Bluttests, mit denen sich Trisomien wie das Down-Syndrom identifizieren lassen, wurden in Deutschland 2012 auf den Markt gebracht. Waren die Kosten mit zunächst über 1000 Euro noch sehr hoch, sind die Tests mittlerweile schon ab 130 Euro zu haben. Es sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, die Tests allen Schwangeren zugänglich zu machen. In einem Gesundheitssystem, in dem Brillen, Hörgeräte und Zahnersatz nur mit teils massiven Zuzahlungen verfügbar sind, ist diese Perspektive verwunderlich. Worum geht es wirklich?
«Nur weil wir uns meist bemühen, unsere Körper pfleglich zu behandeln, sollten wir nicht glauben, das Leben mit einer Beeinträchtigung sei trist und leidvoll und in jedem Fall zu vermeiden.»
Die allermeisten nicht behinderten Menschen haben tief verinnerlicht, dass ein Leben mit Behinderungen weniger schön sei als ohne. Aber nur weil wir uns meist bemühen, unsere Körper pfleglich zu behandeln, sollten wir nicht glauben, das Leben mit einer Beeinträchtigung sei trist und leidvoll und in jedem Fall zu vermeiden. Denn das widerspricht der Erfahrung der Menschen, die mit einer Behinderung leben, und die müssen es wissen.
Viele Schwangere glauben, es sei besser, kein behindertes Kind zu bekommen. Für die Anbieter oben genannter Tests bedeutet das einen lukrativen Markt. Sie bewerben ihr Produkt mit dem Hinweis, die Schwangerschaft würde nicht gefährdet und die Tests Gewissheit verschaffen. Was meist dezent unter den Tisch fällt: Bei einem positiven Testergebnis ergeben sich keine vorgeburtlichen Behandlungsoptionen. Stattdessen steht die Überlegung im Raum, die Schwangerschaft abzubrechen. Weil sich die meisten Schwangeren für einen Abbruch entscheiden, wirkt der Test faktisch selektiv. Die Palette erhältlicher Tests wird immer breiter, denn Unternehmen und Forschungsgruppen entwickeln immer neue diagnostische Möglichkeiten.
Befeuert durch das Anliegen der Testhersteller, eine Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung zu erreichen, wird seit Jahren über die vorgeburtlichen Tests auf Down-Syndrom diskutiert. 2014 wurde ein Prozess ins Rollen gebracht, der im Herbst 2019 in der Entscheidung für eine Kassenfinanzierung mündete. Wie konnte es dazu kommen?
Die Krankenversicherung finanziert eine Reihe vorgeburtlicher Untersuchungen. In bestimmten Fällen kann auf ihre Kosten auch eine Fruchtwasseruntersuchung vorgenommen werden, bei der mit einer Nadel durch die Bauchdecke Fruchtwasser entnommen wird. Die Befürworter*innen des Bluttests argumentieren, dieser berge im Gegensatz zu den invasiven Verfahren nicht das Risiko einer Fehlgeburt. Er sei daher von der Krankenversicherung zu finanzieren.
Diese Entscheidung muss der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) treffen, in dem Vertreter*innen der gesetzlichen Krankenkassen und der Leistungserbringer (Ärzt*innenschaft und Krankenhäuser) abstimmen. Patient*innenvertreter*innen nehmen ohne Stimmrecht teil. Der GBA legt fest, welche medizinischen Leistungen gesetzlich Versicherte in Anspruch nehmen können. Ob bzw. welche vorgeburtlichen Bluttests von den Krankenversicherungen finanziert werden sollen, kann dieses Gremium allerdings kaum beantworten. Der GBA hat lediglich zu prüfen, ob mit einem neuen Verfahren eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten gewährleistet ist. Ob die Versichertengemeinschaft Tests finanzieren sollte, die nahelegen, es gelte die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom möglichst zu vermeiden, durfte der GBA gar nicht beantworten und folglich nicht in seine Entscheidung einfließen lassen.
Der Vorsitzende des Ausschusses, Prof. Josef Hecken, hat mehrfach auf diese Problematik hingewiesen. 2018 schrieb er an Gesundheitsminister Jens Spahn und die Abgeordneten des Gesundheitsausschusses: Die Entscheidung berühre «fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung (…), die der Gemeinsame Bundesausschuss (…) weder allein beantworten kann noch allein beantworten darf». Der Gesetzgeber sei gefordert, mit Blick auf diesen und kommende Tests Grenzen und Rahmenbedingungen zu definieren. Der Gesetzgeber verhielt sich allerdings relativ still. Erst im April 2019, fünf Jahre nachdem die Testhersteller auf die Kassenfinanzierung drängten, befasste sich der Bundestag im Rahmen einer Orientierungsdebatte mit den Bluttests. So eine Debatte hat aber erst einmal keine Folgen. Sie dient dem Austausch der verschiedenen Positionen gerade in ethischen Fragestellungen, in denen sich Allianzen über Fraktionsgrenzen hinweg bilden.
«Ich nehme die ganze Diskussion sehr persönlich. Ich möchte nicht auf einer Aussortierliste stehen.»
Menschen mit Down-Syndrom protestieren seit Jahren gegen die Bluttests, insbesondere gegen eine Finanzierung durch die Krankenversicherung. Die Aktivistin Natalie Dedreux hat eine Petition gestartet, in der sie schreibt «Mein Leben mit Down-Syndrom ist cool. Aber ich habe Angst, dass es weniger Menschen mit Down-Syndrom geben wird, wegen dem Bluttest bei schwangeren Frauen auf Down-Syndrom.» Auch der Aktivist Arthur Hackenthal äußerte sich in einem Interview mit dem Verband Lebenshilfe: «Wenn diese Tests bald für alle schwangeren Frauen bezahlt werden sollen, heißt das doch für mich, dass unsere Gesellschaft Geld dafür ausgibt, das ungeborene Babys mit Down-Syndrom entdeckt werden sollen und dann werden sie oft abgetrieben. (…) ich nehme die ganze Diskussion sehr persönlich. Ich möchte nicht auf einer Aussortierliste stehen.»
Ähnlich argumentieren eine Reihe von Organisationen, darunter das Gen-ethische Netzwerk, die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft und der Bundesverband der Frauengesundheitszentren 2017 in einer gemeinsamen Stellungnahme: Es handele sich nicht um eine «Schwangerenvorsorgeuntersuchung, sondern um eine selektive Fahndung nach unerwünschten Abweichungen.» Es widerspreche außerdem der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die in Artikel 8 dazu verpflichtet, «Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen (…) in allen Lebensbereichen zu bekämpfen».
Die Befürworter*innen konzentrieren sich in der Debatte auf Fragen sozialer Gerechtigkeit und des Selbstbestimmungsrechts schwangerer Frauen. Es sei ungerecht, wenn sich nicht alle diesen Test leisten könnten. Außerdem sei eine Finanzierung der invasiven Diagnostik, nicht aber des risikoärmeren Verfahrens durch die Krankenversicherung unlogisch.
Das ist wenig überzeugend. Zum einen ersetzt der Bluttest das invasive Verfahren nicht. Liegt ein positives Ergebnis vor, raten selbst die Testanbieter dazu, mittels invasiver Untersuchung eine abschließende Diagnose zu stellen. Denn, so die National Society of Genetic Councelors, je nach Alter der Schwangeren variiere die Wahrscheinlichkeit falscher Ergebnisse: Während nur sieben Prozent der 40-jährigen Schwangeren ein falsches Testergebnis erhalte, liege das Risiko für ein sogenanntes falsch-positives Ergebnis bei einer 30-jährigen schon bei 39 Prozent. Zum anderen ist fraglich, ob die Tests tatsächlich das Selbstbestimmungsrecht Schwangerer stärken. Denn selbstbestimmt entscheiden kann nur, wer alle Optionen überblicken und damit rechnen kann, dass jede Entscheidung positiv aufgenommen wird. Schwierige Entscheidungen benötigen außerdem Zeit.
Schwangere befinden sich aber zunehmend in einer Situation, in der ihnen zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft immer mehr niedrigschwellige Testoptionen offenstehen, zu denen sie sich verhalten müssen. Sich dafür zu entscheiden, bestimmte Dinge nicht wissen zu wollen, wird immer schwieriger. Zum einen durch die zunehmende Vielfalt an Testmöglichkeiten, zum anderen durch die Lage, in der Gynäkolog*innen sich befinden: In den «Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen» von 1998 weist die Bundesärztekammer darauf hin, dass Frauenärzt*innen gegebenenfalls schadenersatzpflichtig gestellt werden, wenn sie nicht auf Möglichkeiten hinweisen, «Schäden an der Leibesfrucht zu diagnostizieren». Und tatsächlich gibt es Gerichtsurteile, in denen Ärzt*innen zu Schadenersatzzahlungen nach Geburt eines Kindes mit Behinderung verpflichtet wurden. Das wirkt sich auch auf die Beratung Schwangerer aus.
Ökonomische Erwägungen können bei der Entscheidung für oder gegen den Test natürlich eine Rolle spielen – allerdings in ganz anderer Weise, als von den Testbefürworter*innen ins Feld geführt: Mit einem behinderten Kind zu leben, bedeutet eine finanzielle Herausforderung. Stehen keine ausreichenden Unterstützungsstrukturen zur Verfügung, müssen Eltern darüber nachdenken, wie sie die Betreuung und möglicherweise auch die Pflege ihres Kindes organisieren. Das wiederum bedeutet unter Umständen, dass ein Elternteil nicht berufstätig sein kann.
Der GBA hat im September 2019 entschieden, perspektivisch Bluttests auf Trisomie 13, 18 und 21 in den Leistungskatalog aufzunehmen – «in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung». Dass solche Tests nur nach entsprechender ärztlicher Beratung durchgeführt werden dürfen, ist ohnehin rechtlich vorgegeben (§ 15 GenDG). Wann ein «begründeter Einzelfall» vorliegt, ist in den «Mutterschafts-Richtlinien» definiert, die im Zuge der Entscheidung überarbeitet wurden. Hier heißt es künftig, der Bluttest «kann dann durchgeführt werden, wenn er geboten ist, um der Schwangeren eine Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Situation hinsichtlich des Vorliegens einer Trisomie im Rahmen der ärztlichen Begleitung zu ermöglichen». Sprich, wenn die Schwangere das möchte. Wenn der Bundestag nicht doch noch anders entscheidet, wird die Solidargemeinschaft, darunter auch Menschen mit Down-Syndrom, künftig für selektive Testverfahren zahlen – und immer mehr Schwangere werden sie in Anspruch nehmen.