Im Fokus der sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen steht deren Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu «eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten» (§ 1 SGB VIII) – eine Voraussetzung für Gesundheit auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Dies geschieht unter anderem in offenen Jugendtreffs, Erziehungsberatungsstellen oder Kinderheimen, wo betreuende, beraterische, therapeutische und erzieherische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und gegebenenfalls ihren Sorgeberechtigten stattfindet.

Die Neoliberalisierung des Gesundheits- und Sozialwesens hat allerdings nicht vor der Sozialen Arbeit Halt gemacht. Spätestens seit Ende der 1990er Jahre werden auch in der Kinder- und Jugendhilfe die Kosten so stark wie möglich gedrückt, unter anderem durch die Einführung des ‹Neuen Steuerungsmodells›1: Die Kommunen verhandeln mit den Trägern, welche die Leistungen anbieten, über Stundensätze und Sachkosten oder finanzieren die Einrichtungen mit Projektverträgen. Die Träger wirtschaften nach einer gewinnorientierten Logik und konkurrieren untereinander. Besonders schwer haben es Angebote der offenen Jugendarbeit oder Beratung für Geflüchtete, sie werden als erstes ersatzlos gestrichen und stehen unter hohem Rechtfertigungsdruck. Zum Teil müssen sie jährlich neue Finanzierungsanträge stellen. Um Aufträge zu bekommen, senken die Träger die Personalkosten und versuchen sich mit dem zuständigen Jugendamt möglichst gut zu stellen. Welche Leistungen sie anbieten können, hängt von den Entscheidungen des Jugendamts ab, nicht von den Bedürfnissen der Klient*innen2. Dies erschwert vor allem in kleinen Gemeinden oftmals auch die konkrete Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden der Jugendämter, weil die Angestellten der Träger stets wissen, dass ihr Arbeitsplatz von deren Arbeitgeber finanziert wird.

Flexibilisierung, Verdichtung und Individualisierung

In der Kinder- und Jugendhilfe passiert das Gleiche, was Autorin Gabriele Winker für Altenpflege und Kindertagesstätten beschreibt: Effizienzsteigerung ist in Bereichen, in denen mit Menschen gearbeitet wird und wo die Arbeit aus Interaktion und Kommunikation besteht, kaum möglich, ohne dass die Qualität der Arbeit sinkt. Denn die Ökonomisierung von Care-Arbeit führt zwangsweise zu Flexibilisierung, Verdichtung und Individualisierung der Arbeit und damit zu einer enormen Mehrbelastung für die Beschäftigten. Eigentlich erfordert diese Art von Arbeit aber Zeit, Kreativität, Beziehung, viel Geduld und hohe fachliche Kompetenzen. Unter ökonomischem Druck aber werden die Personalkosten gesenkt, indem Stellen gestrichen oder Beschäftigte mit geringeren fachlichen Qualifikationen angestellt werden. Personalknappheit, hohe Fluktuation, niedrige Löhne und befristete Verträge sind die Folge. Gleichzeitig haben sich Bürokratie und Anforderungen an Dokumentation deutlich erhöht. Da bleibt kein Raum für Selbstfürsorge. Unter all diesen Maßnahmen leiden die Gesundheit der Beschäftigten und die Qualität ihrer Arbeit erheblich.

«Effizienzsteigerung ist in Bereichen, in denen mit Menschen gearbeitet wird und wo die Arbeit aus Interaktion und Kommunikation besteht, kaum möglich, ohne dass die Qualität der Arbeit sinkt.»

Während Trägerkonzepte und die Beschäftigten selbst meist ressourcenorientierte, respektierende und wertschätzende Einstellungen gegenüber Klient*innen vertreten, finden sie sich jedoch tagtäglich in einem System wieder, das sein Menschenbild der Forderung nach Wirtschaftlichkeit angepasst hat: Eine Person ist gerade so viel wert wie ihre Arbeitskraft. Damit stehen Defizite statt Ressourcen im Vordergrund und Probleme werden individuellem Versagen zugeschrieben. Die Leistungen, die Menschen vom Staat bekommen, sind davon abhängig, wie viel Arbeitskraft sie später einbringen. Es wird gefragt, für welche Zielgruppen sich welche Kosten lohnen, und nicht, welche Bedürfnisse diese haben. Auch Soziale Arbeit und Psychologie können so der Reproduktion von Arbeitskraft dienen, indem sie kontrollieren und disziplinieren. Die Beschäftigten arbeiten stets im Widerspruch zwischen ihrer Orientierung an den Bedürfnissen der Klient*innen und dieser ihnen staatlich zugeordneten Kontroll- und Disziplinierungsfunktion. Gleichzeitig erleben sie in ihrer Arbeit, wie strukturelle Diskriminierungsmechanismen wirken. Gesellschaftliche Bedingungen, wie zum Beispiel das prekäre Leben mit Hartz IV, bringen Menschen an ihre emotionalen, psychischen und physischen Grenzen. Bei Geflüchteten steht die ‹Integration› im Vordergrund der sozialarbeiterischen Ziele. Insbesondere für minderjährige Geflüchtete finden die UN Kinderrechtskonvention und das Recht auf Kindeswohl kaum Anwendung. Dies wird mit einem Blick auf die sogenannten Ankerzentren besonders deutlich. In Einzelfällen können Care-Beschäftigte diesen Mechanismen entgegenwirken, insbesondere wenn sie sich zusammentun, aber diese zusätzlichen Anstrengungen belasten die Beschäftigten oft weit über ihre (emotionalen) Grenzen hinaus. Ihre Kräfte fehlen dann oft an anderen Enden.

«Die Beschäftigten arbeiten stets im Widerspruch zwischen ihrer Orientierung an den Bedürfnissen der Klient*innen und der ihnen staatlich zugeordneten Kontroll- und Disziplinierungsfunktion.»

Die Care empfangenden Personen sind häufig vulnerable Personen wie Kinder und Jugendliche in multiplen Problemlagen, die zum Beispiel von Armut und psychischen Erkrankungen betroffen sind oder sich in akuten Krisen befinden. Das bringt eine hohe Verantwortung für die Carearbeiter*innen mit sich und erfordert stetige Selbstreflexion und Selbstfürsorge. Diese muss außerhalb der Arbeitszeiten eigenverantwortlich gesucht werden, es gibt kaum einen kollektiven Umgang damit. Durch die Diskrepanz zwischen der eigenen Motivation und den Bedingungen des Systems versuchen die Beschäftigten, sich bestmöglich anzupassen und die Belastungen möglichst nicht an die Klient*innen weiterzugeben. So wird der Ausfall von Kolleg*innen durch Mehrarbeit ausgeglichen oder Beschäftigte zögern lange, sich krank zu melden.

In Care-Berufen führen psychische Erkrankungen besonders häufig zu Arbeitsunfähigkeit, und die hier Beschäftigten laufen somit ein erhöhtes Risiko, selbst zu Care-Empfangenden zu werden. Wie unter einem Brennglas treffen in der Sozialen Arbeit die krank machenden Lebens- und Arbeitsbedingungen des neoliberalen Spätkapitalismus zusammen.

Gemeinsame Perspektiven für Veränderung

Aktuell sind ca. 25 Prozent der Sozialarbeiter*innen in Gewerkschaften organisiert.3 Dazu kommen Fachverbände als zusätzliche Interessensvertretungen. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ist diese Zahl eher hoch, dennoch findet Arbeitskampf im Bereich der Sozialen Arbeit kaum statt.

Streik ist – wie auch in anderen Care-Berufen – schwierig umzusetzen, weil die Care empfangenden Personen als erste den Entzug der Arbeitskraft spüren und dies für sie zu konkreten Nachteilen führen kann. Das Verantwortungs- und Identifikationsgefühl vieler Care-Arbeitenden ist hoch, und selbst bei schlechten Arbeitsverhältnissen belasten sie sich eher selbst noch stärker oder nehmen den Mangel fachlicher Qualität in Kauf, der mit knappen Ressourcen einhergeht, als in den Streik zu treten.4 Hinzu kommt Loyalität gegenüber dem eigenen Träger, der bei Arbeitsniederlegung mit Konsequenzen seitens des Jugendamts rechnen muss.

Sinnvoller Widerstand sollte sich gemeinsam mit den Klient*innen, den Arbeitgebenden und den Beschäftigten des Jugendamtes gegen die Ökonomisierung der sozialen Infrastruktur richten. Ziel ist dabei die Vergesellschaftung sozialer Infrastruktur, also zunächst die Rekommunalisierung, dann die Demokratisierung der Einrichtungen. Damit sind die Adressat*innen des Kampfes Verwaltungsapparate und politische Akteur*innen. Die Organisierung eines solchen Widerstandes ist schwierig, weil sich die Trägerlandschaft in viele dezentrale kleine Einrichtungen gliedert. Die vorherrschende Wettbewerbslogik erschwert die Umsetzung einheitlicher Tarifregelungen. Eine wichtige Rolle können Wohlfahrts- und Berufsverbände spielen, deren Aufgabe es auch ist, sich politisch zu positionieren. Sie können in Bündnisse einbezogen werden, wie es bspw. bei unteilbar und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband geschah. Gut durchdachte und organisierte Streikaktionen am 8. März wären eine weitere gute Gelegenheit, queer-feministische Perspektiven auf Care-Arbeit, Arbeitskämpfe und Vergesellschaftung sozialer Infrastruktur in kreativen Streik- und Aktionsformen zu verbinden.

Gleichzeitig kann die radikale Linke eine ganze Menge von Care-Beschäftigten lernen. Menschen, die Care-Arbeit leisten, treten mit anderen Menschen in Beziehung, begegnen ihnen auf Augenhöhe und respektieren Unterschiede, ohne dabei die eigenen Werte zu verleugnen. Probleme kollektiv einzuordnen und gemeinsam zu bearbeiten birgt großes Potential für gesellschaftliche Veränderung. Dies zeigt sich aktuell etwa in Mieteninitiativen oder Polikliniken. Hier steht der langfristige Aufbau solidarischer Beziehungen im Vordergrund, die ein Baustein auf dem Weg zu gesellschaftlicher Transformation sind.

Auf dem Weg zur vergesellschafteten Kinder- und Jugendhilfe werden Fragen behandelt, die weit über Arbeitsbedingungen hinausreichen: Wie schaffen wir es, dass alle die gleichen Chancen auf Förderung bekommen und zusätzlich Raum für emanzipatorische Veränderung entsteht? Was bedeutet es überhaupt, Kinder zu erziehen und was brauchen Kinder und Erwachsene, um am guten Leben teilzuhaben? In welcher Form von Familie oder Gemeinschaft wollen wir Verantwortung für Kinder übernehmen?