Die Corona-Pandemie hat in den letzten Monaten schmerzlich hervortreten lassen, dass der stationäre Gesundheits- und Pflegesektor bereits zuvor durch wachsenden Kostendruck und zunehmende Profitorientierung chronisch unterfinanziert war und nur durch die Ausbeutung von oftmals migrantischen Pflegearbeiter*innen oder unbezahlten pflegenden Angehörigen am Laufen gehalten wird. Weder die Engpässe an medizinischen Schutzmaterialien, das Versäumnis der Klinikkonzerne und Länder, Intensivbettenkapazitäten für einen Pandemiefall vorzuhalten, noch die akute Überbelastung und Gefährdung des Pflegepersonals durch eine Lockerung des Arbeitsschutzes – z. B. durch die Genehmigung von 12-Stunden-Schichten oder eine fehlende Bereitstellung von funktionalen Atemschutzmasken – sind zu verstehen, ohne einen genaueren Blick auf das Geschlechterverhältnis in der Pflege zu werfen. Trotz der schlechten Arbeitsbedingungen von Pflegekräften in den Kliniken darf die Kritik dieser Verhältnisse allerdings nicht bei der Krankenhauspflege stehen bleiben.

Frauen* machen Pflege – immer noch

Pflege ist Teil sogenannter ‹Care›- oder ‹Sorgearbeit› und muss damit als Teil sozialer Reproduktion – aller für die Wiederherstellung von menschlicher Arbeitskraft benötigten Tätigkeiten – begriffen werden. Die soziale Reproduktion verläuft unter kapitalistischen Bedingungen per se krisenhaft, prekär und widersprüchlich. Profitmaximierung als Zweck von Staat und Kapital steht der Bedürfnisbefriedigung der Menschen entgegen. Sie verändert sich jedoch je nach politischen und materiellen Rahmenbedingungen. In den gegenwärtigen neoliberalen Verhältnissen bedeutet das die In-Wert-Setzung vieler Reproduktionsarbeiten, die unter ‹Pflege› subsumiert werden, in Institutionen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen. Ökonomisierung und Privatisierung führen seit den 1970er Jahren zu gravierenden Umstrukturierungen in der professionalisierten Pflege zu Lasten von Beschäftigten, Patient*innen und Angehörigen. Gleichzeitig findet nach wie vor ein Großteil von Pflegearbeit unbezahlt in den Haushalten, vornehmlich entlang der Norm der bürgerlichen Kernfamilie strukturiert, statt. 76 Prozent der rund 3,4 Millionen gemäß Pflegeversicherungsgesetz pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden in privaten Haushalten versorgt, davon 1,76 Millionen ausschließlich durch Angehörige, weitere 830.000 von ambulanten Pflegediensten, fast immer zusätzlich zu Angehörigen. Die Zahlen des statistischen Bundesamtes weisen darauf hin, dass die Zahl derer, die Pflege zu Hause erhalten, ansteigt und vorrangig von Frauen* durchgeführt wird (2016: 68 Prozent), wobei auch zunehmend mehr Ehefrauen* durch ihren Partner* gepflegt werden.

«Gleichzeitig findet nach wie vor ein Großteil von Pflegearbeit unbezahlt in den Haushalten, vornehmlich entlang der Norm der bürgerlichen Kernfamilie strukturiert, statt.»

Betrachtet man die gesellschaftliche In-Wert-Setzung von Sorgearbeit über den historischen Verlauf, so wird deutlich, dass sie selbst vergütet a) überwiegend von Frauen* ausgeführt wird und b) ihre Vergütung im Verhältnis zu Tätigkeiten, die dem ‹klassischen› Industrie- und Produktionssektor zugeordnet werden, niedriger und prekärer ausfällt. Dass Pflege bezahlt wird, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Geschichte der Profession zeigt einen langen Weg von der «Ordensschwester» über die «Gesundheits- und Krankenpflegekraft» zur relativ neuen Berufsbezeichnung «Pflegefachpersonal». Nach wie vor wird auch der Beruf der Pflegekraft mehrheitlich von weiblichen Personen ausgeführt. Zahlen des Bundesamtes für Statistik von 2017 zeigen, dass insgesamt 75,8 Prozent der in Gesundheitsberufen angestellten Personen Frauen* sind. In den Krankenhäusern arbeiten 871.000 weibliche und 284.000 männliche Pflegekräfte (75,4 zu 24,6 Prozent). In Bereichen wie der ambulanten Pflege liegt das Verhältnis der weiblichen Pflegekräfte bei 328.000 zu 50.000 (86,8 zu 13,2 Prozent), wohingegen in Rettungsstellen das Verhältnis 46.000 zu 21.000 beträgt (68,7 zu 31,3 Prozent). Auf den Intensivstationen lässt sich ein ähnliches Geschlechterverhältnis beobachten. Die Zahlen sprechen für sich: je weniger (an)gesehen und prekärer, desto weiblicher.

«Der Weg vom tradierten Pflegeverständnis, dem zufolge die aufopferungsvolle Krankenschwester* im Sinne einer Hausfrau*en oder Müttern* zugeschriebenen natürlichen Berufung als Frau* Kranke selbstverständlich “aus Liebe” umsorgt, hin zur professionellen Fachkraft wurde durch die zunehmende Ökonomisierung der Krankenhäuser flankiert.»

Von der Schwester zur Pflegefachkraft

Der Weg vom tradierten Pflegeverständnis, dem zufolge die aufopferungsvolle Krankenschwester*im Sinne einer Hausfrau*en oder Müttern* zugeschriebenen natürlichen Berufung als Frau* Kranke selbstverständlich «aus Liebe» umsorgt, hin zur professionellen Fachkraft wurde durch die zunehmende Ökonomisierung der Krankenhäuser flankiert. Diese erfuhr mit dem 2003 eingeführten Finanzierungssystem nach Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups - DRGs) ihren bisherigen Höhepunkt. Ursprünglich als caritative Orte mit dem bevölkerungspolitischen Ziel der Genesung und Wiederherstellung von Arbeitskraft eingeführt, sind Krankenhäuser heute vor allem monetären Werten untergeordnet. Es ist unter den gegebenen politischen Rahmenbedingungen inzwischen notwendig, nicht nur die laufenden Kosten des Klinikbetriebs zu decken, sondern mit Gesundheit als Dienstleistung genügend Profit zu machen, um im (inter)nationalen Wettbewerb der Klinikketten und Finanzinvestoren bestehen zu können. Die fatalen Folgen der daraus resultierenden Personalkürzungspolitik lassen sich allerdings immer weniger unwidersprochen nach außen vermitteln und riefen breiten Protest von Seiten der Belegschaften und schließlich auch gesellschaftlichen Unmut gegenüber der Behandlungssituation in den Kliniken auf den Plan.

Widerstand gegen die Ökonomisierung der Pflege

Skandalisierungen, Gefährdungsanzeigen und Streiks waren der Beginn einer bundesweiten Bewegung, in der zahlreiche Pflegekräfte deutlich machten: «Mehr von uns ist besser für Alle!».

«Ein Streik ist also noch lange nicht feministisch, nur weil er Tätigkeiten betrifft, die überwiegend von Frauen* verrichtet werden.»

Die Streiks an immer mehr Krankenhäusern in den letzten Jahren – allen voran der Belegschaft der Berliner Charité, deren Pflegepersonal 2013 erstmals in einen Streik trat, gefolgt unter anderem von streikenden Reinigungs- und Servicekräften im letzten Jahr – sind ermutigend. Allerdings lässt sich ein strategischer Interessenskonflikt zwischen den gewerkschaftlich geprägten Streiks der Pflegearbeiter*innen im Lohnarbeitsverhältnis um eine höhere Vergütung, mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen und dem feministischen Kampf um das Geschlechterverhältnis der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung erkennen. Zwar dürfte genau genommen nicht von ‹der› Pflegebewegung gesprochen werden, denn sie ist nicht homogen. Ihr angriffs- und streiklustiges Subjekt tritt aber häufig als ein geschlechtsloses auf – ganz in Anlehnung an den männlichen Fabrikarbeiter der Arbeiterbewegung. Denn eine der Strategien, die Aufwertung der Pflegeprofession im Arbeitskampf zu erreichen, ist die Angleichung des Pflegeberufsbilds an gesellschaftlich akzeptierte Zuschreibungen von Produktivität und Wert. Diese bewegen sich jedoch fast ausschließlich innerhalb männlich konnotierter und rationaler Kriterien – dem patriarchalen Kapitalismus. Auch werden die Kämpfe der Pflegebewegung in den Krankenhäusern und auf der Straße sichtbar geführt. Sie reproduzieren dabei aber in ihrer Schwerpunktsetzung oft ungewollt die Spaltung von Care-Arbeiter*innen in sichtbar/unsichtbar, öffentlich/privat, bezahlt/unbezahlt und damit in männlich/weiblich. Ein Streik ist also noch lange nicht feministisch, nur weil er Tätigkeiten betrifft, die überwiegend von Frauen* verrichtet werden. Es fehlt uns, dass nicht die Verbindungen zwischen bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit und sozialen Ungleichheitsachsen, Klasse, Geschlecht und Herkunft hergestellt werden.

Transnationale Sorgeketten

Denn kommt es im Ergebnis nur in bestimmten Feldern der Krankenhauspflege zu einer Aufwertung und deswegen zu attraktiveren Arbeitsbedingungen, geht diese Aufwertung in der bestehenden Marktlogik einher mit der Abwertung und Prekarisierung anderer Pflege- und Care-Tätigkeiten: Die Care-Krise in einem Bereich wird an das nächste Glied einer Kette weitergegeben. Es kommt zur Bildung sogenannter Sorgeketten entlang von Professionalisierung und Transnationalisierung (in der feministischen Ökonomie auch als Global Care Chains bezeichnet), die im neoliberalen Kapitalismus kennzeichnende Mechanismen für die Restrukturierung von Sorgearbeit sind. Das lässt sich insbesondere im häuslichen Bereich der Pflege beobachten. Sowohl die private Pflege durch unbezahlte Angehörige, als auch Pflegearbeit durch ambulante Pflegedienste oder Einzelpersonen, sind gar nicht bzw. schlecht vergütet und körperlich sowie emotional oft sehr belastend. Weiblich konnotierte Merkmale von Pflegearbeit, wie Sich-Kümmern und Beziehungsaufbau, überwiegen bei der Pflegearbeit in Privathaushalten. Für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung wird Pflegepersonal vermehrt in osteuropäischen Ländern angeworben. Vor Ausbruch der Corona-Pandemie befanden sich geschätzt rund 300.000 osteuropäische ambulante Pflegekräfte in Deutschland. Die migrierten Pflegefachkräfte, die den Arbeitskräftemangel an ihrem neuen Arbeitsplatz ausgleichen, sind zumeist Frauen*. In ihren Herkunftsländern selbst allerdings werden neue Engpässe erzeugt: Dort entsteht ebenfalls ein Fachkräftemangel, der wiederum teilweise von Arbeitskräften aus noch ärmeren Nachbarländern gedeckt wird – so kommt es zur Bildung eben jener transnationalen oder globalen Sorgeketten. Die der Tochter* zugeschriebene Care-Arbeit, die die Pflege der eigenen Eltern aber nicht bewerkstelligen kann oder will und über genügend Geld verfügt, wird damit an Frauen* aus den wirtschafts- und strukturschwachen Gebieten Europas ausgelagert. Care- und Pflegearbeit bilden damit als Dienstleistungen eine transnational gefragte Ware. Diejenigen Frauen*, die hier ihre Arbeitskraft verkaufen und sich ausbeuten lassen, entlasten besser gestellte, in der Regel weiße Frauen*. Zumeist sind es eben Migrant*innen und häufig Women* of Color, die jene Care-Tätigkeiten kostengünstig übernehmen, welche hier zu Lande abgewertet werden. Denn sie gelten als Arbeiten, die von Lai*innen erledigt werden könnten bzw. von Frauen* allein aufgrund ihres Geschlechts in besonderem Maße beherrscht würden. Sie werden somit nicht als professionell verstanden.

Die Herausbildung der transnationalen Sorgeketten ist Zeugnis davon, dass sich die ungleiche Verteilung von Sorge- und Pflegetätigkeiten nicht nur zwischen Männern* und Frauen* vollzieht, sondern reproduktive Aufgaben hauptsächlich unter Frauen* entlang der sozialen Ungleichheitsachsen weitergegeben werden.

Corona – (k)ein Ende der Ausbeutung in Sicht?

Die mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie erfolgte Schließung der deutschen Grenzen führte dazu, dass viele Pflegekräfte ihre Arbeit hierzulande nicht mehr antreten konnten, denn etwa 90 Prozent der osteuropäischen Pflegekräfte arbeiten illegalisiert und haben keine Einreiseerlaubnis. Aber selbst bei legalisierten Verträgen konnte die Einreise dazu führen, dass die Pfleger*innen zunächst einer vierzehntägigen Quarantäne ausgesetzt wurden, ohne dass die Frage nach einer finanziellen Entschädigung für diesen Zeitraum verbindlich geklärt wurde. Dazu kamen Sorgen um die eigene Zukunft und darum, sich und andere anzustecken. All diese Faktoren führten bereits zu Beginn der Corona-Krise zu Versorgungslücken in der häuslichen Pflege. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege rechnet damit, dass bei fortlaufender Krise 100.000 bis 200.000 alte und kranke Menschen davon betroffen sein werden.

Es schien daher zunächst so, als würden die gesundheitspolitisch notwendigen Corona-Maßnahmen die transnationalen Sorgeketten für einen Moment unterbrechen. Doch zügig wurde gegengesteuert: Zum Beispiel wurde im Nachbarland Österreich schnell ein «Bleib-Da-Bonus» in Höhe von 500 Euro für ausländische Pflegekräfte eingeführt, wenn sie ihren Arbeitseinsatz um vier Wochen verlängerten. Im Zuge dessen wurde in Politik und Öffentlichkeit weder der prekäre Status von Pflegearbeit an sich ausreichend thematisiert oder in Frage gestellt, noch eine Debatte darüber geführt, wieso genau diese Arbeit bei den Österreicher*innen eigentlich so unbeliebt ist. Es ging darum, um jeden Preis die im Vorfeld etablierten neoliberalen Versorgungspraxen und -strukturen aufrechtzuerhalten.

Auch in Deutschland steht die Entscheidung darüber noch aus, ob es in Zukunft weiterhin bei Applaus für die nun plötzlich zynischerweise als «systemrelevant» entdeckte Pflege bleiben wird und Pflegearbeit weiterhin vorrangig von Frauen* verrichtet und zwischen ihnen weitergereicht werden wird, oder es tatsächlich zu einer progressiven Restrukturierung der Herrschaftsverhältnisse kommt. Denn eigentlich hat der gesellschaftliche Wert des Sich-umeinander-Kümmerns in dieser Zeit stark an Gehalt und Relevanz gewonnen. Dennoch kann es passieren, dass z. B. einmalige Auszahlungen, wie Corona-Prämien für Altenpflegekräfte, nur auf das Momentum der Krise beschränkt bleiben und die gesellschaftliche Notwendigkeit auf dem Rücken von Pflegekräften und Angehörigen weiter ignoriert wird.

Es liegt an uns, nach der Pandemie den Kampf ums Ganze der patriarchalen Arbeitsteilung fortzuführen und uns gemeinsam dafür einzusetzen, dass Pflege- und Sorgetätigkeiten dem neoliberalen Markt entzogen werden. Uns dafür einzusetzen, dass nicht monetäre, an der industriellen Produktion orientierte und standardisierte Größen ihre In-Wert-Setzung und den Arbeitsalltag diktieren. Uns dafür einzusetzen, dass nicht die Ausbeutung entlang von Sorgeketten fortbesteht, sondern solidarische Sorgepraxen für alle möglich werden. Die gestern noch als «Held*innen der Krise» Gefeierten und Besungenen dürfen heute nicht zu den größten Verlierer*innen der globalen Krise und folgenden Rezessionen werden.