Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle waren und sind die Schmiermittel des fossilen Kapitalismus. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat das Öl die Kohle als wichtigsten Energieträger abgelöst. Gas liegt mit der Kohle fast gleichauf. Alle drei Energieträger decken mehr als 85% des globalen Energiemixes ab. Energieversorgung ist deshalb ein globales Megathema. Die Versorgung mit diesen Rohstoffen stellt für die jeweiligen Regierungen bzw. transnationalen Bündnisse eine strategische Aufgabe dar. Neben transnationalem Terrorismus, der Verbreitung von (atomaren) Massenvernichtungswaffen, „organisierter Kriminalität“, dem Scheitern von Staaten und – dadurch bedingt – dem Anwachsen von regionalen Konflikten sowie unkontrollierter Migrationsbewegungen gilt die Gefährdung der Energieversorgung als ein zentraler globaler Konfliktfeld.
Die zentralen Konfliktfelder
Der Irakkrieg und der Gasstreit zwischen Russland und einigen Nachbarländern haben zu einer neuen geopolitischen Diskussion über Energiesicherheit beigetragen. Es herrscht ein Bedrohungskonsens, der sich aus mehreren Quellen speist:
- Die Schere zwischen dem prognostizierten dramatischen Anstieg des Energieverbrauchs und den begrenzten, bald rückläufigen Ressourcen lässt sich nicht mehr schließen.
- Mit China und Indien sind neue globale Akteure aufgetreten. Dadurch verändert sich das globale Energieregime grundlegend.
- Die Hauptförder- und Verbraucherländer fallen politisch und geographisch auseinander. Von den zehn Ländern mit den größten Erdölreserven gelten neun als instabil.
- Die Ölexportrouten verlaufen durch geographische Nadelöhre, so genannten chokepoints, wie die Straßen von Hormuz und Malakka sowie durch den Suez-Kanal. Unfälle oder terroristische Anschläge könnten diese Versorgungswege schnell blockieren – mit spürbaren Folgen für die Weltwirtschaft. Für die Gasversorgung gilt Ähnliches.
Energieanstieg und Grenzen des Angebots Trotz aller Umweltschutzrhetorik angesichts der UN-Klimaprognosen wird der Verbrauch von Öl und Gas rasant zunehmen. Die Europäische Kommission erwartet bis 2020 einen Anstieg um 60%. Allein beim Öl rechnet das US-Energieministerium für die USA mit einer Steigerung von 77 Mio. Barrel pro Tag (mbd) in 2001 auf 121 mbd in 2025. Dies trotz der Erhöhung der Energieeffizienz.
Der Aufstieg Chinas und Indiens zu globalen Wirtschaftsmächten führt zu einer spürbaren Erhöhung der Energienachfrage. So steigerte China allein in den Jahren 2000 bis 2004 seinen Bedarf um 40%.
Ob das Angebot mit dem wachsenden Energiebedarf Schritt halten kann, ist mehr als unsicher. Allein der Mittlere Osten müsste dazu seine Produktion verdoppeln. Zahlreiche Studien gehen davon aus, dass „Peak-Oil“, also der Zeitpunkt, an dem Nachfrage schneller wächst als das Angebot, bereits erreicht ist oder in Kürze erreicht wird. Über das Angebot lässt sich vielfach nur spekulieren. Die Angaben der Förderländer sind mit großer Vorsicht zu genießen. Oft sind sie überhöht. Die OPECLänder sind damit beschäftigt, sich gegenseitig Märchen zu erzählen, so Karin Kutter. „Denn die Größe der Reserven eines Landes spielt eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen um die Förderquoten.“ (Kutter, S. 644)
Abnehmerländer setzen ihre Hoffnungen vor allem in Saudi- Arabien. So rechnet das US-Energieministerium bis 2025 mit einer Steigerung der Ölfördermenge von 120% auf 22,5 mbd. Diese Hoffnungen scheinen jedoch übertrieben. Laut New York Times haben wichtige AnalystInnen erhebliche Zweifel, dass die Fördermenge über den heutigen Stand von ca. 10 mbd gesteigert werden kann. Laut einer Studie des Experten Matthew R. Simmons, dessen Bank eine der wichtigsten Partner der globalen Ölindustrie ist, hat „die saudische Förderung ihren Spitzenwert bereits erreicht oder steht knapp bevor (...) und wird in sehr absehbarer Zukunft wahrscheinlich zurückgehen.“ (Le Monde diplomatique, 3/06)
Chinas Kampf um Leben und Tod
Für die chinesische Führung ist die Energieversorgung eine Frage „auf Leben und Tod“. Der Energiebedarf des Späteinsteigers steigt sprunghaft an. Wichtigster Energieträger ist die Kohle, die mehr als 70% der Energie abdeckt. Will China aber seinen Bedarf decken, wird der Kohleverbrauch noch steigen. Noch bedeutender ist der Anstieg des Öl- und Gasverbrauchs. Da China nur über 2,5% der weltweiten Rohöl- und gut 1% der Gasvorkommen verfügt, nimmt die Importabhängigkeit stark zu. Allein von 2001 bis 2004 stieg der Importanteil von Öl von 27% auf über 40%. (Gu/Kupfer, S. 29) Damit ist China der zweitgrößte Ölimporteur der Welt. Und der Bedarf wächst dort siebenmal schneller als der in den USA – auch wegen der zunehmenden Autodichte, die sich in den nächsten zwei Jahrzehnten verfünffachen wird.
Um diesen Bedarf zu sichern entfaltet die Regierung und die Chinese National Petroleum Corporation (CNPC) seit Mitte der 1990er Jahre eine umfassende Öldiplomatie. Enorme Summen sind in Erdölkonzessionen geflossen. 1997 erwarb CNPC für 4,3 Mrd. US-Dollar einen 60%-igen Anteil an einer aserbaidschanischen Ölgesellschaft. Die CNPC ist ferner an der Erschließung von Ölfeldern u.a. in Russland, Pakistan, Kasachstan, Indonesien, Ägypten, Ecuador, Iran und Sudan beteiligt. Die Kooperation mit Iran bildet einen Schwerpunkt in Chinas Energieversorgung. Ende 2004 wurden ein 25-jähriger Liefervertrag für zehn Millionen Tonnen Flüssigerdgas pro Jahr im Wert von 100 Mrd. US-Dollar abgeschlossen sowie der Erwerb der Hälfte des bedeutenden Yad-Avaran-Ölfeldes besiegelt. Umgekehrt ist der Iran einer der Hauptabnehmer chinesischer Waffen.
Auch Afrika und Lateinamerika gewinnen zunehmend an Bedeutung für China. Über 30% des benötigten Öls kommt bereits aus Afrika, vor allem aus dem Sudan, wo chinesische Firmen 40% des Ölgeschäftes kontrollieren. (Neues Deutschland, 1.2.07) Dafür schützt China die sudanesische Regierung im Darfur-Konflikt. In Lateinamerika hat China im Jahre 2003 etwa 14% seiner Auslandsinvestitionen getätigt, u.a. in Venezuela, Mexiko und Kolumbien. China gilt als „Störenfried“ (Müller) auf dem Weltölmarkt, „weil es gegen gängige Spielregeln bei Bieterverfahren oder im Umgang mit menschenrechtsverletzenden Regimen „verstößt“ und „sich darum bemüht, Konkurrenten aus den enger werdenden Angebotsmärkten zu verdrängen“.
Sicherung der Transportrouten
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Sicherung der Transportrouten. So beteiligt sich Peking am Ausbau des Tiefseehafens Gwadar in Pakistan und umgeht somit den „chokepoint“ Hormuz. Geplant ist eine Pipeline, die China mit Pakistan und Saudi-Arabien verbindet. Auch mit der Militärregierung in Myanmar unterhält die chinesische Regierung enge Beziehungen. Um die von den USA kontrollierte Straße von Malakka zu vermeiden, zielen Überlegungen auf eine Pipeline durch Myanmar nach China. Auf der anderen Seite dienen diese Stützpunkte dazu, die Seewege auch militärisch zu kontrollieren. Internationale ExpertInnen stellen in Chinas Energiepolitik militärisch-strategische Handlungsmuster fest, die „insbesondere in der Golfregion, zu Konflikten mit anderen Großmächten führen könnten.“ (Gu/Kupfer, S. 40)
Eine Annäherung sucht China auch an Russland. Dies betrifft die Zusammenarbeit in Energiefragen wie auch in der Sicherheitspolitik. Beide eint das Interesse, den Einfluss der USA in Zentralasien einzuhegen. Durch die Stationierung von USTruppen in den früher zur Sowjetunion gehörenden zentralasiatischen Staaten fühlt sich Russland zunehmend eingekreist. Dies hat Wladimir Putin schon lange vor seiner Münchner Rede deutlich gemacht. China spekuliert andererseits auf die Förderstätten in Zentralasien. Folge dieses gemeinsamen Interesses war die Gründung des Shanghai Kooperationsabkommens (SCO), dem mittlerweile auch Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan angehören.
Als Erfolg der SCO-Politik gilt der Abzug der US-Truppen aus Usbekistan auf Druck Chinas und Russlands. Höhepunkt der SCO war ein groß angelegtes gemeinsames Militärmanöver im Jahre 2005, das sich offiziell gegen den drohenden Terrorismus richtete. Der Einsatz schwerster und modernster konventioneller Waffensysteme, auf russischer Seite sogar der Einsatz von Nuklearbombern, machte aber deutlich, dass es auf Taiwan und die USA zielte. Eine „NATO des Ostens“ – wie manche vermuten – entsteht dadurch allerdings noch nicht. Zu groß sind die Differenzen in vielen Politikfeldern und die historischen Vorbehalte. Allerdings könnte die Kooperation sich durchaus zu einem SCO-Energieclub entwickeln, den Putin auf dem SCO-Gipfel 2006 vorgeschlagen hat.
Deutschland und die EU
Die Versorgung mit Öl und Gas wird zunehmend auch in Deutschland und der EU als Achillesferse der Außen- und Sicherheitspolitik wahrgenommen. Seit dem Gasstreit im Januar 2006 zwischen Russland und der Ukraine erleben wir gerade in Deutschland eine zunehmende Politisierung der Energiefragen. Die EU ist der größte Importeur von Gas und zweitgrößter Importeur von Öl. Die Importabhängigkeit wird noch zunehmen. Laut dem „Grünbuch über Energieeffizienz“ beträgt im Jahre 2030 die Importabhängigkeit bei Gas 80% und bei Öl 90%. Trotzdem kann von einer gemeinsamen EU-Energiepolitik nicht die Rede sein. Energiepolitik ist der Bereich, der am wenigsten vergemeinschaftet ist. Sie ist deshalb so schwierig, weil es völlig divergierende nationale Interessen gibt.
Nur ein Beispiel: Polen setzt ganz auf Steinkohle und somit auf eine weitestgehende Unabhängigkeit von Russland und dessen Gasmonopol. Die zunehmende Verflechtung von Deutschland und Russland verfolgt es mit großer Sorge. Dies wurde beim Streit um die Ostseepipeline deutlich, bei der Polen als Transitland ausgebootet wurde. Auch deshalb hat Polen die Verabschiedung eines Partnerschaftsabkommens auf dem EURussland- Gipfel im November 2006 mit einem Veto blockiert, was zu großer Verärgerung führte.
Der Streit zweier Linien
Dass die deutsche Energieversorgung bedroht ist, gehört mittlerweile zum Kanon. Deshalb stehe die Energiepolitik heute vor den „größten Herausforderungen“, so der Chef des Kanzleramtes Thomas de Maiziere auf dem Symposium des BND „Energie – Quelle von Konflikt und Kooperation“ im Oktober 2006. Energiepolitik dürfe nicht mehr – wie bisher – als Teilgebiet der Wirtschaftspolitik betrachtet werden. Vielmehr sei sie Aufgabe einer integrierten Außen- und Sicherheitspolitik. Wie diese aussehen kann, darüber streiten sich die Geister. Die rot-grüne Regierung verfolgte eine enge Partnerschaft mit Russland auf der Basis von bilateralen Verträgen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist ein Gewährsmann dieser Linie.
Dagegen werden massive Einsprüche erhoben. Für Frank Umbach, zuständig für internationale Energiesicherheit bei der einflussreichen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), hat ein neues Great Game um Zugriffsrechte auf Erdöl- und Erdgasfelder und um Pipelines längst begonnen. Dabei stelle die Politik Russlands eine Bedrohung dar, weil es sein Gasmonopol als Instrument der Erpressung einsetze. Auch Deutschland sei wegen der Abhängigkeit der Gaslieferungen von Russland bedroht. Durch die neue Ostseepipeline werde diese von derzeit 40% auf ca. 70% ansteigen. Für Putin seien die Rohstoffe der Schlüssel zum Wiedererstarken des Reiches. Dies werde durch die „Renationalisierung sowie Wiederverstaatlichungstendenzen“ im russischen Energiesektor deutlich. Mit dem von Russland angestrebten Gaskartell („Gas-OPEC“) werden sich in Zukunft nicht nur die Preise diktieren lassen. Deutschland und die EU könnten es sich nicht mehr leisten, diese Entwicklung zu ignorieren. Es drohe vielmehr ein neuer Kalter Krieg in Energiefragen. Umbach fordert deshalb ebenfalls eine integrierte EU-Energiepolitik, die sich stärker an außen- und sicherheitspolitischen Bedürfnissen orientiert.
Die militärische Komponente
Eine solche integrierte Energiepolitik hat zunehmend eine militärpolitische Komponente. Darauf verweist Rudolf Adam, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, in einem Vortrag über „Geostrategische Risiken der Energieversorgung“: „Wenn Ordnung zusammenbricht, wenn Terroristen oder Aufständische drohen, Verladeanlagen in die Luft zu sprengen, Tanker zu versenken, Meerengen zu blockieren, Manager zu entführen oder zu ermorden – was tun wir dann?“ Der Ölsicherheit müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. „Wer Öleinnahmen hat, kann Söldner bezahlen, Waffen und Stimmen kaufen.“ Öl und andere strategische Rohstoffe seien die Achillesferse der deutschen Politik, um dann Klartext über den Militäreinsatz im Kongo zu reden: „Im Kongo geht es nicht nur um die Macht in Kinshasa – die ist sogar ziemlich uninteressant. Interessant sind die nahezu unbegrenzten Erdölvorkommen, hinter Tutsis und Hutus stecken Coltan und andere seltene und wertvolle Rohstoffe.“1 Mit dem kürzlich veröffentlichten „Weißbuch“ sieht Verteidigungsminister Jung den Übergang von einer werte- zu einer interessegeleiteten Militärpolitik vollzogen, die sich stärker den Rohstoffregionen zuwendet.
Ein in 2006 veröffentlichtes Strategiepapier aus dem Hause Bertelsmann („Die Kosten des Nichthandelns“) geht von einer „fundamental gewandelten Bedrohungslage“ für Europa aus. Wolle man „Sicherheit und den Wohlstand Europas“ verteidigen, reichen die „bewährten Sicherheitsinstrumente und -strategien“ nicht mehr aus. Notwendig sei stattdessen eine umfassende Militarisierung: „Europa braucht insgesamt eine größere Zahl von in Krisengebieten weltweit einsatzfähigen Kräften, vor allem wenn mehrere Missionen gleichzeitig durchgeführt werden sollen und man der Faustregel von zehn Soldaten je 1.000 EinwohnerInnen der Krisenregion folgt. Von den ca. 1,7 Mio. Soldaten in Europa sind gegenwärtig nur 10%“einsetzbar.“
Die Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist auch einer der Schwerpunkte der deutschen EU-Präsidentschaft. So heißt es im außen- und sicherheitspolitischen Teil des Arbeitsprogramms für die EU-Präsidentschaft: „Besonderes Augenmerk gilt den schnell verlegbaren europäischen Gefechtsverbänden, die vom 1. Januar 2007 an für Einsätze in Krisengebieten zur Verfügung stehen.“