Kommen wir nun zu Geschlechterverhältnissen: Patriarchat abschaffen, patriarchale Verhältnisse überwinden, weg mit dem Geschlechterzwang. Die Attachementisierung des Themas Geschlechterverhältnisse in der modernen Flugblattproduktion könnte man als Erfolg ansehen. Fast jedem ehemaligen Hauptwidersprüchler rinnt es heute leicht aus der Feder oder über die Lippe, in etlichen Publikationen zum Sozialabbau findet sich der Hinweis auf besondere Frauenbetroffenheit. Das ist ja schon mal was, sagen die einen.

Die anderen sagen: Dinge bewegen sich offenbar nicht gut vorwärts, wenn sie quer liegen. Eine Generation Linker ist herangewachsen, die »KapitalismusPatriarchatRassismusabschaffen« am Ende von Flugblättern als eine Art Passwort wahrnehmen muss und oft insgeheim doch den Kapitalismus irgendwie gemeiner findet. Zumal wenn diese Generation weiß, männlich und heterosexuell ist.

Es tut sich dennoch was in der Gender-Abteilung. Zwar ist es noch immer so: Ein Plakat mit einem Mann drauf ist halt ein Plakat und ein Plakat mit einer Frau drauf ist ein Plakat mit einer Frau drauf – in Hamburg wurde der Mayday mit einem Plakat beworben, auf dem ein Mann mit einer Bohrmaschine abgebildet war. Im Hintergrund verbarg sich ein zweiter Mann mit einem Laptop. Das fanden viele offenbar normal… Doch eigentlich hat hier Bewegung stattgefunden. Miss Marple und Lisa Simpson lösen Hulk und Konsorten in Deutschland immer mehr ab. Das führt allerdings noch nicht dazu, dass man bei der Betrachtung von Lisa vergisst, dass sie ein Mädchen ist. Sichtbarmachung von starken Frauen kann zwar die Rollenbilder verändern, hebt aber nicht den dauernden Zwang auf, sich als Frau oder als Mann präsentieren zu müssen und dementsprechend behandelt zu werden. Dominant oder nicht dominant sein wird noch immer anders beurteilt, je nachdem, ob es ein Mann macht oder eine Frau. Ebenso zum Beispiel die Frage, wer für die Kinder auf den Beruf verzichten sollte. Anything goes noch lange nicht! Im Genderbereich finden sich so komplexe Sachverhalte, dass man sie nicht quasi im Vorbeigehen oder am Flugblattende erledigen kann.

Was guckst du, du Opfer!? Unterdrückung kritisieren kann Unterdrückte in ihrer Rolle festhalten

Ein breit diskutiertes Problem im Bereich Geschlechterverhältnisse ist die so genannte »Konstruktionsfalle«. Angenommen eine schreibt: »Wenn Männernetzwerke in der Uni ihre Posten beim Bier nach dem Fußball vergeben, schließt das Frauen aus.« Da würden manche beim Lesen finden: »Na hallo, ihr tut ja grade so, als würden Frauen kein Fußball spielen, was ist denn mit Birgit Prinz?« Durch das Kritisieren der Zustände zeichnet man ein Bild der schwachen unterdrückten Frau als Opfer, die nicht Fußball spielen kann – doing gender. Ein ähnliches Phänomen ist in politischen Gruppen zu beobachten. Wenn kritisiert wird, dass Männer so viel reden, ärgern sich manchmal Frauen darüber, dass das so klingt, als wären die Frauen in der Gruppe nur stille Mäuschen. Es ist wie der Blick der Medusa, die alles zementiert, was sie betrachtet, selbst wenn sie kritisch schaut. Die Dekonstruktivist- Innen errichten aufbauend auf dieser Art des Konstruierens eine Art Blickleitplanke, die das Auge weg vom Mittelstreifen herrschender Denkbilder lenkt, indem vernachlässigte Wirklichkeiten ins Blickfeld gezerrt werden: Frauen, die Fußball spielen, Menschen ohne zuordenbares Geschlecht oder Tierarten, bei denen Frauen ihre Männer nach der Paarung schlecht behandeln. Ein Erfolg: Wenn man ständig Frauen sieht, die Physikprofessorinnen sind, wird es mehr Frauen geben, die Physikprofessorinnen werden, weil es »normaler« wird. Bis dahin verschwinden konkrete Ungerechtigkeiten für die Betroffenen allerdings auch nicht einfach dadurch, dass DekonstruktivistInnen vorbeikommen und den Blick weglenken. Sexuelle Gewalt, patriarchale Familienverhältnisse, Benachteiligung bei der Jobvergabe, Zwangsehen und Mackerverhalten sind ja noch da. Dido würde singen: »But if I didn‘t say it, well I‘d still have felt it where‘s the sense in that?”

Die Verhältnisse da abholen, wo sie stehen! Dekonstruktivistisch und trotzdem handlungsfähig

Das Dilemma, dass Schwäche konstruiert wird, wenn Schwachmachung kritisiert wird, soll durch den »strategischen Essentialismus«1 abgemildert werden. Essentialismus bedeutet: Das Kind ist erstmal in den Brunnen gefallen, aber es wurde nicht im Brunnen geboren, sondern dort hineingeworfen. Nun kann man natürlich noch immer sagen: Mir egal, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, kann man es trotzdem noch mit dem Bade ausschütten. Das würde bedeuten: Aussagen über die Benachteiligung von Frauen sein lassen, weil sie das Bild der schwachen Frau konstruieren. Dann wird nicht mitkonstruiert, aber auch auf eine konkrete Kritik am Patriarchat verzichtet. Wenn wir aber bei der Kritik der Verhältnisse die Finger hinter dem Rücken kreuzen in dem Wissen, dass die Wirklichkeit in Wirklichkeit komplizierter ist, können wir sagen, dass Jobvergabe beim Fußballspielen Frauen tendenziell ein bisschen ausschließt oder dass weltweit der Grund und Boden zu nur einem Prozent Frauen gehört. Lieber wäre es uns natürlich, wenn man gleichzeitig am Bild der starken Frau baut, meistens geht das aber nicht so gut.

Das mit der Jobvergabe innerhalb von Männernetzwerken kritisiert innerhalb der Linken aber trotzdem kaum jemand, weil immer irgendetwas anderes wichtiger ist. Hartz IV zum Beispiel oder Schwimmbadpreise oder gleich der Kapitalismus. Was Geschlechterverhältnisse angeht, ist in politischen Gruppen oft ein gewisser Themenumgehungselan zu beobachten. Die WortführerInnen in politischen Gruppen sind nämlich meistens nicht die FeministInnen und haben eher Wissensdefizite im Bereich Gender. So wird die Geschlechterfrage manchmal nur bemüht, wenn es um Außendarstellung geht. Oft gibt es dann gerade mal eine gruppeninterne freundliche Frauenförderung, so dass die wenigen anwesenden Frauen überredet werden, auch auf Podien lange zu reden. So wie man früher Frauen Blumen geschenkt hat, weil man eben nett zu ihnen sein wollte.

Killing Gender – return to sender! Geschlechterverhältnisse in politischen Gruppen

Das zeigt: Die eigene Nase wäre hier ein guter Berührungspunkt für Kritik. Die politischen Forderungen linker Gruppen, besonders im Sozialbereich sind aber eher vertikal ausgerichtet. In Flugblättern wird Regierungshandeln angeprangert. Wenn doch einmal die Bevölkerung zum Anderssein aufgefordert wird, dann sucht man sich am besten eine Zielgruppe, die so auffällig nicht man selbst ist, dass man deren Demontage als Selbstbestätigung feiern kann: ostdeutsche DorfbewohnerInnen zum Beispiel. Die müssen sicherlich noch an der Dekonstruktion von Geschlecht arbeiten. Können sie ja machen.

AdressatInnen von Gender-Kritik sind wir allerdings selbst, und zwar ungern:

  • die Frau, die in politischen Diskussionen lieber immer nur Fragen stellt und sich selbst glaubt, dass das daran liegt, dass sie nicht so viel Ahnung hat – so wie Pink sich auf einer Motorhaube mit Schaum wälzt und singt »Maybe if I act like that, that guy will call me back«,
  • der Mann, der selbstinszenierend die Diskussionsatmosphäre versaut und Frauen toller findet, die lieber immer nur Fragen stellen,
  • die Frau oder der Mann, die Frauen doof finden, die ständig reden und sich in den Mittelpunkt stellen (obwohl sie eigentlich immer noch weniger redet als manche Männer).

Zwar wollen die meisten linken Frauen keinen Terminator und die meisten linken Männer keine Sissi, aber dennoch wird oft das Verhalten mit Aufmerksamkeit oder Zuneigung belohnt, das mit Worten gerügt (Mackerverhalten oder Bambigetue) wird. Homosexuelle Konstruktionshilfe funktioniert hier prinzipiell ähnlich, nur sind die Rollen dabei vielleicht etwas flexibler.

Natürlich gilt noch immer: Durch eine Rollenverteilung Macht zugewiesen zu bekommen ist besser als durch eine Rollenverteilung von der Macht ferngehalten zu werden. Männer streichen noch immer die patriarchale Rendite ein (das Patriarchat beschenkt die Männer ab und zu, z. B. durch Kompetenzzuweisung: Pfleger werden oft für Ärzte gehalten, während Ärztinnen aber meist für Krankenschwestern gehalten werden). Aber Männer profitieren vom Patriarchat in unterschiedlichem Maße und Frauen helfen ihnen dabei manchmal. Es ist keine besonders fortschrittliche Position, jetzt Jagd auf Podienschreihälse zu machen. Wenn ein extrovertierter Mann sich aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit entscheidet, nicht mehr auf Podium zu gehen, ist es zwar nett, aber irgendwann wird er vermutlich keine Lust mehr auf Politarbeit haben. Wenn eine Frau sich überwindet, zu ihrem Lieblingsthema nicht Männer aufs Podium zu schicken, freut sich zwar die Gruppe. Eventuell hat sie aber trotzdem vorher und nachher Magenkrämpfe, weil sie die Konkurrenz-Atmosphäre auf dem Podium enorm anstrengend findet. Wie auch anderswo sollten hier Strukturen bekämpft werden. Und wenn man an »das Patriarchat« nicht rankommt, schafft man eben erstmal Podien ab und findet Formen des Austausches und der Information, die weniger personenkultanfällig sind.

Pink&Silver statt black&block! Kleiderwahl ist Rollenwahl

Wenn besagte renditenbeschenkte Männer dann in ostdeutsche Dörfer pilgern, »reden« sie aber lieber über Rassismus als über Geschlechterverhältnisse. Um das zu tun, werfen sie sich am liebsten in Kampfmonturen und wundern sich darüber, dass Nazis auch ohne weiteres Kampfmonturen anziehen und der Antifa so den Look klauen. Das finden viele entweder gemein oder geschickt von den Nazis. Den wenigsten fällt auf, dass es eben zu den Nazis auch besser passt, einem männlich determinierten Streetfighterideal nachzueifern. Kurzum: Hätte Ché Guevara »der hegemonialen Männlichkeitsbild«2 so wenig entsprochen wie z. B. Gandhi, würde er sich weniger gut als Nazi-Accessoire eignen.

Dabei mangelt es heute nicht an mackerarmen Alternativen. Mit Pink&Silver wurde ein interessantes Gegenkonzept zur black&block- Demomode entwickelt, mit dem auch ohne Sonnenbrillen und Headset entschlossen gewirkt werden und sich dabei gleichzeitig vom männlich geprägten Erscheinungsbild gelöst werden kann. Mit pinken Puscheln und silberner Verkleidung werden die Elemente Kreativität, Queerness und Entschlossenheit zusammengeführt. Würden die Nazis nie übernehmen, weil ihnen das irgendwie zu unmännlich wäre. Wenn man sich also schon uniformieren will, dann sollte man das Thema Gender bei der Outfitauswahl durchaus bedenken. Manchmal muss man vielleicht gefährlich aussehen, um Nazidominanz zu brechen, meistens muss man das aber nicht.

Antinormalismus muss normal werden – Bildet AGs!

Dekonstruktivistische politische Praxis vermittelt sich meistens eher subkulturell und als Performance. Dinge in Frage zu stellen, neue Denkwege anzulegen und Ideologien einzureißen ist seit jeher eher ein Aufgabenbereich der Kultur als der der Politik. Der queere Yuppiejubelwagen auf der Mayday-Parade in Berlin hätte als Diskussionsbeitrag nicht funktioniert. Subkultur gut finden sollte aber nicht im Outsourcing enden. Wenn eine Gruppe einen so genannten gesamtgesellschaftlichen Ansatz verfolgt, muss sie sich mit Normalitätskonstrukten (z.B. Frauen sind das schöne Geschlecht) und deren Verhaltensvorschriften (macht mehr aus euch) kreativ auseinander setzen, sei es mit Normen in Bezug auf Zweigeschlechtlichkeit, auf geschlechtliche Rollenbilder, auf »Behinderungen« oder Alter.

Weder die theoretische Verödung des Themas Geschlechterverhältnisse als Flugblattanhang noch die reine queere Folklore, die den Blick auf reale Herrschaftsverhältnisse aus Konstruktionsangst meidet, helfen weiter. Nur wenn politische Gruppen auch zu einer dekonstruktivistischen Praxis finden, werden sie die verschämte Halbherzigkeit überwinden können, mit der sie ab und zu materielle sexistische Unterdrückung kritisieren.

Querschnittsthemen dienen vor allem der Fehlervermeidung, aber nicht der Theorieentwicklung. Die Querschnittslegung macht insoweit Sinn, als dass man keinen rassistischen oder antisemitischen Antikapitalismus betreiben sollte oder eben keine sexistische Praxis. Politische Gruppen sollten einsehen, dass vermeintliche Klammern und Triples keine Entschuldigung liefern, wenn es bei den Themen Geschlechterverhältnisse und Antinormalismus nicht für eigene Bereiche reicht. Es ist eine Ressourcen- und eine Gewichtungsfrage und keine analytische also: eine politische.

Karthago wurde zerstört. Von Rom…