Vor allem Konflikte, die sich rund um verteilungs-, wirtschaftsund arbeitspolitische Themen drehen, werden oftmals sehr viel militanter und konsequenter ausgetragen, als man dies in deutschsprachigen Ländern gewohnt ist. Dagegen waren in den letzten Jahren die Friedens- bzw. Antikriegsbewegungen zahlenmäßig wesentlich schwächer und weniger breit, dabei aber auch inhaltlich weniger schwammig als zur selben Zeit in der Bundesrepublik.
Die Vereinigung attac, die sich vor allem mit Themen der Weltwirtschaft befasst und deren Gründung 1997/98 von einem Intellektuellenzirkel rund um die Monatszeitung Le Monde diplomatique lanciert wurde, hörte zunächst auf den weit verbreiteten Namen „globalisierungskritisch“. Später wählte sie jedoch die Selbstbezeichnung „altermondialistisch“ – abgeleitet von autre monde oder auch autre mondialisation, um ihr Eintreten für eine andere Welt respektive eine andere Globalisierung zum Ausdruck zu bringen. Auf diesem Wege wollten viele der Kräfte, die an dem heterogenen attac-Bündnis beteiligt sind, ihren internationalistischen Anspruch unterstreichen: Ihr Protest gegen die aktuell dominierenden Formen der wirtschaftlichen Globalisierung solle keineswegs bedeuten, dass sie etwa für einen Rückzug auf die Nation einträten.
Vielmehr wolle man einen „neuen Internationalismus“ begründen, nachdem sich der Internationalismus oder Antiimperialismus aus den Jahren der Entkolonialisierung – der vor allem eine Welle von Staatsgründungen in Afrika und Asien begleitete – als historisch überholt erwiesen hat. Statt auf neue Staaten und „junge“ Regime sollte man sich künftig auf soziale Kräfte in den unterschiedlichen Ländern beziehen. Dieser Perspektivenwechsel konnte sich nur positiv auswirken.
Heftiges Flügelschlagen bei attac Frankreich
Aber real koexistierten immer zwei unterschiedliche Grundströmungen innerhalb von attac Frankreich. Einerseits vertritt der Flügel rund um den attac-Gründer und -Ehrenpräsidenten Bernard Cassen die Auffassung, entgegen der in den letzten 25 Jahren praktizierten Deregulierung der Märkte sollten die Nationalstaaten wieder stärker das wirtschaftliche Geschehen bestimmen und dadurch soziale und ökonomische Krisen eindämmen. Neben den Nationalstaaten könne möglicherweise auch die EU, falls sie eine „Umorientierung“ im positiven Sinne erfahre, einen solchen Akteur der „Re-Regulierung“ der weltweit entfesselten kapitalistischen Ökonomie darstellen. Die Fraktion auf der anderen Seite will aber politisches Handeln nicht vorrangig von den Staaten her denken, sondern setzt auf eine supranationale Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen, die als wirkliche Gegenmacht zu den ökonomisch dominierenden Kräften zu betrachten sei.
Im Frühsommer 2006 kam es dann zum großen Clash zwischen den beiden Strömungen. Nachdem sich schon im Vorfeld des attac-Kongresses zwei große politische Blöcke misstrauisch bis feindselig gegenüber standen, kam es bei den Vorstandswahlen zu einer Pattsituation. In dem von zuvor 30 auf 42 Sitze erweiterten Vorstand konnten die AnhängerInnen der bisherigen Führungsspitze unter dem amtierenden attac- Präsidenten Jacques Nikonoff nur eine hauchdünne Mehrheit erringen, mit zwei Sitzen Vorsprung vor der Opposition. Da ihnen jedoch alsbald Wahlbetrug vorgeworfen wurde, konnte sich diese Fraktion – die eher die EtatistInnen und LinksnationalistInnen des Verbandes umfasste – nicht dauerhaft behaupten. Im Vorfeld des neu einberufenen attac-Kongresses im Dezember 2006 waren die Vorwürfe des Wahlbetrugs dann klar bewiesen worden. Die alte Mannschaft nahm den Hut, und die „andere“, eher bewegungsorientierte Fraktion übernahm das Ruder. Bislang ist sie öffentlich nicht groß in Erscheinung getreten.
Ungleiche Mobilisierungszyklen der Bewegungen
Dass attac ihren früher faktisch erhobenen Anspruch einer Hegemonie über das außerparlamentarische gesellschaftskritische Spektrum nicht einlösen konnte, liegt aber auch daran, dass ihre Mobilisierungszyklen nicht deckungsgleich sind mit den Hochzeiten gewerkschaftlicher und sozialer Konflikte. Deren wichtigste Momente waren der Streik in den öffentlichen Diensten im November/Dezember 1995, der mit einem Teilerfolg endete; die Mobilisierung gegen die „Rentenreform“ im Frühjahr und Frühsommer 2003, die auf eine herbe Niederlage hinauslief; und die vor allem durch die Jugend getragene erfolgreiche Mobilisierung gegen die Infragestellung des Kündigungsschutzes im März/April 2006.
Diese Stärkemomente der sozialen Bewegungen fallen nicht mit besonders starken Mobilisierungsphasen des attac-Spektrums zusammen, die eher zwischen 1999 und 2001 liegen – also zwischen dem gescheiterten WTO-Gipfel von Seattle und der G8-Tagung in Genua – sowie parallel zum Aufschwung der Weltsozialforen.
Weniger breit als in Deutschland: die Friedensbewegung
Die Friedens- und Antikriegsbewegung in der Phase nach den Attentaten vom 11. September 2001, die durch die US-Administration als willkommener Anlass zu einer neuen imperialistischen Kraftentfaltung vor allem im Nahen und Mittleren Osten genutzt wurden, blieb zahlenmäßig hinter jener in Deutschland zurück. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen ist in Deutschland, neben dem linken und/oder humanistisch begründen Antimilitarismus, auch in Teilen der übrigen Bevölkerung eine Haltung verbreitet, die gegenüber Kriegen (noch) generell skeptisch ist – weil die Deutschen damit in ihrer jüngeren Nationalgeschichte schlechte Erfahrungen machten mussten.
In Frankreich, das einerseits 1944 durch das militärische Handeln der Résistance und der Alliierten befreit worden ist, das andererseits aber auch (im Gegensatz zu Deutschland) über eine ungebrochene Kolonialvergangenheit bis mindestens in die späten 1960er Jahre verfügt, wirkt dieser historische Einschnitt des „Schocks des verlorenen Krieges“ nicht in vergleichbarer Weise. Daher lassen sich bürgerliche und konservative Teile der Bevölkerung für Antikriegsprotest, vor allem sofern er vorwiegend auf diffuse Angst begründet ist, nicht so leicht erreichen: Der Einsatz militärischer Mittel ist in breiten Kreisen durchaus nicht tabuisiert. Die Ablehnung von Kriegen des westlichen Militärbündnisses ist deshalb eher eine genuin linke Angelegenheit, die inhaltlich klarer ausgerichtet ist als die heterogene deutsche Friedensbewegung, aber auch nicht so viele Menschen zu Demonstrationen mobilisiert – obwohl der Irakkrieg 2003 von 75 bis 80 Prozent der französischen Bevölkerung klar abgelehnt wurde. In Frankreich blieben die allermeisten von denen zu Hause, die der Auffassung waren, Jacques Chirac (der den Feldzug im Irak ebenfalls ablehnte, im Gegensatz übrigens zu seinem möglichen bürgerlichen Nachfolger Nicolas Sarkozy, der eine starke Annäherung an die US-Administration Bush sucht) werde in dieser Frage schon die richtige Politik betreiben. Auf die Straße ging eher der harte Kern der Linken, der zum Teil dem Vorgehen Chiracs nicht traute und zum Teil neben dem US-Krieg im Irak auch etwa die französischen Militärinterventionen in Afrika anprangern wollte.
Die Kämpfe der illegalisierten MigrantInnen
In den zurückliegenden zehn Jahren haben die Kämpfe auch von illegalisierten, EinwanderInnen in Frankreich eine erhebliche Ausstrahlung auf die sonstigen sozialen Bewegungen und die politische Linke entwickelt. Von durchschlagendem Mobilisierungserfolg war vor allem die neue Sans-papiers- Bewegung, die im März 1996 mit der Besetzung der Kirche Saint-Ambroise im 11. Pariser Bezirk anfing. Der damals beginnende Kampf der „Illegalen“ um ihre Interessen führte in der Öffentlichkeit zu einem Wechsel des (dominierenden) Vokabulars: Zuvor wurden illegalisierte Immigranten zumeist mit dem abwertenden Begriff clandestins (singemäß: „heimliche“ Einwanderer, der Begriff wird auch für „blinde Passagiere“ benutzt) bezeichnet. Er suggeriert in der öffentlichen Wahrnehmung, dass diese Leute das Tageslicht scheuen, weil sie etwas zu verbergen haben. Seit der Mobilisierung, die 1996 einsetzte, haben die Betreffenden – für alle sichtbar – „ein Gesicht“ bekommen. Plötzlich wurde es vielen Französinnen und Franzosen und „legalen“ MigrantInnen bewusst, dass die angeblichen clandestins keineswegs eine anonyme Masse im Schatten der Gesellschaft darstellen, sondern buchstäblich „mitten unter uns leben“. Dadurch, dass sie nunmehr als handelnde Subjektive erschienen, wurde eine positive Identifizierung mit ihnen erstmals möglich. So änderte sich auch die Begrifflichkeit: In vielen Milieus wurden die Illegalisierten nun nicht länger als clandestins bezeichnet, sondern nur noch als Sans papiers, also als Leute „ohne Papiere“, d.h. ohne gültige Aufenthaltstitel.
Bemerkenswert ist ferner, dass führende Gewerkschaften im Zuge der Sans-papiers-Mobilisierung ihre bisherigen Positionen zur Einwanderung revidierten. Der größte Gewerkschaftsdachverband, die postkommunistische CGT, hatte bis dahin ein Ende jeder Neuzuwanderung gefordert – da neue Zuwanderung die Interessen französischer ArbeiterInnen (oder auch des legal in Frankreich arbeitenden Einwanderers) auf dem Arbeitsmarkt gefährde und ihre Verhandlungsposition gegenüber den Unternehmen untergrabe. Ab dem Frühjahr 1996 änderte sich diese Position gründlich, CGT und KP wurden zu Unterstützerinnen der Sans-papiers-Bewegung und begannen, die Einwanderungsfrage nunmehr auch in der Öffentlichkeit in Zusammenhang mit dem Postkolonialismus und den Weltwirtschaftsstrukturen zu diskutieren.