Was zeichnet Sicherheitspolitik im globalen „Krieg gegen den Terror“ aus?

Der 11. September 2001 markiert für die Sicherheitspolitik eine entscheidende Wende: Nach dem Ende des Kalten Krieges bemühten sich einzelne Staaten und Staatenblöcke propagandistisch, den hohen Rüstungsaufwand und den Fortbestand von Militär und Geheimdiensten weltweit zu rechtfertigen. Doch die proklamierten Kriege „gegen die Drogen“ und „gegen die Organisierte Kriminalität“ boten nur für begrenzte Zeit und nur für begrenzte Zwecke entsprechende Legitimation. Zwar ist beispielsweise die europäische Zusammenarbeit von Polizei und Justizbehörden ohne genügende demokratische und rechtsstaatliche Kontrolle in den 1990er Jahren aus diesem Kontext heraus entstanden. Seit dem 11. September 2001 ist es das aber wesentlich einfacher geworden: Der nunmehr ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ ist zeitlich und territorial unbeschränkt, in ihm lösen sich die Grenzen zwischen innerer Sicherheit, also klassischer Innen- und Rechtspolitik, und äußerer Sicherheit, klassischer Außen- und Militärpolitik, zunehmend auf.

Wobei wir es mit einer internationalen Entwicklung zu tun haben ...

Ja. Die Größe und Neuartigkeit der Gefahr, so wird argumentiert, rechtfertige den Einsatz jeglicher Mittel und klassische international menschenrechtliche, verfassungsmäßige und bürgerrechtliche Beschränkungen würden nicht mehr greifen, denn – so der argumentative Rückgriff auf vorkonstitutionelle Zeiten – im Krieg habe das Recht zu schweigen. Diese Konstruktion wird von den USA wie von den westeuropäischen Staaten angewandt. Alle anderen Großmächte wie China und Russland und die mittleren Mächte schweigen, weil sie ihre ungebremste Repressionspolitik nach innen nunmehr im Gewand der Terrorismusbekämpfung durchführen können, ohne größere Rücksichten auf Völkerrecht und Menschenrechte nehmen zu müssen.

Verstöße gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte – du hast es gerade selbst angedeutet – sind nichts Neues. Was macht die neue Qualität aus?

Natürlich waren sowohl die Folter als auch weniger schmerzhafte Eingriffe in vielen Staaten etabliert. Doch die Quantität der seit dem 11. September 2001 umgesetzten Maßnahmen sowie die politische und publizistische Begleitmusik sind in eine neue Qualität umgeschlagen. Wenn nicht mehr nur einzelne Staaten und Staatenbünde auf wirkliche oder vermeintliche Bedrohungen repressiv reagieren, sondern alle gleichzeitig loslegen und ihre Arsenale öffnen, fehlt sowohl innenpolitisch als auch auf Staatenebene jegliches Gegengewicht.

Die Anwendung staatlicher Gewalt erscheint per se gerechtfertigt, während Protest und Militanz nicht-staatlicher Akteure mehr und mehr als terroristisch und damit unlegitimiert gebrandmarkt werden, ohne dass es auf Legitimität, auf menschenrechtliche und demokratische Inhalte ankäme. Weltweit führt dies zu einer Festschreibung des ökonomischen und machtpolitischen Status quo. Die weltweite Freund-Feind-Politik verringert die Chancen für soziale und gesellschaftliche Veränderungen. Wer sich in Wagenburgen und Festungen einrichtet, ist nicht (mehr) für zukunftsoffene, partizipative, egalitäre und demokratische Konzepte zu haben.

Gleichzeitig präsentiert sich die USA als grenzenlose Macht, die im globalen Antiterrorkrieg über jedes Recht erhaben ist ...

Um so wichtiger ist es, sich international für die Einhaltung beispielsweise des Gewaltverbotes der UN-Charta, des absoluten Folterverbotes und der anderen menschenrechtlichen Verbürgungen einzusetzen, die mühsam seit dem Zweiten Weltkrieg normiert, wenn auch sicherlich noch nicht durchgesetzt wurden.

Ohne dass es irgendwo schon vollendete demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse gegeben hätte, sollte nicht verkannt werden, dass der alte Zustand – vor dem 11. September 2001 – durchaus eine bessere Basis für den Kampf um gesellschaftlichen Fortschritt darstellte. Die Linke sollte sich daher in alter Tradition der Arbeiterbewegung um die Verteidigung des Rechts und rechtlicher Kompromisse – und zugleich natürlich um deren progressive Fortschreibung – bemühen, ohne den Blick für ökonomische und andere Gewaltverhältnisse zu verlieren und ohne sich auf dem Erreichten auszuruhen. Recht und Gerechtigkeit sind keine Zustände, sondern prozesshafte Entwicklungen, die immer wieder erkämpft werden müssen.

Sicherlich ist das ein umkämpftes Feld. Aber haben wir es nicht mit einer Situation zu tun, in der es weniger um Normen, ihre Einhaltung und die Disziplinierung bei Verstößen geht, sondern um den weiter gefassten Bereich der Gefahrenvorsorge und um eine Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen?

Die diversen Gesetzespakete des damaligen Innenministers Otto Schily nach den Anschlägen von New York und Washington lassen eindrucksvoll diese Abkehr von den rechtstaatlichen Kategorien des Tatverdachts im Strafprozessrecht und der Gefahr im Polizeirecht als Anknüpfungspunkt für repressive und präventive staatliche Eingriffe erkennen.

Das Ausländer- und Asylrecht hat sich mit seinen zahlreichen auf Terrorismusabwehr bezogenen Ausnahmetatbeständen mehr und mehr zu einem Teilgebiet des Polizeirechts entwickelt. Bei zahlreichen Demonstrationen etwa gegen die Castor- Transporte im Wendland oder die Münchener Sicherheitskonferenz werden Freiheitsentziehungen zur Gefahrenabwehr nach Polizeirecht durchgeführt und Globalisierungskitiker sind mit polizeirechtlichen Instrumenten wie Ausreiseverbote und Passbeschränkungen konfrontiert, die ihre Teilnahme an Demonstrationen im Ausland verhindern sollen. In keinem dieser Beispiele spielte ein Strafverfahren eine Rolle.

Staatliche Repression kommt immer weniger im Gewand des Strafrechts daher. Aus diesem Grund scheint mir auch die Diskussion um das so genannte Feindstrafrecht verfehlt, ein Konzept des Bonner Strafrechtslehrers Jakobs, wonach im Strafrecht der Bürger mit den Mitteln des allgemeinen Strafrechts, die Feinde des Rechtsstaates jedoch mit Ausnahmeregeln behandelt werden sollen. Das Feindstrafrecht hat in Deutschland zwar nicht erst seit dem Nationalsozialismus eine lange Tradition: Es wurde in den 1950er Jahren gegen Kommunisten und ab den 1960er Jahren gegen viele Protestbewegungen eingesetzt. Aber trotz vieler kritikwürdiger Urteile hat sich das System des Strafrechts eher zivilisiert, die wirklich besorgniserregenden Entwicklungen finden gerade außerhalb des Strafrechtes statt. Stellvertretend für diese Entwicklung steht das Konzept Guantánamo, das die Bush-Administration gerade so konzipiert hat, dass den dortigen Gefangenen die sicherlich unzureichenden, aber eben auch schützenden Formen des (Straf-)Rechts entzogen werden.

Steht das Gefangenenlager Guantánamo, in dem Menschen in absoluter Rechtlosigkeit gehalten werden, nicht paradigmatisch für einen nach dem 11. September 2001 erklärten permanenten Ausnahmezustand, in dem – wenn es von nutzen ist – die Ebene des Rechts verlassen wird? Macht es unter diesen Bedingungen überhaupt Sinn, mit den Mitteln des Rechts dagegen anzukämpfen?

Diese Frage würde ich einmal den Guantánamo-Gefangenen oder den im Rahmen der Rendition-Programme entführten und gefolterten El Masri und Maher Arar stellen. In jedem dieser Einzelfälle sind zunächst alle straf- und zivilrechtlichen, politischen und diplomatischen Mittel auszuschöpfen. Dabei ist es wichtig, die verschiedenen Mittel zur Durchsetzung menschen- und bürgerrechtlicher Ansprüche in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen. Mit Mitteln des Rechts wurde erreicht, dass US- und andere Gerichte und UN-Institutionen die Methode Guantánamo für rechtswidrig erklärt haben. Aber die Mittel des Rechts reichen nicht aus, um das System Guantánamo zu stoppen, der daraufhin gerichtete politische Kampf muss sicherlich verstärkt werden, um geltendes Recht und Gerichtsurteile durchzusetzen.

Innenminister Wolfgang Schäuble verweist gerne auf den Umstand, dass die NATO nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Beistandstandsfall beschlossen habe, sich also im Krieg befinde. Deutlicher kann wohl nicht gezeigt werden, dass die Maßnahmen im „Krieg gegen den Terror“ gleichermaßen verwaltungstechnischer, polizeilicher und juristischer wie militärischer Art sind?

Schäuble ist einer der vielen Wellenreiter unter den Sicherheitspolitikern, der die Chance für alte Projekte gekommen sah und versucht, jede Gelegenheit – zuletzt die Fußball-WM 2006 – zu nutzen, um die Grenzen zwischen Innen und Außen zu verwischen. Eine der Motivationen für solche Konzepte ist sicherlich, dass Außen- und Kriegspolitik seit jeher von Sicherheitspolitikern und Militärs als eher rechtsfreie Domänen angesehen werden, dass also im Krieg die Stunde der Exekutive schlägt und die Regierungen weder Parlamente noch Gerichte fürchten müssen.

Umso wichtiger sind die theoretischen und praktischen Versuche einer globalen Konstitutionalisierung, Mechanismen von Mitbestimmung und gerichtlicher und außergerichtlicher Kontrolle anzusehen. Die letzten Jahrzehnte waren auch die Zeit der großen Menschenrechtsverträge wie dem Pakt über zivile und politische Rechte, der UN-Anti-Folterkonvention und den Kontrollmechanismen auf nationaler und internationaler Ebene. Und keine Bewegung ohne Gegenbewegung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den letzten Jahren bahnbrechende Urteile im Falle der bewaffneten Konflikte in Kurdistan und Tschetschenien gefällt, die den dort Betroffenen neben dem Schutz der Normen des humanitären Völkerrecht auch die gemeinhin für den Normalfall garantierten Menschenrechte einräumen. Ein Beispiel dafür, dass es sich lohnen kann, für seine Rechte vor Gericht zu kämpfen.