Die Auseinandersetzung mit Klasse scheint mir sehr wichtig und notwendig für eine antikapitalistische Linke. Damit diese aber produktiv werden kann, ist es wichtig verschiedene Ebenen zu trennen, um nicht aneinander vorbeizureden. Daher möchte ich in diesem Artikel verschiedene Unterscheidungen und eine verbindende Klassenpolitik vorschlagen, die aus diesen Unterscheidungen Gewinn zieht.

Grob lassen sich in der marxistischen Klassenanalyse zwei unterschiedliche Herangehensweisen unterscheiden. Die einen begreifen Klasse als eine relationale Position, der eine bestimmte Funktion im Produktionsprozess zugeordnet ist. Andere begreifen Klasse «im Werden», als einen Prozess, der sich über das ökonomische, kulturelle und politische Feld hinweg abspielt.

Klasse als Position

Möchte man Klasse als Position bestimmen, startet man bei der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise, in der Kapital und Arbeit in der traditionellen Debatte die wichtigsten Kategorien sind. Dabei sind beide Kategorien voneinander abhängig: Arbeit braucht das Kapital, um sich selbst reproduzieren zu können, und das Kapital eignet sich Arbeit im Produktionsprozess als variables Gut an. Von hier aus werden die Positionen als leere Plätze der Struktur bestimmt, die dann von Menschen eingenommen werden. Während hier für die einen allein das Verhältnis von Kapital und Arbeit als Ausbeutung zentral ist, unterscheiden andere zusätzlich zwischen den verschiedenen Sphären der Verwertung, der Produktions- und der Zirkulationssphäre, also etwas vereinfacht: Fabrik und Supermarkt.

Was beide Varianten dieser Herangehensweise eint, ist, dass das Verhältnis von Klassen nicht allein als Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnis, sondern als Ausbeutungsverhältnis begriffen wird. Die herrschende Klasse ist für das eigene Überleben auf die Beherrschten angewiesen, und so lange nicht das gesamte System umgeworfen wird, auch die Beherrschten auf die Herrschenden.

Von dieser Bestimmung leitet sich unter anderem ab, dass Klassenkampf nicht etwa nur ein Kampf für «die Rechte» der Arbeiter*innenklasse ist, oder für gleiche Chancen, einen bestimmten Beruf oder Bildungsabschluss zu bekommen, sondern vielmehr darauf zielt, Klassen als Ausbeutungs- und Herrschaftssystem abzuschaffen. Diese Herangehensweise lässt sich auch als Analyse der «Klasse an sich» beschreiben.

Zur Erklärung von Kämpfen innerhalb des kapitalistischen Systems reicht diese Bestimmung nicht aus. Dafür werden Klassen oder Klassenfraktionen, zum Beispiel auf Grund unterschiedlicher Arten der Kontrolle von Arbeit, bestimmt oder gar als Berufe gesetzt. Erik Olin Wright, ein analytischer Marxist aus den USA, erklärt den Unterschied mit einer Spielmetapher: Während die einen analysieren, wie es zum Wechsel von einem zum anderen Spiel kommen kann, analysieren die anderen wie die Kämpfe um die Regeln des Spiels funktionieren und wiederum andere, wie innerhalb dieser Regeln verschiedene Schachzüge ablaufen. Übersetzt heißt das: Die Entscheidung für Basketball oder Fußball, die Veränderungen der Abseitsregel innerhalb des Fußballs und die verschiedenen Taktiken im Umgang mit dieser Regel, zum Beispiel die Abseitsfalle. Für unsere konkreten Kämpfe brauchen wir all diese Überlegungen.

Klasse als verbindendes Element?

Allerdings muss die Analyse um Klasse als Position, meines Erachtens über das Verhältnis von Arbeit und Kapital hinaus erweitert werden. Denn dieses Verhältnis hat einige Voraussetzungen, die sich nur auf Grundlage von Patriarchat und Kolonialismus entwickeln können und konnten. Grob soll dies am Beispiel der Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre, zwischen öffentlich und privat, skizziert werden.

«Um zu verstehen, wie es zu dem Punkt kommt, dass Menschen sich als Teil einer gemeinsamen Klasse «für sich» erkennen und für die Abschaffung von Klassen kämpfen, hilft die Perspektive auf Klasse als Prozess.»

Diese Trennung, aufbauend auf dem Geschlechterverhältnis, hat dieses auch selbst noch einmal verändert. Mit der Reproduktionssphäre ist dabei nicht nur die Reproduktion von Arbeitskraft gemeint, sondern eben all die Dinge, die im kapitalistischen Produktionsprozess kaum bis unmöglich zu regeln sind: Emotionale Arbeit, Care Arbeit, Sorgearbeit... Während das Private oft als das schönere erscheint, wo zum Beispiel die ökomische Effektivität eine geringere Rolle spielt, werden diejenigen, die dafür zuständig sind «sekundär ausgebeutet» (Klaus Dörre). Sekundär ist es nicht, weil es weniger gewaltvoll oder weniger wichtig wäre, sondern weil hier eine Arbeit geleistet wird, ohne die der kapitalistische Produktionsprozess nicht funktionieren würde, die Abhängigkeit zum Kapital somit vermittelt ist. Die Struktur der kapitalistischen Produktionsweise beinhaltet also eine Position, die vom Kapital indirekt ausgebeutet wird und die die Funktion hat, bestimmte Voraussetzungen des Kapitalismus zu erhalten.

Der Prozess der Trennung dieser Sphären und die Besetzung dieser Positionen mit konkreten Menschen wären ohne Patriarchat kaum vorstellbar. Immer noch ist es vor allem Aufgabe von Frauen*, die Arbeiten im Privaten zu leisten, auch wenn sie zunehmend auch (wieder) selbst in Lohnarbeit eingebunden sind. Bezieht man Reproduktionsarbeiter*innen so in die Bestimmung der ausgebeuteten Klasse im Kapitalismus mit ein, wird auf analytischer Ebene Klasse zum verbindenden Element.

Klasse als Prozess

Diese strukturelle Analyse und dieses strukturelle Potential führt aber nicht allein zu Klassenkämpfen, in denen auf einmal alle mal eben ihre Charaktermasken abnehmen und das Kapital als gemeinsamen Gegner erkennen, wie es zum Beispiel John Holloway etwas lapidar formuliert. Um zu verstehen, wie es zu dem Punkt kommt, dass Menschen sich als Teil einer gemeinsamen Klasse «für sich» erkennen und für die Abschaffung von Klassen kämpfen, hilft die Perspektive auf Klasse als Prozess: Hier rücken sie als reale Gemeinschaften von konkreten Menschen, die sich als widerstreitende Gruppen konstituieren, ins Zentrum der Analyse. Dabei spielt zwar weiterhin die Ökonomie als Hintergrund eine Rolle, doch ist die Fragestellung eine andere. Es wird weniger gefragt, welche Positionen sich von der Produktionsweise ableiten und wie diese zum Beispiel im Zusammenhang mit der sozialen Lage stehen. Vielmehr wird danach gefragt, wie es dazu kommt, dass sich bestimmte Gruppen bilden und für andere gesellschaftliche Regelungen der Ökonomie kämpfen. Dabei spielen dann sowohl kulturelle Werte und ihre Interpretation, als auch die Erfahrungen im Kampf selbst eine Rolle.

Der Klassenkampf ist hier der Klasse vorgelagert, als Akteurin entsteht Klasse erst im Kampf, wozu kulturelle Werte mobilisiert werden. Eine Klasse ist dann gegeben, wenn kulturelle Werte, politische Ansichten und ökonomische Positionen geteilt werden. Das Ganze ist aber nicht statisch, der Zusammenhang wird immer wieder neu hergestellt. Bekannt für diese Herangehensweise ist beispielsweise der englische Historiker Edward P. Thompson oder in Deutschland Michael Vester, der Klasse als Milieu begreift. Zusammengefasst geht es also weniger um die Analyse von Strukturen und der darin verankerten Positionen, sondern darum, wie Menschen diese Positionen füllen und wie sie zur Klasse als (kämpfende) Gemeinschaft zusammenkommen.

Was bedeutet das nun für eine antikapitalistische Linke?

Zum einen sollte sie die Analyse von Klassenpositionen bei der Bestimmung ihres Ziels ernst nehmen. Es geht dabei darum, Positionen der Ausbeutung abzuschaffen, also um mehr als den Zugang zu diesen Positionen oder die Abfederung der Folgen daraus. Das bedeutet auch, dass Kämpfe um Repräsentation, im Sinne des Zugangs zu Positionen, zwar wichtig sind, aber diese für eine antikapitalistische Linke nicht Selbstzweck sein können. Denn das Ziel ist nicht eine gerechtere Arbeitsteilung, sondern die Abschaffung ausbeutender Arbeitsteilung.

Repräsentation wird aber dann wichtig, wenn es um die Schaffung von Klasse als kämpfendes Subjekt geht. Während für die antikapitalistische Linke das Ziel der Abschaffung von Klasse als Position wieder zentral werden muss, ist ihre vornehmlichste Aufgabe, die Kämpfe und die kulturellen Anrufungen zu schaffen, die so eine Klasse auch als Subjekt konstituieren: Wir haben diese Welt, diesen Kiez und vieles mehr erst erschaffen und machen sie bei allen Erniedrigungen lebenswert, wir nehmen uns jetzt diese Welt zurück.

«Wir haben diese Welt, diesen Kiez und ­vieles mehr erst erschaffen und machen sie bei allen Erniedrigungen lebenswert, wir nehmen uns jetzt diese Welt zurück.»

Dazu gehört auch das Schaffen linker Kulturräume und Strukturen, die über so viele Jahrzehnte zerstört wurden. Damit ist aber weniger der Szeneladen gemeint, auch wenn dieser darin sicherlich seinen Platz hat, sondern auch breitere offene Räume des Austausch, des gemeinsamen Tuns: vom Sport bis zum Plätzchen backen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, welches es für politische Kämpfe braucht, entsteht nicht nur aus der abstrakten Aufforderung zur Solidarität. Ansätze dafür gibt es zum Beispiel in Berlin: Vom gemeinsamen Glühweintrinken in der Otto-Suhr-Siedlung bis hin zu den großen Kieztreffen von ­Bizim Kiez entstehen offene, verbindende Anlässe in lokalen Kämpfen gegen Mieterhöhung und Verdrängung.

Gleichzeitig müssen wir an Kämpfen teilnehmen und diese mit anstoßen, in denen wir als Ausgebeutete uns als ein solches handelndes Klassensubjekt begreifen. Denn der Klassenkampf ist für Einzelne ein großes Risiko und oft erst einmal mit Nachteilen verbunden; auch für die Privilegierteren innerhalb einer solchen Klasse, die sich kurzfristige Vorteile vielleicht anders viel einfacher beschaffen könnten. Dies kann nur überwunden werden, wenn man erlebt, Teil von etwas Größerem zu sein und die gemeinsame Stärke zu erfahren.

Nur dann lassen sich auch die Konflikte produktiv führen, die notwendigerweise innerhalb dieser zu schaffenden Klasse geführt werden müssen. Denn werden hier nicht Diskriminierungen und materielle Ideologien der Unterdrückung bekämpft, werden diese selbst nach einer Revolution nicht verschwinden, und hier spielen dann auch Kämpfe um Repräsentation eine wichtige Rolle.

Es muss darum gehen, einen gemeinsamen Klassenkampf zu formulieren, der sich aus der erweiterten Sichtweise von Klasse als Position ergibt und sich in diesem zu empowern, sich gegenseitig und miteinander als Subjekt zu erleben. Innerhalb dieses Kampfes wird es immer wieder Interventionen geben müssen gegen Diskriminierung, Gewalt und strukturelle blinde Flecken. Diese werden aber erleichtert, wenn es dabei auch etwas Gemeinsames gibt, auf das sich Bezug nehmen lässt. Die Initiativen der Il für eine «Stadt für Alle» gehen dabei in diese meines Erachtens richtige Richtung. Zwar ist das Ziel der Abschaffung von Klasse hier höchstens indirekt mitgedacht, doch geht es darum eine vielgestaltige Klasse als kämpfendes Subjekt zu schaffen, in der zum Beispiel «alte» und «neue» Einwohner*innen für ihre gemeinsamen Interessen kämpfen und dabei die Unterschiedlichkeit innerhalb dieser Klasse ernst genommen wird. So hat zum Beispiel der Zugang zu gutem Wohnraum für Alleinerziehende, Migrierte und biodeutsche Geringverdienende unterschiedliche Voraussetzungen, doch sie alle eint, dass auf ihrem Rücken Profite gemacht werden und dies Zugang zu gutem Wohnraum verhindert.