Nicht überall, wo kollektiv draufsteht, ist auch kollektiv drin. Teil des kapitalistischen Systems ist stets auch die Ausbeutung und Vereinnahmung ursprünglich emanzipatorischer Konzepte. So lohnt es sich, auch beim Begriff des Kollektiven genauer hinzusehen. Das Label kollektiv wird in zwei Richtungen kapitalistisch verfälscht: Nach außen als Verkaufsargument an eine konsumkritische, linke Kund*innenschaft und nach innen als ein Instrument zur Befriedung von Beschäftigten. So ist es längst common sense der Unternehmensberatung, mit flachen Hierarchien die Leistungsfähigkeit der Ausgebeuteten zu erhöhen. Dass ihr Betrieb gar nicht so kollektiv ist, wie es die Eigentümer*innen darstellen, fällt vielen Beschäftigten erst in Konfliktsituationen auf – beispielsweise bei Unstimmigkeiten bezüglich Lohnhöhe oder Gewinnabschöpfung.

Für uns ist es ein Kollektivbetrieb, wenn die Beschäftigten basisdemokratisch organisiert sind und alle das gleiche Stimmrecht über die sie betreffenden Entscheidungen haben. Insbesondere im Falle der Lohnhöhe, aber auch, wenn es um die Besitzrechte an Betrieb und Produktionsmitteln und die formale Absicherung der Eigentumsrechte geht.

Kollektivbetriebe – Das Richtige im Falschen?

Ein Arbeitsplatz in einem Kollektivbetrieb bringt ein hohes Maß an Selbstbestimmung mit sich: Wir können über Arbeitszeiten und Lohnhöhe entscheiden oder Jobs ablehnen, die wir für ethisch fragwürdig halten. Wir können uns von manch seltsamen ‹Nine-to-five›-Konventionen befreien, wir können uns unsere Kolleg*innen aussuchen, vielleicht stellen wir mit unserem Betrieb Produkte oder Dienstleistungen bereit, die wir technisch wie ethisch besser finden als das, was der Markt bisher zu bieten hat. Sogar an der Profitlogik lässt sich knabbern, wenn wir nicht gewinnorientiert arbeiten, sondern nur unsere Löhne erwirtschaften und Überschüsse an soziale Bewegungen oder andere Kollektive im Aufbau weiterreichen.

Doch natürlich gibt es ein erdrückendes Aber: Der Markt bestimmt noch immer den Rahmen, Löhne und Arbeitszeiten fallen schnell dem Konkurrenzdruck zum Opfer, das Ablehnen von Aufträgen muss ökonomisch tragbar bleiben. Gute Produkte sind nur so gut wie die Kund*innenschaft, die sie nachfragt und bezahlen kann. Und auf die Profitlogik zu pfeifen, funktioniert nur in Branchen, in denen kein permanenter Investitions- und Modernisierungsdruck besteht.

Auch der interne Anspruch an Hierarchiearmut und Herrschaftsfreiheit wird häufig im Produktivitätsdruck erstickt. Schnell bekommt in der kollektiven Auseinandersetzung die Bilanzierung eine höhere Aufmerksamkeit als Reinigungstätigkeiten und Zeit für Feedback und Prozessschleifen wird umsatzsteigernden Maßnahmen untergeordnet. Hochspezialisierte Arbeitsbereiche wie in der Buchhaltung oder im IT-Bereich und unterschiedliche Stundenkontingente produzieren schnell Wissenshierarchien, klassische Rollenmuster und Ausschlüsse – die meisten Kollektive sind weiß, jung und gesund, Rollen sind häufig überraschend klassisch verteilt, Szenecodes und Kommunikationsstrukturen stellen weiterhin Zugangsbarrieren dar.

Das Modell Kollektivbetrieb ist längst kein Ausbruch. Wer klassenbewusst als abhängig Beschäftigte*r das Tagwerk verrichtet, kann im Idealfall die Arbeit mit Dienstschluss aus dem Kopf verbannen, bei Bedarf frei machen, klauen und sabotieren, was das Zeug hält– immer unter Rücksichtnahme auf die Kolleg*innen, versteht sich. Im Kollektivbetrieb verschwimmen dagegen gerne und schnell die Grenzen zwischen Politik und Lohnerwerb, Freund*innenschaft und Arbeitsbeziehung. Der mental load, also das, was mensch im Kopf mit sich herumträgt, vergrößert sich. Wer krank ist, denkt vielleicht schneller an die schlechte wirtschaftliche Lage des Betriebes, der Lebensgrundlage der Kolleg*innen und Freund*innen. Wo sonst jemand antreibt, der durch die Arbeitskraft anderer Profit erwirtschaften will, da wird mensch im Kollektivbetrieb selbst zur Antreiber*in im kapitalistischen Hamsterrad.

Wenn wir als radikale Arbeiter*innen also für Kollektivbetriebe plädieren, sollten wir darauf achten, dass wir dem Niedergang des Genossenschaftswesens nicht einfach eine neoliberale Fortsetzung anfügen oder aber uns in Ansprüchen ersticken, die im Kapitalismus nicht umsetzbar sind.


«Aus der Gewerkschaftsbasis und der internationalen Vernetzung ergibt sich eine solidarische Masse an Konsument*innen, mit denen darüber hinaus erste Schritte einer Planwirtschaft von unten gegangen werden können.»

Die revolutionären Momente: Vision und Perspektive

In jedem Kollektivbetrieb steckt eine recht konkrete Vision: Tätigkeiten für die Bedürfnisse der Gemeinschaft und die eigene Sinnstiftung; mit Menschen arbeiten, für die wir uns entschieden haben, nach Regeln, die wir gemeinsam ausgehandelt haben; Tätigkeit und Befriedigung unserer Bedürfnisse entkoppeln; das Leistungsprinzip abschaffen und die Bedürfnisse der Gesellschaft mit unseren Bedürfnissen und Fähigkeiten aushandeln.

Wie revolutionär diese einfache Vorstellung – konsequent gelebt – ist, sagt viel über die Welt aus, in der wir leben. Groß gedacht würde so zu wirtschaften heißen, die Zusammenarbeit und das Finden von Schnittmengen gegen Dominanz und Konkurrenz einzutauschen, das Aufrechnen von Leistung zu verlernen, ein Ohr für unsere eigenen Bedürfnisse und die der anderen zu entwickeln. Es würde aber auch heißen, die Produktion ganz anders zu denken – und das ist praktisch gemeint: Andere Werkstoffe, langlebigere Produkte, Lokalisierung der Wirtschaftskreisläufe, basisdemokratische Planung des Bedarfs und vieles mehr.

Für all das braucht es zumindest erste Erfahrungen. Dafür können Kollektivbetriebe – wenn sie sich gegenseitig den Rücken freihalten – Möglichkeitsräume bieten. Die Idee der gewerkschaftlichen Kontrolle entsprang der Einsicht, dass Kollektiv nicht gleich Kollektiv ist und Selbstbestimmung ein hohes Risiko an Selbstausbeutung mit sich bringt. In einem längeren Prozess entstand in Diskussion mit vielen Kollektivbetrieben zwischen 2012 und 2015 die Union Coop Föderation gewerkschaftlich organisierter Kollektivbetriebe. Ein Zusammenschluss an Betrieben, der sich klare Kriterien für Eigentumsrechte, Rechte für die Arbeiter*innen und Branchenstandards gegeben hat.

Ausgangspunkt dieses Prozesses war, dass Kollektivbetriebe vermehrt zum Thema in der Freie Arbeiter*innen Union (FAU) Berlin wurden. Sei es, dass wir in bestimmten (sogenannten) Kollektivbetrieben Arbeitskämpfe führten, dass von FAU-Mitgliedern Kollektive gegründet wurden oder von außen welche auf uns zutraten, um beraten zu werden. Uns wurde dabei klar, dass wir für diesen Bereich eigentlich kein klares Konzept hatten. Hinzu kam, dass es im Hamburger Café Libertad Kollektiv, das aus der FAU heraus gegründet wurde, zu größeren Konflikten kam, die ebenfalls nochmals die Frage aufwarfen, was wir eigentlich unter einem FAU-Kollektivbetrieb verstehen und wie eine Anbindung an die FAU aussehen könnte. Neben einer Kontrollinstanz, die helfen soll, dass Kollektive auch Kollektive bleiben und dass nicht plötzlich doch die Hierarchien übernehmen, könnte die Union Coop zukünftig eine Struktur darstellen, die ökonomische Unterstützung, Prozessbegleitung und Supervision, Austausch zu Produktivitätsdruck und Machtstrukturen bereitstellt und Ressourcen zwischen den Betrieben umverteilt.

FAU und Union Coop: radikaler Arbeitskampf

Mit der Verbindung zur antikapitalistischen, radikaldemokratischen FAU bleiben die Arbeiter*innen in Kollektiven und Chef*innenbetrieben in einer gemeinsamen, revolutionären Bewegung vereint. Hier verlieren die Kollektivist*innen die Arbeitsbedingungen in den restlichen Betrieben der Branche nicht aus den Augen und die abhängig Beschäftigten profitieren vom Wissen um die Möglichkeit des Kollektivbetriebes. Aus der Gewerkschaftsbasis und der internationalen Vernetzung ergibt sich eine solidarische Masse an Konsument*innen, mit denen darüber hinaus erste Schritte einer Planwirtschaft von unten gegangen werden können. Ein Prinzip, das zum Beispiel in der Solidarischen Landwirtschaft seit langem praktiziert wird.

In der Verbundenheit mit einer weltweiten Bewegung militanter Gewerkschafter*innen und Kollektivist*innen sehen wir das Potenzial, die eigenen Strukturen zu verändern. In der Idee des Zusammenschlusses von Kollektivbetrieben weltweit liegt für uns der Weg raus aus der Isolation – für eine Revolution globaler Arbeits- und Lebensbedingungen.

Heute noch ist die Union Coop ein größtenteils idealistisches Projekt. Obwohl es den Kollektiven nur wenig finanzielle Sicherheit bietet, steigen mit jedem neu hinzugekommenen Betrieb versammeltes Wissen und Unterstützungspotenzial. Mehr Betriebe in der Föderation können perspektivisch Solidaritätsfonds für Betriebe in Not und Betriebe im Aufbau etablieren. Dadurch ließen sich auch schwer zugängliche Branchen, beispielsweise Bereiche der hochtechnologisierten Produktion erschließen. Gleichzeitig kann die Union Coop auch ein Werkzeug für Arbeiter*innen-Communitys und solidarische Nachbarschaften werden, in denen gezielt Betriebe nach den Bedürfnissen der Konsument*innen aufgebaut werden (das kollektive Café in der Nachbarschaft, der anarchistische Pflegedienst, der Lastenradverleih …).

Aktuell trifft sich die Union Coop monatlich. Interessierte Betriebe sind jederzeit willkommen. Mit Pat*innenschaften bemühen sich die beteiligten Betriebe, neu Interessierten den Zugang zu erleichtern. Die gemeinsame Website, ein E-Mail-Verteiler und Social-Media-Kanäle werden kollektiv berieben Ausgehandelt werden neben der Quotierung auch Stundenlohn und Beitragsmodelle zur Finanzierung. Betriebe in Gründung sind eingeladen, sich von Anfang an mit der Union Coop auszutauschen. Beteiligt sind neben Betrieben auch Einzelunternehmer*innen. Der Beitritt der Betriebe ist gekoppelt an die betriebsinterne Unterzeichnung und Bindung an ein Statut, das den Vorgaben der Union Coop entspricht.