Der Klimawandel ist eine Frage des Überlebens vor allem für arme und arbeitende Menschen und damit auch eine Frage von reproduktiven Handlungsstrategien. Bell hooks schärft zum einen den Blick für Menschen, ihre Lebenslagen und Überlebensstrategien – und damit für eine Politik der ersten Person. Zum zweiten lenkt sie den Blick auf die Mechanismen der Hegemonie auf dieser individuellen, reproduktiven Ebene von Klassen- und Klimapolitik. Zum dritten ist ihr Fokus von Klassenpolitik in der reproduktiven Sphäre von Familien und Communities verankert. Dies zusammen mit ihrem klar intersektionalen Ansatz, Klasse mit race und gender zusammenzudenken, macht bell hooks’ Klassenbegriff zu einem feministischen Ansatz, der dem Zusammendenken von Degrowth und Klasse wertvolle Impulse gibt. Marxistische Klassenpolitik kann hier noch etwas lernen. Aber treten wir noch mal einen Schritt zurück.
Wie Karl Marx bereits sagte...
Das geläufige Klassenverständnis ist einerseits ein von oben betrachtendes soziologisches und andererseits ein im Marxschen Sinne objektives: Wer ist die Klasse? Wie verhält sie sich als Ganze in der Gesellschaft? Es ist wichtig, welche Interessen sie als große soziale Formationen haben. Aufgeteilt in Arbeiter*innen- und Kapitalist*innenklasse bilden sie den diametralen Klassenwiderspruch zwischen diesen Hauptklassen, der sich durch alle Fragen der Gesellschaft zieht.
«bell hooks lenkt den Blick auf die Mechanismen der Hegemonie auf der individuellen, reproduktiven Ebene von Klassen- und Klimapolitik.»
Bewegung kommt im klassischen Marxismus in die Nummer, wenn von der Klasse an sich (dem objektiven Klasseninteresse) und der Klasse für sich (dem subjektiv empfundenen Klasseninteresse) gesprochen wird. Hier ist leicht festgestellt, dass die Kapitalist*innen selten offen streiten, welches der richtige Weg für mehr Profit ist. Beispielhaft sei hier die Auseinandersetzung in Großbritannien um den Brexit genannt, in der bestimmte Fraktionen der Kapitalist*innen sich aus ökonomischen Gründen auf der einen oder anderen Seite wiederfanden. Ihnen ist in der Regel schnell klar, was ihr gemeinsames Klasseninteresse ist. Streit zwischen widerstreitenden Kapitalfraktionen kann in der Regel mit an anderer Stelle entgegenkommenden staatlichen Regelungen befriedet werden.
Bei den Arbeiter*innen treffen wir da auf ein viel aufgefächerteres Feld: Da finden sich, zum Beispiel im Parteienspektrum, alle Farben wieder. Da mag man schnell attestieren, dass einige ihr objektives Klasseninteresse nicht klar haben. Strategisch nachteilig ist, dass so die Einheit im Handeln schwerer herzustellen ist.
Die Arbeiter*innenklasse wird aber erst handlungsmächtig, wenn sie sich von der Klasse an sich auch zur Klasse für sich entwickelt. Dies geschieht bei klassischen Marxist*innen, wenn sie sich in Kämpfe mit den Kapitalist*innen verwickeln.
Das darin entstehende Klassenbewusstsein ist einerseits das Wissen um die eigenen objektiven Interessen und andererseits die Schule des Klassenkampfes, also das taktische und strategische Erfahrungswissen, um zu gewinnen. Soweit der klassisch marxistische Klassenbegriff – in a nutshell. Die am Modell des leninistischen Parteiaufbau orientierten kommunistischen Gruppen singen meistens dieses Lied.
Klasse, race, Geschlecht und die Verbesserung der eigenen Lebenswelt
Bell hooks hat einen mehr vom Individuum ausgehenden ethnologischen oder auch einfach subjektiven Klassenbegriff. Bei ihr wird nicht mit marxistischen oder wissenschaftlichen Kriterien, Definitionen und Analysen hantiert, sondern eher nach den Empfindungen, Gefühlen, Handlungsweisen der Menschen geschaut. Sie ist in der Mikropolitik der Macht zuhause, also im konkreten Tun und Leben der Menschen. Dabei ist ihr Klassenbezug ‹arme› Menschen, die damit umgehen müssen, wenig Ressourcen zu haben, und nicht Menschen mit einer bestimmten Stellung im Produktionsprozess.
Bell hooks erzählt als Schwarze Frau, die in armen Verhältnissen aufgewachsen ist und entgegen der sozialen Bestimmung nicht in der Stellung ihrer Eltern geblieben ist, sondern einen Bildungsaufstieg zur Akademikerin vollziehen konnte – trotz der klassistischen, sexistischen und rassistischen Widerstände, die ihr an High School und Universitäten als Schwarze Frau in den 1960ern und 70ern begegneten. Sie nutzt ihren Bildungsaufstieg, um einfach und verständlich den Erfahrungen ihrer Klasse eine Stimme zu verleihen.
Sie beschreibt in ihrem Buch Die Bedeutung von Klasse, wie sich Menschen in den Schwarzen Communities ihrer Kindheit und Jugend ausgeholfen haben, wie sie Ressourcen geteilt haben, wo sonst individuelle Armut geblieben wäre. Diese Strategien wurden fast ausschließlich von den Frauen der Community – auch von bell hooks’ Mutter organisiert. Ihr Vater, der zwar arbeiten ging, gab ‹sein Geld› aber nicht in ausreichendem Maße für reproduktive Notwendigkeiten ab (zum Beispiel Bildung, gute Kleidung, Spaß für ihre Kinder). Er behielt sich als Familienpatriarch auch immer Geld für sich zurück.
Im Gegensatz zum klassisch marxistischen Blickwinkel von Klassenbewusstsein entwickelt bell hooks ein Verständnis der überwiegend weiblichen Strategien reproduktiven Klassenbewusstseins, die auf das Überleben und die Entwicklung der Gemeinschaft, der Klasse, der Familie und der Kinder gerichtet ist. Sie formuliert detailliert aus, was Klassenbewusstsein in den individuellen, lebensweltlichen Handlungen der Menschen bedeutet. Sie beschreibt, wie sich arbeitende Menschen nicht nur in diesem klassistischen Unterdrückungsverhältnis manövrieren, sondern auch, wie sich Rassismus und Sexismus auf sie auswirkt.
«Im Gegensatz zum klassisch marxistischen Blickwinkel von Klassenbewusstsein entwickelt bell hooks ein Verständnis der überwiegend weiblichen Strategien reproduktiven Klassenbewusstseins, die auf das Überleben und die Entwicklung der Gemeinschaft, der Klasse, der Familie und der Kinder gerichtet ist.»
Einige Male betrachtet sie das Verhalten der Menschen genauer und formuliert Tipps, wie arme, arbeitende Menschen in ihren Verhältnissen überleben können und worin wir investieren könn(t)en, um der dauernden Armut zu entgehen, ebenso, welche Sackgassen und Fallstricke lauern.
Hier spielen gemeinschaftliche, solidarische Verhaltensweisen eine Rolle. Diese sind vergleichbar mit dem, was Arbeiter*innen auch hierzulande taten und tun, um ihr Leben zu verbessern: Wie in Kaisers Zeiten Bildungsvereine, Unterstützungskassen und Einkaufsgenossenschaften gegründet wurden und wie wir uns damals wie heute in Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen zusammenschließen – oder eben nicht. Aber auch, wie wir individuell versuchen, besser durchs Leben zu kommen mit den Möglichkeiten, die wir haben. Deshalb ist dieser Klassenbegriff nah am Lebensalltag.
bell hooks, Degrowth und der Klassenblick: Klimawandel als Klassenfrage
Die Frage, die hooks stellt, ist also eine Klassenfrage: Was ist schlau für uns zu tun? Was bringt uns weiter? Denn uns wird nichts geschenkt. Was ist die Situation, in der wir stecken, und welche Handlungsoptionen haben wir?
Dieser Blick ins Individuelle, ins menschliche Handeln ist auch eine Chance, aus den Klischees des klassistischen Blicks auf Arbeiter*innen hinauszukommen, wo die vermeintlich achtlosen Arbeiter*innen immer diejenigen sind, die sich nicht um Umwelt und Nachhaltigkeit kümmern, sondern stattdessen nur mit ihrem Leben klar kommen (und dabei noch ein bisschen Spaß haben) wollen.
Der Klimawandel wird für bell hooks zu einer Frage des Überlebens vor allem für arme, arbeitende Menschen und damit auch zur Frage von konkreten reproduktiven Handlungsstrategien: Des individuellen Überlebens, des solidarischen Helfens, des kollektiven Handelns, des strategischen Denkens – sprich des reproduktiven Klassenbewusstseins. Postwachstum als eine Handlungsstrategie für arme arbeitende Menschen wurde noch nicht ausbuchstabiert. Viele Beiträge in diesem Heft weisen darauf hin, dass Verzicht keine Lösung ist für arme und arbeitende Menschen – dass viele sowieso eher den kleinen Fußabdruck leben – nicht aus selbstgewähltem Lifestyle, sondern mittels der Lebenslage, in der sie nun mal stecken. Bell hooks schreibt hierzu: «Hoffnung darf nicht durch unrealistische Wohlstandsfantasien entstehen, sondern vielmehr durch das Erlernen von Strategien, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten umzugehen.» Kollektiv genutzte und organisierte Ressourcen in Form von zugänglicher, sozialer Infrastruktur für alle wäre das Gebot der Stunde.
Einschneidend ist aber auch die Erkenntnis, dass viele Dinge unserer kapitalistischen Lebensweisen auch als Arbeiter*innen nicht vernünftig im Sinne des Überlebens und des guten Lebens von uns allen auf diesem Planeten sind. Bell hooks wird deutlich, wenn sie über zukünftige Kämpfe spricht: «In Anbetracht der Tatsache, dass die Ressourcen der Welt aufgrund der Verschwendung wohlhabender Kulturen rasch schwinden, sind alle Armen, die damit zufrieden sind, ein einfaches Leben zu führen, am ehesten in der Lage, jedem eine Vision der Hoffnung anzubieten, denn der Tag, an dem wir alle mit weniger werden auskommen müssen, wird kommen.»
«Die Aufgabe der gesellschaftlichen Linken ist es, diese Debatten um ein gutes Leben für alle und wie es aussehen kann, innerhalb unserer (Arbeiter*innen-)Klasse zu führen und kapitalistisch-hegemonialen Positionen, die diesem im Wege stehen, die Stirn zu bieten.»
Beispielhaft für so viele zu führende Debatten soll hier auf die ‹socialist banana debate› verwiesen werden, die sich unter US-amerikanischen Linken rund um das Thema Degrowth auf Twitter entspannte. Sinnhaft zusammengefasst stellte die Debatte die Frage: Wird es für US-amerikanische Arbeiter*innen noch (massenhaft und täglich) Bananen geben in einem weltweiten Sozialismus? Und spitz gefragt: Wird es überhaupt je einen weltweiten Sozialismus geben, wenn das heißt, dass US-amerikanische Arbeiter*innen ihre gewohnte Menge Bananen nicht mehr bekommen? Gleichzeitig stellt sich die Frage: Werden freie equadorianische Arbeiter*innen weiterhin Bananen in pestizitbelasteten und deshalb Krebs verursachenden Monokulturen für den Export anbauen? Selbst wenn ja und zu ökonomisch besseren, sowie ökologisch und gesundheitlich verträglicheren Bedingungen: Würden US-amerikanische Arbeiter*innen diese nun viel teureren (und immer vom CO²-Fußabdruck bedenklichen) Bananen noch kaufen wollen?
Die Aufgabe der gesellschaftlichen Linken ist es, diese Debatten um ein gutes Leben für alle und wie es aussehen kann, innerhalb unserer (Arbeiter*innen-)Klasse zu führen und kapitalistisch-hegemonialen Positionen, die diesem im Wege stehen, die Stirn zu bieten.
Eine Frage der Hegemonie
Genau diese Auseinandersetzung um das gute Leben wird innerhalb unserer Klasse tagtäglich hart geführt – jedoch meist in Abwesenheit linker Akteur*innen und der Klasse ‹an sich›. Es sind die Kapitalist*innen, die unsere Köpfe umkämpfen. So beschreibt bell hooks, wie die Werbung und Fernsehen versuchen, in uns Bedürfnisse zu wecken. Die diversen Fraktionen des Kapitals wollen keine Nahverkehrstickets verkaufen, auch keine Jahreskarte für die Stadtteilbibliothek oder Plattformen für nachbarschaftliche Hilfe und gemeinschaftliches Teilen. Sie wollen uns weismachen, dass uns das eigene Auto viel besser passt, dass man Bücher/Filme/Spiele und so weiter kaufen sollte und Werkzeug lieber selbst hat und eher ungern verleiht (Was wenn es dann kaputt ist?) und dass – um beim Beispiel zu bleiben – Obst aus aller Welt immer billig verfügbar sein muss.
Genau hier geht es nach bell hooks um Hegemonie. Die Kapitalisierungs- und Vereinzelungsstrategien trockneten die für einander sorgenden, miteinander teilenden und sich einander verstehenden Communities von arbeitenden, armen POCs ihrer Kindheit (die sich in ihrem Fall um den christlichen Glauben organisierten) Stück für Stück aus.
Erzählungen individuellen kapitalistischen Glücks sorg(t)en dafür, dass wir etwas Anderes versuchen: die vom Sechser im Lotto, die des Tellerwäschers, die des Bildungsaufstiegs, die des*der Unternehmensgründerin und die der off road stories über das schnelle Geld mit krummen Geschäften. Billige Konsumversprechen andererseits machen begrenzten Wohlstand möglich. Hier müsste auch die Auseinandersetzung um die Klimapolitik in unserer Klasse ansetzen. Wer trägt hier welche Ideen in unsere Köpfe und mit welchem Interesse? Was wären die Wege, die allen Armen und auf Arbeit angewiesenen Menschen ein gutes Leben ohne ökologisch ruinöse Folgen ermöglichen? Wer versucht, uns seinen luxuriösen Lebensstil als erstrebenswertes Ziel zu verkaufen, um sich und sein ökonomisches Modell gleichzeitig rein zu waschen? «Ist doch gut so, wie die leben, wollen wir doch schließlich auch!» Wer macht sich dann mit ihrem individuellen Reichtum vom Acker, wenn die Katastrophe da ist und wer sitzt dann da, kann sich nur auf kollektive Sicherheitsstrategien verlassen?
Wie können wir das also ändern?
Für manche unter uns radikalen Linken, mag der Blick auf die Arbeiter*innenklasse erst mit «check your privileges» und «overcome your prejudices» anfangen, auch das ist ein guter und wichtiger Schritt. Für eine Verbindung von Klasse und Degrowth wäre das Loslassen rein lohnarbeitsfixierter klassenpolitischer Ansätze schon mal ein echter Gamechanger. Bell hooks’ Blick auf die Mikropolitik von Klassenrealität, das Teilen einer gemeinsamen Lebensrealität und sich darin zu verstehen, spricht eher für die in Teilen der radikalen Linken erprobten und zum Teil gelebten Organizing- und Basisarbeitansätze wie Deutsche Wohnen Enteignen oder Stadtteilinitiativen, sowie für die Bedeutung von Orten, um ins Gespräch zu kommen. Irgendwo da müssten sich gewinnbare klimapolitische Klassenkonflikte und lösbare Arbeiter*innenklassenprobleme befinden, anhand derer man eine politische Praxis beginnen könnte. Neben solchen Selbsthilfestrukturen, wäre die Verallgemeinerung dieser Strukturen in Forderungen nach Vergesellschaftung bestimmter bisher durch Staat und Wirtschaft dominierter Bereiche denkbar, um klimagerechten kollektiven Reichtum umzusetzen.
Darüber hinaus müssen wir uns trauen, die lebensweltlichen Fragen des Klimawandels solidarisch in unserer Klasse zu diskutieren: Essen, Wasser, Konsum, Reichtum, internationale Klassensolidarität und wie die kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise unsere Leben bedrohen. Die kapitalistische Klasse wird jedenfalls nicht aufhören, kapitalistisches Wachstum zu forcieren. In the big picture geht es eben um Hegemonie. Aber Worte kann man bekanntlich nicht essen und nur die Taten lassen sich messen.