Kontext

Dellwo nahm mit Lutz Taufer, Hanna Krabbe, Siegfried Hausner, Bernd Rößner und Ulrich Wessel 1975 an der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm teil. Hausner und Wessel wurden bei der Aktion getötet, die anderen sind seitdem – d.h. seit fast 19 Jahren – im Gefängnis (Bernd Rößner ist z.Zt. wegen einer Behandlung auf freiem Fuß).

Seit mehreren Jahren sind Dellwo, Taufer und der seit 1980 inhaftierte Knut Folkerts gemeinsam im nieder­sächsischen Knast Gelle untergebracht. Sie haben verglichen mit den meisten anderen RAF-Gefangenen relativ viele Kommunikationsmöglichkeiten und können zusammen politisch diskutie­ren. Die drei sind außerdem neben Birgit Hogefeld die einzigen RAF-Gefan­genen, die sich nicht von der neuen Linie der Illegalen distanziert haben.

Unsere Hausbesetzung in der Eckhofstraße war von den meisten von uns von Anfang an als aussichtslos betrachtet worden. Wir waren voller Widersprüche zu unserer eigenen Aktion. Wir wollten keine „Schöner-Wohnen-Idylle“ und wußten gleichzeitig, daß wir einen staats- und systemfreien Raum erst dann werden halten können, wenn die Illegalität als Hinterland exi­stiert. Ohne sie mußten wir als Minder­heit auf offenem Terrain an den unglei­chen Machtverhältnissen scheitern. Die Illegalität war damals nicht mehr organi­siert, die RAF im Knast und wir selber haben es uns noch nicht zugetraut. Wir hatten noch mit uns selber zu viel zu tun, für eine strategische Organisierung unserer Aufbruchbedürfnisse waren wir noch nicht reif. So konnten wir andere nur unterstützen, und einige von uns gaben Ende ’72, Anfang ’73 die Pässe an die ab, die damals nach einer RAF­Gefangenen-Entlassung die Illegalität neu zu organisieren begannen. Die wurden übrigens von einem der DDR-ler (Anm: einer von denjenigen, die später die RAF verließen, in die DDR gingen und nach 1990 als Kronzeugen der Bundesanwalt­schaft arbeiteten) eingesammelt. Wichtig für uns alle waren in dieser Zeit die ersten Erfahrungen des SPK (Sozialisti­sches Patientenkollektiv Heidelberg) mit seiner Bestimmung „Aus der Krankheit eine Waffe machen“. Beschädigt waren wir alle, und wir begannen gegen den Selbsttotschlag des „selbstverschuldet“ die gesellschaftliche Bedingtheit dessen zu erkennen. Und daß wir, integriert in ein falsches Leben, unsere Entfremdung immer wieder neu reproduzieren mußten. Der Begriff von der „Institutionalisierung des Faschismus“ gab damals unser Wis­sen vom Nachleben des Nazi-Staates und unsere Erfahrung mit den neuen Sozial-Technologien der Sozialdemokratie wieder. So wollten wir den Bruch in allem. So wollten wir in der Hausbeset­zung lieber das gewaltsame Verlieren statt jenes durch Anpassung.

„Schlacht um Algier“ – ein Film. Gegen Ende läßt Massu, Kolonialgeneral der Franzosen, das Haus mit dem Stadtkom­mando der FNLA in die Luft sprengen; sie hatten sich nicht ergeben wollen und sich bis zum letzten verteidigt. Der Film endet mit dem Aufstand der Massen. Die im Kommando, das waren doch wir. Auch eine Minderheit und fast aussichts­los, und doch war es richtig, aufzubre­chen und auch aus dem letzten heraus noch zu widerstehen. Schon das Aufste­hen ist ein Durchbruch.

Keiner von uns ist in die Illegalität ge­trieben worden. Das hatten wir immer bewußt so bestimmt. Der Staat sollte dabei keine Mitentscheidung haben. Aus dem gleichen Grund wollten wir nicht, daß jemand mit Freund oder Freundin in die Illegalität geht. Es sollte niemand wegen jemand anderem diesen Schritt machen und später vielleicht seinen eigenen Grund nicht mehr kennen. Es sollte die Entscheidung aus der eigenen Entwicklung sein. Wir haben unsere Beziehungen deshalb vorher auch abge­schlossen. Das geschah zu dem Zeit­punkt, als der Widerspruch zwischen unserem Wissen über uns und die Gesellschaft/ Staat und wie wir darin lebten und bisher gekämpft hatten, so herangereift war, daß wir im alten nicht mehr zu Hause waren. Dort trotzdem zu verharren, hätte das bisher Erkämpfte bei uns, relativ identisch zu sein mit dem, was wir wollten und taten, wieder zerstört. Ich wußte damals, daß ich jetzt gehen muß und daß das mein Teil dafür ist, eine Grundlage herzustellen, auf der wir uns und andere für den Kampf um eine offene Zukunft wiederfinden kön­nen. Es ist mir nicht leicht gefallen, nicht nur wegen der vielen Unsicherheiten, ob die eigenen Fähigkeiten für das ausrei­chen, was nun vor uns stand; langfristig waren auch die Perspektive der Guerilla und die mit ihr verbundenen gesell­schaftlichen Prozesse mir undeutlich. Vor allem aber deswegen, weil ich in unserem alten Zusammenhang zum ersten Mal das Gefühl hatte, daß das ein Leben ist. Es war bei uns gewesen, auch habe ich die meisten um mich herum geliebt, widersprüchlich, schmerzhaft und elend manchmal auch, aber wir hat­ten eine wesentliche Stufe unserer politi­schen und sozialen Emanzipation durch­gekämpft. In der Legalität war das nicht mehr fortsetzbar. Es gab in ihr nichts, woran ein revolutionärer Prozeß ent­wickelbar gewesen wäre. Dazu war die Zeit nicht reif. Das alles verlassend, war es zu Anfang in der Illegalität ziemlich einsam und leer, auch gab es nicht viel an Struktur, und wir waren sehr wenige. Aber wir hatten unser Ziel und began­nen zu spüren, daß wir Boden unter die Füße kriegten. Von da ab war alles sehr einfach, das Finden im Denken ebenso wie das Erledigen der praktischen Auf­gaben. Wir hatten eine Ahnung von uns in Freiheit bekommen. Für mich war das die Zeit, ab der ich wußte, daß wir die Machtfragen stellen können und werden.

Unsere Aktion in Stockholm war das, was wir damals konnten. Ob sie durch­kommt, blieb mir zweifelhaft und letzt­lich war am Abend der Besetzung nie­mand von uns sehr überrascht, als klar war, daß die Aktion auf ihr unmittelba­res Ziel bezogen, scheitern wird. Es war nicht das einzige Ziel. Die konkrete Bestimmung war, daß wir die Gefange­nen rausholen oder eben ein politisches Verhältnis materialisieren zum Staat und zu unserer eigenen Befreiung, die kein >zurück< mehr will. Schlaumeier hin­term linken Zuschauerraum sahen später darin eine starre Haltung und sprachen von Kamikazementalität. Aber zum einen hat es damit zu tun, daß wir noch keine Erfahrung für diese Stufe des Befreiungskampfes hatten; aus der Lega­lität kommend, haben wir ja sozusagen aus dem Stand heraus die damals zen­tralste Machtfrage mit dem Staat gestellt. Deshalb hatten wir uns auf eine Aktion konzentriert. Wir wollten nicht die Feh­ler der Gruppe 73/74 vor uns wiederho­len, uns solange in der Strukturlegung zu verlieren, bis wir durch irgendeinen Fehler möglicherweise vor der Aktion verhaftet werden. Zum anderen war der Angriff, der die Machtfrage stellt, damals als politischer Durchbruch, als Versuch, eine politische Sperre der Linken aufzu­heben, notwendig. Wir hatten es des­halb auch eilig. Das Scheitern der Aktion haben wir daraus immer auch nur als halbe Niederlage begriffen. Wenn etwas grundsätzlich Neues auf die Welt kom­men will, hält und setzt es sich nur durch ein bedingungsloses Verhältnis zu sich durch. Das betrifft jede Befreiungs­bewegung, egal wo sie entstanden ist. Das enthält als Moment natürlich ein starkes Maß an Selbstverdinglichung. Sie ist einer historischen Not geschuldet. Da sie trotzdem selbstgesetzt ist, hat sie gleichwohl ein Moment der Freiheit in sich. Vor allem ist es ein Liebesverhältnis untereinander und zu den Menschen. Überhaupt zum Leben, das erkämpft werden soll. Ein Aufbruch aus dem historischen Nichts an eigener Geschichte wie unserer kann sich an Bedingungen des Gelingens oder an andere binden. In ihm bleibt nur die Entscheidung für das „für“. Das ist ein Wagnis. Man muß es nur wissen.

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Die Bestimmung, die politischen Gefan­genen zu befreien, war für uns zu keinem Zeitpunkt diskutabel. Diese Versu­che sind aus sich heraus legitim. Es war nicht der Privatkrieg der RAF. Die drin­nen waren, hatten für uns alle alles ein­gesetzt. Es dabei zu belassen, ist die Haltung armer Schweine. Die nach uns kamen, haben zweifellos aus unserer Aktion die Notwendigkeit gezogen, der Guerilla eine langfristige Struktur und eine viel breitere Interventionsmöglichkeit zu geben. Die objektive politische Schwäche der Guerilla, primär nur ihren eigenen politischen Willen und die Systementwicklung der Zukunft zur Basis zu haben, konkret aber auf wenig gesellschaftliche Reife für einen revolu­tionären Prozeß zu stoßen, konnten sie nicht lösen. In dem sozialdemokrati­schen Roll-Back auf die 68er-Bewegung war zu viel verschüttet worden. Das „Modell Deutschland“, die Mischung aus Repression und eben auch Nebeninhalte der Protestbewegung integrierende Mo­dernisierung der Gesellschaftsgrundlage, in ihr auch das Bemühen, sich von oben von der Nazi-Vergangenheit abzusetzen, fand auch in der Linken Wirkung. Was sich später als „Grüne“ formierte, nahm das ja so an: „Ab jetzt ist alles anders, wir können in diesem Staat mitmachen“. Der revolutionäre Ansatz hätte deswe­gen neu entwickelt werden müssen, aus den Bedingungen hier in der Metropole für die Menschen. Aber die waren eben noch nicht so herangereift, daß eine sie grundsätzlich aufhebende Gegenvorstel­lung deutlich und vermittelbar gewesen wäre. In unserem Prozeß wegen der Stockholm-Aktion waren wir bereits auf diese Schwierigkeit gestoßen. Croissants Einstellungsantrag führte nochmal die Verbrechen aus dem Vietnamkrieg und die gegen die Gefangenen vor. Aber Vietnam war vorbei, und auch die Ver­treter des neuen Blocks an der Macht setzten sich davon ab. Und aus der inne­ren Repression war der Guerillakampf als soziale Gegenstrategie nicht ausrei­chend begründet. Der Bezug auf die Verbrechen des Imperialismus nach außen und die Repression nach innen gab ja auch unsere eigenen Aufbruchsgründe nicht ausreichend wieder. Die lagen ursächlich darin, daß wir das Leben in diesem System aus seiner Zurichtung für die Welt der Ware als völlig sinnlos erspürten oder erkannten, als für uns ungelebter Versuch unseres Lebens. Nur war das damals noch schwer zu fassen, als auf die Grundbe­dingung der Gesellschaft zu bestim­mende positive Setzung.

Zu fassen war die subjektive Seite, daß wir das nicht mitmachen und auf unser eigenes Leben bestehen. Das aber hätte eine vorsichtige Umsetzung des bewaff­neten Kampfes bedingt. Eine, die sich nicht von allen bis dahin bewußten oder erlittenen Widersprüchen hier abtrennt. Gelaufen ist es anders. Der bewaffnete Kampf ist zur Eskalation zwischen uns und dem Staat geworden, die sich spiral­förmig entwickelte, innerhalb und außerhalb der Knäste. Der Rest der Ge­sellschaft blieb als von uns zu suchen­des Subjekt außen vor. In Bochum, am Abend der Schleyer-Entführung, nach­dem wir gerade den am brutalsten ver­laufenen Hungerstreik überhaupt abge­brochen hatten – die Bundesanwaltschaft hatte die 3 Monate bestehende Zusam­menlegung in Stammheim wieder zer­schlagen –, fand ich die Durchführung der Aktion als „zu hart“ für das, was wir bisher in der Gesellschaft politisch mobi­lisiert hatten. Eine Angst, daß draußen alles überzogen wird. Was auf unserer Seite stand, oft schon nur noch über die eigenen, nach außen behaupteten politi­schen Ansprüche gezwungen, brach daran ein. Die Landshut-Entführung gab dann schlußendlich das Alibi, statt gegen den Staat die Widersprüche gegen uns zum Zentralen zu machen. Das war dann auch ein Bankrott der Linken.

Ein Vorstürmen, eine Eskalation, die hinter einem abbrach, und plötzlich war alles Terrain verloren außer dem, wo man gerade stand.

Wenn die Zeit noch nicht so herange­reift ist, daß das Bild einer befreiten Zukunft schon wie eine Landschaftskon­tur hinter leichtem Nebel vor den Menschen auftaucht, wird der subjektive Wille zur alleinigen Kraft, die undurchsichtige Zukunft zu durchdringen. Das ist nicht falsch, das kann für einen Auf­bruch ausreichend sein. Aber es hat zur Bedingung, sich langsam vorzutasten und den Kontakt zum eigenen Auf­bruchsort als sicheren Bezugspunkt nicht zu verlieren. Sonst steht man auf einmal alleine mitten im Nebel, hat die Richtung verloren, aus der män kam und weiß aus der verlorenen Ortskenntnis nicht mehr genau, wohin man nun wei­ter vorstoßen soll.

Das ist ’77 gelaufen. „Ein Vorstürmen, eine Eskalation, die hinter einem abbrach, und plötzlich war alles Terrain verloren außer dem, wo man gerade stand.“

Zwischen der Bestimmung „dem Volke dienen“ und der politischen Realität der Landshut-Aktion, es einfach als Mittel zum Zweck zu benutzen, war keine politische Vermittlung mehr möglich. Hier hat sich die Politik der Guerilla den vorher falschen Vorwürfen wie denen der „befreit-die-Guerilla-Guerilla“ angepaßt und daraus das schmale eigene Terrain verwüstet, auf dem sie vorher noch stehen konnte und was unter uns mal gefaßt war als das „moralische Ticket“, welches die RAF besitzt. Die Gesellschaft war darin als Adressat für uns von uns verworfen. Das war nicht die Ab­sicht dieser 77er-Offensive und dieser ein­zelnen Aktion, aber es war die verselbst­ändigte Folge einer immer neu hochgeschraubten Eskalation, deren Dy­namik der Gruppe aus der Hand geglitten ist. Sie hatte ihren eigenen Prozeß nicht ernst genommen und sich der Scheinstärke oberflächlicher Erfolge, den mög­lich gewordenen Angriffen, hingegeben.

Nimmt man die Stockholmer Aktion als gegeben – eine grundsätzliche Kritik träfe die Aktion als ganzes, also darauf, sich sozusagen auf „offenes Gelände“ begeben zu haben –, so war aus einer immanenten Betrachtung die Erschießung des Militärattachés am Nach­mittag ein politischer Fehler, da sie der Regierung die Ablehnung der Austauschforderung erleichterte. Die Sachlage in Kürze dargestellt war: Wir hatten den 3.Stock der Botschaft unter Kontrolle, die schwedische Polizei den Rest des Gebäudes. Zwei Versuche von ihr, in den 3.Stock zu gelangen, mußten wir bewaffnet abwehren. Auf Dauer konn­ten wir uns solche Schießereien nicht erlauben, da uns irgendwann die Munition ausgegangen wäre. Vor allem aber konnten wir nicht hinnehmen, daß sie uns so nah umstellt und darin die für sie günstigsten Optionen in der Hand hat. Wir haben dann 4 Ultimaten gestellt, daß sie die Botschaft räumt. Die schwe­dische Polizei zog sich nicht nur nicht zurück, sie legte geradezu ein dumm­dreistes Verhalten an den Tag. Nach dem dritten Ultimatum wurde der Attaché geholt, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Seine Aufforderungen an die schwedische Polizei als auch an den unten verbliebenen nächst-ranghöchsten Botschaftsvertreter, die Botschaft zu ver­lassen, beantwortete sie ausschließlich mit Fragen über Stärke und Bewaffnung unseres Kommandos. Eine fünfte Verlän­gerung des Ultimatums wäre lächerlich gewesen. Die Situation, so wie sie war, aber einfach zu belassen und die Räu­mung nach den Ultimaten nicht durch­zusetzen, hätte erübrigt, die Forderung nach dem Gefangenenaustausch zu stel­len. Sie wäre genausowenig ernst ge­nommen worden. Das war von uns ein Planungsfehler. Wir hatten aus der Ana­lyse des schwedischen Polizeiverhaltens anhand anderer in Schweden abgelaufe­ner Aktionen die Annahme zur Grund­lage, daß sie sich auch bei uns zurück­zieht. Als sie das nicht tat, waren wir in einem Reaktionszwang, der uns so oder so schaden mußte. Mit großer Anstren­gung, nicht ungefährlich für das ganze, hätten wir diese Situation vielleicht an­ders noch erklären können. Stattdessen haben wir eskaliert.

In der Offensive ’77 ist in einem viel größeren Maßstabe etwas ähnliches gelaufen. Zuerst kam das Attentat auf Buback. Das war als Antwort auf die Vernichtungsstrategie in den Gefängnis­sen und auf die Schauprozesse vermittelt. Dem konnte sich auch die Regierung nicht entziehen. Die Zusammenlegung in Stammheim kam danach. Dann der mit seinem Tod endende Entführungsver­such von Ponto. Damit hatte die Elite hier schon das verloren, was ihr als Konsequenz in der Konfrontation um die Befreiung erst drohen sollte. Die Ille­galen verloren darin eine Operationsmöglichkeit. Zwischendrin der versuchte Raketenwerferanschlag auf die Bundes­anwaltschaft als Reaktion auf ihre Eska­lation nach Ponto gegen die Gefange­nen. Dann die Schleyerentführung. Strategie bedeutet die Summe verschie­dener Wege und Ausweichmöglichkei­ten zum Ziel. Die Regierung hat danach darauf gesetzt, daß die RAF aufgrund des mit allem ohnehin schon verbunde­nen Kräfteaufwandes über keine weitere Operationsmöglichkeit aktuell verfügt. Hinzu kam, daß das politische Bin­deglied zwischen der RAF und der Ge­sellschaft, hergestellt durch die Gefange­nenkämpfe, die Härte der Kämpfe dieser Konfrontation nicht trug und die Verbin­dung sprengte. Der armselige Distanzie­rungszug linker Intellektueller und „mar­xistischer Professoren“ ’77, um in Bonn bei der Macht devote Erklärungen abzu­liefern. Die Regierung war insoweit nur mit der Guerilla konfrontiert und zog die Konfrontation in der Hoffnung in die Länge, daß dem Fahndungsapparat die gewonnene Zeit zur Gegenschlagsmöglichkeit dient oder die Guerilla in dem Versuch, das Kräfteverhältnis für sich zu wenden, einen Fehler begeht.

Viel schwieriger als das Organisieren von Operationen in der Illegalität ist die Entscheidung, eine Konfrontation zu­rückzuholen. Man hat soviel reingesteckt in die Arbeit, man weiß, alles neu zu bestimmen und zu organisieren wird länger brauchen; und dann war noch die Situation der Gefangenen da. Später wußte man es dann. Es wäre damals richtig gewesen, die Offensive in ihrem festgefressenen Stadium zu unterbrechen und sie grundsätzlich neu zu bestimmen auf einer politischen Basis, die die Guerilla mit Teilen der Gesellschaft neu ver­bindet. Stattdessen wurde auf die eh schon hocheskalierte Offensive eine neue Eskalation gesetzt, die alles kippte. Die von der RAF zu verantwortende Landshut-Entführung durch ein palästi­nensisches Kommando. Ein Teil derjeni­gen, die die Offensive ausmachten, war nun auf offenem Terrain. Für die Regie­rung war damit gar nicht mehr das „ob“, sondern nur noch das „wie“ sie dran­kommt, die Entscheidungsfrage. Politisch war diese Aktion eine Katastrophe. In den Urlaubern macht sich die Guerilla das Volk zum Angriffsziel und gab der Regierung eine breite Zustimmung, sie mit allen Mitteln zu bekämpfen. Diese wußte das auch auszunutzen. Das Ergebnis dieser Offensive: ein Sieg des militärischen Staatsapparates und ein verlorenes Kommando in Mogadischu, in Stammheim die Toten, die Machtfrage an den Gefangenen gescheitert und die Guerilla selber moralisch und politisch isoliert. Hätte es noch einen Fahndungseinbruch in die illegale Struktur hier gegeben, wäre es für uns sozusagen der „GAU“ gewesen.

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Das Fehlen einer entschlossen verfolgten Entscheidung, sich nach der Entstehung der Guerilla als antiimperialistische die Bedingungen der Metropole zur erwei­terten Grundlage zu machen, war dann Teil der Ursache unserer Isolierung wie ebenso Teil der Ursache, daß der von uns in Gang gesetzte Prozeß unseren Händen entglitt. Wir haben uns nicht um die linken Bewegungen gekümmert und uns damit auch von einer Kritik von außen abgeschnitten. Sie hätte helfen können, den Kampf als einen für alle gemeinsamen zu halten. Der strategische Rahmen der 68er-Bewegung waren die Befreiungskämpfe im Trikont. An den sozialen Sinn, den man dort sah oder hinprojiziert hatte, waren die eigenen Aufbruchsbedürfnisse gegen die innere Realität hier gebunden. Dort wurde der Kampf gegen den Imperialismus auf dem höchsten Niveau ausgetragen. Nachdem der Kriegsimperialismus in Vietnam grundsätzlich geschlagen war, zerfiel dieser „strategische Rahmen“. Zum Staat sich umwandelnd, waren die Befreiungsbewegungen mit dem Aufbau auf zerstörtem Terrain konfrontiert. Für sie war das Nötigste an Lebensbedingun­gen für die Masse schon ein Fortschritt. Für ihre eigene Befreiung erkannte die Linke darin nicht mehr viel und verlor so auch die Verbindung. Selber hatte sie dann nur noch eine hochentwickelte Erkenntnis über das, was Imperialismus nach außen ist und ein sehr subjektives radikales Aufbruchsbedürfnis. Was sie nicht hatte, war die Vorstellung, wie sie hier den gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß in Gang setzen kann. Daran höhlte sich sowohl das, was sie über die Realität hier einmal erkannt, als auch ihre subjektive Radikalität aus. Der Auf­bruch gegen das System zerfiel. Er wurde allenfalls, wie von den K-Grup­pen, als tote politische Fassade vor sich hergetragen. Das einzige, was eine gesamtgesellschaftliche Realität faßte, war die Frauenbewegung. Aber das war ein anderer Hauptwiderspruch, der letzt­lich bis zum Kapital auch nicht vordrang und bei der Gleichheit vor der Ware ste­henblieb. Die RAF war in dieser Situa­tion eine gute Konsequenz: Damit Befreiung in den Metropolen selber irgendwann einmal wahr werden konnte, mußte sich der Aufbruch hier ein strategisches Konzept schaffen. Es hat den Zerfall der Linken nicht aufge­halten, aber überstanden, inhaltlich etwas gerettet und ihre Neu-Entstehung antizipiert. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre gab es dann die neuen Ansätze aus der Linken. Die Bewegungen wie zu Brokdorf oder Whyl. Was sich gegen das ganze System nicht um­zusetzen wußte, suchte sich hier nun im Kampf gegen einen Teilbereich zu finden. Das war auch ein Hinwenden zu den Bedingungen der Metropole und zu dem, wo man selber politisch war. Uns war das nicht ausreichend. Es hätte ver­bunden werden müssen: die strategische Konzeption und die, die sich in der All­täglichkeit der Gesellschaft suchte. Aber wir waren dazu nicht in der Lage. Wir waren noch von der Erfahrung des Nie­dergangs der Linken bestimmt. Es ist aber auch nicht nur unser Fehler: Von Teilen, die in diesen Bewegungen kämpften, ging auch der Versuch aus, das zum neuen Revolutionsmodell zu erklären: Wenn die Menschen einmal an einer Sache mobilisiert sind, springt die Ablehnung auf das ganze System um. Das geht nicht auf. Das kennt auch kei­nen eigenen Ort und hat nur die Ableh­nung zur Grundlage. Wenn die WAA gestrichen ist, wählen die Menschen „im Lande“ wieder CSU. Gegen den Rest wissen sie nichts. Hinzu kam die syste­matische Entwaffnung der Linken durch die Grünen. Falsch ist es aber trotzdem, aus dieser „Überladung“ das ganze zu verwerfen. Weder kommen wir alleine weiter, noch diese Bewegungen. Ab ’78 war erst einmal die Grundlage ge­sprengt, mit dem, was es hier an Bewe­gungen gab, eine Gemeinsamkeit zu fin­den. Von der RAF blieb der „strategische Rahmen“ zurück, ihre innere Authenti­zität war gebrochen. Es ist von ihr dann ja auch alles abgeschrieben worden. Erst im Frontpapier Mai ’82 bezog sie sich auf das, was sie als 80er Bewegung neu am Entstehen sah. Real war mit der alten Linken auch nicht mehr viel zu machen.

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Es gab zwei Möglichkeiten, auf die 77er Niederlage zu reagieren: entweder noch einmal den Versuch zu unternehmen, eine solche Machtfrage definitiv für uns zu entscheiden, darin die real eingetre­tene Stagnation zu durchbrechen und so die alte Phase abzuschließen; denn an einem Neuanfang ging nichts vorbei, oder sich vom alten in der Niederlage abzutrennen und aus den inneren Ver­hältnissen der Metropole neu zu begin­nen, praktisch von vorne. Die Guerilla wäre von da aus nicht mehr die gleiche gewesen, nicht mehr der weite Sprung nach vorne, dessen Basis nachgezogen wird, sondern Arbeit an einer sicheren Grundlage, die die zentralen Vorstöße auf die Macht, gerade auch aus der in­ternationalistischen Bestimmung des Kampfes, trägt. Die reale Politik der RAF in den Jahren danach lag dazwischen.
Die Praxis blieb strategisch, die innere Verankerung war auch als Ziel benannt. Aber mehr in dem Sinne, daß sie von alleine kommt. Von uns kam dazu nur die subjektive Seite der Politik: Kollekti­vität und Selbstbestimmung. Aber was ist ihr für die Gesellschaft politisch relevan­ter Inhalt? Die „strategische Orientierung“ der Praxis – die Anschläge auf Haig, Ramstein und Kroesen in den ersten Jah­ren – blieb das einzige. In der gesell­schaftlichen Allgemeinheit blieb die Gue­rilla damit abstrakt, irgendwo im äußeren Rahmen des Systems sich bewegend, fremd, die Guerilla sich damit auch sel­ber. Sie hat sich nicht von dort ange­nommen, wo sie war und hatte deshalb auch Schwierigkeiten, andere als das anzunehmen, was sie sind. Im Knast und außerhalb. Die erste Reaktion auf die Kritik an der Pimental-Erschießung, eine völlig verdinglichte Aktion, war eine Definition der Kritiker als begriffslos und der Selbstbezug auf eine abstrakte Moral. Die Guerilla steckte immer noch in der Schwierigkeit, gegen eine gewiß wider­sprüchliche, destotrotz in ihren politi­schen und moralischen Haltungen nicht einfach abzutuende, linke Verbindlich­keit zu entwickeln. Daß sie von dort nicht zurückkommt, ist ein anderes Pro­blem. Aber einer muß den Anfang machen. Gute Dialektik bedeutet, das Richtige im Falschen zu suchen, und natürlich ist eine Kritik an der Guerilla nicht erst dann legitim, wenn sie von Leuten kommt, die sie grundsätzlich für richtig und auch als Perspektive für sich selber sehen. Aber das Verhältnis der Guerilla nach außen war hier immer noch das alte: Aus der Erfahrung, daß sich hinter der Einzelkritik oft nur der Versuch verbarg, die ganze revolutio­näre Konzeption abzuräumen, ist auf Kri­tik erstmal abblockend reagiert worden, zumal man selber in diesem Kampf immer auch alles eingesetzt hat und immer wieder neu eine sehr hohe An­strengung mobilisieren mußte. Das ist in den Kritiken oft auch oberflächlich über­gangen worden. Die Abstumpfung und Gleichgültigkeit der Linken gegenüber den Illegalen und den Gefangenen war mitunter frappierend. Aus einem relativ kleinen Aufbruch haben wir allein 21 Tote aus unseren Reihen in der BRD. Vier weitere von hier sind bei Aktionen im Zusammenhang mit den Palästinen­sern erschossen worden oder ums Leben gekommen. Ein paar hundert Jahre Knast sind hier aus dem Bereich Guerilla und Widerstand bereits abgesessen worden.

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Eine andere Linke haben wir nicht. Hier ist auch das Problem der Anti-Imps an­zusiedeln. Ihr Apologetentum ist nicht zuletzt auch Folge eines falschen Verhältnisses von uns zu ihnen. Ein sich Einlassen auf uns konnte ihnen aus ihrer Politisierung heraus nicht einfach sein. An der Politik der RAF maßen sie sich, ohne sich in ihr subjektiv aufgehoben zu fin­den. Aus den Widersprüchen zu 77 rea­gierten sie mit Tabuisierung oder Apolo­gie, also falsch für ihre eigene Emanzipation und in einer entfremdeten Solidarität. In einer Politik, die sie nicht waren und in der ihre eigene Befreiung immer wieder auf die Schnauze fiel, eine Kette aufgesetzter Ansprüche und unter­drückter Widersprüche, wurde ihnen alles zur Ideologie, wie immer, wenn der Glaube zerfällt, tritt die Religion an seine Stelle, sie produzierten Ideologie. In dem Widerspruch zwischen der Gue­rilla, die ihre eigene Emanzipation oft individuell handhabte und von deren Wiedererkennbarkeit sie deshalb abge­trennt waren, und nicht-revolutionären Linken, gegen die sie sich aus ihrem unsicheren politischen Selbstbewußtsein nur abgrenzen konnte, zerfiel das Bedürfnis nach einer grundsätzlichen politischen Strategie und jenem, in ihr zugleich „echt“ zu sein, wahr vor sich selber, in zwei voneinander abgetrennte Teile. Sie haben in sich die innere Spal­tung von privat und gesellschaftlich, Bedürfnis und Politik hingenommen und die eigene Veränderung hinten ange­stellt. Das hätte schon längst zum Pro­blem gemacht werden müssen, da dar­aus nicht politisch Produktives entstehen kann. Aber wir haben uns ja selber oft auf die Auseinandersetzung mit den Systemstrategien reduziert. Als sei die Emanzipation aus einem falschen Leben als erfahrener Prozeß und inhaltlich gefunden bereits gegeben.

Das Frontpapier im Mai 82 erklärte die neu aufgebrochenen Bewegungen in der Gesellschaft, die mit den Zusammen­stößen während der Rekrutengelöbnisse 1980 ihren ersten wichtigen Ausdruck fanden, zum gegen den Staat umge­schlagenen politischen Prozeß aus der Dialektik der 77er Konfrontation. Das ist nur eine theoretisch ableitbare Bestim­mung. In diesen Bewegungen war die 77er Niederlage nicht aufgehoben, son­dern abgetrennt als für die eigene Politi­sierung nicht handhabbar. Ebensowenig, wie wir zu Beginn unserer eigenen Politisierung eine sie fortsetzende Verbindung zur 68er-Bewegung suchten – sie war bereits zu weit weg und wir konnten deren Politisierungsprozesse nicht „nach­lernen“, wollten aber auch nicht in fal­schen Ansprüchen versinken – und uns auf uns besannen, konnte die 80er Bewegung mit der im Herbst 77 eskalierten Auf­bruchsgeschichte der Guerilla sich verknüpfen. Das lag an der fehlenden Wie­dererkennbarkeit bei uns. Sie begannen einfach neu mit einer Politik, in der sie die eigenen Aufbruchsbedürfnisse gegen die Lebensverhältnisse hier mit der eigenen Politisierung wieder in relativem Einklang standen. Das war sehr ähnlich zu unserer eigenen Aufbruchsgeschichte, verändert war das gesellschaftliche Umfeld, in dem sie nicht mehr wie wir isoliert waren. Diese Bewegungen waren nicht die Folge einer sich vermittelnden Befreiung aus der Guerilla-Politik, sie entwickelten sich par­allel zu ihr. Sie verhielten sich zwar solida­risch zu uns, wie es im Hungerstreik 81 sehr deutlich wurde, sprangen aber nicht über, behielten vielmehr ihre eigene Politi­sierung als den Ort, von dem sie sich nur bewegen wollten. Und sie konnten auch nicht „überspringen“: wir waren selber in den Bedingungen der Metropole, also auch bei ihnen, noch nicht angekommen. Das nach außen sich vermittelnde Verhält­nis zu ihnen – die Unterscheidung ist wich­tig, weil im direkten Kontakt vieles immer anders war; aber das spricht nur davon, wie oft grundsätzliches bei uns irgendwie „privat“ geblieben ist, von der Politik abge­spalten – war so bestimmt, daß sie sich zur Politik der Guerilla hin verändern müssen. Das „Zusammen Kämpfen“ bestimmte in der Realität einen schematischen Zusam­menhang verschiedener Konfrontationse­benen, der unter der Hand zum Hierarchi­schen wurde: so verstanden sich die Anti-Imps z.B. als eine Zwischenebene mit der Aufgabe, die Politik der Guerilla weiter nach „unten“, in die Gesellschaft zu ver­mitteln. Eine absurde Situation. Sie wurden darin zur Destruktion. Die Politik der Gue­rilla als ihnen fremdes Gut wurde darin zur Ware, deren „Anbringen“ bei anderen zum Konkurrenzkampf wurde. Das führte schließlich dazu, daß die Anti-Imps ihre beanspruchte Kompetenz über besonders radikale Positionen zu behaupten versuch­ten. Ein Wettkampf der Phrasen. Er lebt nur von der Unterscheidung zu anderen. Nicht unähnlich jener Zeit der K-Gruppen, als sie sich untereinander noch als „Arbei­terverräter“ beschimpften und die Kompe­tenz für die allergenaueste ML-Auslegung jeweils bei sich beanspruchten. Mit Befreiung hat das nichts zu tun. Es war aber auch dumm von uns: Von unserer eigenen „Alltäglichkeit“ haben wir nichts vermittelt. Von uns waren nur die Aktionen sichtbar, also ein politisches Konzentrat. Das Ergeb­nis ist eine Mystifizierung der Guerilla, also ein fernes Gegenbild, dem Einzelnen aus dem Wissen seiner vielen eigenen Unzulänglichkeiten scheinbar unerreich­bar.