Während ein Großteil der Bevölkerung für den Kohleausstieg und Klimaschutz ist, handelte die Regierung in den letzten Jahren mit besonderer Offenheit im Interesse der fossilen Energiekonzerne. Daraus ist eine Vertretungslücke entstanden, die zu einer bundespolitischen Debatte geführt hat und die wir mit Ende Gelände nutzen und zuspitzen konnten. Umweltverbände im Klimabereich waren mit ihrer Fokussierung auf Klimagipfel und ihrer Taktik, mit der Politik zu reden und zu appellieren, an ihre Grenzen gekommen. Offensichtlich wurde wenig erreicht. Deshalb war die Bereitschaft, radikalere Aktionsformen zu unterstützen oder sich sogar individuell daran zu beteiligen, enorm gestiegen. In Deutschland und weltweit. Ende Gelände 2015 im Vorfeld der Klimakonferenz in Paris war dafür eine sehr sinnvolle Intervention und hat nochmal sehr deutlich gemacht, dass Kohleausstieg Handarbeit ist. Die erfolgreiche Aktion von Ende Gelände 2015 im Rheinland hat dazu beigetragen, erneut mehr Menschen in die Lausitz zu mobilisieren, sowohl aus der radikalen Linken als auch aus dem gemäßigten Öko-Spektrum. Die Klimacamps haben mit ihrer jahrelangen Vorarbeit die Grundlage dafür geschaffen, dass eine erfolgreiche Intervention vor Ort überhaupt möglich ist und Kontakt sowie Vertrauen zu Menschen vor Ort aufgebaut, die uns beispielsweise die Campflächen zur Verfügung stellen. Zuletzt hat der angekündigte Verkauf der Lausitzer Braunkohlesparte von Vattenfall ein politisches Handlungsfenster eröffnet.
Radikalisierung der Klimabewegung
Mehr als 4000 Menschen aus mehr als 20 Ländern und verschiedenen Kontexten – erstmals in der Geschichte der Klimabewegung kamen so viele in einer Aktion zivilen Ungehorsams in Deutschland zusammen. Dabei handelte es sich nicht bloß um ein Zusammentrommeln radikaler Aktivist*innenspektren. Aufgrund der Zuspitzung der Widersprüche des Klimawandels und des Kapitalismus sind viel mehr Menschen zu radikalen Aktionen bereit. Es ist gelungen breite Teile derjenigen zu erreichen, die die Klimafrage umtreibt und davon zu überzeugen, dass Klimagipfel und Appelle nicht länger ausreichend sind.
Für viele der teilnehmenden Aktivist*innen war dies die erste Erfahrung mit zivilem Ungehorsam bzw. direkten Aktionen. Eine Radikalisierung der Klimabewegung hat stattgefunden, die massenhaft zivilen Ungehorsam endgültig im Aktionsrepertoire verankert hat.
Die inspirierenden Erfahrungen durch Ende Gelände bieten das Potential, einen Anstoß zu mehr Aktionen und Organisation auch auf lokaler Ebene zu geben. Menschen, die vorher keine Aktivist*innen waren, kehren nach der Aktion nicht einfach zu ihrem Alltag zurück. Vielmehr können diejenigen, die durch Ende Gelände politisiert wurden, dazu ermutigt werden weiter zu machen, sich zu organisieren und die Klimabewegung dauerhaft zu stärken.
Die Kampagne in Deutschland hat auch international ausgestrahlt: Unter dem Motto «Break free from fossile fuels» fanden nach dem Vorbild von Ende Gelände im Mai 2016 an verschiedenen Orten auf allen Kontinenten zugespitzte Aktionen gegen fossile Infrastruktur statt.
Wahrnehmung von Ende Gelände
Die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Aktion sind schwer zu erfassen. Generell war Ende Gelände in den Medien sehr präsent. Wir haben es geschafft, den Verkauf der Braunkohle in der Lausitz wieder zur politischen Debatte in Schweden und in Deutschland zu machen.
Wie auch letztes Jahr war es schwierig, nicht als reine Kohlegegner*innen, sondern als kapitalismuskritische Aktion in Erscheinung zu treten. Dies funktionierte weder in der medialen Wahrnehmung noch vor Ort in der Lausitz. Ein großer Erfolg war es jedoch, das Wohlfühl-Bild des Pariser Klimavertrags anzugreifen und deutlich zu machen, dass ein Vertrag für sich genommen nicht viel bewirkt, sondern dass die Auseinandersetzungen lokal geführt werden müssen.
Lokales
Vor Ort haben wir die Widersprüche zugespitzt. Inwiefern das den lokalen Widerstand gestärkt oder geschwächt hat, dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Kritisch ist jedoch in jedem Fall zu sehen, dass wir den meisten Einwohner*innen in der Lausitz nicht klar machen konnten, dass sich unsere Aktion nicht gegen die Arbeiter*innen stellt. Es wurde versucht, mit Mahnwachen und Flugblättern auf den Märkten präsent zu sein. Doch dies war für eine gewisse lokale Akzeptanz nicht ausreichend. Hier sollten wir selbstkritisch überlegen, ob vorausgehend mehr Dialog und Informationsaustausch möglich ist, um einer Frontbildung entgegenzuwirken. In Zukunft müssen wir uns stärker und klar zur Perspektive der Arbeiter*innen positionieren, indem wir verständliche Forderungen für einen sozialen Wandel stärker betonen und die Verantwortungslosigkeit und Lügen der Konzerne demaskieren, die ihren Arbeiter*innen vormachen, dass es mit der Kohle ewig weitergeht – bis sie dann einfach verkaufen oder schließen. Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass auch in Zukunft der realpolitische Widerspruch zwischen den Arbeiter*innen und uns nicht komplett aufzulösen sein wird.
Auch an anderer Stelle waren wir nicht genügend auf die Gegebenheiten vor Ort vorbereitet. Die Situation bezüglich organisierter Neonazigruppen wurde massiv unterschätzt. Vermehrt kam es zu Angriffen auf Aktivist*innen bei Blockadepunkten, der Mahnwache in Terpe und in der Nähe des Camps. Es gab intern einen Konflikt wie Schutzstrukturen aussehen sollten, und einige Seiten haben auch aktiv gegen effektivere Schutzstrukturen gearbeitet. Es wäre mehr Vorbereitung und Bereitschaft zu offensiver Verteidigung notwendig gewesen.
Kraftwerk
Die meisten Kontroversen hat das Eindringen auf das Gelände des Kohlekraftwerks Schwarze Pumpe im Laufe des Samstags ausgelöst. Sowohl öffentlich als auch intern gab es dazu viele kritische Stimmen.
Unserer Wahrnehmung nach war nicht die Radikalität oder Spontanität das Problem dieser Aktion. Das Problem war die operationale Durchführung und ungenügende strategische Bestimmung. Eine Eigendynamik hat zu einem spontanen Beschluss von Aktionsplena vor Ort geführt, die aber in einem überhasteten Aufbruch geendet sind. Wir fragen uns im Nachhinein, warum wir uns in der Situation nicht die Zeit genommen haben, zu überlegen, was vor Ort zu tun gewesen wäre. Zumal die Vorbereitungsstrukturen nicht die Verantwortung für die Aktion übernehmen konnten. Unsere (wenn auch nicht eindeutige, weil verschiedene Positionen umfassende) Kritik an dieser Aktion ist einerseits, dass wichtige Blockadepunkte angreifbar gemacht wurden (weil weniger Menschen diese gehalten haben) und die Aktion nicht wohl überlegt genug durchgeführt wurde, so dass es für manche eine unvorbereitete und unangenehme Situation wurde.
Das heißt für die Zukunft nicht, spontane Eigendynamiken zu stoppen, denn für uns ist es total wichtig, dass die Teilnehmer*innen in ihrer Aktion entscheiden, was sie machen. Aber wir sollten mehr darauf drängen, sich mehr Zeit für Vorbereitung und Bestimmung zu nehmen und noch klarer zu machen, dass es sich um Aktionen an Orten handelt, an denen noch keine Strukturen vorhanden sind.
Mit dieser Aktion wurde, jedenfalls nach unserem Wissen, zum ersten Mal ein Kohlekraftwerk in einer Aktion zivilen Ungehorsams gestürmt. Wir haben es in diesem Moment in die bundespolitische Medienberichterstattung geschafft, wurden allerdings vorrangig kritisiert. Vor allem vor Ort wurde die Erzählung sehr negativ kommentiert. Wir stimmen den kritischen Stimmen zu, dass die Durchführung schlecht war, dennoch finden wir die Aktion legitim, begrüßen spontane Dynamiken und sehen in der Kraftwerksbegehung und dem Abbau der Zäune keinen Bruch des Aktionskonsenses.
Angesichts der Zurückhaltung der Polizei zu Beginn der Blockaden hinterließ die fehlende Konfrontation bei vielen Beteiligten ein unbefriedigendes Gefühl. Als wäre die Aktion erst erfolgreich, wenn Widerstände überwunden werden müssten, um zum Ziel zu gelangen. Das halten wir für ein Problem. Radikalität heißt für uns manchmal, einfach zu bleiben! Das passive Verhalten der Polizei und des Werkschutzes, die uns gewähren ließen, kann als Erfolg der Klimabewegung und als weiterer Schritt zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Aktionen des zivilen Ungehorsams gesehen werden!
Der Prozess
Mit Ende Gelände haben wir ein unglaublich großes Ding geschaffen, das in der Vorbereitung viel Engagement und eine teilweise hohe Taktung abverlangte. Auch wenn der Prozess generell offen ist und wir für Ende Gelände 2016 immer wieder überlegt hatten, wie wir neue Leute einbinden können, so ist der Prozess für Neue oder für Leute mit weniger Erfahrung und/oder Zeit teilweise überfordernd oder eine zu große Hürde, um einzusteigen. Eine Lösung könnte sein, mehr kollektive Strukturen zu schaffen, zum Beispiel durch lokale Bündnisse, die einzelne Aufgaben übernehmen. Im Vergleich zu Ende Gelände 2015 hatten wir es geschafft, auch in den Vorbereitungsprozess mehr neue Leute zu integrieren, dennoch lagen viele Aufgaben auch dieses Mal wieder auf wenigen Schultern.
Ausblick
Ende Gelände war für die Klimabewegung ein sehr stärkendes Ereignis. Wir haben nicht einfach das letzte Jahr wiederholt, sondern haben uns weiterentwickelt. Die notwendige Drosselung des Kraftwerks hat Bewegungsgeschichte geschrieben. Noch nie zuvor wurde dies durch die bloße Anwesenheit von Aktivist*innen erreicht.
Wir freuen uns riesig auf Ende Gelände 2017, wir möchten dabei aber nicht immer nur größer werden und in der Effektivität eine Schippe drauflegen. Wir wollen die Eigenverantwortung und Organisierung stärken, sodass lokale Klimagruppen aktiv werden und Ende Gelände zu vielfältigen Aktionen gegen Klima-Ungerechtigkeit inspiriert. Schon allein in den letzten Monaten haben viele weitere Blockaden und Demonstrationen stattgefunden.