Die Untersuchung
Potato: Wie sind wir zu der Call Center-Untersuchung gekommen? Call Center sind damals im Ruhrgebiet stark expandiert und wurden als der neue Boomsektor, als Teil der Neuen Ökonomie – das war Mitte der 1990er – präsentiert. Auch kamen die Gewerkschaften mit „neue Form von Arbeit“ und diesem ganzen Quatsch. Zum Teil wurden hundert und mehr Leute auf einmal eingestellt. Es haben sich neue Konzentrationen von ArbeiterInnen gebildet und unsere Einschätzung war, dass in der Region eine neue Klassenzusammensetzung entsteht. Untersuchung hieß dann: selber dort arbeiten, gezielt in mehreren Call Centern Leute interviewen, sehen, was es an sozialen Kämpfen gibt und diese unterstützen.
Joe: Im Ruhrgebiet, einer alten industriellen Region, wurden damals Büroarbeiter mit einer dreijährigen Ausbildung ersetzt durch eine konzentrierte und proletarisierte Massenarbeitskraft, die sich mit Schichtarbeit, unsicheren Verträgen und taylorisierter Arbeitsorganisation konfrontiert sah. Hinter der Untersuchung stand also keine Zufälligkeit, sondern eine politische These und eine Vorstellung von Arbeitermacht: Unter welchen Bedingungen können ArbeiterInnen eine Kollektivität entwickeln und ein Gefühl von Macht, nicht auf einem Berufsethos aufbauend wie bei vielen ‚Angestellten‘, sondern darauf, massenhaft dequalifiziert zu werden und auf einer Ebene zu stehen?
Potato: Wir haben diskutiert, was diese Entwicklung für die Region und darüber hinaus bedeutet. Ähnliche Konzentrationen von Call Centern entstanden auch in Leeds und in Mailand. Wir haben Material gesammelt, um einen Überblick zu kriegen. Wie viel Geld wird von wem investiert, wie ist die Firmenstruktur, welche Leute fangen da an? Das war die erste Ebene. Die zweite bestand darin, selber zu schauen: Sieben Leute von uns sind da rein, haben in unterschiedlichen Call Centern ihren Lebensunterhalt verdient. Wir haben uns selbst und andere interviewt: Wie ist die Arbeit organisiert, wie entstehen neue Formen von Kooperation, wie wehren sich die Leute gegen den Maschinentakt? Wir haben Flugblätter gemacht, die Berichte aus verschiedenen Call Centern enthielten, die wir rumgehen lassen konnten – eine Form der Zirkulation der Erfahrungen und des täglichen Widerstands.
Joe: Die KollegInnen waren vor allem an diesen Berichten interessiert. Wesentlich ist, dass wir nicht zu ArbeiterInnen-Treffen oder solchen Formen außerhalb des Arbeitsplatzes aufgerufen haben. Zum einen zeigt die Erfahrung, dass da meistens nicht viel passiert, zum anderen war es auch eine politische Entscheidung zu sagen: Die Hauptorganisierung muss direkt mit den KollegInnen am Arbeitsplatz passieren. Wir wollen nicht in die Rolle von Organisatoren kommen, sondern wir sind Teil dessen, und wir müssen in jeder konkreten Situation spezifische Formen der Gemeinsamkeit finden oder auch des Widerstands.
Organisation – Organisierung – Organizing
¿ Bezüglich der Frage „Was soll dabei herauskommen?“ seid ihr ja auch in eurem Buch fixiert auf die laufenden Kämpfe, in denen eine Selbstorganisierung stattfinden soll. Organisationsformen, die darüber hinaus gehen, außerhalb stehen oder zeitlich den konkreten Kampf überdauern, betrachtet ihr sehr skeptisch. Wie geht ihr mit dem Problem um, Erfahrungen aus Kämpfen zu bewahren und weiter zu transportieren? Auch dazu kann ja eine Organisation dienen.
Potato: Das ist genau der Punkt – wir sind nicht gegen Organisierung! Die Frage ist: Schaffen wir eine Organisation, in die ArbeiterInnen eintreten und durch die dann ihre Interessen vertreten werden? Da würden wir sagen: Nein, darum geht es uns nicht! Auch wenn man es anders nennt, zum Beispiel Organizing, was heute ja hip zu sein scheint, ist das eine klassische Form von Gewerkschaft und Repräsentation.
Wenn ArbeiterInnen sich selber organisieren, um in einem Betrieb in einem Kampf etwas durchzusetzen, dann ist das etwas anderes. Und natürlich gehen wir organisiert daran, diese Kampferfahrungen, die Leute machen, aufzunehmen, zu kapieren, aufzuschreiben und zirkulieren zu lassen. Genau darin bestand das hotlines-Projekt. Wir hatten Strukturen, eine Webseite, auf der alle Berichte drauf standen, und damit Punkte, auf die sich alle Leute beziehen konnten. Da wir gesehen haben, das geht nicht allein im Ruhrgebiet ab, sondern europa- und weltweit, haben wir nach Italien und England Kontakt aufgenommen, mit dortigen Gruppen kooperiert und Flugblätter übersetzt, also Kampfberichte, Situationsbeschreibungen und Zeugnisse von Call Center-ArbeiterInnen. Wir haben die aus anderen Ländern bei uns verteilt und die haben unsere bei sich verteilt.
¿ Ein Ziel, das ihr auch im hotlines-Buch formuliert, lautet: So ein Kampf wird nur radikal, wenn er irgendwann über die partikulare Perspektive der Leute hinausgeht. Es ist sicher wünschenswert, dass lauter kleine, selbst organisierte, temporäre Kollektive diese Verbindung zwischen den verschiedenen Kämpfen herstellen, aber auch dabei kann ja eine übergreifende Organisierung oder Infrastruktur helfen.
Potato: Klar, unser Ansatz war immer, über die Betriebsgrenzen hinauszugehen. Dazu dienten auch die Flugblätter, in denen die verschiedenen Erfahrungen dargestellt wurden. Wir wollten dieses Wissen verallgemeinern oder helfen, es zu verallgemeinern. Das haben wir über drei Jahre lang sehr konzentriert auf Call Center bezogen und ich glaube, wir hätten das mit dem verbinden können, was in jener Zeit auch in anderen Bereichen abgelaufen ist. Ein allgemeines Problem besteht darin – egal, ob wir jetzt über Krankenhäuser diskutieren, über Automobilfabriken oder Call Center – dass Organisierungsprozesse und Kämpfe oft in diesem einen Sektor stattfinden, es uns aber gar nicht darum geht, nur einen Sektor zu begreifen, sondern die Klassenrealität insgesamt, auch über den Sektor hinaus.
Joe: Zu den Partikularinteressen: Wenn man den Bahnerstreik 2007 nimmt, dem wurde auch vorgeworfen: Eine bestimmte Berufsgruppe möchte ihren Berufsethos zeigen und stellt bornierte Forderungen wie „30 Prozent mehr Lohn“. Wenn man mit den beteiligten Leuten darüber gesprochen hat, zeigte sich die eigentliche Motivation dieses Streiks: die Schichtzeiten, die Zunahme von Stress. Das hat die Gewerkschaft unter den Tisch fallen lassen. Dasselbe während des ver.di-Streiks dieses Jahr bei der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG. Das heißt, in diesen Kämpfen existiert eine unter der offiziellen Forderung schwebende Unruhe. Darüber könnten sich Sachen viel eher verallgemeinern, aber die müssten auch den gewerkschaftlichen Rahmen, der ihnen mit monetären Forderungen gegeben wird, durchbrechen. Die GDL und ver.di haben bewusst verhindert, dass die zwei Streiks zusammenkommen: Sie hätten der Fokus einer allgemeinen Wut auf Schichtstress und Arbeitsverdichtung werden können.
¿ Meine Frage zielte darauf, wie man es unterstützen kann, dass den Leuten solche Gemeinsamkeiten klar werden. Hängt das eher zufällig von den Menschen vor Ort ab oder kann man das durch irgendeine Struktur oder Infrastruktur befördern? Oder auch durch eine Art von Organisierung, die sich eben nicht auf den einen, konkreten Kampf, der sich da gerade entzündet, beschränkt?
Potato: Es gibt auch Bedingungen dafür, die wir gar nicht in der Hand haben: Eines der Ergebnisse der Call Center-Entwicklung damals war, dass es erstmal keine größeren Auseinandersetzungen gegeben hat. Die Militanz, die wir erhofft hatten, hat sich nicht entwickelt. Wir können fehlende Kämpfe nicht durch eine Organisation ersetzen. Das ist unsere Kritik an vielen Gruppen, die denken, es gibt keine Kämpfe, die Leute sind zu schwach oder die Bedingungen sind scheiße, also bauen sie so eine Struktur auf, wo die hinkommen und sich einbringen könnten. Oder sie stellen eine bestimmte Forderung und die kommen dann alle und unterstützen das. Ich finde das politisch falsch und darüber hinaus funktioniert das auch gar nicht: Wenn man sich das historisch anguckt, entwickeln sich größere Arbeiterunruhen nicht auf diesem Weg.
Joe: Ja, das ist im besten Sinne eine voluntaristische Vorstellung, so wie die Existenzgeldforderung, die dann für alle Bereiche passen würde, weil sich alle irgendwie darin wiederfinden könnten. Die Militante Untersuchung ist ein entgegengesetztes politisches Konzept zum Existenzgeld und zum Organizing. Sie geht davon aus, dass die Basis der Selbstorganisierung in der sozialen Produktion liegt und im Bereich der Ausbeutung. Die Leute müssen selber entdecken, dass ihr Bereich mit anderen gesellschaftlichen Realitäten verbunden ist und inwieweit sie diesen sozialen Charakter der Produktion und die Ähnlichkeit der Bedingungen als ein Mittel nutzen können, um sich selbst zu organisieren und mit anderen in Kontakt zu treten.
¿ Wenn man sich mit dem Begriff der Militanten Untersuchung auseinandersetzt, gerät man schnell ins Schwimmen, denn er wird sehr unterschiedlich verwendet ...
Potato: Es gibt Leute, die machen soziologische Untersuchungen oder Auftragsarbeiten für Gewerkschaften und nennen das Untersuchung oder Militante Untersuchung. Das hat mit dem, was wir darunter verstehen, nichts zu tun: Für uns ist das eine Organisationsform für uns selber und ein Bezug zur Klassenrealität, der eine Hoffnung auf Umwälzung in sich trägt. Wir wollen selber Teil von solchen proletarischen Prozessen sein, und deswegen ist unsere Praxis auch keine Frage von Aufopferung von wegen „Wir gehen jetzt auch in die Fabrik!“, sondern Teil dessen, wie wir uns selber reproduzieren und wie wir uns politische Interventionen vorstellen.
Joe: Für uns war die Militante Untersuchung nie ein Instrument à la „Wir haben ein bestimmtes organisatorisches Ziel, deshalb benutzen wir die Untersuchung, deshalb gehen wir zu den Leuten.“ Wenn hierzulande in der Linken oder radikalen Linken der Begriff Untersuchung verwendet wird, dann oft als Mittel, um die eigene gesellschaftliche Position gar nicht hinterfragen zu müssen, die Abtrennung von der Realität der meisten ArbeiterInnen. Man geht kurz irgendwo hin und befragt ein paar Leute, geht dann wieder zurück und macht Politik daraus. Man redet viel von „Politik der Körper“ und „Subjektivität“, teilt die proletarische Erfahrung aber nicht im eigenen Sein. Untersuchung wird so zur bloßen ‚Feldforschung’ für eine Kampagne, für die eigene Organisation.
ArbeiterInnen-Macht
¿ Wie ihr beschrieben habt, war es eine ganz bewusste Entscheidung, an jenem Ort in jener Situation in die Call Center zu gehen. Ihr nennt in eurem Buch bestimmte Kriterien, nach denen ihr Möglichkeit und potenzielle Macht von Kämpfen in einem Bereich abschätzt. Daraus folgt eine Priorisierung von Kämpfen. Aber schleicht sich da nicht wieder – provokativ gesagt – ein Avantgarde-Gedanke ein?
Potato: Wir überlegen, wo sich ArbeiterInnen-Macht entwickeln kann. Wir haben später das Buch Forces of Labor von Beverly Silver übersetzt, in dem sie sich präzise mit dieser Frage auseinandersetzt. In welchen Sektoren entstehen Möglichkeiten, den Produktionsprozess oder den Transport von Waren zu stören und ArbeiterInnen-Macht zu entwickeln? So kommen wir auf Kriterien, nämlich erstens: Wo gibt es Konzentrationen von ArbeiterInnen, die auch soziale Einheiten bilden können? Zweitens: Was ist das für ein Sektor, welche Funktion hat er in einer weltweiten Produktionskette? Deswegen gucken wir uns auch die chinesischen WanderarbeiterInnen an – weil wir die Prozesse und die sich entwickelnde Dynamik spannend finden, aber auch, weil es große Konzentrationen sind und weil sich die an einem bestimmten Punkt in einer internationalen Produktionskette befinden. Das heißt aber nicht, dass Prozesse in anderen Bereichen unwichtig sind.
Joe: Avantgarde, Priorität ... Man kann auch einfach sagen: Welche Kämpfe können einen organisierenden Charakter für eine größere Bewegung haben, eine Anziehungskraft, Attraktivität? Nicht, weil dort die besseren oder aufgeklärteren Menschen sind, sondern weil sie konzentrierter sind, schon eine kollektivere Form der sozialen Produktion verkörpern und so einen organisatorischen Charakter für eine ganze Bewegung haben.
Jenseits der Call Center
¿ Wie steht es um die Möglichkeit, Militante Untersuchungen auch in anderen Feldern, außerhalb von Arbeitskämpfen, zu nutzen, um sich zu organisieren? Gibt es da bei euch Erfahrungen – ich denke an migrantische Kämpfe zum Beispiel gegen staatlichen Rassismus oder an den feministischen Bereich?
Potato: Wir würden da eh nichts ausschließen. Es kommt eben darauf an, was das Ziel ist. Ich habe auch schon Interviews gemacht mit Leuten, die Stress mit Vermietern hatten. Man kann auch aufs Sozi oder aufs Arbeitsamt gehen, dort mit den Leuten Interviews machen und gucken: Was ist die Situation, gibt es da Möglichkeiten, sich zu wehren? Denn die Klassenrealität erschöpft sich nicht darin, am Band oder am Telefon oder mit dem Hammer in der Hand herumzustehen. Wir sind gegen diese aus der Sozialforschung kommende Aufteilung des Lebens in verschiedene Bereiche – Geschlechterverhältnisse, Klassenverhältnisse, Rassismus – das ist alles wichtig und es gibt noch andere Punkte, die wichtig sind, aber diese Ebenen funktionieren zusammen und sind nichts Getrenntes. Es geht nicht um deren Hierarchisierung sondern darum, dass wir ihr komplexes Zusammenwirken erkennen.
¿ Am Ende eures Buches steht ein Aufruf zur Bildung „regionaler proletarischer Runden“. In einem ersten Schritt soll im Ruhrgebiet „ein Prozess von Untersuchung und Intervention“ angeschoben werden, mit verschiedenen anderen Gruppen zusammen und über die Call Center hinausgehend, um möglichst die gesamte „Klassenrealität“ in dieser Region zu erfassen. Was ist daraus geworden?
Potato: Nichts. Uns war klar, dass wir mit dem Buch mehrere Sachen zugleich machten: Die Entwicklung in den Call Centern einschätzen, also präzise die Formen von Kooperation und Widerstand beschreiben, und gleichzeitig einen praktischen Vorschlag machen, sich in dieser bestimmten Art auf die sozialen Prozesse und die Kämpfe zu beziehen. Und deswegen haben wir am Ende versucht zu beschreiben, wie so etwas aussehen kann. Es war klar, dass wir zu wenig Leute waren, wie es generell wenig Leute gab, die sich in diesem politischen Bereich bewegten. Weder gab es in den Call Centern zu der Zeit eine Bewegung, noch haben dieser Vorschlag oder unser Ansatz dazu geführt, dass sich neue Kollektive gegründet hätten.
Joe: Das war auch historisch das Tal der Tränen, Ende der 90er. Die Zeiten haben sich geändert. Vor allem in Berlin, wo es im letzten Jahr den Streik der Bahner gab, in Kitas, im öffentlichen Dienst, Transport, in den Supermärkten, könnte man so einen Vorschlag anders bringen und sagen: Wir wollen mit den Leuten, die in diesen Streiks aktiv geworden sind und Erfahrungen gemacht haben, über die gewerkschaftliche Ebene hinausgehen und in einem Raum diskutieren.
Und die Linke braucht immer ein paar Reflexe: Wenn sie sieht, da besetzen jetzt 1 500 Leute ein Werk wie 2004 bei Opel in Bochum und es wird mit der Hundertschaft gedroht, versteht sie das, weil das Formen sind, mit denen sie etwas anfangen kann. Aber gleichzeitig merkt man, wie sehr sie von diesen Kämpfen getrennt ist. Wenn du dir Berlin als ein politisches Zentrum auch der autonomen Linken anguckst: Die können sich wunderbar selbst organisieren in Hausprojekten und Anti-Gipfel-Camps. Aber dann wird hier 2006 mit BSH eine Waschmaschinen-Fabrik dicht gemacht, mit einer migrantischen Arbeitskraft mit viel Kampferfahrung, also nicht der klassische, deutsche Facharbeiter, von dem man sich immer distanzieren will. Und die ArbeiterInnen überlegen, dieses Werk zu besetzen, und werden von der Gewerkschaft verschaukelt. Dass die Linke dazu so wenig zu sagen hat, dass nichts entsteht, macht einem noch schmerzhafter bewusst, wie weit die Welten auseinander liegen. Wo ist denn diese selbstorganisierte Linke, die mit 300 Leuten zusammen in einem Raum diskutieren kann mit Speichen-Modellen und Fish-Bowls und so weiter, wenn sie gebraucht wird?
¿ Wie ging es nach der Call Center-Untersuchung und der Veröffentlichung des Buches weiter?
Joe: Zu den Voraussetzungen der Call Center-Untersuchung gehörte der Umstand, dass wir in der gleichen Region wohnten, was danach nicht mehr der Fall war. Wir arbeiten jetzt individuell in bestimmten Bereichen, sei es in Call Centern oder in Fabriken. Das sehen wir weiterhin als etwas Politisches, auch wenn es nicht mehr als Kollektiv oder als gemeinsames Projekt läuft. Wir diskutieren die Erfahrungen weiterhin in einem größeren Zusammenhang, unter anderem der Wildcat. Auch weil wir ziemlich viel um den Globus gezogen sind, ist es schwierig, als Gruppe so eine Untersuchung zu machen.
Potato: Um den Globus zu ziehen, heißt auch, in anderen Ländern gar nicht die Möglichkeit zu haben, Untersuchungen in derselben Form durchzuführen. Dort bestehen sie darin, Interviews zu machen, mit AktivistInnen zu reden, in oder vor die Fabriken zu fahren oder sich mit ArbeiterInnen im Wohnheim zu treffen. Natürlich versuchen wir vorher schon herauszufinden, wo Auseinandersetzungen sind, und schauen dann, wie sich die Kämpfe entwickeln, ob in Deutschland, Indien, China, Rumänien oder Italien.
Joe: Für uns war die Diskussion in Forces of Labor wegweisend. Das Buch enthält Thesen auf der Makroebene, die wir mit der Ebene der ganz alltäglichen Auseinandersetzungen und der Betriebsrealität zusammenbringen müssen. Wir haben es als einen Untersuchungsvorschlag gelesen.
Potato: Das ist das Wichtige: Wir machen auf der Mikroebene Untersuchungen, was uns aber nur dann einen Überblick verschafft, wenn wir es historisch und räumlich breit fassen, und die Welt im Blick haben.
Joe: Auf der anderen Seite muss man sich auch das Berliner Umland angucken. Das ist vielen Leuten hier viel fremder als Oaxaca in Mexiko. Wer weiß schon, dass hier Automobilarbeiter in einem der produktivsten Werke in Dreischicht für 6,20 Euro die Stunde an der Stanze stehen? Zwischen denen und der sogenannten „Prekarisierungsdebatte“ der Kreuzberger Bohème liegen Welten. Den Blick muss man also auf allen Ebenen schweifen lassen.