Neoliberale Menschenführung ist immer auch und vor allem psychologische Menschenführung: Sie zielt auf die einzelnen Menschen, die lernen sollen, ihre Gefühle produktiv zur Steigerung des eigenen Markterfolgs einzusetzen. Wir sollen nicht mehr nur – wie eh und je im Kapitalismus – fleißig und diszipliniert sein, sondern darüber hinaus motiviert, lernfreudig, konstruktiv, kreativ und – vor allem – allzeit flexibel und widerstandsfähig, kurzum: resilient. Wem das nicht einfach so gelingt, der oder dem bietet ein ausdifferenzierter Markt der Möglichkeiten eine Vielzahl von therapeutischen Dienstleistungen und Produkten an – von Coaching über Paarberatung und gewaltfreie Kommunikation bis hin zu Selbsthilfe-Ratgebern.

Therapeutisierung im Neoliberalismus

Es ist kein Zufall, dass in den letzten drei Jahrzehnten eine immer noch weiter expandierende Therapie- und Beratungsindustrie entstanden ist, die ebenso Reparaturwerkstatt wie Wunschfabrik ist: Neoliberalismus funktioniert wesentlich durch das Versprechen auf Selbstverwirklichung und Glück – darauf, dass beruflicher Erfolg, gesellschaftliche Anerkennung, die Entwicklung einer einzigartigen Identität plus, last but not least, jede Menge Spaß am Leben für jede*n erreichbar sind. Und das heißt im Umkehrschluss: Wer es nicht schafft, hat irgendwas falsch gemacht und muss lernen, besser und intensiver an sich selbst zu arbeiten.

«Wer es nicht schafft, hat irgendwas falsch gemacht»

Das Ganze folgt letztlich der Logik eines brutalen Optimismus: Die Anwendung der richtigen Psychotechniken vorausgesetzt, kann jede*r angeblich alles erreichen, was er*sie will – eine Verheißung, die vom regelmäßigen Scheitern der Wunscherfüllungen nur noch immer weiter angeheizt wird. Damit verbunden ist andererseits auch eine Drohung: Wer es nicht versteht, sich selbst auf die richtige Weise zu modulieren, und es etwa an Eigeninitiative, Kreativität, Enthusiasmus, Motivation oder Ähnlichem fehlen lässt, der*dem drohen Misserfolg, Abstieg und soziale Ächtung. Und schließlich lässt sich auch die Angst vor dem Scheitern therapeutisch bearbeiten: Niederlagen sollen als Lerngelegenheiten, Krisen als Chancen und prekäre Lebensbedingungen als Ansporn zur strategischen – und möglichst marktgerechten – Selbstveränderung aufgefasst werden.

«Verstärkt wird der Sog der Entpolitisierung durch den Umstand, dass Gesundheit im Neoliberalismus zu einem Synonym des ‹guten Lebens› schlechthin geworden ist.»

Der kritische Psychologe Morus Markard bezeichnet diesen Zusammenhang treffend als eine Form der ‹Entpolitisierung›. Im Zuge dieser werden objektiv gesellschaftlich verursachte Problemlagen – von der Prekarisierung der Arbeit bis zur Pflegekrise – vorrangig als persönliche Probleme aufgefasst und verhandelt. Verstärkt wird der Sog der Entpolitisierung durch den Umstand, dass Gesundheit im Neoliberalismus zu einem Synonym des ‹guten Lebens› schlechthin geworden ist, wobei wiederum insbesondere psychologisch fundierte Gesundheitskonzepte eine zentrale Rolle spielen.

Arbeite an deiner Belastbarkeit, begrüße die Krise!

Eine mögliche Unterbrechung dieser Logik blitzte kurzzeitig auf, als vor einigen Jahren erstmals die drastisch steigenden Zahlen psychischer, namentlich stressbedingter Leiden in den Medien breit thematisiert wurden. Plötzlich schien es notwendig und möglich, über belastende Arbeitsbedingungen, über die emotionalen Folgekosten der Entgrenzung und Flexibilisierung von Lohnarbeit bei gleichzeitig drohender Prekarisierung sowie über die – nach wie vor insbesondere von Frauen* vielfach erlebte – Unmöglichkeit, gesellschaftliche und berufliche Anforderungen zu verbinden, zu sprechen. Die Grenzen der Produktivmachung des arbeitenden Subjekts im neoliberalen Kapitalismus schienen auf der Hand zu liegen, und gewerkschaftliche Appelle nach gesetzlich verankerten Anti-Stress-Programmen und mehr Mitbestimmung in den Betrieben wurden laut.

Um eine längere Geschichte abzukürzen: Diese Rufe verhallten weitgehend ungehört, auch wenn das eine oder andere Unternehmen sich medial dafür loben lässt, am Wochenende den Email-Server abzustellen oder Überstunden besser zu kontrollieren. Nach wie vor rangieren psychische Leiden in der Hierarchie der Diagnosen für Arbeitsunfähigkeiten seit Jahren konstant weit oben, doch der Diskurs über die Ursachen hat sich in interessanter Weise verschoben. Das lässt sich gut an der zunehmenden Begeisterung für das Konzept der Resilienz aufzeigen. Die Aufforderung zur psychologisch gestützten Selbstoptimierung wird dabei nicht aufgehoben, sondern auf eine bestimmte Weise in neue Zusammenhänge gestellt.

«Aus Unternehmenssicht erscheint Resilienz als vielversprechender Ansatz zur Reduktion von kostenintensiven Arbeitsausfalltagen.»

Mit Resilienz gemeint ist eine flexible Widerstandsfähigkeit, die nicht nur Menschen, sondern auch Ökosysteme, Finanzmärkte oder Küstenstädte in die Lage versetzt, mit chronischem Stress, Krisen und Schocks so umzugehen, dass es zu keiner nachhaltigen Beeinträchtigung kommt. Im Zusammenhang mit arbeitsbedingtem Stress und Überlastung fungiert Resilienz regelrecht als neues Zauberwort, das den Einzelnen in Aussicht stellt, die intensive Vernutzung ihrer Arbeitskraft unbeschadet(er) überstehen zu können. Aus Unternehmenssicht erscheint Resilienz als vielversprechender Ansatz zur Reduktion von kostenintensiven Arbeitsausfalltagen. Resilienztraining, -coaching und -beratung im Kontext des betrieblichen Gesundheitsschutzes boomen.

Lernen sollen Beschäftigte dabei, mit ihren eigenen physischen, psychischen und sozialen Ressourcen so zu haushalten, dass sie auch längere Phasen extremer Überlastung und/oder Verunsicherung ohne nachhaltige Produktivitätseinbußen überstehen. Lernen sollen sie aber vor allen Dingen auch, dass steigende Arbeitsanforderungen, Personalmangel, unsichere Beschäftigungsperspektiven oder undurchschaubare Betriebsstrukturen quasi-natürliche Hintergrundbedingungen ihres Arbeitslebens sind, die mensch ebenso wenig sinnvoll in Frage stellen, kritisieren oder gar verändern kann wie die Tatsache, dass es nachts dunkel ist.

Resilienz zielt zentral auf Adaption, also auf die flexible Anpassung an sich rasch wandelnde und deshalb potenziell auch stets krisenförmige Umweltbedingungen. Vorausgesetzt wird dabei, dass Belastung einerseits unvermeidlich ist, die Grenzen der Belastbarkeit andererseits verschiebbar sind: Der idealtypische resiliente Mensch ist in der Lage, in sich selbst und seiner unmittelbaren Lebenswelt alle notwendigen Ressourcen zur Stärkung der eigenen Belastbarkeit zu mobilisieren – und erhebt zugleich keinerlei Anspruch darauf, seine ‹Umwelt› (das kann, je nach Kontext, der Arbeitsplatz, der Betrieb oder auch die Gesellschaft sein) verändern zu wollen. Gehörte die Bewältigung von Stress implizit immer schon zu Anforderungen, die der Kapitalismus an arbeitende Menschen stellt, so wird Stressresistenz unter der Überschrift Resilienz immer deutlicher und offensiver als Ressource verhandelt, die Menschen, wollen sie erfolgreich in die Arbeitsgesellschaft integriert sein oder bleiben, in sich selbst herstellen und steigern müssen.

Anpassung statt Konflikt und Kritik

Resilienz ist darüber hinaus aber auch ein eminent politischer Begriff, der im Vokabular internationaler Großorganisationen (zum Beispiel Weltbank, UN-Entwicklungsprogramme, Internationales Rotes Kreuz) bereits eine beeindruckende Karriere vorzuweisen hat. Im Kontext von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit kann das beispielsweise bedeuten, dass man unter der Überschrift ‹Community Resilience› Gemeinden und lokale Gemeinschaften darin anleitet, ihre vorhandenen Ressourcen so zu nutzen, dass sie auch im Katastrophenfall stabil und funktionsfähig bleiben. Verbunden damit ist ein grundlegender Paradigmenwechsel, demzufolge es nicht mehr um die Bekämpfung von Armut, Unrecht und Ungleichheit geht, sondern darum, dass bedrohte Bevölkerungen bzw. Bevölkerungsgruppen lernen, mit Krisen und Katastrophen zu leben – und dies auf eine für die Geber­institutionen möglichst kostengünstige Weise.

Innerhalb der EU ist Resilienz, wie Felix Syrovatka in der PROKLA analysiert hat, inzwischen zur «konzeptionellen Allzweckwaffe für jegliche Form der Problembewältigung» avanciert. Zum Beispiel werden in dem Staatenbündnis Lohnsenkungen, der Abbau von Beschäftigtenrechten und die Kürzung von Staatsausgaben damit gerechtfertigt, dass sie die EU gegenüber unvermeidlichen Weltwirtschaftskrisen ökonomisch resilient machen würden. Auch die Politik der ‹Troika› gegenüber Griechenland folgte in diesem Sinne einer Logik der Resilienz: Die griechische Bevölkerung sollte lernen, mit den angeblich unvermeidlichen drastischen Einschnitten in ihren Staatshaushalt samt aller Konsequenzen zu leben und dies als zwar harte, letztlich aber überaus lehrreiche Folge ihres angeblich unangemessenen Lebensstils zu akzeptieren.

Resilienz als politisches Programm zielt, kurz gesagt, nicht auf sozialen Fortschritt, sondern auf Akzeptanz des Unvermeidlichen. Zur Meisterschaft bringt es dabei, wer Krisen nicht bloß akzeptiert und bewältigt. Individuen und Kollektive sollen lernen, Krisen, Katastrophen und Traumata nicht als biographischen Einbruch oder Rückschlag aufzufassen, sondern, im Gegenteil, als Gelegenheit für Entwicklung und Wachstum. Der ‹grausame Optimismus› wandelt sich im Zeichen von Resilienz somit in die optimistische Beschwörung der Katastrophe. Elegant hat dies zum Beispiel Judith Rodin, die ehemalige Präsidentin der einflussreichen Rockefeller-Stiftung, mit der Formulierung von der «Dividende der Resilienz» auf den Punkt gebracht: «Never let a good crisis go to waste».

Genau dies ist auch die Botschaft von Resilienz als individuellem Stressbewältigungsprogramm: Begreife deine Umwelt als ebenso unsichere wie nicht verhandelbare Systembedingung, in der du dich nur mit gut ausgebauten sozialen und emotionalen Kompetenzen bewegen kannst; stelle dich darauf ein, dass es immer schlimmer kommen kann als befürchtet, nutze diese Einsicht als dein ganz persönliches Erfolgsrezept – und komm bloß nicht auf die Idee, dass sich an den Bedingungen, die dir die Lebensfreude nehmen oder dich sogar krank machen, strukturell etwas verändern lässt.

Lässt sich gegen Resilienz als Lebensführungs- und Krisenbewältigungsprogramm Widerstand leisten – und wenn ja, wie? Der erste Schritt ist sicherlich, die in das Konzept eingelassene Logik zu verstehen und zu erkennen. Wie so oft bei neoliberalen Modeworten setzt auch der Begriff der Resilienz an einer Alltagserfahrung an, die erstmal unproblematisch ist: dass manche Menschen Krisen besser bewältigen als andere. Und wer wünscht sich nicht, aus Krisen- oder gar traumatischen Situationen gut herauszukommen? Das Problem der Resilienz ist deshalb nicht diese Kernaussage, sondern ihre Übertragung aus der alltäglichen Lebenswelt in eine gesellschaftliche und politische Handlungsnorm – und die damit verbundene Botschaft, dass gesellschaftliche Bedingungen selbst nicht (mehr) verhandelbar sind.

Dagegen wiederum lässt sich Widerstand leisten, indem man sich selbst und anderen immer wieder klar macht, dass schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen keineswegs Naturereignisse oder unabänderliches individuelles Schicksal sind, sondern auf spezifische politische Entscheidungen, Machtkonstellationen und -interessen zurückverweisen. Richtungsweisend sind in diesem Zusammenhang Arbeitskämpfe wie der Pflegestreik an der Berliner Charité, weil sie die Auswirkungen und Folgen eines ökonomisierten Gesundheitswesens auf Pflegekräfte und Patient*innen öffentlich sichtbar und zugleich deutlich machen, dass sinnvolle Veränderungen der Rahmenbedingungen durchaus möglich sind.

Im Grunde ist jede Form kollektiven Handelns, die auf eine Veränderung von strukturellen Bedingungen zielt und sich weigert, gesellschaftlich verursachte Probleme individuell aufzufangen und zu kompensieren, bereits ein Akt der Verweigerung gegenüber der Logik der Resilienz. Wie sich solche Verweigerungsakte emanzipatorisch aufgreifen und ausbauen lassen, bleibt zu diskutieren.