Nun mag der Begriff Roman bestimmte Erwartungen wecken, die Weiss mit seinem Opus summum auch bei heutigen Leser*innen mit Sicherheit enttäuschen wird, denn «Die Ästhetik des Widerstandes» ist keine leichte, gar schöngeistige Kost, die man eben mal in der Sofaecke sitzend verdrücken könnte. Da gibt es zum Beispiel nichts, was sich als Handlung bezeichnen ließe, es fehlen anschauliche Charaktere oder psychologische Kniffe. Einzig die Gestalt eines Ich-Erzählers scheint die Bezeichnung Roman zu rechtfertigen. Ansonsten ist das Buch eher eine geschichtliche Abhandlung, ein kultureller oder kulturhistorischer Essay, ein politisches Pamphlet oder subtile Ideologiekritik. Aber genau diese an sich auseinanderstrebende Vielschichtigkeit, die allein durch die Person des namenlosen Erzählers zusammengehalten wird, macht diese tausend Seiten so wertvoll unter anderem für Leser*innen, die dem Verhältnis von Kultur und Politik auf die Spur kommen wollen.
Aneignung kultureller Werte für den Widerstand
Dieses Verhältnis versucht Weiss heraus zu arbeiten indem er die europäische Linke zwischen 1917 und 1946 behandelt und als Zugabe die konkrete Gesamtgeschichte der schwedischen Arbeiter*innenbewegung gleich mit liefert. Obendrein erzählt er, geschickt hinein gewoben, gleichzeitig die Geschichte der Kunst vom Pergamon-Altar bis zu Picasso. Parallel dazu wirft er die Frage auf, ob und inwieweit Kunst und Kultur behilflich sein konnten beim Widerstand im Allgemeinen und gegen den Faschismus im Besonderen. Weiss belässt es aber keineswegs beim Aufwerfen der Frage, sondern formuliert zugleich auch Antworten, die darauf hinweisen, dass kulturelles oder künstlerisches Arbeiten oder Reflektieren mobilisierend und anspornend wirkten auf diejenigen Menschen, die sich zum Widerstand entschlossen hatten. Vorher steht allerdings die Notwendigkeit der Aneignung kultureller Werte durch die Arbeiter*innenbewegung, was Weiss immer wieder betont. Das erklärt auch, warum er sich zeitlich nicht nur auf den Faschismus an der Macht konzentrierte, sondern die Jahre davor intensiv behandelte um auch den Aneignungsprozess zu erklären.
Insgesamt verwendet Weiss keinen auf Kunst reduzierten Kulturbegriff. Vielmehr betrachtet er Kultur viel weiter gefasst als das kollektive Gedächtnis der ganzen Menschheit und zugleich als Voraussetzung für fortschrittliche, gar revolutionäre Kämpfe, die wiederum Kultur hervor bringen. Revolution ohne Kultur ist für Weiss unmöglich, wobei er die Frage der Permanenz zwischen beiden nicht abschließend behandelt.