Die Berliner Ortsgruppe der Interventionistischen Linken (IL) entstand 2015 aus den Gruppen Für eine linke Strömung (FelS), Avanti, Teilen der aufgelösten Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) und Einzelpersonen. Sie ist unter anderem in sozialen, antirassistischen, feministischen und Klimakämpfen aktiv. Die Arbeitsgruppe für internationale Solidarität (InterSol-AG) arbeitet zu Themen, die die Asylpolitik der BRD betreffen, insbesondere zu den Rechten von Geflüchteten. Die AG besteht ungefähr zu zwei Dritteln aus Personen mit gesichertem Aufenthaltsstatus und zu einem Drittel aus Geflüchteten mit prekärem Aufenthaltsstatus. Sie arbeitet zweisprachig (deutsch-französisch).
Women in Exile arbeitet in Berlin und Brandenburg. Die Organisation wurde von geflüchteten Frauen für geflüchtete Frauen gegründet. Frauen aus verschiedenen Ländern arbeiten dort mit. Arbeitsschwerpunkt sind Lagerbesuche. Im Sommer werden Workshops veranstaltet. Die Gruppe trifft sich einmal im Monat und arbeitet vielsprachig: auf englisch, französisch, deutsch, arabisch, farsi …
Corasol aus Berlin leistet moralische und politisch-praktische Unterstützung für Geflüchtete, zum Beispiel beim Kampf gegen Gutscheine oder bei der Organisation von Demos oder Solizimmern. Es gibt wöchentliche Treffen, die auf drei Sprachen – englisch, französisch und deutsch – abgehalten werden. Erfahrene Mitglieder unterstützen dabei die jüngeren. Corasol ist eine relative kleine und spontane, sehr active politische Gruppe.
InterSol: ¿Erzählt mal, wie ihr zu eurer Gruppe gekommen seid? Wart ihr davor schon politisch aktiv?
Nana: Ich bin aktiv bei Women in Exile. Diese Gruppe hat das Lager, in dem ich wohne, besucht und von ihrer Arbeit erzählt. Das war vor vier Monaten, und seitdem habe ich kein Treffen verpasst, nichts kann mich davon abhalten! Die Atmosphäre dort ist im Gegensatz zu der in den Lagern sehr entspannt.
Koko: Ich war schon in Kamerun politisch aktiv und habe auch in Deutschland nach einer politischen Gruppe gesucht. Women in Exile habe ich über einen persönlichen Kontakt kennengelernt Ich wollte aber auch in einer gemischten Gruppe mitarbeiten, die intensiv Politik betreibt. Was mich wirklich dazu gebracht hat, in die InterSol zu kommen, war, dass auf den Treffen dieser Gruppe bereits Geflüchtete waren, und zwar mehrere. Das hat mich darin bestärkt, meinen politischen Kampf mit der IL in Berlin fortzuführen.
Pierre: Meine erste politische Gruppe in Deutschland war Corasol, die ich im Aufnahmelager in Eisenhüttenstadt kennengelernt habe. Corasol war auf einer von FelS organisierten Demo eingeladen, und dort habe ich jemanden von FelS kennen gelernt und viel über die Gruppe erfahren. In Kamerun hatte ich in einer studentischen Gruppe für die Rechte der Studierenden gekämpft, allerdings nicht lange, denn wenn man dort politisch aktiv ist, ist man Repression, Verhaftungen und Unterdrückung ausgesetzt. Ich habe dabei viele Freunde verloren und dann aus Angst die politische Arbeit beendet.
Henriette: Ich bin 2010 zu FelS gekommen und war vorher schon zehn Jahre in einer antirassistischen Gruppe. Das war allerdings eine Kleingruppe, und weil diese Kleingruppe immer kleiner wurde, bin ich zur Inter-Sol-AG von FelS. In der InterSol kamen wir zu dem Schluss, dass, wenn wir antirassistische Arbeit machen wollen, das nur in einer gemischten Gruppe geht, weil wir keine Stellvertreter*innen-Politik machen wollen. Am Anfang sind wir ganz gezielt auf geflüchtete Genoss*innen zugegangen und haben sie gefragt, ob sie in der InterSol mitmachen möchten. Und so sind nach und nach immer mehr Geflüchtete gekommen.
¿Was sind die Unterschiede in der Kommunikation zwischen einer Gruppe wie Women in Exile, in der nur geflüchtete Frauen organisiert sind, und einer Gruppe, in der Geflüchtete und Nicht Geflüchtete organisiert sind?
Nana: Ich war ja noch nie in einer gemischten Gruppe, aber ich glaube, dass sie ja für dieselbe Sache kämpfen wie wir, daher müssten die Themen auch gleich sein. Ein Übersetzungsproblem dürfte es nicht wirklich geben. Die von Rassismus betroffenen Menschen sind ja auch die, die davon betroffen sind, kein Wort zu verstehen. Wenn man mit diesen Menschen zusammen ein Treffen ohne Übersetzung abhält, ist das, als lege man den Finger genau in die Wunde.
Henriette: Natürlich dauert ein Plenum in einer gemischten Gruppe doppelt so lang wie ein Plenum in einer einsprachigen Gruppe. Es gibt auch Leute, die aus diesem Grunde aus einer gemischten Gruppe rausgehen. Konsekutive Übersetzung bedeutet, dass nach einem Redebeitrag immer übersetzt wird, bevor es weitergeht. Aber es ist ja eine Frage der Priorität. Wenn es Priorität für die InterSol ist, keine Stellvertreter*innen-Politik zu machen, sondern mit geflüchteten Menschen, die direkt von Rassismus betroffen sind, zu arbeiten, dann plenieren wir natürlich zweisprachig.
Koko: Dieses Sprachproblem haben wir in allen Gruppen, auch bei Women in Exile, wo nur Geflüchtete organisiert sind. Da haben wir vier oder fünf Sprachen. Das ist sehr kompliziert, aber irgendwie funktioniert es, denn wir müssen ja zusammenarbeiten, wenn wir Politik machen wollen.
¿Am Anfang hatten wir in der InterSol bei den Übersetzungen das Problem, dass wir oft laienhaft übersetzt haben, auch Leute, die nur so halb französisch können. Das haben wir dadurch gelöst, dass wir nun professionelle Übersetzer*innen haben. Aber auf den Vollversammlungen wird nicht mit Übersetzungspausen übersetzt (konsekutiv), sondern zeitgleich (simultan). Das bedeutet, dass die Geflüchteten für eine aktive Teilnahme eigentlich schneller denken müssten als die andern, weil sie die Übersetzung immer ein wenig versetzt hören?
Henriette: Es gibt natürlich schon eine sprachliche Barriere, die die Teilhabe an Plena für die, die deutsch sprechen, viel leichter macht. In der InterSol läuft das schon ganz gut, was den Sprachanteil betrifft, den die geflüchteten Genoss*innen haben. Aber wenn ich jetzt an große Plena denke, wie zum Beispiel die Vollversammlung (VV), dann ist schon eine größere Hürde da, sich auch tatsächlich einzubringen.
Pierre: Ein Treffen auf einer Sprache, die man nicht beherrscht, zu besuchen, ist natürlich schwierig. Auf der VV kann man nicht intervenieren, oft sprechen die Leute so schnell, dass die Übersetzung nicht mitkommt. Diese simultane Übersetzung zwingt uns ein wenig in eine passive Rolle auf der VV.
Koko: Ich finde das in Ordnung, denn alle Entscheidungen, die auf der VV getroffen werden, verstehen wir, und wir können sie bedenken. In den Arbeitsgruppen diskutieren wir dann.
¿Die Lebenssituation von den Geflüchteten in der InterSol unterscheidet sich sehr von der der anderen Aktiven. Die Personen mit gesichertem Aufenthaltsstatus fahren mehrmals im Jahr weg und erzählen im Sommer von den geplanten Urlaubsreisen, während die Geflüchteten quasi Urlaub in ihren Lagern machen müssen. Wie geht ihr damit um?
Koko: Naja, wir gehen eben damit um. Das ist unsere Situation. Das ist nicht der Fehler derjenigen, die in Urlaub fahren, die machen nur von ihren Rechten Gebrauch.
Nana: Man darf da nicht neidisch sein. Zurzeit ist Urlaub auch wirklich nicht unser Problem. Wir haben andere Probleme, wie wir uns in Deutschland integrieren können, Arbeit finden und so weiter – das sind unsere Probleme, nicht der Urlaub der anderen.
Pierre: Ich bin schon neidisch auf die, die in den Urlaub fahren. Ich würde das auch gerne tun, aber ich darf nicht. Aber hier ist es auch ein bisschen wie in einer Familie, das hebt die Moral und man sagt sich, na gut, der oder die fährt jetzt in den Urlaub, und vielleicht kann ich ja nächstes Jahr fahren. Außerdem bin ich lieber mit Leuten zusammen, die urlauben können, als dass ich im Lager bleibe, wo alle immer nur schlafen.
Nana: Ja, wir fühlen uns auch mit Leuten wohl, die verreisen. Und man lernt jedesmal etwas Neues, wenn man mit anderen Menschen zusammen ist.
Henriette: Natürlich ist unsere Lebenssituation komplett verschieden, aber in einer gemischten Gruppe zu arbeiten heißt auch, Unterstützungsarbeit zu leisten, weshalb die Unterstützung der Geflüchteten auch immer Teil der politischen Arbeit ist. So hat beispielsweise bei uns auch jede Geflüchtete/ jeder Geflüchtete einen Unterstützungskreis, der konkrete Solidarität übt.
¿Diese praktische Solidarität, die wir versuchen in der InterSol umzusetzen, zum Beispiel mit den Unterstützungskreisen, ist das ausgeglichen gegenüber der politischen Kampagnenarbeit? Oder steht das eine hinter dem anderen irgendwie zurück?
Koko: Ich finde die Unterstützungsarbeit wohl überlegt. Ich kann da den Leuten, die sich das ausgedacht haben, nur gratulieren, denn wir sind hier in Deutschland ja ganz auf uns gestellt und schaffen es ohne Unterstützungsgruppe nicht, Anwälte zu finden, Zimmer und so weiter. So können wir ein wenig atmen.
Pierre: Ich persönlich habe mich in der InterSol immer unterstützt gefühlt, und jetzt mit dem Unterstützungskreis noch mehr. Es ist gut, was für die getan wird, die von den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft betroffen sind. Ich wünsche mir sehr, dass es in fünf Jahren zur Normalität gehört, dass in allen IL-AGen Geflüchtete sind.
¿Wenn ihr jetzt mal zum Beispiel fünf Jahre in die Zukunft guckt und euch vorstellt, ihr wart immer noch bei der IL. Ich zum Beispiel bin schon sehr lange dabei und ich finde die Tatsache, dass bei der IL Berlin jetzt Geflüchtete mitarbeiten, die größte Herausforderung, die ich bisher für die Gruppe erlebt habe, aber auch die größte Errungenschaft. Glaubt ihr, dass wir in fünf Jahren immer noch dieselbe Situation haben werden wie jetzt?
Koko: In fünf Jahren wird jedenfalls der Kampf gegen den Rassismus immer noch auf der Tagesordnung stehen!
Pierre: Ich denke, dass in fünf Jahren mehr Geflüchtete als heute in der IL mitarbeiten werden, weil sich die IL in dieser Hinsicht immer weiter verbessert, und die Geflüchteten als selbstständige Akteure und nicht als Zuschauer*innen begreift. Wir treffen in den Lagern und auf Demos viele Geflüchtete und sprechen mit ihnen. Es gibt bereits eine lange Liste von Leuten, die mitmachen wollen. Daher werden in fünf Jahren diejenigen, die bereits jetzt dabei sind, sehr gestärkt sein, und es wird auch eine große Gruppe von neuen geben.
Nana: Women in Exile muss auch wachsen. Je mehr Deutsche dann auch präsent sind, desto weniger fühlen wir uns marginalisiert. Wir fühlen uns wohl mit Deutschen, die anders sind, die keine Rassist*innen sind, und ich bin optimistisch, dass es sie geben wird.
Henriette: Ich denke auch, dass wir in fünf Jahren ganz ähnliche Erfahrungen mit der Integration geflüchteter Genoss*innen machen werden. Aber wir werden damit hoffentlich besser vorankommen, zum einen, weil unsere jetzigen Genoss*innen dann keinen prekären Aufenthalt mehr haben werden, und uns bei der Integration unterstützen können, und zum anderen, weil wir dazugelernt haben. Ich wünsche mir sehr, dass es in fünf Jahren zur Normalität gehört, dass in allen IL-AGen Geflüchtete sind.