arranca!: ¿Warum habt ihr euch entschieden, im kulturellen Bereich politisch zu intervenieren?
Katja: Für mich war das eine schöne Art, zwei Sachen zu kombinieren, die mir immer wichtig waren: Musik und Politik. Das Projekt begann in Köln und gerade dort fand ich es wichtig, unkommerzielle Kultur anzubieten. Bis auf wenige Ausnahmen ist dort alles teuer und unpolitisch. In Köln arbeiten wir u.a. mit der Antifa oder dem Buchladen Le Sabot, in Berlin mit anderen Gruppen. Damals war ich auch noch im Kölner AStA als Kulturreferentin und wir haben viele Konzerte mit Initiativen verknüpft, z.B. für Nicaragua, oder wenn Panteón Rococó gespielt hat, dann für ein Krankenhaus in Chiapas. Das ist aber in Berlin anders geworden. Da ist es finanziell schwieriger. Ein weiteres Motiv war einfach, die Bands, die ich genial fand, vor meiner Nase in einem kleinen Jugendzentrum zu sehen. Das war wie die Erfüllung eines kleinen Traums.
Mario: Wir haben uns im Antifa-Archiv jahrelang mit rechter Subkultur beschäftigt, Bücher dazu veröffentlicht und Vorträge und Bildungsveranstaltungen organisiert. Dann haben wir daran gedacht, unser Wissen auch anderen zur Verfügung zu stellen und haben eben die Homepage eingerichtet, mit der man nach Nazibands suchen kann. Die ist wirklich fett… wir merken an der Vielzahl von Mails, die wir bekommen, wie sie als Tool von vielen Konzertveranstaltern, Jugendzentren usw. genutzt wird.
¿Wie stark ist denn die Bedeutung von Musik oder Subkultur für eine politische Orientierung? Manu Chao z.B. hat zwar schöne Texte, läuft aber mittlerweile problemlos in jedem Supermarkt…
Mario: Wenn wir Veranstaltungen an Schulen machen, dann bekommen wir mit, was die Kids hören: Böhse Onkelz, Tote Hosen, Landser und HipHop. Das ist mittlerweile eine ganz komische Mischung, bei der sich viele keine Gedanken machen, um was es geht. Die sind einfach angesagt. Dann spielt dieses Underground-Ding noch eine wichtige Rolle. Bei vielen Bands ist klar, sie sind verhasst und verboten, und das ist »in«. Das findest du überall. In Brandenburg gibt es mittlerweile eine HipHop-Band, die sieht überhaupt nicht nazimäßig aus, hat aber Landser- Texte als HipHop aufgearbeitet.
Holger: Ich bin über Musik politisiert worden, über Punk. Von dort aus ging der Weg zur Politik. Die Perspektivlosigkeit in der straighten Politikszene hat mich wieder in den Musikbereich »gedrängt«. Ich wollte, weil ich das selbst so erfahren habe, die Politisierung durch Musik weiter geben. Wir wollen die World Music Szene politisieren. Wir haben nicht den Ansatz, rechte Kids rauszulocken. Dazu ist das, glaube ich, die falsche Musik.
Katja: Ich denke auch nicht, dass es die Texte sind (Fermín Muguruza auf Baskisch versteht sowieso fast niemand), die dazu führen, dass sich Leute mehr Gedanken machen über Chiapas, Palästina/Israel usw. Als Lehrerin stelle ich in der Schule fest: Die Texte werden nicht bewusst wahrgenommen. Sie tragen nicht zur Politisierung, zum Nachdenken oder auch nur zum Stolpern bei, sondern das Drumherum tut das. Ojos de Brujo ist ja z.B. eher so eine »Weltmusikband«, aber die Sängerin macht sehr viel zu Migrationspolitik in Spanien. Wenn die Band interviewt wird, sagt sie immer etwas dazu, egal ob sie gefragt wird oder nicht. Das scheint mir ein guter Ansatz.
¿Manu Chao sagt auch in jedem Interview etwas Politisches. Das gehört schon »labelmäßig « dazu: Er ist eben der »Antiglobalisierungsstar «. Ist das bei einer fast schon beliebigen Vielfältigkeit nicht einfach ein buntes Element mehr?
Katja: Wenn sich Manu Chao oder die Großen der »Weltmusik« in Interviews globalisierungskritisch äußern, denke ich schon, dass es Aussagekraft hat. Sie sprechen so ein breites Publikum an, dass es auch immer wieder Menschen vor die Augen bekommen, die sich vorher nicht so viel Gedanken gemacht haben.
¿Für meine Politisierung war Clash sicher wichtiger als Karl Marx. Aber vor 20 Jahren war Punkrock in großen Teilen noch ganz klar mit Politik verknüpft. Heute ist es ein Logo.
Holger: Aber welcher Subkultur ist das nicht passiert? Für mich sind Subkulturen uninteressant geworden. Man schmort im eigenen Saft. Ich will ja mit meinen Konzerten gar nicht eine Subkultur bedienen, sondern mit meiner Politik nach außen gehen. Lucha Amada war eine Öffnung vom Punkrock zu anderen Musikstilen und zu ihrer Verschmelzung. Für mich war das Interessante, mit mehr »lebensbejahender Musik« Leute zu erreichen und eine Gegenkultur – das ist für mich der Begriff – zu leben, zu begründen und zu bereichern, bei der die Musik und gewisse Codes unwichtig sind. Was zählt, sind die politischen Inhalte, der Hintergrund und die Art wie sie gemacht wird. Unwichtig ist, wie die Leute aussehen und wie sie sprechen. Das sind Nebensächlichkeiten.
Mario: Es gibt ja auch noch eine politische Punkszene. Mit der machen wir Konzerte. Aber insgesamt ist es schon sehr viel beliebiger geworden… Klar frage ich mich oft, für wen ich das eigentlich mache. Es sind ja eh immer nur die gleichen 150 Leute, die da hinkommen. Es ist überhaupt nicht relevant für irgendwen.
¿Andererseits hat eure Schulhof-DVD mittlerweile eine Auflage von knapp 100.000 Stück erreicht. Was habt ihr damit für Erfahrungen gemacht?
Mario: Wir sind mit der DVD an Schulen und Jugendzentren gegangen, um der Schulhof-CD von den Nazis etwas entgegenzusetzen (OK, mit einem Jahr Verspätung) und um den Kids – vor allem im Osten – zu zeigen: Es gibt nicht nur eine rechte Jugendkultur, sondern auch eine Linke – und wir sind irgendwie cooler. Die DVD ist schick. Wenn ich mir im Gegensatz dazu die Schulhof-CD von den Faschos anschaue, dann merkt man einfach, dass wir die Besseren sind. Und der Punkt war, den Kids das rüberzubringen. Und die Resonanz ist super. Deswegen haben wir jetzt dazu auch noch eine Zeitung nachgelegt, besonders im Hinblick auf die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Landesweit haben sich SchülerInnen zusammengeschlossen, um den Einzug der NPD zu verhindern, und das wollen wir unterstützen.
Wir haben Reaktionen bekommen von LehrerInnen, die die DVD im Sozialkundeunterricht geschaut und darüber diskutiert haben. Andere fragen nach Infomaterial. Manche bieten ihre Mitarbeit an, z.B. Artikel über ihre Region. Eigentlich ist das eingetreten, was wir wollten. Und die Nazis stresst das auch. Wir bekommen fast täglich Morddrohungen und sie versuchen oft, uns zu verklagen.
¿Die DVD ist definitiv schick. Gerade bezüglich des Styles hat in den vergangenen Jahren eine starke »Professionalisierung« stattgefunden…
Mario: Die DVD war ein Zusammenspiel von verschiedenen Profis, die alle umsonst gearbeitet haben. Auch die Aufnahmen sind von einem professionellen Filmteam. Auch der Anstoß dazu – und ein Großteil der Finanzierung – kamen von der Band ZSK. Profis für unsere Projekte zu finden ist nie ein Problem. Aber es fängt an, mich zu nerven, wenn der Style schon fast zur Pflicht wird, wie bei manchen Antifas.
Holger: Was den Style bei Antifa-Postern betrifft, ist die Frage: Wie erreichst du die Kids, wenn sich die gesamte Gesellschaft in eine durchgestyltere Richtung bewegt. Klar war das bei Punk auch eine inhaltliche Frage, also jeder sollte im Copyshop so etwas machen können, aber wichtig ist natürlich, wie man die Kids erreicht. Und es soll sich auch im Design ausdrücken, dass es um Politik von heute geht, also um Politik, die mit der Zeit geht. Politik, die wir verbreiten, soll ja nicht von Vorgestern sein.
Katja: Wir sollten uns da auch nichts vormachen: Uns gefällt es ja auch besser so. Die arranca! etwa gefällt mir super gut! Sie ist schön anzusehen. Ich konnte irgendwann auf Flyern keine Totenköpfe oder Silhouetten von Frauen mit Dreadlocks und wehenden Fahnen mehr sehen.
¿Bestimmte linke Solipartys sind ja überhaupt nicht mehr als »links« zu erkennen. Vom Flyer bis zur Musik sind sie eigentlich kompatibel mit jedem anderen Ereignis, nur dass das Geld einem anderen Zweck zukommt. Inwiefern ist für euch der Inhalt wichtig?
Mario: Ich finde es wichtig, dass es Informationen zum Inhalt, zum Motto, zum Soligrund der Party oder des Konzerts gibt. Wir haben z.B. einige Konzerte für Antifas in Russland organisiert und machen auch noch weitere. Denen geht es richtig mies: Sie werden reihenweise ermordet und es herrscht sozusagen Kriegszustand. Daher wollen wir das Thema auch in Deutschland bekannter machen. Und es hat auch funktioniert.
Katja: Ich finde das auch wichtig. Bei unseren »Fiestas« finde ich die Diashow, die wir immer mitlaufen lassen – das sind einfach viele Band- und Demobilder – immer zentral und gut, obwohl wir das schon jahrelang machen. Es gibt der Party einen anderen Touch, es schafft das Drumherum. Viele Leute schauen hin und sprechen mich darauf an. Das reicht von Lob über Fragen zu den Bildern bis zum Einwand, das sei doch viel zu krass für eine Party. Oder wir legen z.B. bei Konzerten Informationen zu Chiapas aus. Da kommt auch mal z.B. der 45jährige Deutschlehrer, der das super findet mit den Bongos, aber er nimmt sich auch was mit, hat davon noch nie gehört und fragt danach.
Aber ich denke oft: »Wie geben wir dem jetzt einen politischen Inhalt?«. Du kannst ja nicht jedes Mal ein Flugblatt zu Chiapas hinlegen. Die Leute wollen auch was Neues, gerade hier in Berlin. Die Leute gehen hier mit einer anderen Haltung hin und sind abgegessener. Da frage ich mich auch: »Wie erreicht man die Leute?«
Mario: Ich denke, viele haben eine starke Konsumhaltung. Da kannst du für sonst was Soli machen, das ist vielen scheißegal. Wir haben es oft genug versucht, vorher eine Veranstaltung zu machen, aber die Leute haben angefangen herumzudrängeln und ungeduldig zu werden. Die wollten einfach das Konzert sehen, Bier trinken und rumtanzen.
Katja: Ich erinnere mich noch an meine erste Woche in Berlin. Da waren die Veranstaltung und das Konzert zu Venezuela, von FelS und der ALB organisiert. Da dachte ich: »Wahnsinn, in Berlin, da ist Mittags um drei eine Veranstaltung zu Venezuela knallvoll und die Leute gehen danach nach Hause und bleiben nicht zum Konzert.« Aber das war dann doch eine Ausnahme…
Holger: Wir sind ja eher Multiplikatoren für andere Kulturarbeit, die einen politischen Anspruch oder Background hat. Und wenn z.B. jemand bei uns CDs bestellt und wir einen Anti-G8-Flyer mit hineinlegen, weiß ich ja nicht, was danach passiert. Aber da will ich ja mindestens, dass er »konsumiert« wird. Ich erwarte gar nicht, dass die gleich eine Gruppe gründen, da muss man auch sehen, wo die Grenzen und Möglichkeiten sind. Aber ich kriege mit, dass in Deutschland ganz viele Soundsystems entstehen, die etwas in die Richtung machen, schon einen solchen Namen haben… auch wenn da bestimmt viel Style dabei ist. Aber es gibt auch solche, die sich nach den Zapatistas benennen und ihre Homepage mit Infos füllen, Solikonzerte ankündigen. Da entwickelt sich schon eine kleine Szene. Das wäre vielleicht ohne die ganze Kulturarbeit nicht so gewesen.
Mario: Mit der DVD ist es uns passiert, dass einige Jugendliche uns angeschrieben haben, dass sie alles super finden und ein »Rock gegen Rechts«-Konzert in ihrem Ort organisieren wollen. Allein dieses Jahr laufen noch vier Konzerte, für die wir Leuten Bands vermittelt und Infomaterial geschickt haben. Die Konzerte laufen jetzt auch mit dem »Turn it down«-Logo. Und die Einnahmen gehen als Spende an uns.
¿Wo sind denn die Grenzen eurer Arbeit? Bei welchen Projekten hattet ihr vielleicht große Hoffnungen und seid dann auf den Boden der Realität zurückgeholt worden?
Katja: Wir hatten nicht die Vorstellung, mit Lucha Amada die Weltrevolution loszutreten… Wir haben vor fünf Jahren angefangen diese politische Musik, weg vom Punk, zu propagieren. Mittlerweile sind viele Bands auf das Boot des »Antiglobalilisierungs-Mestizo-Sound« aufgesprungen. Das hat nicht nur dazu geführt, dass sich viele Leute mit Themen wie z.B. Migration auseinandergesetzt haben, sondern auch dazu, dass es eine Überschwemmung dieses Marktes gegeben hat und viel mehr konsumiert als aufmerksam zugehört wird. Das hat mich schon etwas desillusioniert. Es ist zwar toll, dass die Musik jetzt aus der kleinen Subkulturecke rausgekommen ist, aber sie hat dadurch auch viel an Aktivismus verloren.
Holger: Viele Bands nutzen die alternativen Strukturen, um bekannt zu werden, und sobald sie die Möglichkeit haben, an größeren Orten zu spielen, mehr Geld zu verdienen, sind die Alternativstrukturen passé. Die Frage ist dann auch nicht wie ich diese Bands wieder in kleine linke Zentren bringe, sondern: »Wie kann ich die Position politisch nutzen?« Für mich sind solche Sachen wichtig wie z.B. Obrint Pas auf Tour holen, sie in linken Läden und auf dem Mayday in Berlin spielen lassen. Wenn die bei einer anderen Booking-Agentur wären, dann würde das nicht laufen. Das ist genau das, was ich machen will.
Mario: Dazu müssen die Bands natürlich auch bereit sein. Rage Against The Machine z.B. haben ja auch mal bei einer Tour in Deutschland zwei Konzerte für die Prozesskosten der radikal gegeben…