Michael Beron: ¿Es ist ja gerade sehr in Mode, politisch und sozial engagiertes Theater zu machen. In den letzten Jahren gerne mit Geflüchteten, heute zum Thema Rechtspopulismus. Ist das der neueste Dreh im Kampf um Fördergelder?

Olivia: Das klingt so, als wäre das pure Berechnung. Aber Theater setzt sich ja fast immer mit dem auseinander, was gerade passiert und denkt über den Zustand der Welt nach, ganz allgemein gesprochen. Viel wichtiger scheint mir die Frage zu sein, WIE das geschieht, wie grundlegend die Auseinandersetzung ist, was daraus für Schlüsse gezogen werden und welchen Narrationen man Raum gibt.

Sabrina: Aber es stimmt schon, dass es auf struktureller Ebene seit einigen Jahren mehr und mehr darum geht, Projekte zu fördern, die einen sozialen Nutzen versprechen. Statt Freiraum gibt es Antragszwänge, die dazu führen, angesagte Begrifflichkeiten zu bedienen. Andererseits versuchen wir, wie andere auch, diese Förderlandschaft zu beeinflussen, und zwar mit Themen, die gesellschaftlich und politisch dringend sind.

¿Ihr kommt gerade vom Auftakt eures zweijährigen Projekts in Mülheim. What happened to the «european dream»? hieß die Veranstaltung. Dabei habt ihr unter anderem mit Passant*innen in der Fußgängerzone gesprochen. Wie haben die reagiert?

Olivia: Wir waren fast ein bisschen erstaunt über die Offenheit der Menschen. Wir hatten befürchtet, dass wir als komische Kunst-Clowns wahrgenommen werden. Doch die Bereitschaft zum Gespräch und das Interesse an unserer Arbeit waren groß. Allgemein war eine gewisse Resignation spürbar und das Empfinden, dass «es gerade schlechter wird».

Tina: Unsere Kooperation in Mülheim trägt ja den Titel «performing politics of care». Es geht also darum, Theater mit Sorge- und Beziehungsarbeit zu verbinden. Für die Aktion, die du ansprichst, haben wir ein «Büdchen» in die Fußgängerzone vor das Einkaufszentrum gestellt. Büdchen sind Kioske, die zur Alltagskultur des Ruhrpotts gehören. Früher haben sich die Bergarbeiter vor und nach ihrer Schicht dort verpflegt. Gleichzeitig waren sie auch immer Treffpunkte in der Nachbarschaft. Man kannte sich, und oft waren das Gespräch und das Zuhören genauso wichtig wie der Konsum. Daran haben wir angeknüpft, um erst einmal in der Region anzukommen.

Sabrina: Durch Zuhören, in Kontakt treten, voneinander lernen, miteinander Kaffee trinken, Kippchen rauchen, saure Gummischlangen essen. Entgegen unserer Befürchtungen hatten wir es dabei kaum mit rechten Parolen zu tun.

¿Ihr fordert ein neues antifaschistisches Theater. Wie kommt ihr dazu?

Sabrina: Als wir 2013 in Athen waren, wurden wir gewarnt: Zuvor war ein queeres Stück von Neonazis und religiösen Fundis brutal angegriffen worden. Damals war das krass. Heute passieren ähnliche Sachen auch hier, zum Beispiel haben letztes Jahr «Identitäre» eine Theateraufführung mit Geflüchteten an der Uni Wien gestürmt. Dazu kommen kulturpolitische Vorstöße. Die AfD versucht regelmäßig Inszenierungen zu verbieten und droht mit der Streichung öffentlicher Gelder an Theatern, die ein «zu buntes Agitprop-Repertoire mit Regenbogen-Willkommens-Trallala» auf die Bühne bringen. Solche Einschüchterungsversuche stehen auch in Zusammenhang mit Angriffen gegen linke Szenelokale, Buchläden und Einzelpersonen, wie zuletzt massiv in Berlin-Neukölln.

«In dieser Situation erinnern wir an die Tradition des antifaschistischen Theaters, die in den 1920er Jahren bis 1933 ziemlich lebendig war, heute aber unter dicken Staubschichten vor sich hin modert.»

Tina: Es geht der Neuen Rechten ganz klar um kulturelle Hegemonie und eine Kulturrevolution von rechts. Benoist, ein neurechter Vordenker hat das schon vor 30 Jahren herbeiphantasiert, um ’68 rückgängig zu machen. In dieser Situation erinnern wir an die Tradition des antifaschistischen Theaters, die in den 1920er Jahren bis 1933 ziemlich lebendig war, heute aber unter dicken Staubschichten vor sich hin modert. Genau hieran wollen wir anknüpfen: Theaterarbeit als kultureller Antifaschismus, der die Präsenz auf der Straße und die Recherche ergänzt, und dabei so etwas wie emanzipatorische Vorstellungskraft generiert. Uns ist auch wichtig, ein anderes Publikum anzusprechen, auch politisch Aktive, die sonst vielleicht nicht unbedingt ihre Abende im Theater verbringen. Deshalb gibt es nach unseren Aufführungen auch immer eine Diskussion, nicht nur über ästhetische, sondern auch über politische Fragen.

¿Was erhofft ihr euch in dieser Situation von Theater- oder allgemein Kulturarbeit?

Olivia: Wir glauben, dass es wichtig ist, wessen Geschichten wie erzählt werden. Und das Theater ist ein Ort, wo Geschichten erzählt werden – auch Diskursgeschichten. Und da kann ich also Dinge sichtbar machen, die vorher versteckt waren. Ich kann Umdeutungen vornehmen, ich kann eine neue Welt entwerfen und somit einen Ausweg zeigen oder an eine Utopie erinnern. Kunst kann ein Spielraum sein, der Möglichkeiten entwirft. Dass die Rechten, insbesondere die AfD gerade massiv versucht, in die Theater reinzukommen und bei der Spielplangestaltung «mitreden» will, zeigt auch, dass es hier viel zu verlieren gibt.

Tina: An vielen Theatern und Unis gibt es im Ansatz noch so was wie eine linke Hegemonie, die dem allgemeinen Rechtsdrift die Anerkennung verweigert. Das müssen wir verteidigen – und im besten Fall ausbauen.

¿Viele interpretieren die Wahlerfolge der Rechten als wütende Reaktionen der «kleinen Leute» auf die neoliberale Alternativlosigkeit und das Versagen der Linken, eine schlagkräftige Alternative zu formulieren. Warum glaubt ihr, diese Leute ausgerechnet mit dem Theater – einem traditionell eher hochkulturellen und elitären Medium – erreichen zu können?

Olivia: Ich weiß tatsächlich nicht, ob wir mit unserem Theater solche Leute erreichen können! Aber es gibt ja noch andere Positionen und Menschen. Außerdem kann Theater auch als Verständigung und Solidarisierung zwischen Linken funktionieren.

Die Begründung «Theater ist traditionell, Hochkultur, elitär und deshalb scheiße» finde ich übrigens mühselig. Denn es gibt ja nicht das Theater. Natürlich gibt es Theater, das «traditionell» (im Sinne von bürgerlich oder reaktionär) ist, aber es gibt eben auch explizit linke Traditionen, zum Beispiel das Arbeiter*innentheater. Wenn wir die Spaltung «Kulturelite vs. Bevölkerung» pauschal mitmachen, bedienen wir dieselben anti-intellektuellen Stereotype wie die Rechte.

¿Wie kann antifaschistisches Theater konkret aussehen? Könnt ihr ein Beispiel aus eurer Arbeit geben?

Sabrina: Viele stellen sich politisches Theater als belehrendes Theater vor, wo Kapitalisten mit Zigarre und Zylinder auftreten und von der Bühne herab Wahrheiten verkündet werden. Natürlich sind Aufklärung und Agitation auch für unsere Arbeit wichtig. Aber erstens nicht so platt personalisiert. Und zweitens interessiert uns nicht nur die «Botschaft», sondern auch das Theater als sozialer Raum.

¿Was heißt das?

Sabrina: Bertolt Brecht definiert das Theater in seiner Lehrstück-Theorie als Lernraum, in dem man geschützt und mit Hilfe künstlerischer Distanzierung lernen und experimentieren kann. Wir haben das weiterentwickelt zum Theater der Sorge. Uns geht es darum, mit und durch Theater involviert zu sein, sich den Verhältnissen auszusetzen und uns gemeinsam mit Menschen verschiedenster Hintergründe mit politischen Fragen und Stoffen auseinanderzusetzen. Entscheidend war dafür ein einwöchiger Workshop mit Theater- und Theorieschaffenden, Erwerbslosen und Geflüchteten, den wir im besetzten Embros Theater in Athen veranstaltet haben. Wenn wir jetzt mit dem autonomen Zentrum in Mülheim oder der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW kooperieren, ist das auch eine Form der Beziehungsarbeit, die künstlerische und aktivistische Akteur*innen aus der Region zum Thema Faschismus in einen Dialog bringt.

Tina: Das berührt auch deine anfängliche Frage nach den kulturellen Institutionen. Wir folgen da einem Gedanken von Brecht und Walter Benjamin aus den 1930ern: Dass ein entscheidender Unterschied existiert zwischen der bloßen Belieferung eines Produktionsapparates – sei es auch mit revolutionären Themen – und seiner Veränderung oder «Umfunktionierung» für den politischen Kampf. Angesichts einer Bedrohung wie dem aktuellen Rechtsruck brauchen wir hier eine konstruktiv-antagonistische Haltung.

¿Wie bewertet ihr die Reaktionen anderer Kunst- und Kulturschaffender auf das Erstarken der Rechten?

Olivia: Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Gerade ist das ganz gut an der heftigen Auseinandersetzung über eine Veranstaltung an der Gessnerallee in Zürich zu beobachten. Das ist eines der wichtigsten Häuser für freie performative Kunst in der Schweiz, vermeintlich weltoffen, experimentierfreudig, international renommiert. Die haben Marc Jongen, quasi den Parteiphilosophen der AfD, auf ein Podium zum Thema «Die neue Avantgarde» eingeladen. Daran gab es massive Kritik und einen offenen Brief. Die Veranstaltung ist mittlerweile abgesagt, immerhin. Aber die medialen Debatten waren zum Teil wirklich beängstigend. Die Initiator*innen des Protestbriefs werden als feige, borniert und als Feind*innen von Demokratie und Meinungsfreiheit bezeichnet – AfD‘ler*innen dagegen als «Andersdenkende». Explizit mit den Worten Rosa Luxemburgs! Kurz: Ein Teil der Szene sucht den Dialog mit den Rechten, um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, sich als Opfer darzustellen, um ihre Standpunkte zu widerlegen...

Tina: Oder weil sie ihre politische Haltung und Inhalte teilen…

«Es geht ein Riss durch die Szene. Aber ­es werden auch neue, überraschende ­Allianzen geschmiedet, was wiederum Mut und Hoffnung macht.»

Olivia: Andererseits gibt es viele – und auf dieser Seite stehen wir – die diesen Dialog für sinnlos und gefährlich halten, weil damit eine rassistische und sexistische Ideologie angehört und verbreitet wird. Weil diese Ideologie dadurch normalisiert und als eine Meinung dargestellt wird, über die man diskutieren und wo man vielleicht einen «Kompromiss» finden kann. Wodurch sich die Grenze dessen was sagbar ist, weiter verschiebt. Es geht ein Riss durch die Szene. Aber es werden auch neue, überraschende Allianzen geschmiedet, was wiederum Mut und Hoffnung macht.

Sabrina: In den USA gibt es interessante Ideen wie den Aufruf zum «Art Strike» im Vorfeld von Trumps Inauguration: Prominente Künstler*innen haben Museen, Theater, Konzerthäuser, Galerien und Kunsthochschulen zum Streik und zur Bildung einer antifaschistischen kulturellen Front aufgerufen. In unserem Umfeld, in der freien Szene Berlins, entstehen seit einiger Zeit selbstorganisierte Initiativen. Es gab den genannten offenen Brief, wo innerhalb kürzester Zeit über 700 Kulturschaffende, unter anderen Klaus Lederer und Dirk von Lowtzow, unterschrieben haben. Dann gab es den voll besuchten Arbeitstag zu Strategien gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, organisiert vom Landesverband der freien darstellenden Künste Berlins. Es bleibt abzuwarten, aber ich würde sagen, es bewegt sich was.