Die Band Ton Steine Scherben veröffentlichte 1972 ihren Song Keine Macht für niemand und offenbarte damit ein anarchistisches Verständnis von Macht, die als das Grundübel kapitalistischer Herrschaft verstanden wird. Für die aus der Protestbewegung von 1968 hervorgegangenen Generationen war ein solch grundlegender Anarchiegedanke durchaus weit verbreitet und berührt die antiautoritäre Auslegung von Freiheit, wie sie etwa auf den libertären Sozialismus eines Michail Bakunin zurückgeht. Ein freiheitlicher Sozialismus wurde vor allem von den 68ern in Frankreich und Deutschland als notwendiges Korrektiv zur Auslegung des Marxismus im realexistierenden Sozialismus in Osteuropa angesehen. Für Bakunin waren sämtliche Formen von institutionalisierter Autorität abzulehnen. Es komme lediglich eine soziale Revolution in Frage, d.h. die Überwindung aller Institutionen und Strukturen, die Ungleichheit – sei es ökonomisch, politisch oder sozial – (re)produzieren. In diesem Sinne ist der Slogan «Keine Macht für niemand» zu verstehen. Doch Missverständnisse liegen nahe, weil in diesem populär gewordenen verdichteten Slogan lediglich eine von mehreren Facetten des Machtbegriffs berührt wird.

«Es komme lediglich eine soziale Revolution in Frage, d.h. die Überwindung aller Institutionen und Strukturen, die Ungleichheit – sei es ökonomisch, politisch oder sozial – (re)produzieren.»

Insbesondere mit den Philosophen Norbert Elias und Michel Foucault rückte in den 1970er und 1980er Jahren schließlich der Begriff der Macht umfassend in den Fokus der Sozialwissenschaften. Darüber hinaus existieren einige produktive Ansätze, die sich für eine differenzierte Theorie der Macht in Anschlag bringen lassen. Auch wenn sie sich nicht immer direkt auf den Begriff der Macht beziehen und ihn doch indirekt zum Gegenstand haben. Im Folgenden werden vier Stränge skizzenhaft benannt und zusammengebracht: Die Herrschaftssoziologie von Max Weber, die Politische Ökonomie von Karl Marx, die Psychoanalyse von Sigmund Freud und die Machttheorie von Michel Foucault.

Erster Strang: Die Herrschaftssoziologie nach Max Weber

Auf Weber geht die Definition der Macht als eine «soziale Beziehung» zurück. Er bestimmt Macht als «jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance besteht.»1 Diese Definition bleibt in bestimmten Aspekten unklar. Denn, was hieße es für eine Macht­instanz, wenn ihr die Anerkennung verweigert wird und ein Machtwille nur mit Hilfe von Gewalt erzwungen werden kann? Es käme darauf an, ob die Gewalt den Willen auf Dauer brechen kann oder ob er ihr widersteht. Erfahrungen im Umgang mit unterschiedlichen Formen der Gewalt lehren jedenfalls, dass diese keineswegs immer mit Macht gleichzusetzen sind. Weber bezeichnet eine Herrschaft, die auf willkürlicher Gewalt beruht, als Gewaltherrschaft: Sie ist labil, weil ihr die Legitimität fehlt. Anerkennung ist dabei eine zentrale Bedingung seiner Herrschaftssoziologie, die sich etwa auch auf den Begriff der Autorität bezieht.

Autorität ist nach Weber eine soziale Fähigkeit, im Wesentlichen ohne Einsatz von Gewalt für wechselnde Zwecke Gefolgschaft zu erzielen. Autorität beruht vielmehr auf Überlegenheit oder Vorsprung beispielsweise durch Wissen. Aber auch hier ist die Anerkennung zentral: wird diese durch gewaltvolle Mittel erzwungen, so wäre dies ein autoritäres Verhalten, das zeigt, dass die betreffende Person wenig Autorität besitzt.

«Herrschaft erscheint als eine formvollendete Macht im modernen Staat und liegt in der Gestalt der politisch institutionalisierten Gewaltenteilung und des verrechtlichten Gewaltmonopols vor.»

Herrschaft ist nach Weber hingegen eine dauerhafte, institutionalisierte Machtausübung, in der die Anwendung von Zwangsgewalt lediglich ein letztes Mittel darstellt. Herrschaft erscheint als eine formvollendete Macht im modernen Staat und liegt in der Gestalt der politisch institutionalisierten Gewaltenteilung und des verrechtlichten Gewaltmonopols vor. Zwar verschwinden mit diesem zunehmend rohe Gewalt- und Zwangsformen aus der Öffentlichkeit und machen einem «stahlharten Gehäuse der Hörigkeit» Platz, wie Weber die Bürokratie bezeichnet. Sie treten aber auch immer wieder im Privaten oder auf der staatlichen Ebene auf sanktionierte Weise in polizeilichen oder militärischen Maßnahmen, in (Bürger-)Kriegen und Völkermorden auf. Sanktioniert sind sie durch das Recht, das die Anwendung legitimierter Gewalt als letzte Instanz zur Durchsetzung einhegen soll, das aber immer wieder auch hintergangen wird. Dennoch haben wir es heute in den fortgeschrittenen Industrienationen nicht mehr überwiegend mit unmittelbaren Herrschafts- und autoritären Abhängigkeitsverhältnissen zu tun, sondern mit vermittelten Abhängigkeiten und einer gegenüber dem demokratischen Staat weitgehend rechtlich abstrakt-gleichberechtigten Gesellschaft. Freilich findet man neben dem versachlichten Sektor der kapitalistischen Warenproduktion und dem dazugehörigen Klassensystem an vielen Orten der Welt – zum Teil auch in der westlichen – noch traditionelle und archaische Formen der Gewaltherrschaft wie Sklaverei, Schuldknechtschaft oder patriarchale Bevormundung.

Zweiter Strang: Die politische Ökonomie der Macht nach Karl Marx

Marx hat selbst keinen eindeutigen Machtbegriff verwendet. Gleichwohl lässt sich ohne ihn keine emanzipatorische Machttheorie entfalten, die auf Handlungsmacht und kollektive Handlungsfähigkeit oder Gegenmacht im Kapitalismus zielt.

Das Kapital beruht nach Marx auf einem zweifachen Macht­mechanismus: Einerseits stellt es ein verselbstständigtes Herrschaftsverhältnis dar, welches gesellschaftliche Gruppen beherrscht und das in der Wendung vom «stummen Zwang der Verhältnisse» umschrieben ist. Andererseits ist das Kapital eine Klassenherrschaft, die der politischen und rechtlichen Absicherung bedarf sowie der Ideologie, die beide im Spätkapitalismus ebenfalls die Tendenz zur Verselbständigung haben.

Die Verfügungsgewalt des politischen und ökonomischen Staates auf vermittelte, d.h. verrechtlichte und versachlichte Weise ist die verdichtete Form struktureller Macht. Im modernen, kapitalistischen Staat existiert die Klassenherrschaft mit dem staatlichen Schutz der Verfügungs­gewalt verschiedener gesellschaftlicher Gruppen über das Privateigentum und über die Lohn- und Reproduktionsarbeit. Nach Marx sichert der kapitalistische Staat die Aneignung fremder Arbeitskraft als ökonomische Ausbeutung ab, woraus sich ungleiche Machtchancen zwischen den Klassen ergeben. Dagegen konzentriert sich das Herrschaftswissen in den Händen der herrschenden Klasse, etwa wenn die Reichen ihren Einfluss und Zugriff auf den Staat durch Parteienfinanzierung, Lobbyismus, staatliche Förderung allerlei Institutionen, private Medien oder privilegierte Bildung untermauern.

Was bei Marx fehlt, ist eine «Politische Ökonomie der Arbeitskraft» als Gegenpol des Kapitals. Diese haben Oskar Negt und Alexander Kluge in ihrem Werk Geschichte und Eigensinn (1981) ausgearbeitet. Es befasst sich damit, wie sich die Arbeiter*innenklasse im Alltag einerseits anpasst, ihre Bedürfnisse zurückstellt und andererseits sich organisiert und rebelliert bis hin zur Revolution. An diesem Punkt wäre auch an den antikolonialistischen und imperialismuskritischen Schriften von Stuart Hall und Frantz Fanon anzuknüpfen, die mit Gramsci beziehungsweise Marx auf die jeweils spezifische koloniale Situation revolutionärer Subjekte reflektieren.

Doch die Gestalt der Revolution muss sich an den Fortschritt der gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung anpassen. Je arbeits­teiliger und komplexer die verstaatlichten Gesellschaften werden, desto vermittelter und dezentraler werden die Rechtsformen ihrer Herrschaft. Die gegenseitigen Abhängigkeiten nehmen zu und lassen die komplexen Machtgeflechte in den Hintergrund treten, beziehungsweise sie werden von einer institutionalisierten Öffentlichkeit überragt, in der sich auch Gegenmächte herausbilden. An diesem Punkt wäre an die Hegemonie­theorie von Antonio Gramsci und an Hannah Arendt anzuknüpfen.

Aus dem Marxschen Werk lässt sich für eine umfassende Machttheorie ein weiterer zentraler Aspekt herausarbeiten, der sich auf die vor­gegebene materialistische Struktur bezieht, die die Natur der handelnden Subjekte beeinflusst, das Bewusstsein der Subjekte mitbestimmt und Handlungsspielräume begrenzt: (Kollektive) Handlungsfähigkeit hängt ganz wesentlich von der gesellschaftlichen (politisch-ökonomischen) und geschichtlichen Konstellation ab.

Dritter Strang: Die Antriebe und Begehren der Macht gemäß der Psychoanalyse

Ein weiterer Strang zielt auf die individuelle Handlungsfähigkeit. Mit Hilfe der Psychoanalyse und der daran anschließenden analytischen Sozialpsychologie lässt sich im Rahmen der Kritischen Theorie ein fundiertes Verständnis der Wirkungsweise von Macht in und zwischen den Individuen erschließen, auch wenn die Kritische Theorie ebenfalls keine eigenständige Machttheorie entfaltet hat.

«Individuelle Handlungsfähigkeit ist bedingt durch physisch-materielle wie auch durch mentale Ausstattungen von Körper und Geist.»

Individuelle Handlungsfähigkeit ist bedingt durch physisch-materielle wie auch durch mentale Ausstattungen von Körper und Geist. Die psychoanalytische Trieblehre und die Lehre vom Unbewussten können Schlüssel für ein näheres Verständnis des Wirkens von Macht in den Individuen beziehungsweise in den sozialen, interaktiv agierenden Subjekten sein. Grundsätzlich strebt der Mensch nach Lust und einem Zustand der Zufriedenheit, beziehungsweise er versucht, Unglück zu vermeiden. Dies nannte Freud das Lustprinzip. Doch die Handlungsspielräume des Individuums sind durch das Realitätsprinzip eingeschränkt. Jeder Mensch strebt demzufolge unterschiedlich, je nach den individuell und gesellschaftlich gegebenen Möglichkeiten. Moral und Gesetz setzen Grenzen für dieses triebgesteuerte Streben im Menschen. Das Ich, das von Moral und Gesetz geleitet wird, ist allerdings nicht «Herr im eigenen Haus», wie Freud sagt; es muss immer wieder gesellschaftlich sanktionierte Trieb­forderungen abwehren. Die Mechanismen, die dem Ich zur Abwehr zur Verfügung stehen, insbesondere Verdrängung und Sublimierung, hat Anna Freud in ihrem Buch Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936) ausgearbeitet. Davon ausgehend hat der Ethnopsychoanalytiker Paul Parin die sogenannten Ich-Anpassungsmechanismen begrifflich entwickelt. Sie ermöglichen uns ein näheres Verständnis von dem Vorgang, wie Individuen allgemein aus der weniger machtvollen Position auf machtvolle Formen der sozialen Umwelt, also auf Normen, Zwänge,­­ Gesetze und Gewalt, reagieren, sofern ihnen der Widerstand dagegen keinen größeren Lustgewinn verspricht: mit Anpassung, Konformismus, Opportunismus und Gehorsam.

Vierter Strang: Die Mikrophysik der Macht nach Michel Foucault

In Foucaults Diskurstheorie war der Machtbegriff noch in dem Begriff der Ordnung eingegliedert (Ordnung der Diskurse, diskursive Macht der Ordnung). Eine wichtige Aussage Foucaults in diesem Zusammenhang war, dass Wahrheit diskursiv verhandelt wird und dass der Zugang zu den Diskursen gleichsam von «Wahrheitskartellen» machtvoll geordnet ist: Die Ordnung der Diskurse verfügt darüber, wer worüber spricht und wie gesprochen wird.

In Überwachen und Strafen (1975) geht es Foucault schließlich um eine Disziplinarmacht, die auf die Körper der Subjekte formend einwirkt. Regierungen versteht Foucault als Scharnier zwischen Macht und Herrschaft. Regierungstechniken und Techniken des Selbst verknüpfen sich miteinander, weil sich das individuelle Bedürfnis nach Schutz mit dem Interesse des Staates, die Bevölkerung zu disziplinieren, verbindet. Foucault zeigt hier den historischen Übergang von einer Souveränitäts­macht (Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters) zu einer sogenannten Gouvernementalität (neuzeitlicher Staat).

«Gouvernementalität ist nach Foucault eine Erscheinungsform neuzeitlichen Regierens als Machttypus und Gegenbegriff zur Souveränität.»

Mit seinen Überlegungen zur Gouvernementalität Ende der 1970er Jahre in Vorlesungen am College de France erhielt das Theoriegebäude ein materielles Fundament, das insbesondere in der politischen Ökonomie mit dem aus Marx abgeleiteten Begriff der politischen Handlungsmacht vereinbar ist. Gouvernementalität ist nach Foucault eine Erscheinungsform neuzeitlichen Regierens als Machttypus und Gegen­begriff zur Souveränität. Demnach geht es um die staatliche Steuerung des Verhaltens der Individuen und von Gesellschaftsgruppen als Bevölkerungspolitik (Biomacht). So wird Biopolitik zur neuzeitlichen ­Regierungstechnik des Staates. Was Foucault unter Biopolitik fasst, ist ein spannungsreiches Zusammenspiel aus Praktiken des Selbsts und den Regierungstechniken der Gouvernementalität. Mit seinen Schriften über Sexualität und Wahrheit (1976) hat Foucault seine Machttheorie durch eine Theorie der Subjektivierung, die aus Selbstpraktiken und konstitutiven Momenten besteht, ausgebaut.

An diesen Punkten ergeben sich Verbindungen zu feministischen, queeren und dekolonialen Diskurstheorien etwa von Judith Butler, María do Mar Castro Varela und Gayatri Chakravorty Spivak. Butler etwa hat 1990 mit ihrem Buch Gender trouble eine umfassende Debatte zum performativen Aspekt von Geschlecht angestoßen, wodurch die binäre Einteilung in männlich und weiblich als naturalisierte Vorstellung der Geschlechter entlarvt wurde. Die Queer-Theorie hat hiervon ausgehend eine Vielzahl von Geschlechtern hervorgebracht, gleichsam als subversive identitäts­politische Unterwanderung der gouvernementalen Biopolitik wie auch ein Queering als Haltung, um Machtverhältnisse sicht- und kritisierbar zu machen. Spivak wiederum problematisierte in ihrer Schrift Can the Subaltern speak (1988) das Dilemma, dass das (politische) Sprechen im öffentlichen Raum den Regeln der herrschaftlichen Ordnung der Diskurse unterliegt. In der Ordnung der Diskurse kommt ein machtvoller Eurozentrismus zum Ausdruck, so dass Spivak den Subalternen die Möglichkeit zu sprechen abspricht – jedenfalls so lange wie der eurozentristische, weiße Machtblock in der Postkolonialität nicht aufgelöst ist.

Für eine verbindende Machttheorie und kollektive Handlungsmacht von links

Die Soziologie der Diskursanalysen, die auf Oberflächenphänomene der Macht und Sprachpolitiken abzielt, kann ohne ideologie­kritischen Tiefgang an den gesellschaftlichen Verhältnissen nur rütteln. Erst die Verbindung mit der Kritik der politischen Ökonomie und der Psycho­analyse macht aus der Diskursanalyse ein scharfes Schwert der Metareflexion für eine tiefergehende gesellschaftliche Emanzipation.2 Genau diese Verbindung hätte bereits vor Jahrzehnten Not getan, um der Spaltung der Linken in einen traditionellen und einen identitätspolitischen Flügel zu entgehen. Das bezieht sich auf die Ebene der politischen Praxis, auf der es zu Entzweiung und Entsolidarisierung gekommen ist. Just zu dem ungünstigen Zeitpunkt, als die akademische Linke an den Universitäten bereits auf dem Rückzug war.

Mit der Zusammenführung der Stränge ergeben sich neue, erweiternde Blickwinkel und Fragestellungen. Weil nach wie vor ein differenzierter Machtbegriff fehlt, der diese Stränge zusammenfassen kann, wäre dringend diese Arbeit am Begriff zu leisten, damit man als Linke von Handlungsmacht/-spielräumen und kollektiver Handlungsfähigkeit von links unter Bezugnahme eines positiven Machtbegriffs sprechen und danach handeln kann.

Herbert Marcuse sprach von der «Großen Verweigerung», in die sämtliche emanzipatorischen Proteste münden sollen, um den Spätkapitalismus erfolgreich überwinden zu können. Wir wissen heute, dass es ein kaum realistisches Praxiskonzept gewesen ist, weil sich die vereinzelten Teile nicht unter dem Dach einer Gesellschaftstheorie als gemeinsames Narrativ zusammenfassen ließen. Auch führt Verweigerung allein nicht zu einem systematischen Aufbau von Gegenmacht und Gegeninstitutionen, die schließlich die alten Institutionen ersetzen können. Die Linke erleben wir in der heutigen Zeit als eine Summe pluralisierter Positionen, die als Ganzes keine Handlungsmacht mehr zu besitzen scheint.

Vieles an dieser Ohnmacht erinnert an die Phase «linker Melancholie» zur Zeit des Ersten Weltkriegs am Rande des Untergangs der bürgerlichen Gesellschaften, die Georg Lukács in seiner 1916 veröffentlichten Schrift Die Theorie des Romans mit einer «transzendentalen Obdachlosigkeit» in Verbindung gebracht hat. Lukács meinte damit die existenzielle Erfahrung des Untergangs und verband diese mit der Erneuerung einer Gesellschaftskritik. Er prägte auf diese Weise ganz entscheidend das linke Denken für mehrere Generationen. Heute haben wir womöglich mit dem Klimawandel eine ähnliche existenziell entscheidende Erfahrung der notwendig gewordenen sozialökologischen Transformation der kapitalistischen Gesellschaften, in denen wir leben. Die gefühlte Ohnmacht verstetigt sich im Zuge einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaften weltweit. Diese Tendenz zur Polarisierung ist auch innerhalb der Linken erkennbar.

«Erstes Gebot scheint in diesem Zusammenhang zu sein, eine stichhaltige und umfassende Machttheorie zu entwickeln, die gleichermaßen die Politische Ökonomie wie auch die Mikrophysik der Macht einbindet und ferner auch die psychologischen Dimensionen von Handlungsmacht und -spielräumen bedenkt.»

Die Postmoderne lebt in der fortgesetzten Entleerung von den traditionellen Sinnbezügen wie Religion, Familie und Klasse fort. Zudem gerät die Ordnung der Diskurse, wie Foucault sie gesehen hat, ins Wanken. Vor allem die Aufhebung des Prinzips der gouvernementalen Technik in Gestalt der Verknappung der Zugänge zu den Diskursen, wie sie durch das Internet und die sozialen Netzwerke vorangetrieben wird, bringt eine unkontrollierbare Bewegung mit den anderen Ordnungsprinzipien der Diskurse ins Spiel. Die Ordnung versagt und offenbart in ihrem Versagen nicht nur Gutes. Die (post)modernen Gesellschaftsinsass*innen haben in dieser «transzendentalen Obdach­losigkeit» offenbar erneut ein zunehmendes Bedürfnis nach Sinn (dem «bestirnten Himmel über uns», wie es bei Kant heißt). Ein numerisch bedeutsamer Teil der Gesellschaft findet den mentalen Halt in konservativen Werten, aber auch der Esoterik, dem Aberglauben oder in Verschwörungsideologien als irrationale Ohnmachtsreaktionen und befeuert damit einen rechten roll back. Dem lässt sich etwas entgegensetzen, wenn die Linke sich sammelt unter dem pluralen Dach einer wirkmächtigen vielgestaltigen Theorie und diversen Praxis. Erstes Gebot scheint in diesem Zusammenhang zu sein, eine stichhaltige und umfassende Machttheorie zu entwickeln, die gleichermaßen die Politische Ökonomie wie auch die Mikrophysik der Macht einbindet und ferner auch die psychologischen Dimensionen von Handlungsmacht und -spielräumen bedenkt. Nur so lässt sich auch eine notwendig positive Einstellung zur Macht in der politischen Praxis gewinnen. Diese Schritte scheinen wichtig zu sein, um die Ohnmacht solidarisch im Kollektiv bei gleichzeitiger Anerkennung der Pluralität und Diversität zu überwinden. Denn wie schon Francis Bacon sagte, ist Wissen Macht. Begriffe sind die Schlüssel zur Macht, d.h. deren Voraussetzung.