In Frankreich ist Atom der wichtigste Energieträger, in Großbritannien Gas, in Deutschland Kohle, in Österreich und Schweden Wasser. Die Anteile erneuerbarer Energieträger unterscheiden sich sehr stark: Während Schweden und Österreich auf Grund ihres hohen Potentials an Wasserkraft die höchsten Anteile vorweisen können, spielen erneuerbare Energieträger beispielsweise in Polen nahezu keine Rolle. Auch im klimapolitischen Vorzeigeland Großbritannien liegt der Anteil erneuerbarer Energieträger an der Stromerzeugung bei bescheidenen 7 Prozent. Die Emissionsminderungen auf der britischen Insel gehen vor allem auf den Wechsel von einem fossilen Energieträger zu einem anderen - von Kohle zu Gas – zurück. In Deutschland und Spanien hingegen wurden die erneuerbaren Energien durch Einspeisevergütungen relativ großzügig gefördert und stark ausgebaut. In Deutschland beträgt ihr Anteil an der Stromerzeugung 17 Prozent, in Spanien 25 Prozent.
Nicht nur im Bereich der Energieträger gibt es erhebliche Unterschiede, auch die Machtverhältnisse und Strategien der zentralen Akteure unterscheiden sich. Während in Frankreich EDF eine quasi monopolartige Stellung innehat, teilen sich in Deutschland die großen Vier EON, RWE, Vattenfall und EnBW den Markt mit Stadtwerken, kleinen (Öko-)Stromanbietern und Energiegenossenschaften. In Großbritannien und den Niederlanden ist die Liberalisierung weiter vorangeschritten. Der Markt für erneuerbare Energien wird in Deutschland von einer Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen dominiert, die großen Vier haben es bisher weitgehend unterlassen, in erneuerbare Energien zu investieren. Sie fangen jedoch an, auch vor dem Hintergrund des beschleunigten Atomausstiegs, dies nachzuholen. Die spanischen Energiemultis Iberdrola und Endesa sind da bereits einen Schritt weiter, wobei es auch in Spanien zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen gibt, die im Bereich der erneuerbaren Energien präsent sind. Anders als in Großbritannien, wo der (überschaubare) Markt für regenerative Energien von den großen Energiemultis dominiert wird. Auf Grund dieser Kräftekonstellation liegt eine Dezentralisierung der Energieversorgung Großbritanniens in sehr weiter Ferne.

Die Energieversorgungsstrukturen in der EU sind also sehr heterogen, die Verantwortung für die Energiepolitik liegt maßgeblich auf nationalstaatlicher Ebene. Welche Bedeutung hat dann die Energiepolitik auf europäischer Ebene?

EU-Energiebinnenmarkt – Imperiales Projekt oder Beschleuniger der Energiewende?

Die Europäische Kommission arbeitet darauf hin, einen europäischen Energiebinnenmarkt zu schaffen. Dieser Ansatz folgt demselben neoliberalen Muster wie das Binnenmarktprojekt. Das Ziel eines Energiebinnenmarktes wird als ein Schwerpunkt der Energiestrategie definiert. Mittels des Ausbaus der Netze und der Vereinheitlichung der Regulierungen soll gewährleistet werden, dass Strom wie andere Waren innerhalb der EU über Landesgrenzen hinweg jederzeit fließen kann. Die vier weiteren Standbeine, die in der EU-Energiestrategie definiert werden, sind die Erhöhung der Energieeffizienz, die Stärkung der „Verbraucherautonomie“, Förderung von Forschung und Entwicklung im energietechnologischen Bereich und zuletzt gelte es, die „externe Dimension“ des EU-Energiemarktes zu stärken.

Neben dem Ausbau der Netze spielt die Einflussnahme mittels Richtlinienvorgaben auf die Energiepolitik der Nationalstaaten eine wichtige Rolle. Bis 2020 sollen 20 Prozent der in der EU genutzten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Jedes Mitgliedsland hat sich zu verbindlichen Ausbauzielen verpflichtet. Besonders umstritten jedoch ist das Ziel, den Anteil der Agrotreibstoffe im Verkehrssektor auf 10 Prozent zu erhöhen. Dieses Ziel kann nur mittels einer massiven Ausweitung der Importe von Agroenergie erreicht werden. Die sogenannten Hungeraufstände aus den Jahren 2007 und 2008 liefern einen Vorgeschmack darauf, was die Umsetzung dieses Ziels bedeuten würde, nämlich eine massive Zuspitzung der globalen Ernährungskrise. Der Zugriff auf Energieressourcen im globalen Süden beschränkt sich jedoch nicht auf den Bereich der Treibstoffproduktion. Mittels der Zufeuerung fester Biomasse wie beispielsweise Holz in fossilen Großkraftwerken soll deren Klimabilanz verbessert werden und Emissionszertifikate eingespart werden. Das Potential in der EU hierfür ist ebenfalls beschränkt, unter dem Deckmantel des Klimaschutzes wird somit verstärkt auf die Rohstoffe in den Ländern des Südens zugegriffen. Ein weiteres Beispiel dafür, was die EU unter einer Stärkung der externen Dimension des Energiemarktes begreift, ist das Desertec-Projekt, für das sich EU-Energiekommissar Oettinger stark macht. Riesige Solarenergieparks sollen in der Sahara entstehen und der erzeugte Strom soll mittels gigantischer Trassen in die Verbrauchszentren Mitteleuropas geleitet werden.

Die Vorliebe für zentralistische Großprojekte wird auch durch die Mittelvergabe im Rahmen des im Jahr 2009 geschnürten EU-Konjunkturpaketes verdeutlicht. Neun offshore-Windparks und sechs CCS (Carbon Capture and Storage)-Projekte sollten mit insgesamt 1,5 Milliarden Euro gefördert werden. Darunter war auch das CCS-Vorhaben von Vattenfall im Kraftwerk Jänschwalde, wo CO2 abgeschieden und anschließend unterirdisch verpresst werden sollte. Welche Folgen die CO2-Einlagerungen vor allem langfristig haben, weiß weder die EU noch Vattenfall. Zum Glück konnte auf Grund von Protesten ein CCS-Gesetz in Deutschland verhindert werden, Vattenfall hat seine Pläne vorerst aufgegeben.

Die EU-Kommission arbeitet also an der Etablierung eines Ener-giebinnenmarktes. Ob und wie schnell sich dieses Projekt durchsetzen lässt ist jedoch offen, die Bereitschaft der nationalen Regierungen, Kompetenzen an die EU abzutreten, ist in Anbetracht der Bedeutung der Energieversorgung relativ gering. Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich in Europa zu einer Krise des europäischen Einigungsprozesses weiterentwickelt haben, lassen die schnelle Umsetzung eines Energiebinnenmarktes zusätzlich unwahrscheinlicher werden. Die energiepolitischen Ansätze auf der EU-Ebene deuten darauf hin, dass zentralistische Strukturen beibehalten werden sollen, der Ausbau erneuerbarer Energieträger soll die fossilen Energieträger lediglich ergänzen, nicht jedoch zeitnah ablösen. Insofern bleibt es ein Rätsel, wie mit dem eingeschlagenen Weg das im Fahrplan für 2050 von der EU Kommission gesetzte Ziel einer Emissionsminderung um 80 bis 95 Prozent erreicht werden soll.

Dritter Kernbereich der EU-Energiestrategie neben der Beibehaltung der Dominanz fossilistisch- zentralistischer Strukturen ist der verstärkte Zugriff auf Ressourcen außerhalb des eigenen Territoriums. Neben den „traditionellen“ Energielieferanten wie Norwegen, Russland und den „Ölstaaten“ des Nahen Ostens rücken verstärkt afrikanische Länder in den Fokus europäischer Interessen. Insofern handelt es sich bei der EU-Energiepolitik um ein neoliberales, imperiales Projekt, das darauf ausgerichtet ist, die Märkte weiter zu deregulieren, bestehende Strukturen und Machtverhältnisse zu festigen und die europäischen Energieversorgungssysteme vor dem Hintergrund multipler Krisenerscheinungen zu modernisieren. Es stellt sich die Frage, was dieser Befund für emanzipatorische Kräfte bedeutet.

Perspektiven der Energiekämpfe

Die Energiepolitik in Europa ist kein „von oben“ gesteuerter Prozess, sondern ein umkämpftes Feld, das mehrere Ebenen aufweist. Es lassen sich zumindest vier Arten von Energiekämpfen unterscheiden: Erstens entwickeln sich Konflikte um die weitere Nutzung fossiler Energieträger. Der Abbau von Kohle, die Förderung von Gas, der Bau neuer Kohle- und Gaskraftwerke, die Erprobung der irrsinnigen CCS-Technologie, all diese Projekte stoßen vielfach auf Widerstand. Britische Kohlekraftwerke waren zweimal Aktionsziele von Klimacamps.

Zweitens gibt es zahlreiche Konflikte um die weitere Nutzung der Atomenergie. Klar war schon vor der Katastrophe von Fukushima, dass es keine  Renaissance der Atomkraft in Europa geben wird. Wieviele neue Atommeiler in Europa noch gebaut werden und wann die bestehenden vom Netz gehen werden, wird von den weiteren Auseinandersetzungen abhängen. Der Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland ist der beschleunigte (und trotzdem viel zu langsame) Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland zu verdanken.

Drittens wird verstärkt die Eigentumsfrage gestellt und die Energiemultis werden herausgefordert, wobei die Bedingungen für Rekommunalisierungen in den europäischen Ländern auch je nach Betroffenheit von der Wirtschaftskrise sehr unterschiedlich sind. In Deutschland strebt beispielsweise die Initiative Unser Hamburg – unser Netz die Rekommunalisierung der Energienetze an, dasselbe Ziel verfolgt der Berliner Energietisch. In einem zweiten Schritt geht es diesen Initiativen um den Aufbau kommunaler Unternehmen, die die Energiewende vorantreiben sollen. Darüber hinaus existiert eine wachsende Zahl an Energiegenossenschaften, die auf eine dezentralisierte, auf erneuerbaren Energien basierende Energieversorgung hinarbeiten. In Dänemark stammen circa 23 Prozent der gewonnenen Windenergie aus genossenschaftlicher Produktion.

Viertens gibt es Auseinandersetzungen um den Ausbau der Energienetze und erneuerbarer Energien, die häufig durchaus ambivalent sind. Bei Windrädern, Pumpspeicherkraftwerken und neuen Netzen kommt es häufig zu Konflikten zwischen klassischen „Naturschutzinteressen“ und der Notwendigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien, in Kombination mit dem NIMBY (Not In My Backyard)-Syndrom. Erneuerbare Energien - ja bitte, aber nicht in meinem Hinterhof! Im Vorfeld einer Demonstration im Oktober 2008 in Paris gegen die industrielle Nutzung der Windenergie wurde die European Platform Against Windfarms gegründet, der inzwischen mehr als 500 Organisationen beigetreten sind.

Was diese verschiedenen, bisher allerdings eher fragmentierten Energiekämpfe eint, ist die Forderung nach einer Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten bzw. einer Demokratisierung der Energieversorgungsstrukturen. Der dezentrale Ausbau erneuerbarer Energien und der dadurch notwendige Ausbau der Netze kann nur gelingen, wenn breite Bevölkerungsschichten daran teilhaben und diesen Prozess aktiv mitgestalten. Das Potential dafür ist durchaus vorhanden, die massiven Proteste gegen Stuttgart 21 und die occupy-Bewegung sind Indikatoren für den Wunsch nach politischer Partizipation. Die Frage ist, ob daraus ein Zyklus neuer, offensiv geführter (Energie-)Kämpfe wird.

Die Ausrichtung der Energiekämpfe auf eine dezentralisierte, demokratisierte und auf erneuerbaren Energieträgern basierende Energieversorgung muss mit dem Aspekt der Wachstumskritik verbunden werden. Für die Produktion und den laufenden Betrieb jeglicher Form der Energiegewinnung werden Rohstoffe gebraucht, Energie eingesetzt und damit auch Treibhausgasemissionen verursacht. Insofern kann es nicht das Ziel einer progressiven Energiewende sein, den bestehenden Wachstumspfad unter begrünten Vorzeichen weiter zu beschreiten. Ein „grüner Wachstumspfad“ kann auch deswegen keine emanzipatorische Perspektive sein, weil viele Ressourcen, die für eine Energiewende notwendig sind,  aus dem globalen Süden kommen und den Menschen dort ebenfalls in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen müssen.

Ob das imperiale Projekt einer wettbewerbsfähigen, „nachhaltigen“ und sicheren Energieversorgung in der EU weiter durchgesetzt werden kann, hängt wesentlich von der Entwicklung der Energiekämpfe ab, die gegen dieses Proejkt gerichtet sind. Die Frage ist also ob es gelingt, eine umfassende Dezentralisierung und Demokratisierung der Energiesysteme zu erstreiten, die auf erneuerbaren Energien basieren.