Das Personenstandsgesetz

Im Dezember 2018 wurde das Personenstandsgesetz §45b (PStG) vom Bundestag verabschiedet. Seitdem ist es möglich Vornamen und den Personenstand, also den Geschlechtseintrag, in der Geburtsurkunde zu ändern: Neben ‹männlich› und ‹weiblich› nun auch ‹divers› – die sogenannte 3. Option – oder den Geschlechtseintrag frei zu lassen. Offiziell gilt dieses Gesetz ausschließlich für intergeschlechtliche Personen. Nötig ist eine ärztliche Bescheinigung, die das Vorliegen einer ‹Variante der Geschlechtsentwicklung› bestätigt. Aktuell wurde diese Regelung durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 22. April 2020 auf bestimmte intergeschlechtliche Personen eingeschränkt. Eine Verfassungsklage gegen dieses Urteil läuft noch. Zudem wurden die Auswirkungen des Gesetzes nicht „zu Ende gedacht“. Zahlreiche rechtliche Anpassungen stehen noch aus, um Menschen mit dem Personenstand divers Situationen zu ersparen, für die es derzeit keine Regelungen gibt.

Tagebucheintrag, 07.10.2019: Es wäre so viel drin gewesen. Die Streichung aller Angaben zum Geschlecht aus offiziellen Dokumenten oder zumindest die Möglichkeit zur Namens- und Personenstandsänderung für Inter*- und Trans*-Personen ohne ärztliche Bescheinigung. Aber nein. Die Gate-Keeping-Funktion des binär-denkenden cis-normativen Gesundheitssystems wird aufrechterhalten. Herzlichen Glückwunsch. Danke für nix.»

Der Praxisbesuch war ein schlechter Witz. Meine Gynäkologin hatte keine Zeit. Anstatt mir einen anderen Termin zu geben, wurde ich dann von ihrem Kollegen aufgerufen. Der dachte, ich bräuchte kurzfristig ein Rezept für die Pille. Auch nachdem er gecheckt hatte warum ich da war, hat er mich konsequent weiter weiblich angesprochen. Er sei unter anderem auf ‹Sexualstörungen› spezialisiert. Echt jetzt?! Mit dem Gesetz hätte er sich allerdings bisher noch nicht beschäftigt. Darum könnte er mir jetzt nicht einfach eine Bescheinigung ausstellen. Schon gar nicht, wenn ich nichts Schriftliches als ‹Beweis› hätte. Er würde mich ja nicht kennen. Da müsste er mir ja vertrauen, dass ich ihm die Wahrheit sage. Ach so! Und wer sonst soll eine qualifizierte Aussage über meine Geschlechtsidentität treffen können?! Und was genau hätte ich davon ihn anzulügen? Wirklich, verlockend in eine ärztliche Praxis zu gehen, sich von oben herab behandeln und mit indiskreten Fragen löchern zu lassen, um eine Bescheinigung zu erbitten, die sagt: «Dieser Mensch ist nicht normal. Dieser Mensch ist krank.» Um das in alle offiziellen Dokumente eintragen zu lassen, damit zukünftig alles komplizierter ist. Ständig kommen dann Nachfragen, spätestens wenn es um Krankenhausaufenthalte, Schwangerschaften oder Adoptionsverfahren geht.

Ich habe dem Arzt Infomaterial da gelassen. Ich solle eine Woche später wiederkommen. Er könne aber nicht versprechen, sich bis dahin einzulesen. Und seine Entscheidung, ob er mir die Bescheinigung dann ausstellt oder nicht, könnte er natürlich auch nicht vorhersagen.

Dann hat er eine Untersuchung vorgeschlagen, weil die letzte Krebsvorsorge schon eine Weile her wäre. Ich habe ja gesagt, weil ich das gern abhaken wollte. Keine gute Idee … Er hat nach dem Abstrich dann gesagt, er mache dann noch schnell einen Ultraschall, um sich selbst ein Bild zu machen. Absurd. Ultraschall gehört nicht zum Standard der Vorsorgeuntersuchung. Einige Ärzt*innen empfehlen die Untersuchung und rechnen sie dann als Individuelle Gesundheitsleistung ab. Er hat mich aber, ohne, dass ich darum gebeten hätte, ausführlich geschallt, um dann zufrieden mitzuteilen, er dokumentiere nun, dass bei mir die inneren und äußeren weiblichen Geschlechtsorgane ordnungsgemäß angelegt seien. Na, super. Das hätte ich ihm auch sagen können … Als wollte er mir beweisen, dass ich eine Frau bin und nicht inter, also logischerweise auch nicht divers. Und das ganze zwischen meinen Beinen stehend, während ich auf dem gynäkologischen Stuhl liege.

Letztlich ist es genau wegen dieser Art ‹Mensch›, dass ich es mir so gut vorstelle, den geänderten Namen und Personenstand zu haben. Ganz offensichtlich scheint ja Schriftliches für ihn relevanter und glaubwürdiger als meine Person und meine Aussage.

«Wie ausgeliefert und abhängig ich in meinem Anliegen von dem Verständnis und dem ‹guten Willen› einer ärztlichen Person bin, ist mir da erst richtig klar geworden.»

Nach dem Termin ging es mir erstmal schlecht. Wie ausgeliefert und abhängig ich in meinem Anliegen von dem Verständnis und dem ‹guten Willen› einer ärztlichen Person bin, ist mir da erst richtig klar geworden.

Die Bescheinigung habe ich letztlich von einem Arzt bekommen, den ich persönlich kenne. Aber das Glück hat nicht jede*r. Und deshalb braucht es definitiv einen anderen Umgang, der selbstbestimmte Entscheidungen für alle Menschen aller Geschlechtsidentitäten ermöglicht!