Die bundesdeutsche Wirtschaft speckt bereits ab: 2023 ist sie geschrumpft und auch für die nächsten Jahre wird Stagnation prognostiziert. Jahrelang hatten Linke ein Ende des Wachstums gefordert, nun werden diese Träume auch ohne ihr Zutun wahr. Bei den arbeitenden Massen scheint der Schrumpfkurs indes weniger euphorisch aufgenommen zu werden. Anfang 2024 erleben wir, wie Landwirt*innen im Kampf gegen ökologische Regulierungen die Straßen blockieren, während die verhassten «Klimakleber» für ihren Protest mit Prügel und Strafverfahren rechnen müssen.

Es scheint, als seien die Arbeiter*- und Bäuer*innen nie so weit von Ökologie-Bewegungen entfernt gewesen wie heute. Dabei steht hinter den Kürzungen eine Austeritätspolitik, die vorgibt, die Kosten für nachhaltige Politik auf die Armen umschlagen zu müssen. Neoliberale Politik im grünen Schafspelz.

Nur Superreiche haben die Perspektive, der Klimakrise auszuweichen, und gerade die Ärmsten leiden am meisten. Dennoch wird die Möglichkeit, superreich zu sein, akzeptiert, während notwendige Veränderungen ausbleiben. Es stellt sich die Frage, wie Klimapolitik und Postwachstum aus Arbeiter*innenperspektive gedacht werden können. Wir wollen uns fragen, wo es Berührungspunkte und wo es Widersprüche zwischen Postwachstum (in dieser Ausgabe synonym verwendet mit «Degrowth») und Klassenpolitik gibt. So kritisiert Lisa Habigt, wie Szene-Habitus und klassistische Diskriminierung den Anschluss an Bewegungen und Umstellungen im Alltag verhindern. Julian Willming beschreibt, wie Menschen auf dem Land mit Forderungen radikaler kultureller Veränderungen in Konflikt kommen. Der Gewerkschafter Stephan Krull macht Hoffnung, dass auch in der «klassischen» Arbeiter*innenklasse der Automobilindustrie Offenheit besteht, sich einer ökologischen Transformation anzuschließen.

Matthias Schmelzer stellt sich mit Dennis Eversberg die Frage, wer diese Arbeiter*innenklasse eigentlich ist, und fasst die Geschichte der Degrowth-Bewegung zusammen. Carla Noever Castelos zeigt am Beispiel der Kämpfe in der Bergbauindustrie in der Extremadura, wie ein reproduktives Verständnis von Arbeit und Ökonomie entwickelt werden kann. Dass eine Umstellung unseres Wirtschaftsmodells kein Zuckerschlecken wird, rufen auch Inea Lehner und Charles Stevenson in Erinnerung und plädieren vor diesem Hintergrund für eine revolutionäre Partei. Tomasz Konicz plädiert für ein radikales Krisenbewusstsein als Grundlage klassenkämpferischer Transformationen, während Samuel Decker Postwachstum zu einem Konzept demokratischer Planung weiterentwickelt. Boris Schapek kritisiert Degrowth am Beispiel der Elektrifizierung der frühen UdSSR.

Dass auch das Private politisch ist, zeigen Ricarda Lamprecht und Camilo Álvarez-Garrido sowie Mila Zehn: In ihren Beiträgen erkunden sie Klassendefinitionen zwischen globalem Süden und Race und finden dabei feministische Strategien mit Fokus auf emotionale Bedürfnisse. Ebenso plädiert Matthias Neumann für eine sozial-ökologische Transformation, die die Qualität von Beziehungen ins Zentrum stellt. Tanja Abou fragt, wie eine Klassismus-Debatte geführt werden kann, die Privilegierung sichtbar macht, ohne die Arbeiter*innenklasse zu spalten. W. Sauer gibt einen Einblick in die Realität eines Studiums ohne Elternfinanzierung kurz vorm globalen Kollaps und in einem surreal-assoziativen Text bearbeitet Aski Elber-Daystrom das Eindringen der «New Economy» in das Leben der neuen Arbeiter*innenklasse der Kreativbranche. Schlussendlich übt unser Genosse Thore Kritik an Phillip Lepenies, Buch «Verbot und Verzicht», dem er vorwirft, lediglich die Ideengeschichte des Neoliberalismus nachzuzeichnen, statt diesen unter der Oberfläche zu analysieren.

Wir wissen, dass Degrowth ein nerdiges Thema ist, halten es aber für wichtig, Zukunftsvisionen nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Rahmen eines erstarkenden Klassenbewusstseins hoffen wir mit der Verbreiterung der Debatte, für Anschlussfähigkeit zu sorgen und Utopien durch ihre Ausformulierung der Realität anzunähern.

Zwar schrumpft die Wirtschaft, doch die Preise steigen weiter: Angesichts gestiegener Kosten für Druck und Vertrieb müssen wir den Preis pro Ausgabe daher auf sechs Euro erhöhen. In düsteren Zeiten gibt es allerdings auch gute Nachrichten: Die arranca! feiert mit dieser Ausgabe ihren 30-jährigen Geburtstag. Seit 1993 bieten wir eine Plattform für Theorien, Debatten und Strategien – und denken nicht ans Aufhören! Dank zahlreicher Neuzugänge in der Redaktion stehen die Zeichen gut, noch in diesem Jahr eine zweite Ausgabe in Druck zu bringen, die sich als Doppelausgabe diesem Heft thematisch anschließt. Dafür werden wir uns mit Genoss*innen zusammentun, die das Thema demokratische Planwirtschaft vor dem Hintergrund moderner technologischer Möglichkeiten zurück auf die linksradikale Agenda setzen wollen.