Nach einer U-Haft-Zeit von 18 Monaten wurde sie zu einer Haftstrafe von 7 Jahren verurteilt. Wegen illegaler Einfuhr von Rauschgift, wegen Bandenbildung und organisierter Kriminalität. „Organisierte Kriminalität“ ist ein strafverschärfender Vorwurf und mein in E.M.‘s Fall, daß sie ihre Tat geplant sprich organisiert hat – also den Flug zu buchen, den Paß zu besorgen, sich mit dem Begleiter zu verabreden – und nicht im Affekt, sprich unorganisiert gehandelt hat.
Die Zollbeamten hatten E.M. und ihren Begleiter während des Verlassens des Flugzeugs beobachtet und waren wegen ihres unsicheren Verhaltens und ihrer fehlenden Fremdsprachenkenntnisse auf sie aufmerksam geworden. Stutzig geworden waren sie auch wegen ihrer luxuriösen Rindslederkoffer.
Zoll- und Polizeibeamte werden psychologisch geschult und trainiert, besonders unter BürgerInnen aus Peru, Kolumbien und anderen Ländern, aus denen bekannterweise Kokain exportiert wird, diejenigen herauszufinden, die als „mulas“ (Packesel) dienen und das Kokain schmuggeln.
Nachdem das Gepäck der beiden erfolglos durchsucht wurde und beide Stundenlang verhört worden waren, hatte sich kein Beweis gefunden, daß die beiden etwas geschmuggelt haben könnten.
Die Beamten waren sich jedoch absolut sicher, daß die beiden SchmugglerInnen sein mußten und zwangen sie zu medizinischen Untersuchungen, wie Blutabnahme, Urinproben und Röntgenaufnahmen.
Dabei stellte sich heraus, daß E.M. und ihr Begleiter jeweils 1,5 Kilo Kokain, verpackt in 90 Präservative, verschluckt hatten, um es so illegal einführen zu können.
Die 18-monatige U-Haft, also Haft unter besonders schweren Bedingungen, die E.M. bis zu ihrer Urteilsverkündung absitzen mußte, war nicht deswegen so lang, weil man sich etwa bemüht hatte, die Motive und Umstände dieser Tat genau abzuklären, und auch entlastendes Material zu sammeln.
Im Gegenteil lagen alle für die Urteilsfindung verwendeten Beweise, nämlich das medizinische Gutachten, das Geständnis E.M.‘s und ihres Begleiters, sowie die Stellungnahme der Zollbeamten bereits eine Woche nach der Festnahme vor. Vielmehr ist unklar, warum E.M., wie die meisten der ausländischen Gefangenen, einer wesentlich längeren U-Haft ausgesetzt wurden, als dies bei deutschen Verdächtigen üblich ist.
Eine Begründung, die hierzu angeführt wird, ist die, daß ja für jedes Gespräch mit dem Pflichtverteidiger, dem Staatsanwalt und der Richterin einE ÜbersetzerIn benötigt würde, und diese in Berlin schwer zu besorgen seien.
Während der gesamten U-Haft-Zeit wurde E.M. dreimal von ihrem Pflichtverteidiger besucht, ansonsten erhielt sie, bis wir sie kennenlernten, keinen Besuch.
Die gesamte Zeit wußte sie nicht, wie es ihren 8-, 11- und 14-jährigen Kindern geht, die sie in ihrem peruanischen Heimatort Arequipa zurückgelassen hatte.
Als sie zu ihrer riskanten Reise aufgebrochen war, hatte sie eine Kusine gebeten, während der geplanten zweiwöchigen Abwesenheit für die Kinder zu sorgen und angenommen, in Kürze wieder bei ihnen zu sein und 2000 Dollar mitzubringen. Diese benötigte E.M. dringend zur Zahlung von Schulden, die sie als alleinerziehende Mutter und mit ihren Jobs als Sekretärin, Gerichtsbotin und Eisverkäuferin nicht mehr bewältigen konnte.
Der Mann, der ihr den „Job“ mit dem Kokaintransport anbot, hatte ihr und ihrem Begleiter die hohen Haftstrafen verschwiegen, die in Europa für Kokainschmuggel verhängt werden und sie lediglich auf das Risiko hingewiesen, daß ihnen drohte, wenn eines der verschluckten Kokainpäckchen im Darm platzen würde, einen qualvollen Tod zu sterben.
Dieses Risiko wollte E.M. auf sich nehmen, die auch hoffte, daß ihr dieses nicht passieren würde, wenn sie während der Reise nichts ißt.
Daß Zollbeamte in Europa Kontakt mit dem Personal der Fluglinien haben und genau wegen des Kokainschmuggels immer von den Stewards/Stewardessen unterrichtet werden, wenn Fluggäste aus Lateinamerika während des Fluges keine Mahlzeiten zu sich nehmen, war ihr nicht bekannt.
Der Kokaingebrauch gilt in den Ländern die seit Jahrhunderten Koka als Kulturdroge anbauen, als akzeptable Form des Drogenkonsums, ähnlich wie in Westeuropa der Alkoholkonsum und anders als z.B. Heroin und „Bazuco“. Die beiden letztgenannten Drogen sieht E.M. als gefährliche Drogen, die die Menschen zerstören, die sie einnehmen und deren Herstellung mit allen Mitteln verhindert werden sollte.
Als wir E.M. kennenlernten, hatte sie gerade ihrer Verurteilung hinter sich und war von der U-Haft in den geschlossenen „Normalvollzug“ verlegt worden, wo sie erstmals mit jemandem hatte sprechen können, da sich hier auch drei andere lateinamerikanische Gefangene befanden. Sie hatte sich über Briefe mit ihren Verwandten in Verbindung setzen können und erfahren, daß ihre drei Kinder nicht mehr in Arequipa lebten, die Wohnung von der Kusine aufgelöst und die Möbel etc. von dieser verkauft worden waren, um die Mietrückstände zu zahlen, die durch E.M.‘s Abwesenheit entstanden waren. Da weder die Kusine, noch E.M.‘s Geschwister in der Lage waren, alle drei Kinder aufzunehmen, waren sie zu drei verschiedenen Familien entfernter Verwandschaft geschickt worden, die in unterschiedlichen Regionen in der Provinz auf dem Land leben, wo es leichter ist, noch jemanden unterzubringen, und die Kinder außerdem als Arbeitskräfte eingesetzt werden können und so für ihren Lebensunterhalt selber sorgen.
E.M. hatte in der U-Haft-Zeit keine Möglichkeit gehabt, Deutsch zu lernen und konnte nur „Bitte“, „Danke“, „Auf Wiedersehen“, „Wieviel“, „Nähkurs“ und „Wäschekammer“ sagen.
E.M. hatte gegen das Urteil keine Berufung eingelegt, da der Pflichtverteidiger ihr davon abgeraten hatt, denn dies sei zu teuer und würde nichts bringen. Inzwischen hatte sie von den anderen Gefangenen erfahren, daß es in der BRD, anders als in Peru, keine Amnestie oder andere Formen des Straferlasses gibt und somit die Verurteilung tatsächlich bedeutet, daß ihre Kinder getrennt von ihr, getrennt voneinander, ohne Schule und unter miserablen ökonomischen Bedingungen großwerden sollen.
Sie war deshalb in einer ausgesprochen schlechten seelischen Verfassung und war entsprechend überrascht, als wir ihr sagten, daß eine Berufung vielleicht erfolglos, aber sicher nicht zu teuer sei, da der Pflichtverteidiger vom Staat bezahlt werden müsse, wenn jemand, so wie sie, kein Geld habe.
Es stellte sich dann heraus, daß eine Berufung doch nicht mehr möglich war, da zwischen dem Urteil und unserem ersten Besuch die Frist abgelaufen war, innerhalb derer ein Berufungsantrag gestellt werden muß.
Inzwischen kennen wir uns seit einem Jahr und besuchen E.M. 2-3 Mal im Monat. Die Vollzugsordnung ließe maximal 4 Mal im Monat Besuch zu, drei Mal eine Stunde und einmal zwei Stunden, die Termine werden von dem sogenannten „Sprechzentrum“ vorgegeben.
E.M. hat mittlerweile etwas deutsch lernen können. Da der von der Anstalt angebotene Kurs einmal die Woche 90 Minuten, mit Frauen aller Nationalitäten, in keinster Weise ausreicht, lernt E.M. abends, wenn sie von ihrer Arbeit kommt (sie arbeitet an einer Maschine, mit der Schnellhefter eingeschweißt werden) weiter. Wir haben ihr ein Buch besorgt, das ihr etwas hilft, aber oft ist sie dann doch abends zu müde, es fehlt ihr die Übung in Form von Gesprächen und manchmal leidet sie unter unerträglichen Kopfschmerzen und Erbrechen; der Nacken ist steif und sie hat das Gefühl, daß wenn sie die Augen öffnet, alles, was sie sieht, brennt. Eine Zeit lang hatte sie panische Angst, an einem Gehirntumor zu leiden und ihre Kinder nicht mehr wiederzusehen. Mit ihren spärlichen Deutschkenntnissen hat sie es dann trotzdem geschafft, mit einer Ärztin zu sprechen und wurde von der Anstalt aus ärztlich untersucht. Man hat ihr gesagt, daß sie nichts habe, und das Beschwerdebild psychosomatischer Natur sei und sie lernen müsse, sich selbst nicht so stark mit Sorgen zu belasten.
Wenn es ihr besser geht, dann zwingt sie sich zu dem Buch, lernt Vokabeln, spricht sich Texte vor und liest laut Lerntexte.
Manchmal scheint sie sich mit der Vorstellung abgefunden zu haben, weitere 5 Jahre ihres Lebens in der JVA verbringen zu müssen und denkt darüber nach, ob sie ihre Kinder dann noch erkennen, falls sie sie denn wiederfindet, wie sie dann Arbeit sucht, und ob sie wieder gesund wird. An solchen Tagen ist sie voller Energie und fest entschlossen, alles nur erdenkliche zu tun, um zumindest die wenigen Möglichkeiten, die es an Freiräumen im Knast gibt auch zu nutzen. Sie wünscht sich, daß sie in den offenen Vollzug und an einem Ausbildungslehrgang teilnehmen kann. Daß diese Möglichkeiten aber nur für wenige Gefangene angeboten werden, und die ausländischen Gefangenen in der Regel nicht in diese sogenannten „Resozialisierungsmaßnahmen“ einbezogen werden, weiß sie inzwischen. Sie schwankt an diesen Tagen zwischen der Einschätzung, irgendwann werde es sich ändern und zu einer Gleichbehandlung deutscher und ausländischer Gefangener kommen, zumal letztere ja bald in der Überzahl seien, und der Hoffnung, daß sie vielleicht irgendwann für ihren besonderen Fleiß bei der Arbeit mit einer Verlegung in den offenen Vollzug belohnt werden könnte.
Manchmal schließt sie auch einen inneren Kompromiß und akzeptiert selbst den Gedanken, weitere 5 Jahre permanent eingeschlossen zu sein, ohne jegliche Möglichkeit der Entlastung. In diesem Fall möchte ich sie dann aber auf jeden Fall auf eine andere geschlossene Station verlegt werden, wo die Zellenfenster zur Autobahn und nicht wie jetzt, zum Hof hinausgehen. Sie ist ja auf dem Flughafen festgenommen worden, nachts, hat außer dem Gerichtssaal und dem Knast nichts gesehen von ihrem Reiseziel Berlin und meint, wenn sie auf die andere Seite käme, könnte sie wenigstens immer nach draußen blicken und Berlin sehen.
Der Gedanke, weitere fünf Jahre in der JVA Plötzensee zu bleiben, übersteigt ihre Vorstellungskraft aber an den meisten Tagen. Dann ist es so, daß wir sie mehr oder weniger verzweifelt antreffen, noch gefasst oder schon am weinen. Wir haben ihr keine Hoffnung gemacht, für die Verkürzung ihrer Haftzeit etwas tun zu können.
Wir wissen, daß unsere Justiz Frauen wie E.M. mit aller Härte bestraft, oft mit höheren Strafen als Totschläger, immer mit höheren Strafen als Vergewaltiger von Frauen und Kindern und in der Regel mit höheren Strafen als Deutsche sie für dasselbe Delikt bekommen.
Wir kennen auch die Praxis der Berliner Ausländerbehörde, die anders als andere Bundesländer in der Regel ihre Zustimmung verweigert, wenn es um eine vorzeitige Haftentlassung für ausländische Frauennach Verbüßung von 2/3 der Strafe bei guter Führung geht. Zynischerweise begründet die Ausländerbehörde, die haftentlassene ausländische Frauen in der Regel sofort in ihre Heimatländer abschiebt, eben mit dieser Abschiebung ihre Weigerung, einer sofortigen Haftentlassung zuzustimmen. Die vorzeitige Entlassung diene der „Resozialisierung“, so zitieren sie die Gesetze, und die „Resozialisierung“ in die deutsche Gesellschaft komme ja für Frauen, die abgeschoben werden, natürlicherweise nicht in Betracht.
Wir haben keine Idee, was wir zu einer Freilassung beitragen könnten, die rechtlichen Wege sind ausgeschöpft und von daher wäre politischer Druck unserer Meinung nach das einzige Mittel, derartige Urteile in Frage zu stellen und die Justiz zu einer Revidierung oder den Staat zu einer Amnestie zu zwingen.
Wie wir diesen Druck in einer Gesellschaft mit einem derartigen rassistischen Potential überhaupt herstellen können, wie es uns gelingen soll, in einer sexistischen Gesellschaft Solidarität mit den gefangenen Frauen zu bewirken, und wie wir die herrschende Meinung zu Drogendelikten beeinflussen können, indem wir unterdrücktes Wissen zu Drogenhändlern, -produktion, -„bekämpfungsprogrammen“, -krieg und letztlich Drogenkonsum sichtbar machen, ist eine riesige Aufgabe, die wir alleine nicht bewältigen können.
Konkrete Hilfeleistungen in materiellen Dingen, persönliche Unterstützung der Gefangenen, Rechtsbeistand und ähnliche Sachen, die wir machen, sind ein kleiner Beitrag, die Möglichkeit der Solidarität sichtbar zu machen.