Triggerwarnung:

Sexuelle Gewalt, Victim Blaming, Vergewaltigung, Misogynie.

FLINTA*

Der Begriff FLINTA* steht für Frauen,­ Lesben, Inter-Menschen, nicht­binäre Menschen, Trans-Menschen und Agender-Menschen – also für Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität (patriarchal) diskriminiert werden.

Im Sommer 2020 habe ich mit 22 Jahren das erste Mal vor Wut gebrannt. 

Ich war das erste Mal nicht ängstlich, nicht erstarrt, nicht überfordert, sondern erfüllt mit einer Wut, die mich den Mann, der mich anderthalb Jahre vorher sexuell belästigt hatte, mitten in einem Supermarkt, kurz vor der Kassenschlange, zusammenpöbeln ließ, als er versuchte, mich erneut anzugraben. 

Sie gab mir die Kraft und Energie das Haus wiederzufinden, in dem er wohnte und in dem er mich belästigt hatte und gab mir das Selbstbewusstsein, meine Erfahrung mit dort wohnenden FLINTA*s zu teilen. 

Wir organisierten uns, teilten unsere Erfahrung, leisteten uns Beistand und organisierten ein Outing mit Plakaten mit seiner Fresse drauf in der ganzen Stadt. 

Während er früher eine Masche nach der anderen abzog und FLINTA*s reihen­weise weinend seine Wohnung verließen, lässt er sich heute in der Stadt kaum noch blicken.

Das ist unser Sieg über diesen Mann, sein Jagdgebiet ruiniert zu haben und dieser Erfolg hat meine Wut nicht beruhigt, sondern befeuert. Sie brennt stärker denn je und gibt mir Energie und Momentum für alle Kämpfe, die noch folgen sollen. 

Diese Wut ist etwas, was in uns allen wohnt und schwelt. Jede FLINTA* dieser Welt könnte diese Wut darüber, wie Männer mit uns und auch FLINTA* untereinander miteinander umgehen, fühlen. 

Was zwischen uns und dieser Wut steht, ist die Macht des Patriarchats. 

Der Gedanke, kein Anrecht auf etwas zu haben, ist als weiblich sozialisierte oder als weiblich gelesene Person allgegenwärtig. Er drückt sich in einem Schweigen über und einer Ent­fremdung von den eigenen Bedürfnissen aus, was das Begreifen der eigenen Unterdrückung unendlich schwer und schmerzhaft macht. Wer nicht glaubt, dass sie etwas Besseres verdient hat, die kann die Wut nicht fühlen, die das Unrecht in ihr hervorrufen würde, wenn sie es denn sehen könnte. 

Und dieses Wissen, was wir verdient haben und was nicht, ziehen wir aus Erfahrungen und Erlebnissen. 

Ich habe über meine Jahre in der Partykultur meiner Heimatstadt gelernt, dass es normal ist, dass der Typ sich einen Dreck um Einvernehmlichkeit schert. 

Dass er nicht mal fragt was ich möchte, sondern einfach macht. 

Dass er einfach kein Kondom benutzt, obwohl ich ihn drum bitte. 

«Wer nicht glaubt, dass sie etwas Besseres verdient hat, die kann die Wut nicht fühlen, die das Unrecht in ihr hervorrufen würde, wenn sie es den sehen könnte.»

Dass er mich anal vergewaltigt, weil er einen Scheiß draufgibt, ob ich das möchte oder nicht. 

Das zeigt eine Form von Macht, die Männer im Patriarchat haben. Die Macht über den Körper von FLIN­­TA*s mit Ignoranz und/oder Gewalt zu verfügen.

Eine andere Form ist das Verhalten der Öffentlichkeit und des Umfeldes: das Victim Blaming, die Angst davor, retraumatisiert zu werden und soziale Kontakte zu verlieren. Denn über viele Dinge wird nicht gesprochen und wer als Frau allein feiern geht, hat sich alles selbst zuzuschreiben. So sind Männer nun einmal, das sollte ich doch besser wissen. 

Und diese beiden Aspekte bilden den verinnerlichten Faktor für das Schweigen, denn wenn mensch Dinge oft genug erlebt und hört, dann glaubt mensch sie auch irgendwann. 

Ich war lange der Ansicht, dass One-Night-Stands nun mal für FLINTA*s so sind und sich daran nichts ändern ließe. 

Ich war der Ansicht, dass es normal ist, dass Männer nicht nach Zustimmung fragen. 

Ich war der Ansicht, dass es sowieso keinen Zweck hat, sich aufzuregen, wenn er das Kondom weglässt, weil passiert ist passiert. 

Ich hatte das Gefühl, kein Anrecht darauf zu haben, einem Mann sein Studium durch ein Outing als Vergewaltiger zu ruinieren. 

Ich war der Ansicht, dass mir niemand glaubt, wenn ich sage, dass mir in meinem kleinen Dorf KO-Tropfen ins Glas geworfen wurden, weil dort jede*r jede*n kennt. 

Und all diese internalisierten Gedanken, kein Anrecht auf eine bessere Behandlung zu haben weil es alles war, was ich kennengelernt und erfahren hatte. Das ist das, was mich ganz tief in meinem Innern jahrelang zum Schweigen gebracht hat. Diese Gedanken, die jede Wut oder Trauer, die ich für mich hätte fühlen können, erstickt haben. Die nichts übriggelassen haben, als den vergifteten Gedanken, dass es schon an mir gelegen haben wird. 

Das ist die Macht des Patriarchats über meine Psyche und die vieler FLINTA*s. Es ist der tiefverwurzelte Gedanke, das es schon an mir liegen muss, der viele Betroffenen von Gewalt nachhaltig zerstört, zusätzlich zum Schaden, der schon allein durch den Täter verursacht wird. 

Und unser aller Schweigen hält uns davon ab zu bemerken, dass wir eine unter vielen Betroffenen sind, dass es nicht an uns als Person liegt, sondern an dem, was uns von dieser Gesellschaft entgegengebracht wird. Und meine Wut speist sich aus diesem Wissen, dass ich mein Leid und das vieler anderer FLINTA*s nicht hätte verhindern können, indem ich oder sie sich anders verhalten hätten. Die Täter hätten uns trotzdem gefunden, denn sie umgeben uns. Sie sind unsere Väter, Freunde, Söhne, Lehrer, Pastoren, Chefs, Passanten, Verkäufer… ein unvermeidbarer Teil unserer Welt. 

«Das Patriarchat versprach mir für meine Komplizinnenschaft Schutz, solang ich mich nur anständig verhalte, eine von den Jungs bleibe und niemals spreche über all’ die Dinge, die mir widerfahren sind – und hatte nie vor sein Versprechen einzuhalten.»

Mein Maß ist voll. 

Diese Wut fühlen zu können, war für mich ein Meilenstein auf dem langen Weg meiner Therapie und war wie ein Befreiungsschlag.

Und dennoch fühle ich, dass das Patriarchat meinen Kopf nicht verlassen hat. Es bleibt in meinen Gedanken und Routinen tief verankert. 

Es zeigt sich darin, dass es mir gegenüber Partnern immer noch schwer fällt, Grenzen zu setzen, weil ich mein ganzes Leben gelernt habe, dass Nein-Sagen Zurückweisung nach sich zieht. 

Es zeigt sich darin, dass ich FLINTA*s mit anderen Maßstäben messe als Männer und mich immer wieder bewusst korrigieren muss. 

Es zeigt sich in der Tatsache, dass ich, obwohl ich mich als emanzipierte Frau verstehe, erst nach neun Jahren aktivem Sexleben langsam ertaste, was mein persönlicher sexueller Geschmack ist und nicht der meiner Partner. 

Es ist die Tatsache, dass ich mich besonders wohlfühlen muss, um feminin auf die Straße zu gehen, weil ich Feminität lange abgelehnt habe und sich diese tiefsitzende Abneigung gegen alles Feminine immer wieder in meinen Gedanken, auch gegen mich selbst, Bahn bricht. 

Es ist die Tatsache, dass ich mich als FLINTA* jahrelang gegen betroffene FLINTA*s gestellt habe, um eine von den Jungs bleiben zu können und aus demselben Grund über Übergriffe geschwiegen habe, die mir von diesen Personen selbst widerfahren sind. 

Es ist der Kern dessen, warum ich nach einem One-Night-Stand, der mich so stark gewürgt hat, dass ich Abdrücke am Hals hatte, nicht zur Polizei ging und auf Nachfrage nach den Abdrücken immer versicherte, dass es einvernehmlich gewesen sei, weil ich dachte: «Da hast du einen faulen Apfel erwischt, das kann vorkommen.» Aber im Rückblick waren es zu viele faule Äpfel. 

Wie schon die Schwarze Feministin Audre Lord sagte: «Your Silence will not protect you». 

Das Schweigen von FLINTA*s schützt meistens die Täter und nur selten sie selbst. 

Und dein Schweigen wird dich niemals davor schützen selbst von sexueller Gewalt betroffen zu sein. 

Ich habe zu lange geschwiegen über meine Erfahrungen. 

Das Patriarchat versprach mir für meine Komplizinnenschaft Schutz, solange ich mich nur anständig verhalte, eine von den Jungs bleibe und niemals spreche über all’ die Dinge, die mir widerfahren sind – und hatte nie vor sein Versprechen einzuhalten.