Es ist quasi alles drin: Die neoliberale Wende linker Politik, die Individualisierung und das Verschwinden der Klasse aus dem politischen Diskurs und nicht zuletzt die Beschreibung der Lebensrealität von Menschen, die es so beschissen haben, dass von denjenigen, die dort noch nicht sind und auch nicht hinwollen, viel Verständnis für beschissene Positionen aufkommt.
Was wir diesem Buch wirklich hoch anrechnen, ist, dass Emotionen und Affekte einen Platz in dieser Aufstiegsgeschichte bekommen, einen Platz in der politischen Auseinandersetzung. Das Buch berührt, ohne sich gegen Intellektualität zu stellen.
Viele Texte sind geschrieben worden, die sich mit der Frage beschäftigen, was wir jetzt mit der Analyse des rechtspopulistischen Aufstiegs auch als Ergebnis linken Versagens machen (zum Beispiel Dossier Luxemburg). Wie kann die Erkenntnis, dass die linken Parteien keine Möglichkeit der Identifikation mehr bieten und kein überzeugendes Projekt für die Zukunft für «die Benachteiligten, Prekären, Abgehängten» für eine neue Klassenpolitik fruchtbar gemacht werden?
Die Rückkehr nach Reims war für Eribon eine Möglichkeit, sich seiner Herkunft soziologisch zu nähern, ohne die Gefahr der erneuten Involviertheit mit der Familie. Das ist weniger soziologisch interessant als psychologisch: die Motivation, die Gründe der Anderen, die keine reale Klasse mehr sind, spielen kaum eine Rolle. Stattdessen erfolgt ein fragwürdiger soziologischer Nachweis, sie hätten sich in ihrem Rassismus und ihrem ängstlichen Konservatismus eigentlich nie groß verändert. Bloß die Umstände seien andere geworden, also die politisch-moralische Führung der sich nach rechts entwickelnden bürgerlichen Mittelklassen.
«Hier wird ein Bild der weißen homogenen Arbeiterklasse gemalt, die es so nicht gab und gibt. Klasse ist hier vor allem das Andere des Bürgerlichen. Nur wie erklärt sich damit der gesamtgesellschaftliche Rechtsruck?»
Die sehr persönliche Geschichte über Eribons Scham der eigenen Herkunft und seine Auseinandersetzung mit Homophobie und Intellektuellenfeindlichkeit haben uns in ihrem Mut und ihrer Klarheit berührt. Es blieb aber auch ein Unbehagen. Die Frage für uns nun, warum?
Vielleicht weil wir die Geschichte als vor allem männliche Aufstiegsgeschichte lasen, die gelang, weil es männliche Unterstützungsnetzwerke gab. Die harte Abgrenzung zur Herkunftsfamilie und das Profilieren im wissenschaftlichen und journalistischen Feld, mit der Betonung einer vermeintlich neutralen Sachebene, die feministischen Widerspruch provoziert. Weil in der Erzählung von der selbsttätigen Befreiung und Flucht, die Ermöglichung dieses Weggehens durch den Anteil weiblicher Reproduktionsarbeit in Form von Arbeit und Wünschen der Mutter, unsichtbar wurde.
Hier ist auch der Dissenz zu Bourdieu verständlich, den Eribon anspricht. Denn Bourdieu betont die Bedeutung von Erziehung als Habitusformierung, die bei Eribon verschwindet und erst die Erzählung von der subjektiven, schweren, aber auf Intelligenz basierenden klugen Aufstiegsgeschichte ermöglicht. Diese Sicht lässt die bequeme Möglichkeit offen, sich mit diesen rassistischen, sexistischen, ungebildeten Anderen beschäftigen zu können, ohne real mit ihnen zu tun zu haben, geschweige denn gemeinsam mit ihnen Politik zu machen. Inklusive blinder Flecken bekommt diese Sicht durch die Herkunft Eribons legitimes Gewicht. Er muss es ja wissen, er kommt von dort.
Wir lesen darin auch einen Rest Ekel der Herkunft gegenüber, sichtbar versteckt im Scheinwerferlicht der erst rückblickend zugestandenen sozialen Scham. Das Fehlen jeglicher positiver Bezüge zu seiner Herkunft, diese Affekte irritieren, denn während er für die Rückkehr der Klasse in die politische Diskussion wirbt, sorgt seine persönliche Geschichte vom männlichen weißen Subjekt als erfolgreiches Aufstiegsprojekt für das Verschwinden derselben in der Bedeutungslosigkeit.
«Auch in der Analyse des rechtspopulistischen Aufwinds wird nicht thematisiert, dass sich hier Antifeminismus und der Hass auf die sozial Deklassierten zu einem erfolgreichen rechten Projekt
verbunden haben.»
Die Frage, warum immer mehr Arbeiter*innen rechts wählen ist eine gute Frage. Verknüpft mit der spezifischen Ekelperspektive von oben aber macht es ein gesamtgesellschaftliches Problem zur Strategie von «denen da unten»; die hart arbeitende, hart lebende, sich verhärtende Klasse. Nichts mit solidarischer Arbeits- und Lebensweise, nichts mit schlau, nichts mit Handlungsfähigkeit, nichts mit real gemischten Existenzen. Hier wird ein Bild der weißen homogenen Arbeiterklasse gemalt, die es so nicht gab und gibt. Klasse ist hier vor allem das Andere des Bürgerlichen. Nur wie erklärt sich damit der gesamtgesellschaftliche Rechtsruck?
So bleibt eine brüchige Männlichkeit, die vom Liberalismus ihres Milieus der französischen Intellektuellen profitiert hatte, solange dieser noch nicht nach rechts weggebrochen war, die Brille, durch die die Welt betrachtet wird. Durch sie verschwinden die Anteile weiblicher* Sorgearbeit und Zuspruchs, des Mutmachens und des Dreckwegräumens nicht nur aus der eigenen Geschichte. Auch in der Analyse des rechtspopulistischen Aufwinds wird nicht thematisiert, dass sich hier Antifeminismus und der Hass auf die sozial Deklassierten zu einem erfolgreichen rechten Projekt verbunden haben.
Für Bürger*innen erzählt Eribon sehr vieles über Klasse. Für Menschen aus dieser Klasse erzählt er zu wenig, zu grob und abschätzig. Und dann ist für Aufsteiger*innenkinder, wie wir es sind, Eribon lesen so: Ey, es gab eine lange Reihe an Auseinandersetzungen mit Klasse und Klassismus vor diesem Buch, aber sie fanden nicht das Gehör, da sie nicht von einem großen Intellektuellen mit einem Berg von kulturellem Kapital und einer «selbstverständlichen» legitimen Sprechweise kam. Das heißt für uns nicht, dass sie aus dem politischen Diskurs verschwunden war, wie Eribon schreibt, sondern nur, dass Bürger*in werden/sein hilft.
«Seine Familie, die ‹da unten›, werden Objekte soziologischer und politisch-strategischer Phantasmen. Schade, sie hätten viel mehr sein können.»
Diese legitime Sprechweise heißt auch, über Emotionalität politisch-strategisch zu sprechen, zumindest wenn es um Klasse geht. Alles bleibt unter Kontrolle, der Kontakt zur Vergangenheit ist wissenschaftlicher Neugier geschuldet und bleibt distanziert. So lässt Eribon seine Familie oder seine Herkunftsklasse nur selten selbst zu Wort kommen, aber erzählt im Stil einer linken Vogelperspektive eine Geschichte über die Massen. Seine Familie, die «da unten», werden Objekte soziologischer und politisch-strategischer Phantasmen. Schade, sie hätten viel mehr sein können. Aber vielleicht ist das der Preis für ein Projekt, das versucht, selbstreflexive Vergangenheitsbewältigung mit dem großen soziologischen Wurf zu verbinden.
Wir finden, Eribon schafft quasi einen literarischen Rahmen, aber rekonstruiert nicht die realen Kämpfe, die Hybridität und den Schmutz der politischen Kämpfe, wer da wen besiegt und beschämt hat oder wer vom eigenen Führungsanspruch nicht loslassen kann. Die Arbeiter*innenklasse wird hier nicht gleich zur revolutionären Klasse ausgerufen oder zu armen Opfern gemacht. Eribon beschreibt, dass Menschen gehört werden und repräsentiert sein wollen, aber er lässt die Frage nach solidarischer klassenübergreifender Praxis und neuen Formen von Repräsentationspolitiken offen. Am Ende bleibt es eine Aufgabe, eine andere Klasse zu schaffen, eine Klasse aller Anderen, die sich nicht mehr schämen wird.