Ausgangspunkt der Untersuchung war die Einschätzung, dass sich im Umfeld der Parteitagsproteste zum ersten Mal seit Beginn des zweiten Irakkrieges wieder eine signifi kante landesweite Mobilisierung abzeichnete. Dabei beunruhigte uns jedoch die Herangehensweise einiger Kollegen an diese Proteste: Wir fanden, dass die Versuche einer Wiederbelebung der Proteststimmung von Seattle 999 in Form einer reinen Neuaufl age der damaligen Protestkultur fehlgeleitet waren. Wir waren überzeugt, dass weniger der viel zitierte 11. September für den Niedergang der globalisierungskritischen Bewegung verantwortlich war als vielmehr die Aktivitäten und Politikansätze der Bewegung selbst. Daher sahen wir die Zeit für ein ganz anderes Projekt gekommen: Wir wollten die Erfahrungen antikapitalistischer Strömungen in der amerikanischen Linken zwischen 999 und heute kritisch hinterfragen, um schließlich gute von weniger guten Strategien zu unterscheiden und ihren Nutzen für die Zukunft zu beurteilen. Deshalb baten wir über fünfzig Organisationen und Individuen um Artikel und Interviews. Darin sollten die Arbeitsweise und Arbeitsinhalte der Gruppen sowie der Stand der Erfahrungsauswertung, Rückschläge und Erfolge diskutiert werden.
Das Ergebnis waren ein Sammelband, in dem Essays und Interviews mit Intellektuellen und sogenannten ‚radical Organizers’ über ihre Organisationsprozesse und Strategien veröffentlicht wurden (In the Middle of a Whirlwind: 2008 Convention Protests, Movement and Movements), sowie eine Veranstaltungsreihe mit den AutorInnen.
Im Nachhinein kristallisierte sich für Team Colors ein andauernder Evaluationsprozess heraus, in dem wir vor allem unsere Erfahrungen und Probleme im Bereich der Militanten Untersuchungen verarbeiten. Während dieser interne Diskussionsprozess anhält, hoffen wir, dass unsere Diskussionen und Erfahrungen vielleicht schon nützlich für Dritte sein können.
Militante Untersuchung und ihre Fallstricke
Das Projekt war das ambitionierteste, das wir als Kollektiv je begonnen haben. Obwohl das nicht unser eigentliches Forschungsinteresse gewesen war, wurde schnell die ‚technische’ Herangehensweise an unsere Forschung zum Objekt der Untersuchung, vor allem weil der Rücklauf nicht den Zielen entsprach, die wir aufgestellt hatten. Der eigentliche Grund der Untersuchung ging uns in den Bergen von Arbeit und auf dem Wege der Kommunikation verloren. Unsere Überlegungen zur Methodik drehten sich vor allem um die Art und Weise der Kommunikation innerhalb der radikalen Linken – sowohl in Hinblick auf Debatten als auch in Hinblick auf Infrastruktur.
Denn zum einen sprachen die Artikel, die wir bekamen, die von uns gestellten Fragen oftmals gar nicht an. So erhielten wir statt der gewünschten Fallstudien häufi g so etwas wie Presseerklärungen – ein aufschlussreicher Einblick darin, wie einige AktivistInnen innerhalb eines Organisierungsprozesses kommunizieren, leider jedoch völlig wertlos für unser Projekt. Wir wollten AktivistInnen dazu bringen, ihre Analysen in Bezug zum historischen Kontext zu setzen, wir wollten Dinge erfahren, von denen man lernen und auf die wir uns beziehen können würden. Leider erhielten wir meist viele Seiten Text, die man letztlich auch in einem kurzen Abschnitt hätte zusammenfassen können. Dies lag jedoch nicht nur an mangelnder Aufmerksamkeit, sondern auch an der zur Verfügung stehenden Kommunikations-Infrastruktur. Diese ist sowohl technologisch als auch organisatorisch ungeeignet für kontinuierliche Kommunikationsprozesse innerhalb der Linken, die über ein kommunales Level hinausgehen. In den letzten Jahren haben wir viele Bewegungspublikationen aus finanziellen Gründen untergehen sehen. Während wir vor allem das Versanden guter Projekte von FreundInnen und GenossInnen sehr bedauern, muss jedoch auch festgestellt werden, dass das Fehlen funktionierender Organisationen und Diskursräume keine Basis für eine langfristige Unterstützung solcher Projekte bietet. Zudem war die Architektur einiger dieser Projekte auf einem verfehlten organisatorischen Ansatz errichtet worden: der ‚Bekehrung’ zu einer bestimmten politischen Identität durch die Schaffung von Problembewusstsein für bestimmte Themen. Wie wir jedoch über die letzten zehn Jahre gesehen haben, war die größte Unterlassungssünde der Anti-Globalisierungsbewegung das Versagen, sich mit der Vielschichtigkeit des Alltäglichen zu beschäftigen. Dies zeigt sich deutlich an den Bewegungsmedien, deren Fokus nach wie vor auf Kämpfen als Ausdrucksmittel liegt. Die verbleibenden Zugänge zu Kommunikation verlaufen nach wie vor über den Versuch der ‚Bewusstseinsschaffung’ und verhindern so andere Ansätze.
Tatsächlich fielen wir von Team Colors selbst bei dem Versuch, das Interesse genau darauf zu lenken, auf diese eingefahrenen Kommunikationsstrukturen herein. So waren unsere Methoden, auf das Buch und die Veranstaltungen aufmerksam zu machen, ebenfalls auf ein sehr beschränktes Verständnis von Öffentlichkeit angelegt: Massen- Emails über bekannte Mailinglisten, Werbung über Poster und Flyer, die an Orten verteilt wurden, an denen wir AktivistInnen vermuteten. Über all die Zeit und das Geld, das wir brauchten, um die Flyer zu erstellen, zu drucken und schließlich zu verteilen, vergaßen wir völlig, unsere AutorInnen einzubeziehen und sie damit zu ermutigen, sich das Whirlwindsprojekt selbst anzueignen. So wurde unglücklicherweise das Mittel (die Fertigstellung und Verteilung unseres Buches), mit dem wir eigentlich nur einen Prozess in Gang setzen wollten, zu einem Ziel. Das Versagen, neue Wege zu beschreiten, zeigte sich auch an den Orten, an denen wir die Whirlwinds- Broschüre vorstellten. Anstatt uns durch die lokalen Wahlbezirke unserer AutorInnen zu arbeiten, hielten wir unsere Veranstaltungen in ‚sicheren’ linken Szenetreffs ab. Obwohl wir bestimmte Aspekte eben dieser Nischen als irrelevant kritisierten, distanzierten wir uns nicht von der vorhandenen Infrastruktur. Wir halten diese Fehler nicht für außergewöhnlich: Vielmehr zeigen sie deutlich, wie viele radikale Projekte im ‚Szene-Sumpf’ funktionieren. Und obwohl öfter kritisch darüber gesprochen wird, schlägt sich das fast nie in Aktivitäten nieder.
Mitten im Wirbelwind
Nun, da wir eine Phase des Projektes abgeschlossen haben, ist uns klar, dass unser Ansatz sich ändern muss. Wie wir uns Ort und Ausmaß des Projektes vorstellen, muss neu diskutiert werden. Dabei meinen wir mit Ort nicht Arbeitsplätze oder Räume für unsere Treffen, sondern Orte im Sinne von Netzwerken, das heißt existierende immanente Verbindungen zwischen Kommunikation, Identifikation, sozialen Kämpfen und Arbeit. Wie erwähnt, war unser Kontakt mit den BuchautorInnen auf den Austausch über die Artikel beschränkt. Wäre vielleicht etwas anderes herausgekommen, wenn wir unser Projekt von vornherein als gemeinsames Projekt zwischen uns und den AutorInnen angelegt hätten?
Unsere Verteilung von Informationen und Generierung von Kommunikation hat nicht funktioniert, weil wir nicht die unseren Zielen angemessenen Strukturen genutzt haben. Während das Internet als eines der wichtigsten Werkzeuge der neuen antikapitalistischen Linken bejubelt wird, ist unser Eindruck, dass sein Wert nicht verallgemeinert werden kann. Dasselbe gilt jedoch für alle Medien, elektronisch oder nicht. Wir sollten nicht den Informationsfluss mit einem vollständigen Kommunikationsakt verwechseln. Wir glauben, dass die daraus entstehende Kommunikation genauso entfremdet ist wie jede andere Nachrichtensendung.
Unser Versagen, eine neue Ebene mit unseren AutorInnen herzustellen, war eine verpasste Gelegenheit. Es wäre sicher hilfreich gewesen, früher unsere Prioritäten zu evaluieren, um unsere eigentlichen Ziele besser zu verfolgen. So kamen Erkenntnisse nur zufällig zustande und Begegnungen basierten vor allem auf der Publikation. Uns bleibt daher die Herausforderung, den reizvollen Möglichkeiten der Orte den Vorrang vor vagen allwissenden Ansätzen zu geben, die vor allem das Ausmaß als Wertmaßstab propagieren. Zwar hat In the Middle of a Whirlwind eine durchaus überzeugende Aufstellung nationaler und internationaler Blickwinkel zu bieten, aber das Potenzial alltäglicher Orte der Zusammenkunft und Möglichkeiten einer dauerhaften Vernetzung wurden nicht ausgeschöpft. Für Team Colors ebenso wie für neue und alte Bewegungen werden die durch Begegnungen aufgeworfene Fragen so lange unbeantwortet bleiben, wie es nicht gelingt, diesen neuen und wichtigen Schritt zu gehen.