Teilen und Herrschen

Der Kapitalismus hat sein Wohlstandsversprechen für alle noch nie eingelöst, und seit langem geht es ausschließlich in die entgegengesetzte Richtung. Arbeitslose werden als Reserve gebraucht, die durch ihre bloße Existenzdie Lohnforderungen der Noch-Arbeitenden drücken, verbunden mit der Drohung, dass man jederzeit ersetzt werden kann und sich dann in Armut wiederfindet.

BASTA! macht seit mehreren Jahren drei mal pro Woche jeweils drei Stunden Sozialberatung in fünf Sprachen und Begleitungen zum Jobcenter. Menschen aus dem gesamten Stadtgebiet suchen unsere basisorganisierte und parteiische Unterstützung auf. Wir wollen mit den Beratungen keine weitere karitative Einrichtung sein, die die sozialen Verwerfungen hier und heute im Kapitalismus lindert, sondern die Ursachen und Auswirkungen von Erwerbslosigkeit politisch bearbeiten. Wir wollen Alternativen der gesellschaftlichen Veränderung gemeinsam als Betroffene und mit anderen Betroffenen entwickeln und gestalten. Wir denken, dass diese Auseinandersetzung mit den Verhältnissen nicht individualisiert, sondern kollektiv geschehen muss. Für dieses Vorhaben nutzen wir den Ansatz der Basisorganisierung und lehnen uns dabei an Organizing-Konzepte an.

Beratung zum ALG II und Begleitung zum Jobcenter sehen wir als notwendige Voraussetzung, um Menschen den Rücken frei zu halten und ihre Existenz auf eine gesicherte, wenn auch nicht ausreichende, Grundlage, zu stellen. Das gibt ihnen erst die materielle Möglichkeit, sich politisch um ihre Belange zu kümmern. Initiativen wie BASTA! sollen dabei den Rahmen bilden.

Ein allgemeines politisches Bewegungsprinzip– Mehr werden durch...

Mit dem Ziel, Leute zum Mitmachen zu ermutigen und zu begeistern, erklären wir nach den Beratungsgesprächen kurz, wer wir sind, was wir vorhaben und dass wir dazu »mehr« werden müssen. Anschließend fragen wir nach den Kontaktdaten der jeweiligen Person und erhalten diese bereitwillig in 99 Prozent der Fälle. Mit diesen Menschen versuchen wir regelmäßig in Kontakt zu bleiben. So ist durch unendlich viele Gespräche und Telefonate mit der Zeit eine Basis entstanden, die in unterschiedlicher Art und Weise an BASTA! mitarbeitet. Diese Basis besteht aus Menschen, die eine eigene Alltagserfahrung in prekären Lebenslagen und Erwerbslosigkeit haben. Alle, die unter anderen Umständen ebenfalls zu der Erkenntnis gekommen sind, dass die gesellschaftlichen Zustände zwingend veränderungswürdig sind, sind herzlich zur Mitarbeit eingeladen. Prekäre und Erwerbslose erfahren tagtäglich, dass die Verhältnisse ihnen keine akzeptable Gegenwart und schon gar keine Zukunft bieten können. Doch um dies zu verändern, bedarf es mehr als dieser Erkenntnis, die in ihrer Klarheitauch nicht immer und überall und den Betroffenen schon gar nicht automatisch bewusst ist. Erst das Beschäftigen mit den Umständen und das Erlernen von praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten versetzt Menschen in die Lage, sich kollektiv für Veränderungen einzusetzen. Das versuchen wir mit dem Aufbau einer zweisprachigen Erwerbslosenschule zu unterstützen. Diese sechswöchige Workshopreihe »BASTA! macht Schule« zu dem Themenkomplex Erwerbslosigkeit und Armut wird von zwölf Menschen vorbereitet, die wir über die Beratung kennengelernt haben. Zusammen mit dem Plenum haben sie praktische (unter anderem »Wie wehre ich mich im Jobcenter« ) und theoretische Workshops (unter anderem »Die Rolle von Hartz IV in der Gesellschaft und wieso wir uns manchmal schuldig fühlen« ) ausgearbeitet, Flyer und Einladungen entworfen und so ein Projekt des gemeinsamen Lernens und Diskutierens entwickelt. BASTA! konnte dadurch die eigene Analyse schärfen, und die Beteiligten haben viel entdeckt, vor allem das Vertrauen in ihre gemeinsame Kritik an den Zuständen.

Basisorganisierung

Der Ansatz, auf eine vordergründig unpolitische, individualisierte Masse zuzugehen und ihr die Möglichkeit zu bieten, die eigene Lebensrealität, aber auch die von Menschen unter ähnlichen Bedingungen im politischen Prozess verändern zu können, Basisorganisierung also, wird selten praktiziert. Entweder wird an die Herrschenden appelliert, den sozial Benachteiligten wieder etwas mehr vom großen Kuchen abzugeben oder die betroffene Klientel wird in jeglicher Hinsicht als verdorben angesehen und deshalb als ungeeignet für eine gemeinsame politische Sache. Reflexartig greifen linke Gruppen oder Institutionen lieber auf das bewährte Personal mit dem schon eingeübten Verhaltenskodex einer akademischen Mittelschicht zurück. Oftmals versucht man sich dann gegenseitig von der Richtigkeit des eigenen Teilbereichskampfs zu überzeugen, ohne den Kreis der Mitkämpfenden erweitern zu wollen. Doch so kann mitnichten eine gesellschaftliche Hegemonie erreicht werden. Linke Politik verharrt vielmehr in der komfortablen Lage, unhaltbare Verhältnisse zu kritisieren, womit es sich ausgesprochen gut leben lässt. In gesellschaftlichen Krisenzeiten ist man dann über die große Zahl derer erschrocken,die den Angeboten von rechts hinterherlaufen. Wir brauchen deshalb eine linke Politik, die gesellschaftlich verankert ist und dadurch nachvollziehbare Lösungen entwickeln kann.

Basisorganisierung ist ein langwieriger und aufwendiger Prozess, der nicht von heute auf morgen spektakuläre, aber teuer erkaufte Siege, wie die Mobilisierung zu einem Großevent, vorweisen kann. Es ist vielmehr der Versuch der Wiedererlangung einer Verankerung und die eigene politische Weiterbildung in Milieus, aus denen heraus nachhaltige politische Erfolgemöglich werden. Dabei sollte es darum gehen, Menschen mit ihren Erfahrungen und dem daraus resultierenden Verhalten zu verstehen und zu realisieren, dass die wenigsten politisches Eingreifen in die Gesellschaft zu ihrem Hobby gemacht haben. Das heißt wiederum nicht, dass sie unpolitisch wären. Ihre Inaktivität liegt unserer Meinung nach an dem bisherigen Fehlen eines passenden Rahmens. Die Aufgabe erfahrener Aktivist*innen ist es, diesen bereitzustellen und ihn zusammenzuhalten, die Bereitschaft der schon Teilnehmenden zur Mitarbeit weiterzuentwickeln, bei ständiger Motivation bisher noch Unentschlossener. Interessierten sollte die Möglichkeit gegeben werden, mit dem unterschiedlichsten Zeitbudget in klaren Strukturen tätig zu werden, über die politische Richtung mitbestimmen zu können und nicht nur schmückendes Beiwerk zu sein.

Eine verbindliche Struktur aufbauen

Ausgehend von den Kontaktdaten versuchen wir, auf Basis von Informationen über persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, politisches Interesse und die Bereitschaft einer potentiellen Mitarbeit der in die Beratung-Kommenden, ein Gerüst aufzubauen, das jeder/m Interessierten die Möglichkeit des Mitmachens bietet. Dieses Gerüst muss mit Leben gefüllt werden, was in den seltensten Fällen durch das kurze Gespräch mit dem bis dato Unterstützungssuchenden in der Beratungssituation geschieht. Jede, die auch nur ansatzweise jemals eine Praxis unter basisorganisatorischen Bedingungen entwickelt hat, weiß, dass die vor allem in der außerparlamentarischen Linken kultivierte Legende von der automatischen Selbstorganisierung der Individuen eine Illusion ist, die sich aber hartnäckig hält, auch weil sie so schön bequem ist. Um Menschen für politische Arbeit zu motivieren, braucht es keine nebulöse, sondern eine konkrete Basis und handfeste Projekte, an denen Interessierte mitarbeiten können.

Bei einer ersten Kontaktaufnahme sollten solche Vorhaben etwas mit der Lebensrealität der Angesprochenen zu tun haben. Sie müssen zwingend von erfahrenen Aktiven begleitet werden, damit Kenntnisse weitergegeben werden können und sich bei den ersten Problemen nicht Frustration und Auflösungserscheinungen bemerkbar machen. Um dem bei BASTA! gerecht zu werden, laden wir über die Kontaktdaten schon in der Anfangsphase zu allen Treffen des geplanten Vorhabens ein. Die einzelnen Projekte versuchen wir in die Arbeitsgruppenstruktur von BASTA! zu integrieren. Über das zusammenführende Plenum soll ein Überblick für alle und eine Einbindung in die gesamte Gruppe gewährleistet werden. Dies soll in allen Bereichen der Fall sein, angefangen bei den notwendigen Voraussetzungen unserer Arbeit, dem Beraten und Begleiten, bishin zum politischen Agieren. Beim Beraten versuchen wir über Weiterbildungen Interessenten heranzuführen, um das Angebot zu erweitern, die bisherige Arbeit zu professionalisieren und sie für die bereits dort Tätigen entspannter zu gestalten. Bei der Begleitung gibt es noch einen großen Bedarf, eine organisierte Struktur anstelle einer sporadischen Unterstützung zu entwickeln. Das angestrebte »Mehr-Werden« bietet aber auch die Möglichkeit, noch viel mehr zu tun.

Über das Skandalisieren hinausgehen

Nicht erst in einer fernen Zukunft soll der Alltag einfacher werden, schon im Hier und Heute müssen sich Lebensbedingungen für Menschen mit wenig Geld verbessern. Da die Appelle an die Obrigkeit, wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten praktisch belegt, wenn überhaupt nur kurzfristige Entlastung bringen, da Arbeitslose die Grundvoraussetzung kapitalistischer Bedürfnisbefriedigung, nämlich Geld für diese ausgeben zu können, nicht erfüllen, muss diese jenseits des Kaufens und Verkaufens geschehen. Es geht uns nicht um die Almosen eines im Spätkapitalismus grassierenden Charity-Unwesens, sondern darum, dass die Betroffenen selbst untereinander Gebrauchswerte beitragen, und damit gleichzeitig um einen Konsum ohne massenhafte Ressourcenverschwendung durch Marktkonkurrenz. Wir denken dabei in die Richtung arbeitszeitbasierter Tauschbörsen oder Arbeiterbörsen, sind bisher aber noch nicht über Gedankenspiele und kritische Bestandsaufnahmen hinausgekommen.

Die Notwendigkeit der Utopie

Das bisher Beschriebene halten wir für zutiefst politisch. Durch die klassische Arbeit auf der Straße und in den Institutionen müssen wir die Rahmenbedingungen für uns und unsere Vorhaben Schritt für Schritt verbessern, ohne dabei der Illusion zu erliegen, man könne durch den Aufbau eines Paralleluniversums oder durch die besseren Argumente die Gegenseite zu dauerhaften Zugeständnissen bringen. Es bleiben schlicht und einfach die unterschiedlichen Interessen, die uns trennen. Nur das Verschieben des Kräfteverhältnisses, das Erreichen einer gesellschaftlichen Mehrheit kann zu gesellschaftlichen Veränderungen führen, die wir für alle nachvollziehbar und vollkommen entspannt und selbstbewusst mit dem Begriff »Sozialismus« beschreiben sollten. Doch dazu bedarf es einer konkreten Alternative, die als Angebot unterbreitet werden kann und die mehr aussagt als »emanzipatorisch« und »herrschaftsfrei« zu sein oder glaubt, dem Kapitalismus transformatorisch, vielleicht sogar im Marsch durch die Institutionen, ein menschliches Antlitz verpassen zu können. Alle notwendigen theoretischen Voraussetzungen dieser Alternative existieren unserer Meinung nach schon und müssen »nur« nochs ortiert und zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden. Das kann dann zur materiellen Realität werden, wenn es, wie es früher so schön hieß, die Massen erreicht. Dazu will BASTA! einen Beitrag leisten.