Die souveränen Staaten Afrikas sind gekennzeichnet von den strukturellen Erblasten und Defiziten einer außenorientierten Entwicklung, an der nur wenige einheimische – zumeist parasitäre – Nutznießer partizipieren. In diesem Lichte besehen klingt ein Teil der jüngsten, beschwörenden Analysen zur aggressiven Afrikapolitik der VR China – die Teil eines neuen Wettlaufs um die Sicherung der Ressourcen ist – eher scheinheilig als ernsthaft um das Wohl Afrikas besorgt. Schließlich ist es so neu nicht, was sich im Zuge dieser Expansionsstrategie abspielt.
Afrika nach dem Ende der bipolaren Weltordnung
Der Kollaps des Sowjetstaats und damit einer über 40-jährigen Ära der Blockkonfrontation war zwar keinesfalls das „Ende der Geschichte“, wohl aber der Beginn einer Neuordnung der globalen Hegemonialstrukturen, mit weitreichenden Folgen auch für afrikanische Regierungen. Ihnen kam das Manövrierfeld des Kalten Krieges abhanden, welches strategische Positionsvorteile bedeutete, wenn auch nur zum Vorteil der Selbstbereicherung der jeweiligen Elite an der Macht. Zahlreiche Beispiele, von Angola bis Zaire, dokumentieren, dass die bipolare Weltordnung keinesfalls einer Entwicklung „von unten“ förderlich war, sondern afrikanische Regierungseliten als Satelliten im Ost-West-Konflikt verortete.
Die Festigung der US-Dominanz während der 1990er Jahre resultierte in den letzten Dekolonisierungsprozessen im südlichen Afrika durch eine „Appeasement“-Strategie. Gleichzeitig erlangte der wirtschaftspolitische Diskurs der internationalen Finanzinstitutionen die alleinige Definitionsmacht und schickte sich die Welthandelsorganisation WTO an, die globalen Austauschbeziehungen von Gütern verbindlich und umfassend auszuhandeln. Das Sagen haben dabei zumeist die mächtigen OECD-Staaten und insbesondere der immer deutlicher die einseitigen Spielregeln einer global governance festlegende Club der G8-Mitglieder.
Parallel dazu vollzogen sich auch erhebliche innerafrikanische Wandlungsprozesse. Die demokratisch gewählten Regierungen in Südafrika und Nigeria erwuchsen zu regionalen Hegemonialstaaten mit internationaler Akzeptanz. Zum Jahrtausendwechsel schickten sich Thabo Mbeki und Olusegun Obasanjo im Zusammenspiel mit Senegal, Algerien und Ägypten in direktem Dialog mit den westlichen Industriestaaten an, eine neue Form der Interaktion mitzugestalten. Dabei akzeptierten sie die Rolle als Juniorpartner, eine von der WTO verankerte sozialökonomischen Prämisse. Das Ergebnis war das New Partnership for Africa’s Development (NEPAD), das nach einiger Inkubationszeit (und einem politischen Aushandlungsprozess) zum offiziellen wirtschaftspolitischen Instrumentarium der Afrikanischen Union (AU) befördert bzw. degradiert wurde. Die AU wiederum stellt eine Transformation der Organisation für afrikanische Einheit dar. Im Zuge ihrer Umwandlung nahm sie – quasi als Gegenleistung für die Domestizierung der NEPAD – Abschied vom heiligen Prinzip des Nichteinmischungsgebots in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedsstaaten.
Innerafrikanische Neuordnungsversuche: NEPAD und AU
Eine Politik kollektiver Verantwortlichkeit wurde in die AUVerfassung aufgenommen, die keinesfalls folgenlos blieb. So fanden seither mehrere ausdrücklich durch die Organe der afrikanischen Staatengemeinschaft gebilligte oder initiierte innerkontinentale Interventionen statt, die zur Konfliktminderung beizutragen versuchten. Der von der NEPAD konzipierte und mit vielen Erwartungen auch von außen begrüßte African Peer Review Mechanism (APRM) hielt dagegen kaum, was er ursprünglich in Aussicht stellte. Immerhin lässt sich ein möglicher Zusammenhang zwischen den artikulierten Postulaten guter Regierungsführung und der wachsenden Zahl friedlicher und verfassungskonformer Machtwechsel in der Regierungsführung afrikanischer Länder vermuten – ungeachtet zahlreicher anderer Fälle, die vor allzu großer Euphorie hinsichtlich solcher Errungenschaften schützen sollten.
Mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht, hatten sich die NEPAD- ArchitektInnen substanzielle Unterstützung seitens der G8 auf deren Gipfeltreffen in Genua gesichert. Dies mündete in den G8-Afrika-Aktionsplan von Kananaskis und Sonderbehandlung der afrikanischen VertreterInnen bei den darauf folgenden Gipfeln (obgleich sie im Laufe der Jahre immer stärker wieder aus dem offiziellen Protokoll verdrängt wurden).
Systematische neue „Markterschließungsoffensiven“ auf dem afrikanischen Kontinent lassen sich spätestens mit dem noch unter der Clinton-Administration verabschiedeten African Growth and Opportunity Act (AGOA) ab dem Jahre 2000 erkennen. Damit wurde durch die USA die handelspolitische Bedeutung Afrikas (die noch vor der Osteuropas liegt) unterstrichen. AGOA machte aber auch deutlich, dass es mit Ausnahme einiger kleiner Nischen (z.B. temporärer Förderung einer angeblich lokalen, aber eigentlich ausländisch finanzierten und genutzten Textilindustrie), hauptsächlich um den Export von hochwertigen Maschinen sowie Technologie, und andererseits die Sicherung des Imports von Öl und anderen strategischen Rohstoffen, ging.
Die Sicherung von Marktzugängen
Dagegen schickte sich die EU mit den Versuchen einer Neuordnung der Beziehungen zu den AKP-Staaten in der Nachfolge des Cotonou-Vertrages an, in Form von Economic Partnership Agreements (EPAs) eine WTO-Kompatibilität auszuhandeln, die ihrerseits eigene Interessen sichern hilft und die AKP-Staaten neuen handelspolitischen Zwängen unter weitreichendem Verlust von Tarifpräferenzen unterwirft. Die andauernden Verhandlungen lassen erkennen, dass die Vorstellungen in Brüssel zum Teil auf wenig Gegenliebe stoßen.
Beide Initiativen spiegeln weniger das Bedürfnis an der Ausgestaltung gerechterer Handelsbeziehungen wieder, als die Sicherung von Marktzugängen nicht zuletzt im jeweiligen Eigeninteresse. Insbesondere das Gerangel um spezielle Freihandelsabkommen mit Südafrika, dem sicher interessantesten Partner im subsaharischen Afrika (die Sicherung der Ölversorgung einmal außer Acht gelassen), kann als zusätzliches Indiz dafür gelten, dass es auch zwischen den beiden westlichen Industrieblöcken erhebliche Interessenkonflikte gibt.
Mit der jüngst deutlich erkennbaren Expansionsstrategie Chinas macht ein weiterer Konkurrent um die Sicherung insbesondere von fossilen Energieträgern sowie Absatzmärkten für Billigprodukte seine Aufwartung. Hinzu positionieren sich mit Indien, Russland und Brasilien weitere Mitkonkurrenten um den begrenzten Zugang zu Märkten und natürlichen Ressourcen, nicht nur, aber auch auf dem afrikanischen Kontinent. Welche Folgen dies aus afrikanischer Perspektive hat, und welche Chancen sich bieten, bleibt vorerst noch abzuwarten. Die Kassandrarufe aus dem Westen jedenfalls haben wohl weniger die Bedrohung afrikanischer Interessen als die der eigenen im Blickfeld.
Stranguliert durch Liberalisierungen
Die weltweiten Versuche zur Liberalisierung unter der WTO werfen immer wieder die Frage auf, ob Märkte und ProduzentInnen, vor allem in den so genannten Entwicklungsländern des Südens, der Herausforderung durch die freie Konkurrenz mit den Industrieländern gewachsen sind oder des fortgesetzten Schutzes bedürfen. Diese Frage ist bei genauer Prüfung falsch gestellt. Tatsächlich sind es bislang die Märkte der industriell entwickelten OECD-Staaten, die mittels einer protektionistischen Politik in Form von Subventionen ihre eigene Warenproduktion einseitig begünstigen und damit jegliche Form fairer Markt- und Handelsbeziehungen zur Illusion werden lassen.
BefürworterInnen einer Liberalisierung von Handelsbeziehungen tragen zu der Fehlwahrnehmung bei, dass diese gleichbedeutend mit einer Deregulierung von Waren-Austauschbeziehungen sei. Tatsächlich ist der Trend eher umgekehrt: Die vermeintlich liberale weltweite Handelsstruktur war noch nie so festgelegt und verklausuliert. In den letzten 15 Jahren haben sich die abgeschlossenen bi- und multilateralen Handelsverträge auf insgesamt etwa 230 vervierfacht. Ungefähr weitere 60 werden derzeit ausgehandelt. Diese eingerechnet, gibt es derzeit also annähernd doppelt so viele Handelsvereinbarungen wie Staaten, die am Welthandel partizipieren. Von den dabei zugleich eingeführten diversen Kontrollmechanismen, die sich leicht auch als Druckmittel missbrauchen lassen, sei dabei einmal ganz abgesehen.
Die historisch-strukturell benachteiligten Gesellschaften sollten aber wenigstens eine Chance bekommen, sich aus eigener Kraft sozialökonomisch berappeln zu können. Dazu bedarf es der Schaffung von Rahmenbedingungen, innerhalb derer Protektionismus als legitime Überlebensstrategie zur Stärkung heimischer ProduzentInnen und Märkte verstanden wird. So könnten Voraussetzungen geschaffen werden, dass sowohl die Menschen in den Industriestaaten als auch in den Ländern Afrikas von wirtschaftlichen Austauschbeziehungen profitieren. Dass sich dabei das Spektrum potenzieller Partner mit China, Indien, Brasilien und Russland, sowie einer Reihe weiterer „Schwellenländer“ erheblich erweitert, kann Afrikas Interessen nicht schaden. Der neue Handlungsspielraum dürfte allerdings nicht nur einmal mehr zum weiteren Ausbau von transnationalen Eliten missbraucht werden.