*innen, Georgier*innen, Tschetschen*innen, Deutsche, Flüchtlinge… Unauflöslich ist der rechtspopulistische Rassismus mit dem Ressentiment gegen «Die-da-oben» verwoben.

Mehr und mehr Menschen fielen in der Krise des Fordismus aus den ehemals sichernden Institutionen heraus. Sie wurden in den großen Wettlauf um knapper werdende Vollzeitjobs mit ihren sozialen Sicherungen geworfen. Wie ein riesengroßer Staubsauger breitete sich die rechtspopulistische Diskursmaschine im Land aus und saugte Kritik und Unzufriedene auf. Mal tönt sie neoliberal wie die Politik von oben, nur dass sie sich gegen die leistungslosen Versorgungsposten da oben richtet, die nichts arbeiten, aber abkassieren würden. Dann wieder klingt sie sozial, wenn sie etwa proklamiert: «Unser Geld für unsre Leut‘». Derzeit rühmt sich die FPÖ, in diesem Sinne eine soziale Heimatpartei zu sein. Das stimmt allerdings keineswegs mit ihrer politischen Programmatik überein. Sie definiert einfach den Kreis derer, die durch ein gutes soziales Netz abgesichert werden sollen, immer enger und enger. Und sie befeuert den allgemeinen Wettlauf darum, auf die vorgeblich sichere Seite zu gelangen. Eine soziale Volksgemeinschaft nach außen zwar, aber zugleich im Kampfmodus gegeneinander im Inneren.

Blanker Rassismus etabliert kein stabiles politisches Führungsverhältnis

Den Fremden, denen unterstellt wird, sich von außen einzuschleichen, entsprechen die «Parasiten» und «Sozialschmarotzer» im Inneren, die dort bereits waren. Beide jedenfalls sollen keinen oder nur beschränkten Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen haben. Sie sollen nicht zur Volksgemeinschaft der Anständigen und Fleißigen gehören dürfen, die sie doch aktuell bedrohen würden.


Die rechtspopulistische Diskursmaschine schematisch. Nach: Reinfeldt 2000 und 2013


Das Volk, das von dieser Maschine seit 1986 bearbeitet wird, findet sich links unten. Es ist ein schwach signifizierter Platz, der sich nur aus den Entgegensetzungen nach oben (gegen «Die-da-oben») und nach rechts hin ergibt: gegen die, die nicht so wie «Wir» sind. Dort – im linken, unteren Feld – sind die Zielgruppen des rechten Populismus verortet. Zu Anhänger*innen werden die Adressierten in der Logik dieser Maschine erst dann, wenn sie von links unten nach links oben «empor» gehoben werden.

«Die charismatische Führung ist also eine Leerstelle, die jede rechtspopulistische Diskurs­maschine besetzen muss. Ansonsten ist sie krisenhaft und instabil.»

Diese Aufwertung geschieht keineswegs automatisch und auch nicht von allein. Die Maschine verortet permanent. Sie schafft Subjektpositionen, die der charismatische Führer/die charismatische Führerin dann weiter bearbeitet. Sie sind es, die die Menschen anrufen und wenn man so will, zu Gläubigen machen, was sie als eine Aufwertung ihrer Selbst erleben. An dieser Stelle wird der rechte Populismus demokratisch. Denn dieses Verhältnis der Geführten zum charismatischen Führer ist ein Anerkennungsverhältnis, wie es Max Weber charakterisiert hat. Das Charisma des Hervorgehobenen, der «wahr spricht», ist nicht von einer höheren Instanz gegeben, sondern besteht nur und insofern ihm massenhaft zugesprochen wird, anders als die anderen zu sein. Charismatische Führer*innen verkörpern das «Wir». Sie können dies aber nur solange tun, wie an sie geglaubt wird. Glaubenstatsachen indes sind unsicher. Sie können von einem Tag auf den anderen verfliegen. Dann bleiben die vielfältigen Wünsche und Begehren – nach Freiheit, einem menschlichen Wert, einem Status und Bedeutungen, Anerkennung und einem Platz im Ganzen – unerfüllt. Die charismatische Führung ist also eine Leerstelle, die jede rechtspopulistische Diskursmaschine besetzen muss. Ansonsten ist sie krisenhaft und instabil. Es mag zynisch klingen, aber mit blankem Rassismus allein lässt sich kein halbwegs stabiles politisches Führungsverhältnis etablieren.

Zwei deutschsprachige rechtspopulistische Parteien sind derzeit genau an dieser Frage in der Krise. In der AfD tobt der Kampf darum, wer führend sein soll. Petry? Höcke? Oder eine andere Figur? Ebenso neigt sich bei der FPÖ die Ära HC Strache dem Ende zu. Der erfolgreiche Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer war in den vergangenen Monaten die Projektionsfläche in Österreich. Die Frontstellung gegen praktisch das gesamte politische und gesellschaftliche Establishment war ideal, um sich diese projektive Anerkennung zu erarbeiten. Der Machtkampf um diese unverzichtbare Funktion verläuft derzeit noch unter der Oberfläche, aber stagnierende Umfragewerte der FPÖ unter Strache zeigen einen kommenden Führungswechsel an. Die Partei wird den charismatischen Führer austauschen.

Auch von Michael Jackson verlangt niemand Interessensvertretung!

«Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.» Diese unverhohlene Drohung des FPÖ-Kandidaten Hofer, seine von der Verfassung gegebene politische Macht auch tatsächlich einzusetzen, ist der symptomatische Satz seiner Wahlkampagne gewesen: Ich tue, was mir beliebt, hart an der Grenze des Legalen und mitunter darüber hinaus – so lautete die Botschaft. In diesem Sinne ist ein rechtspopulistischer Führer am ehesten mit einem Volkshelden aus Märchen und Sagen zu vergleichen. Er ist ihr politisches Remake.

Die Struktur einer Heldenerzählung beinhaltet nach Vladimir Propp nicht nur den Weg des Helden (er verlässt die angestammte Heimat), seine Helfenden, sein Gegenüber (die, die ihm übel mitspielen) und seine Siege und Niederlagen. Ihm eingeschrieben ist die Grenzüberschreitung und die Regelverletzung als Bestandteil des Mythos, so wiederum Jurij Lotman.

Bei der Beziehung Führende–Geführte spielt es also kaum eine Rolle, ob dabei wirklich die «objektiven» Interessen der Geführten vertreten würden. Wenn sie den Ruf hören, wollen sie schlicht so wie der oder die Volksheld*in sein: Sie wollen etwas SEIN. Interessenvertretung wird weder von einem Popstar, noch von Norbert Hofer erwartet. Darum nehmen sie auch hin, wenn der erwählte Volksheld ausdrücklich gegen ihre Interessen handelt und etwa ihre Krankenversicherung abschafft. Es reicht, dass der charismatische Führer genommen hat, «was er will» und dass «er sagt, wie es ist».