Noch in den 1950er Jahren war Südkorea extrem arm. Mittlerweile beträgt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen über 20.000 US-Dollar. Seit Dezember 1996 ist das Land als zweiter asiatischer Staat (nach Japan) Mitglied im Club der Reichen, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Verschiedene Faktoren ermöglichten diese Entwicklung: Ein extrem billiges Arbeitskräftereservoir, das sich aus verarmten Bauern rekrutierte; eine extensive Ausbeutung der Beschäftigten mit regelmäßigen Arbeitszeiten von 55 Stunden pro Woche; fehlende Arbeitsund Sozialgesetze; die z.T. militärische Unterdrückung der Gewerkschaftsbewegung sowie die massive finanzielle Unterstützung aus den USA und Japan.
Hinzu kam eine enge Verzahnung von Staat und Kapital. Der Präsident und sein Team aus TechnokratInnen entschieden über den Auf- und Ausbau „strategischer Industrien“. Im Sog einer protektionistischen Politik und einer rigiden Konzentration und Zentralisierung staatlicher Instanzen entstanden die für Südkorea typischen mächtigen Wirtschafts- und Finanzkonglomerate, die sogenannten chaebol. Das „Wachstumsmodell Südkorea“ widersprach damit fundamental den Lehr- und Glaubenssätzen neoliberaler ManagerInnen. Ein ausgeklügeltes, hierarchisch gegliedertes System von Zulieferbetrieben und die Weitergabe von Konkurrenzdruck bis hinunter zu den ArbeiterInnen in marginalen Bereichen (später einschließlich ausländischer Arbeitskräfte aus China, den Philippinen, Bangladesch, Nepal, Pakistan, Burma und Sri Lanka) sorgten für das in den Augen der Militärclique reibungslose Funktionieren dieses „Modells“.
Aufbruchstimmung seit 1987
Dies änderte sich seit 1987. Ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in der Metropole Seoul erlebte das Land eine beispiellose Welle von Protestmärschen und Demonstrationen, auf denen nunmehr auch die städtischen Mittelschichten ihren Unmut über das Regime zum Ausdruck brachten. Wurden zuvor jährlich etwa 200 Arbeiteraufstände registriert, waren es danach weit über tausend pro Jahr. Nach mehrjähriger Arbeit im Untergrund konstituierte sich schließlich im November 1995 der demokratische Dachverband der Koreanischen Konföderation der Gewerkschaften (KCTU) als Gegengewicht zur regierungstreuen Föderation Koreanischer Gewerkschaften (FKTU).
Bereits zwei Jahre später erfasste Südkorea eine tief greifende Wirtschafts- und Finanzkrise („Asienkrise“), für deren Bewältigung der IWF ein 57 Mrd. US-Dollar schweres Hilfspaket schnürte. Im Gegenzug musste sich die Regierung Kim Dae-Jungs (1998-2003), des neuen Präsidenten und einstigen Regimegegners, zur „Reformierung“ des Finanz- und Bankensektors, zur Liberalisierung von Handel und Kapitalverkehr, zur Entflechtung der chaebol sowie zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes verpflichten. Folgen dieser Maßnahmen: Die Arbeitslosigkeit, früher eine zu vernachlässigende Größe, bewegt sich gegenwärtig auf die Zehn-Prozent-Marke zu, 15 Prozent der Bevölkerung leben bereits wieder unterhalb der Armutsgrenze.
Umstrittenes Freihandelsabkommen
Zentrale Themen der KCTU und anderer oppositioneller Organisationen sind seit Monaten die Einschränkung von Arbeiterrechten, die Inhaftierung von GewerkschafterInnen und die Ablehnung des – vergleichbar dem bereits zwischen Kanada, den USA und Mexiko bestehenden Freihandelsabkommen NAFTA – geplanten Freihandelsabkommen mit den USA KORUS FTA. Die KCTU befürchtet wie in den NAFTA-Ländern den Abbau von Sozialleistungen und die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Sie lehnt deshalb das Abkommen ab: „Wir wollen keine andere NAFTA! Wir wollen ein Recht auf angemessene Ernährung, Gesundheit, Ausbildung und den Zugang zu öffentlichen Leistungen! Wir wollen selbst die Kontrolle über unsere Umwelt und natürlichen Ressourcen wahren! Wir wollen menschenwürdig arbeiten und keine irregulären und prekären Teilzeitjobs!“ Solche und ähnliche Forderungen haben südkoreanische GewerkschaftsvertreterInnen, Bauernvereinigungen und Mitglieder der mittlerweile vitalen NGOSzene auch und gerade auf zahlreichen internationalen und regionalen Sozialforen und Anti-WTO-Veranstaltungen vertreten, wo sie häufig mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machten.
Prekär ist auch die Lage ausländischer Arbeitskräfte vorrangig aus China, den Philippinen, Bangladesh, Nepal und anderen südasiatischen Ländern. Schätzungsweise 200.000 solcher Arbeitskräfte, von denen der Löwenanteil in keinem regulären Arbeitsverhältnis steht, verrichten Jobs, die im Lande die 3-D-jobs genannt werden – „dirty, difficult und dangerous“ – „schmutzig, schwierig und gefährlich“. Wenngleich die südkoreanische Regierung ausdrücklich solche Firmen unterstützt, die statt dieser „GastarbeiterInnen“ koreanisches Personal einstellen, sind solche Maßnahmen verpufft. Einerseits sind diese Jobs unter KoreanerInnen verpönt, andererseits tun sich die südkoreanischen Gewerkschaften schwer damit, selbst innerhalb ihrer eigenen Reihen Vorurteile gegenüber den ausländischen ArbeiterInnen abzubauen und rassistische Tendenzen zu überwinden.
Wenngleich sich ausländische Arbeitskräfte in eigenen Gewerkschaften organisieren, ist ihr Aktionsradius äußerst begrenzt. Ihre Mitglieder bilden den „Bodensatz“ einer konfuzianisch geprägten, straff hierarchisierten Gesellschaft, deren Großunternehmen nicht nur in Ostasien, sondern auch international zu global players avanciert sind, und deren Arbeiterund Gewerkschaftsbewegungen im Lande selbst vor großen Herausforderungen stehen.
China im Visier
Seit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Rückgang des russischen Einflusses in Nordostasien hat die VR China auf der koreanischen Halbinsel verstärkt Flagge gezeigt. Beijing verfolgt seit dieser Zeit eine aktive Zwei-Korea-Politik. Es wahrte nicht nur seine – seit dem Koreakrieg – engen Kontakte mit Nordkorea, sondern knüpfte auch nach Jahrzehnten der Feindschaft mit Südkorea im August 1992 diplomatische Beziehungen mit Seoul. Eineinhalb Jahrzehnte später gestaltet sich das chinesisch- südkoreanische Verhältnis im Rahmen der politischen, militärischen und sozialen Zusammenarbeit sehr eng. Vor allem hinsichtlich der nordkoreanischen Nuklearpolitik bevorzugen Beijing und Seoul – im Gegensatz zu Washington und Tokio – diplomatische Lösungen beziehungsweise Verhandlungen, befürworten beide eine atomwaffenfreie Halbinsel und drängen Nordkorea seinerseits zu wirtschaftlichen Reformen als Vorstufe zu einer späteren Integration.
Mittlerweile beträgt das chinesisch-südkoreanische Handelsvolumen etwa 30 Mrd. US-Dollar pro Jahr, gleichzeitig stiegen Südkoreas Direktinvestitionen in China. Beide Länder orientieren sich an den Normen und Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), wobei südkoreanische Unternehmen zunächst die niedrigen Lohnkosten in China nutzten. Doch seit der so genannten Asienkrise (1997) setzen sie verstärkt darauf, den chinesischen Markt für ihre Produkte zu erschließen. Die VR China wird zunehmend zu einem bedeutsamen Absatz- und Exportmarkt für Südkorea. Der Vorstandschef der LG Chemical beispielsweise prognostizierte, sein Unternehmen werde in wenigen Jahren die Hälfte seines Absatzes in China erzielen. Außerdem sind Konzerne wie Samsung und LG seit den späten 1990er Jahren mit luxuriösen, schwer zu kopierenden Elektronikprodukten und Mobiltelefonen erfolgreich.
Rückschlage nicht ausgeschlossen
Wenngleich die südkoreanischen Arbeiter- und Gewerkschaftsorganisationen seit 1987, dem Beginn der Demokratisierungsbewegung, im Bereich der Arbeits- und Sozialgesetzgebung Erfolge aufweisen, sind diese längst nicht konsolidiert. Die Gesellschaft Südkoreas bleibt tief gespalten in Fragen der „nationalen Sicherheit“ und im „Wettstreit der Globalisierung“. Vor allem die ältere (Kriegs-)Generation setzt auf einen starken Staat, der im Innern „Unruhen und Widerstand“ erstickt und nach außen hin, vor allem im Umgang mit dem kommunistischen Norden, eine härtere Gangart einschlägt. Demgegenüber verfolgt Seoul seit Jahren eine „Sonnenscheinpolitik“ vis-à-vis Pjöngjang. Dieser Kurs kann sich bereits Ende dieses Jahres umkehren, wenn ein neuer Präsident gewählt wird.
Die Siegchancen der stockkonservativen Opposition (dazu zählt auch die Tochter des langjährigen Militärdiktators Park Chung-Hee) stehen nicht schlecht. Für weitere demokratische Reformen bestünden dann stark eingeschränkte Handlungsspielräume, ein Konfrontationskurs gegenüber Nordkorea würde reaktiviert werden. Außenpolitisch würde sich eine solche Regierung auch wieder enger an die „Schutzmacht“ und an das (wegen seiner Kolonialzeit) mit Hassliebe bedachte Japan anlehnen, was eine dauerhafte Friedensregelung auf der koreanischen Halbinsel erschweren würde. Schließlich tritt die VR China im Rahmen der von Beijing ausgerichteten Sechser-Gespräche (an denen neben der Gastgeberin die USA, Russland, Japan und die beiden Korea teilnehmen) als Mediator auf, um die Debatte um Nordkoreas Atompolitik zu entschärfen.