Wenn sich die Acht in diesen sommerlichen Juni-Tagen im mondänen Kempinski-Hotel als »Chefs der Welt« präsentieren, werden außerhalb der »Roten Zone« Menschen aus Gewerkschaften, NGOs, Jugendverbänden, linken und antirassistischen Netzwerken, Antifa-Gruppen und vielen anderen Zusammenhängen gegen die G8 und die von ihnen vertretene Politik protestieren. Ob mit Segelbooten entlang der Küste, mit Sitz-, Steh- oder Materialblockaden auf den Zufahrtswegen nach Heiligendamm, direkten Aktionen in Rostocks Innenstadt oder Sit-ins vor den Hotels der Delegierten – für jedes Spektrum wird sich die geeignete Aktionsform finden.
Im Rahmen von FelS (Für eine linke Strömung) haben wir im Herbst vergangenen Jahres eine AG zum Thema G8 gegründet, die vor allem zwei Ziele hat(te): Erstens die Festlegung und Bearbeitung eines Themenschwerpunktes (Migration), der sich wie in roter Faden durch die G8-Mobilisierung ziehen soll, um den allein reaktiven Charakter unserer Aktionen zu minimieren und zweitens die Verbreiterung der Protestbasis durch aktive Bündnisarbeit im Dissent!-Spektrum1 einerseits und der Interventionistischen Linken (IL) – auf die wir später zurückkommen – andererseits.
Migration als Mobilisierungsschwerpunkt
Diese Schwerpunktsetzung entsprang den Erfahrungen mit den letzten Gipfeln, dem üblichen Agenda-Setting durch die G8 und den darauf bezogenen Reaktionen der NGOs. Statt nur zu reagieren, wollten wir ein eigenes Thema auf die Agenda setzen, das von der anderen Seite schwer zu instrumentalisieren ist, und das über den Prozess der Mobilisierung und die Tagung selbst hinaus als Bezugspunkt Bestand hat. Zuspitzung und Fokussierung schienen uns notwendig, um der linksradikalen Mobilisierung mit ihrer zu erwartenden diffusen Vielfalt eine Stoßrichtung zu verleihen und dem radikalen Protest ein deutlicheres Profil nach außen zu verschaffen.
Der Themenschwerpunkt Migration erfordert es, Bündnisse mit denen zu schließen, die von der neoliberalen Attacke im globalen Maßstab am ärgsten betroffen sind: den Menschen im Trikont und denjenigen, die gekommen sind, um im industrialisierten Norden zu leben. Mit einem breiten Spektrum von Bündnispartner/innen wollen wir die Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und Neokolonialismus, der Abschottungspolitik der G8, der IWF-Auflagenpolitik, mangelnden Einkommensmöglichkeiten in Herkunftsländern, Krieg und Verfolgung sowie Flucht- und Wanderungsbewegungen aufzeigen, drücken sich doch die vom Kapitalismus produzierten Widersprüche am deutlichsten im weltweiten Nord-Süd-Gefälle aus. Eine Linke, die sich radikalen gesellschaftlichen Veränderungen verschreibt, muss sich hierzu verhalten. Es geht darum, die soziale Frage global neu zu stellen und Migration (auch) als versuchte Verwirklichung des Anspruchs auf Teilhabe am Reichtum zu diskutieren. Fest steht, dass die Migrationskontrolle in Zeiten frei flotierender Kapitalströme zu einer der tragenden Säulen des Kapitalismus und der mit ihm verbundenen Ausbeutung geworden ist. Sich eindeutig und positiv auf unkontrollierte Migration zu beziehen und uneingeschränkt offene Grenzen zu propagieren, beinhaltet unserer Auffassung nach deshalb viel Sprengkraft.
Die taktischen Vorteile dieser Forderung bestehen darin, dass wir mit der deutlichen Positionierung gegen die gnadenlose EU-Abschottungspolitik ein von den NGO unterscheidbareres (linksradikales) Profil entwickeln, während wir uns gleichzeitig eindeutig gegen Rechte und Rechtspopulisten abgrenzen können, die versuchen auf den Widerstandszug aufzuspringen. Die Erfahrungen der Gipfelmobilisierungen der letzten Jahre haben immer wieder gezeigt, dass linke Forderungen und Themenfelder – nicht nur, aber insbesondere – von NGO-Seite in den herrschenden Diskurs übersetzt werden. Die Debatten rund um das Thema Verschuldung waren hier ein eindrückliches Beispiel. Mit der Forderung nach offenen Grenzen im Besonderen und globalen sozialen Rechten im Allgemeinen entgeht man dieser Vereinnahmungsproblematik und knüpft zugleich an aktuelle gesellschaftliche Debatten an, denn Migration und Prekarisierung sind in aller Munde. Zwei Bereiche innerhalb des Themenfeldes Migration sollen dabei im Mittelpunkt stehen: einerseits der Brückenschlag von den lokalen Kämpfen der MigrantInnen – insbesondere der Flüchtlinge in den Lagern Mecklenburg-Vorpommerns – zu Ausgrenzungs-, Sicherheits-, und Ausbeutungspolitiken der G8, andererseits das Verhältnis von globaler Bewegungsfreiheit und protektionistischen Gewerkschaftsansätzen. Durch diese Fokussierung soll eine Basis geschaffen werden, die die inhaltliche Arbeit auch über den Aktionstag hinaus trägt.
Startpunkt für die gruppenübergreifende Zusammenarbeit im Themenfeld Migration war die »AG Migration« auf dem »Dissent!«-Treffen in Berlin im Januar 2005, auf dem ein erster, guter Austausch zu Stande kam und die Koordination gemeinsamer Aktivitäten anlief. Weitere Treffen, bei denen sich der Kreis der Interessierten ausweitete, folgten. Dazu zählen der von No-Lager Bremen, Attac und FelS auf der ersten Aktionskonferenz in Rostock veranstaltete Workshop zu Migration und diverse gut besuchte Workshops und AGs auf dem diesjährigen BUKO in Berlin sowie weitere, vertiefende Veranstaltungen auf dem »Camp Inski«-Protestcamp Anfang August an der Ostsee. Die Idee, am 7. Oktober 2006 einen migrationspolitischen Aktionstag zu veranstalten, wurde dabei in den letzten Monaten immer mehr konkretisiert. Mit Blick auf 2007 geht es nun darum, über den linksradikalen Tellerrand hinaus verschiedene Organisationen, die im Themenbereich Migration tätig sind – etwa gewerkschaftliche Gruppen oder Vereine von MigrantInnen –, einzubinden und sie zu einem großen Bündnistreffen am 14./15. Oktober in Göttingen einzuladen. Der Themenschwerpunkt Migration soll mit dieser Perspektive neben dem inhaltlichen auch einen bündnispolitischen Bezugsrahmen bieten. Auf der Suche nach weiteren konkreten Bündnispartnern hat sich dabei vor allem die Zusammenarbeit mit der Interventionistischen Linken (IL) etabliert.
FelS im Bündnisdschungel
Die Interventionistische Linke versteht sich als Netzwerk linksradikaler Kräfte aus Zeitungsprojekten (z.B. ak, arranca! oder Fantomas), Gruppen wie FelS, Avanti oder der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) sowie Einzelpersonen aus bundesweiten Initiativen wie Attac, ›Krieg ist Frieden‹ oder Libertad. Diskutiert wird das Ziel der Herausbildung eines gegenhegemonialen Blocks, durch den linksradikale Positionen stärker in die Gesellschaft herein getragen und beispielsweise Minimalziele wie das der Delegitimierung der G8 einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Derzeit ist die G8-Mobilisierung ein zentrales Arbeitsfeld der IL, weshalb einige der in der IL vertretenen Gruppen ebenfalls im Dissent!-Netzwerk aktiv sind. Versuche, ein breites, bis ins NGO-Spektrum reichendes Bündnis ins Leben zu rufen, die Herausgabe einer G8-Massenzeitung (G8xtra), die regelmäßige Organisierung von Aktionskonferenzen und die Vorbereitung eines Massenblockadenkonzepts für den Gipfel stehen derzeit im Mittelpunkt. Alle vier Aspekte haben zum Ziel, den Protest auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Dabei ist es das Ziel der IL, eine Protestkultur und -praxis zu schaffen, die von keiner großen NGO-Allianz, keiner Linkspartei, keiner Regierung und erst recht nicht von der G8 selbst vereinnahmt werden kann.
Der von der IL angestoßene, über die eigene Vernetzungsstruktur hinausgehende, breite Bündnisprozess gestaltet sich streckenweise nicht einfach: Während auf Seiten des linksradikalen Dissent!-Spektrums die Berührungsängste gegenüber einer breiten Bündniskonstellation erstaunlich gering waren, sind die Vorbehalte von Seiten der Gewerkschaftsjugend, von entwicklungspolitischen NGOs und Umweltverbänden weiterhin groß. Die »professionelleren« Akteure haben sich bereits seit Anfang des Jahres in einem eigenen NGOBündnis zusammengeschlossen und zeigen sich bislang wenig interessiert, Bündnispartner links von Attac zu suchen. Die maßgeblich von der IL initiierte erste Rostocker Aktions-Konferenz stieß zwar auf großes Interesse, wurde aber nur begrenzt als Ort für die Koordinierung einer gemeinsamen G8-Mobilisierung akzeptiert, zumal nicht als Ort einer offenen, partizipativen Entscheidungsfindung. Zentrales Ziel der bis zum G8-Gipfel halbjährlich stattfindenden Aktionskonferenzen ist aber die Öffnung des ambitionierten Projektes der Gipfelprotest-Planung für möglichst viele Gruppen, Verbände und AktivistInnen.
Aus der Rostocker Aktionskonferenz gingen verschiedene Arbeitsgruppen hervor, so dass jetzt in AG-Zusammenhängen die Groß-Demo, das Widerstandscamp im Sommer 2007, Blockaden, Kultur-Events und der Gegengipfel zum G8-Gipfel geplant werden. So viele Vorteile diese Vorgehensweise insbesondere im Hinblick auf ihre Basisorientierung hat, so birgt sie doch auch Probleme, da die Gefahr besteht, dass stärkere, eher (im NGO-Rahmen) professionalisierte und zentralistisch organisierte Akteure die Fäden in die Hand nehmen und zum Beispiel einen Gegengipfel im Alleingang konzipieren. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Arbeitsgruppen auf zentraler Ebene zusammenzuführen, so dass verbindliche Absprachen unter allen Beteiligten getroffen werden können und ein ebenso solidarisches wie auch zielorientiertes Miteinander möglich ist. Da dieser Zusammenhang zunächst bedingungslos offen für alle Interessierten ist, hat die IL einen vier Punkte umfassenden Minimalkonsens als Grundlage für die bündnispolitische Zusammenarbeit formuliert: Das sind die Abgrenzung gegen Rechts, das Ziel der Delegitimierung der G8, die Akzeptanz der unterschiedlichen Aktionsformen und der Anspruch einer solidarischen Zusammenarbeit bei den Gipfelplanungen.
Auch wenn also eine breite Zusammenarbeit angestrebt wird, die auch Gruppen aus dem NGO-Spektrum umfassen soll, ist auf linker Seite auch eine gewisse Skepsis verbreitet: Die Erinnerung an den Gipfel- Protest 2005 in Gleneagles ist noch frisch, das Vorgehen der großen NGO mit seinem Rattenschwanz von professioneller – auch vereinnahmender – Medienpolitik und Live-Aid-Konzerten nicht vergessen. Um zu verhindern, dass die öffentliche Wahrnehmung der Gipfelproteste 2007 ähnlich wie 2005 in Schottland von inhaltsleeren Events wie den Live8-Konzerten dominiert wird, ist es dieses Mal das erklärte Bündnisziel, große Kulturveranstaltungen mit KünstlerInnen und MusikerInnen zu organisieren, die sich als Teil der radikalen Bewegung verstehen und sich nicht vor den Karren der G8 spannen lassen. Auch hier gilt: Selber machen, damit Geldof & Co nicht (allein) das Medienbild bestimmen.
Wir sehen in der Bündelung des Protests gegen die G8 schließlich nicht nur die Chance, gegen staatliche neoliberale Politiken und restriktive Migrationsregime vorzugehen. Darüber hinaus bietet die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel die Chance, eine Bewegung in Gang zu setzen, die die Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellt und die ihre Kritik, ihre Forderungen und Ideen für eine andere Welt über übliche Szenekreise hinaus gesellschaftlich sichtbar macht.