Die Interventionistische Linke (IL) hat im Sommer 2005 die Proteste in Heiligendamm als „Experimentierfeld“ für die Herausbildung einer gemeinsamen, in sich vielfältigen Gegenmacht in Bewegung bezeichnet. Am Anfang steht „die Ablehnung der G8, des Neoliberalismus, der globalen Herrschaft des Kapitals in einer massenhaften Verweigerung und Rebellion in den Straßen Rostocks und vor den Zäunen Heiligendamms“.1 Die Perspektive ist eine globale Alternative zur global governance von Kapital, Patriarchat und Rassismus.

Bezugspunkte in der Mobilisierung sind die Proteste in Seattle, Prag, Genua oder Florenz. Ohne von einer linearen Entwicklung ausgehen oder die Bedingungen einfach auf die Situation in der Bundesrepublik übertragen zu wollen, bilden diese Proteste eine wesentliche Motivation für die hiesige Organisierung. Momente des spezifisch Neuen seit Seattle und des „qualitativen“ Unterschieds zu früheren sozialen Bewegungen sind der „programmatische und organisatorische Internationalismus“2 und die Bejahung der Pluralität der Proteste.

Das Bestreben, die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Akteure zugunsten einer Strömung zu vereinheitlichen, ist dabei nicht zentral. Vielmehr gilt es, die Pluralität als Potenzial anzuerkennen und neue Horizonte zu eröffnen. Unsere Intervention zielt auf die Globalisierung sozialer, kultureller, ökonomischer und politischer Rechte wie z.B. dem Recht auf Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit. Die Mobilisierung wird dann gelungen sein, wenn unterschiedliche Spektren und Organisationen in Kommunikation miteinander treten, um die G8 zu delegitimieren, wenn sie in kraftvollen Aktionen Mut sammeln, und wenn die Diskussion um eine andere Welt nach links verschoben wird.

Geht die Rechnung auf? Einblicke in Mobilisierungsgeschichten

Ein Blick auf verschiedene Homepages, Flugblätter oder Vernetzungstreffen stimmen positiv: Heiligendamm kann zu einem Kristallisationspunkt für Protest und Widerstand werden, an dem neoliberale Politik infrage gestellt wird. Denn: Immer mehr Gruppen und Einzelpersonen zeigen Interesse, überall ist das Gipfelthema präsent. Mit dabei sind u.a. entwicklungspolitische NGOs wie Oxfam, der Evangelischer Entwicklungsdienst, das Forum Umwelt und Entwicklung, die Kampagne Gerechtigkeit Jetzt wie auch WEED und medico international oder umweltpolitische Organisationen wie Greenpeace, die BUND-Jugend und das Jugendumwelt-Netzwerk. Auch attac, Gruppen der radikalen Linken, antimilitaristische Initativen und neuerdings die DGB-Jugend haben sich im Hinblick auf Heiligendamm vernetzt. Doch die Breite und die Größe der Proteste ist nicht alles und in der Mobilisierung zeichnen sich Problemfelder ab.

Bündnis, Koordinierung, Module

Werkzeug spektrenübergreifender Zusammenarbeit sollte nach Vorstellung der IL ein breites, gesamtgesellschaftliches Bündnis sein, innerhalb dessen die IL, neben der Delegitimierung der G8, für die klare Abgrenzung gegen Rechts, für die gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Aktionsformen und einen solidarischen Umgang miteinander eintritt.3 Doch bis heute gibt es kein breites Bündnis. Vielmehr hat sich aus der Zusammenführung der G8-NGO-Plattform aus entwicklungspolitischen NGOs, Umweltverbänden und kirchliche Kampagnen mit dem in Hannover tagenden Vorbereitungskreis der Rostocker Aktionskonferenzen seit September 2006 ein bundesweiter Koordinierungskreis (KoKreis) herausgebildet. Dieser verzichtet auf für Bündnisse charakteristische Formen wie einen gemeinsamen Slogan, inhaltliche Zuspitzungen oder einen solidarischen Finanzausgleich.

Bestimmend für den KoKreis ist weniger Auseinandersetzung und Diskussion als vielmehr die Koordinierung der Veranstaltungen sowie das Delegieren von Entscheidungen in einzelne Vorbereitungsmodule (Großdemonstration, Blockaden usw.). Dadurch besteht die Gefahr, dass zwar viele Menschen an den Protesten teilnehmen werden, sich aber dabei die gegenwärtige „Bündniskultur“ bemerkbar machen wird, indem die Spektren eher nebeneinander als miteinander agieren. Die Masse, die dabei herauskäme, wäre dann nicht mehr als die Summe ihrer Teile.

Mit „Wetten, dass ...“ die G8 beeinflussen?

Wie viele der NGOs und großen Verbände setzt auch der irische Popstar Bob Geldof Hoffnung in die G8, wenn er im Vorfeld von Heiligendamm in einer „Wetten, dass ...“-Sendung um Hilfen für Afrika bitten will. Mit TV-Show und Großkonzert suchen Popstars auch in diesem Jahr den Schulterschluss mit der Bundesregierung oder den G8. Auch im KoKreis-Hannover gab es Debatten über die Legitimität der G8: So heißt das Treffen bewusst lediglich Koordinierungskreis, weil Oxfam deutlich machte, dass einige NGOs nicht eindeutig Position gegen den G8-Gipfel beziehen werden. Auf einer Sitzung wurde zudem vorgeschlagen, Briefe an die Bundesregierung zu schreiben, um frühzeitig die G8-Agenda zu beeinflussen. Auf der gleichen Linie liegen Treffen zwischen G8-Sherpas4 und VertreterInnen verschiedener NGOs, wie sie es vor den Gipfeln in Gleneagles und St. Petersburg gegeben hat.

Eine vehement im KoKreis geführte Debatte drehte sich um den Alternativgipfel. Die AG Alternativgipfel plant diesen zeitgleich zum G8-Gipfel. Folglich müssen sich alle Protestbeteiligten fragen: Aktion oder Diskussion? Es drohte die Spaltung in „gute, dialogbereite KritikerInnen“ und „militante StraßenaktivistInnen“. Als Kompromiss sind jetzt „Satellitenveranstaltungen“ vorgesehen, mit denen eine Verzahnung zwischen DiskutantInnen und AktivistInnen erreicht werden soll: So werden einzelne Veranstaltungen auf das Camp verlegt und, darum wird noch gerungen, zeitlich vorgezogen.

Eine internationale Perspektive?

In die Vorbereitungen wurden frühzeitig internationale AktivistInnen einbezogen: So kamen sowohl zum Campinski-Sommercamp 2006 und zur Rostock-II-Konferenz AktivistInnen aus dem europäischen Ausland, und jüngst gab es ein aus dem dissent!-Netzwerk heraus organisiertes internationales Treffen in Warschau. Beim Weltsozialforum (WSF) in Nairobi 2007 hat die Assembly of Social Movements in ihrer Abschlusserklärung die Mobilisierung gegen das G8-Treffen an sehr prominenter Stelle erwähnt und damit den internationalen Charakter der Mobilisierung betont. Dies darf aber nicht über die relative Bedeutungslosigkeit des Themas auf dem WSF hinwegtäuschen.

Die Chancen von Heiligendamm

Doch auch wenn kein breites Bündnis entstanden ist, das die G8 gesamtgesellschaftlich delegitimiert, auch wenn auf dem Alternativgipfel linke Perspektiven eher marginal sein werden und auch wenn der internationale Charakter sich erst zaghaft zeigt, so ist im Vergleich zu den G8-Protesten 1999 in Köln bereits viel erreicht. Denn: Bundesweit koordinieren alle Spektren Protest und Widerstand und stimmen Aktionen aufeinander ab. Das ist die Grundlage der Verbreiterung und für eine Debatte über Perspektiven einer anderen Globalisierung. Um sich nicht, wie in Köln 1999 geschehen, in spektrenbezogenen Einzelaktivitäten zu verlieren, verabschiedete die Rostock-II-Konferenz eine gemeinsame „Choreographie des Widerstands“. Selbst wenn die Interessen wie beim Alternativgipfel divergieren, so konnte mit den „Satellitenveranstaltungen“ ein Kompromiss gefunden werden, der hoffentlich im Machtspiel der kommenden Wochen nicht zugunsten größerer NGOs und Gewerkschaften gekippt wird.

Auf Aktivitäten von Herbert Grönemeyer und Bob Geldof haben wir keinen Einfluss, auch die NGO-Politik werden wir schwerlich ändern. Mit massenhaften Blockaden und Aktionen des zivilen Ungehorsams können sind wir aber ein Signal gegen die G8 und den globalisierten Kapitalismus senden. Denn: Die G8-Treffen sind vor allem symbolische Orte, an denen sich die Regierungschefs als „Retter der Welt“ inszenieren und ihre Botschaft „There is no Alternative“ verkünden. Die Mobilisierung der Block-G8-Kampagne5 zielt genau gegen diese angebliche Alternativlosigkeit. Mit massenhaften Blockaden soll der logistische Ablauf des Gipfels gestört und mit einem unmissverständlichen „Nein“ die fehlende Legitimität der Gipfel praktisch zum Ausdruck gebracht werden.

Die internationale Einbindung und Zusammenführung der AktivistInnen im Vorlauf des Gipfels verläuft bislang zwar nur schleppend, aber die Aktionstage selbst wie auch die internationalen Debatten auf dem Alternativgipfel und den Satellitenveranstaltungen werden mit Stimmen von Basis-KämpferInnen aus vielen Ländern und anderen Kontinenten eine internationalistische Perspektive haben.

Monate vor dem Gipfel interessieren sich unzählige Menschen für den G8 und die Proteste, es werden in vielen Jugendgruppen, auf Bildungsseminaren und Veranstaltungen sowie in lokalen Anti-G8-Bündnissen Aktivitäten geplant und über Alternativen zum globalen Kapitalismus diskutiert. Auch wenn wir dadurch nicht gleich „Den Kapitalismus zur Geschichte machen“, ist die Ausweitung des Protestes eine Chance, eine Dynamik zu entfachen, die über die Tage des Widerstands gegen das Gipfeltreffen lokale Auseinandersetzungen mit globalen Kämpfen verbinden kann.