Grundsätzlich sind Kulturen nie homogen und statisch, sondern aus unterschiedlichen, heterogenen Einflüssen entstanden und verändern sich stets. Kulturen gehören daher niemandem, alle können teilhaben. Sie können aber auch repressiv und einengend wirken. Der Begriff Kultur wird häufig angeführt an Stellen, an denen eigentlich über mangelnde Rechte und Diskriminierung gesprochen werden müsste.

Erstens ist dies der Fall in rassistischen Denkmustern, die Menschen in homogene Kulturen einteilen, und ihnen auf dieser Grundlage Rechte vorenthalten. Die verwehrte Teilhabe wird mit der Behauptung kultureller Minderwertigkeit kaschiert. Und auch der reglementierte Zugang zum Arbeitsmarkt für geflüchtete Menschen wird durch deutsche Staatsangehörige oft zur Faulheitskultur («Die wollen gar nicht arbeiten») umgedeutet. Die Soziologin Ceren Türkmen formulierte dementsprechend, dass «Legitimierungen für einzelne Exklusionsstrategien immer stärker […] auf dem Feld der kulturellen Identität und Differenz gesucht werden.»

Zweitens ist dies mitunter auch der Fall in antirassistischen Artikulationen. Als «kulturelle Aneignung» werden Speisen, die durch indigene Küchen inspiriert sind, oder Dreadlocks bei Weißen kritisiert, obwohl es eigentlich grundlegend um vorenthaltene Rechte, Diskriminierung oder historische Verbrechen gehen sollte. Neben dieser Verschiebung ist es zudem falsch, eindeutige Urheberschaft zu behaupten und Authentizität ins Feld zu führen, eben da Kulturen hybrid sind, sich stets verändern und niemandem gehören.

Rechte Subkulturen

Subkulturen zeichnen sich durch geteilte Zeichen, einen spezifischen Lifestyle (Mode, Musik, Konsumverhalten…) aus, der nicht in der umgebenden Gesellschaft dominiert und als Abgrenzung zu dieser fungiert. Teile dieser Lifestyles können von der umgebenden Gesellschaft adaptiert werden. Meistens verlieren sie dadurch ihren vormals subversiven Charakter, wie zum Beispiel die Nietengürtel der Punks. Subkulturen sind nicht immer politisch eindeutig konnotiert, sondern können sowohl menschenfeindliche als auch -freundliche Einstellungen bergen.

Neonazismus und andere Strömungen der extremen Rechten sind politische Bewegungen, deren Akteur_innen einem breiten Altersspektrum angehören und über unterschiedliche biografische und soziale Hintergründe verfügen.Diese gestalten ihre alltägliche Lebenswelt so, dass sie mit ihren politischen Einstellungen korrespondiert. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Freizeit. Hier sind rechte Subkulturen anzusiedeln, in denen sich politische Einstellungen mit Lifestyle vermengen. Lange dachte man beim Stichwort «rechte Subkulturen» vor allem an nationalsozialistische Ästhetik, an Skinheads und Rechtsrock wie denjenigen von Landser, an Black-Metal-Bands wie Absurd, und «Liedermacher_innen» wie Frank Rennicke.

Mittlerweile hat sich das Feld ausdifferenziert. So lässt sich beispielsweise neonazistischer Hip-Hop, eine NS-Hardcore-­Band wie Moshpit oder eine Rechtsrock-Band wie Wut aus Liebe finden. Und über das Musikalische hi­naus­­ wird seit langem nicht mehr nur die Ästhetik des Nationalsozialismus adaptiert, sondern auch andere (Selbst-)Darstellungsformen genutzt. So sind beispielsweise neonazistische Graffitis keine Seltenheit.

Neonazistische und andere extrem rechte politische Inhalte treten allerdings im Bereich der alltäglichen Lebenswelt nicht nur, wie eingangs bereits angedeutet, in rechten Subkulturen auf. Eine Band wie Freiwild aus Italien ist kommerziell erfolgreich weit in die bundesdeutsche Gesellschaft hinein, während sie sich ästhetischer Anleihen subkultureller Musikszenen wie des Hardcore bedient, dabei jedoch völkische Inhalte vertritt (sich aber gleichzeitig vom Neonazismus distanziert). Und selbst im Hip-Hop sind Versatzstücke von neonazistischem und anderem extrem rechten Denken, wie Nationalismus und Rassismus, im Mainstream angekommen.

Einem Neonazi oder einer anderen extrem rechten Aktivistin ist die politische Einstellung oder das subkulturelle Engagement selbstverständlich nicht unbedingt anzusehen. Es gibt politisch unverdächtig aussehende Jugendliche, die die Unterkünfte von Geflüchteten attackieren und solche, die wie typisch linke Hardcore Kids auftreten (mit Tattoos, Tunnels und Piercings), tatsächlich aber bei den neonazistischen Autonomen Nationalisten organisiert sind. Ähnlich wie bei den Autonomen Nationalisten verhält es sich im Hinblick auf die Modernisierung von Lifestyle und Agitation bei der Identitären Bewegung, die sich insgesamt, vor allem mit ihren aufsehenerregenden und öffentlichkeitswirksamen Aktionsformen, von klassisch neonazistischen Darstellungen abwendet und moderne Designs sowie Vermittlungsformen nutzt; erst auf den zweiten Blick sind die völkischen und nationalistischen Inhalte ersichtlich. So ist die Identitäre Bewegung, die seit dem Jahr 2012 in Deutschland aktiv ist und vor allem auf die französische Organisation Génération Identitaire zurückgeht, beispielsweise stark muslimfeindlich und vertritt das rassistische Konzept des Ethnopluralismus, demzufolge jede Kultur in ihrem »natürlichen» Lebensraum verbleiben solle.

«Die neonazistische und extrem rechte Bewegung sind stark zerstritten, aber auch eng verflochten, und rechte Subkulturen sind eine Selbstorganisierungsoption für alle Akteur_innen.»

Rechte Subkulturen können als Einstieg in rechte Organisierung fungieren, gerade über das reaktionär Nonkonforme, das ihnen anhaftet. Und rechte Subkulturen dienen darüber hinaus der gezielten Werbung, wie die «Schulhof-CD» zeigt, die zunächst von Freien Kameradschaften und später von der NPD kostenlos an Jugendliche verteilt wurde, um politischen Nachwuchs zu gewinnen. Daneben sind rechte Subkulturen auch ein Feld, in dem sich – zum Beispiel über den Verkauf von Musik – beträchtliche finanzielle Umsätze generieren lassen. Und in rechten Subkulturen können sich menschenverachtende Einstellungen verstärken; eine Form widerlichen Empowerments, die beispielsweise dazu führen kann, dass das Hören rechter Musik schwere Gewalttaten begleitet. Rechte Subkulturen sind dominiert von militanter, bruchlos inszenierter Männlichkeit und antifeministisch. In allen rechten Subkulturen sind jedoch Frauen in unterschiedlichen Funktionen und in unterschiedlicher Zahl aktiv. Die neonazistische und extrem rechte Bewegung sind stark zerstritten, aber auch eng verflochten, und rechte Subkulturen sind eine Selbstorganisierungsoption für alle Akteur_innen. Wichtig ist, dass Subkulturen bzw. subkulturelle Life­styles nicht von der extremen Rechten «angeeignet» werden. Denn, wie eingangs formuliert, gehört Kultur niemandem und ist variabel gestaltbar. Es ist müßig, sich über die Verwendung historisch eventuell anders konnotierter Kulturpraktiken durch Rechte zu echauffieren, weil das den Kern der Sache nicht trifft. Und es ist unangemessen, den Kulturbegriff identitär zu fixieren. Aneignung klingt, als sei Kultur ein hermetisches Ding, das von A nach B verschoben wird. Es gibt neue Nutzungen subkultureller Lifestyles, verschiedene Gestaltungsmerkmale aus unpolitischen oder linken Subkulturen halten in rechten Subkulturen Einzug oder bestehende nicht-rechte Subkulturen nehmen extrem rechte Inhalte auf.

Rechte Subkultur ist nicht gleichzusetzen mit den politischen Einstellungen einzelner Akteur_innen oder mit den politischen Zielen der neonazistischen oder extrem rechten Bewegung. Deshalb ist beispielsweise auch die Einteilung des «Rechtsextremismuspotenzials» durch das Bundesamt für Verfassungsschutz falsch (neben beispielsweise den Verstrickungen in das NSU-Netzwerk, die mangelnde öffentliche Kontrolle oder die Verwendung des Extremismus-Modells). Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 werden dazu folgende Kategorien und Personenzahlen angegeben: «Subkulturell geprägte Rechtsextremisten – 8200 Personen, Neonazis – 5800 Personen, in Parteien – 6650 Personen, in sonstigen rechtsextremistischen Organisationen – 3200 Personen». Insgesamt entsteht so eine Zahl von 23850 Personen, nach «Abzug von Mehrfachmitgliedschaften» 22600 Personen, darunter 11800 «gewaltorientierte Rechtsextremisten». Generell sind die Zahlen, so wird in einer Fußnote angemerkt, «zum Teil geschätzt und gerundet.»

Diese Kategorienbildung ist inkonsistent. Denn Handlungen (Mitgliedschaft «in Parteien» und «in sonstigen rechtsextremistischen Organisationen») werden auf eine Ebene gestellt mit Einstellungen («Neonazis») und der merkwürdigen Kategorie der «subkulturell geprägten Rechtsextremisten». Doch was sollen «subkulturell geprägte Rechtsextremisten» sein? Sind es solche, die über Subkultur zu extremen Rechten wurden? Sind es Rechtsextreme, die zusätzlich zu ihrer politischen Einstellung subkulturell geprägt, oder die subkulturell geprägt, aber nicht politisch organisiert sind? Sind «subkulturell geprägte Rechtsextremisten» außerdem subkulturell aktiv? Und können Neonazis nicht auch «subkulturell geprägt» sein?

Ein Beispiel: rechter Hip-Hop

Neonazistischer Hip-Hop ist ein relativ viel beachtetes Phänomen, weil es irritiert, dass es Musiker_innen gibt, die völkische, rassistische und nationalistische Inhalte in einer Form popularisieren, die von rassistisch Diskriminierten entwickelt wurde. Obwohl dieser Umstand in der neonazistischen und extremen Rechten umstritten ist (Hip-Hop gilt als »rassisch minderwertig» und amerikanisch), so zeigt er doch exemplarisch auf, dass Kultur niemandem gehört. Hip-Hop firmiert in der neonazistischen und extrem rechten Bewegung vor allem als Strategie, aber sicherlich auch als Selbstzweck. Es gibt diverse Acts.

Die Rapperin Dee Ex aus Berlin beispielsweise machte vor allem durch verschwörungstheoretisches Auftreten, eine kurze Mitgliedschaft bei der Partei Die Freiheit und den Clip zum Song «Europa sagt Nein zur EU» Furore, in dem sie im Jahr 2012 gemeinsam mit dem Rapper Villain051 (mittlerweile Teil des extrem rechten Hip-Hop-Duo A3stus) auf dem Holocaust-Mahnmal posierte. Im Refrain des Songs heißt es: «Oh Du mein Vaterland… Was ist mit Dir passiert? Wir gehen blind in den Abgrund, wenn wir nicht wieder marschieren. Gegen die EU-Zionisten schreiten wir vereint in den Krieg; tragen stolz den Glauben im Herzen – von unsrer Freiheit, unserem Sieg.»

Gemäß dem antisemitischen Stereotyp von mächtigen, klandestin agierenden Jüdinnen und Juden wird die EU als «zionistisch», soll heißen jüdisch kontrolliert, geschmäht. Dee Ex bezeichnet ihre Musik als «patriotischen Rap» und trat beispielsweise auch – sozusagen genreübergreifend – gemeinsam mit der Rechtsrock-Band Kategorie C auf. Einigendes Band ist hierbei die politische Bewegung, in deren Kontext die subkulturelle Artikulation stattfindet.

Der Musiker MaKss Damage aus Nordrhein-Westfalen begann seine Rap-Aktivitäten in linken Kontexten und bekannte sich nach frühen Kontroversen um seine Texte, die damals bereits als frauenfeindlich, antisemitisch und homophob kritisiert wurden, offen zur neonazistischen Bewegung. In seinem Song «Deutschland» textet er so beispielsweise: «Parasitenpack – in Deutschland fraßen sich an Renditen satt. Wir liefen mit Fackeln durch die Straßen in der Siegesnacht. Räucherten die Nester aus, fackelten sie schließlich ab. Tranken ein paar Bier, auf das Deutschland wieder erwacht. Das war deine Zeit, mein Land, Nation, die du da warst. Und deine Gesichter waren geschmiedet von Riefenstahl. Deine Geschicke gelenkt von ihm! Ich darf seinen Namen zwar nicht nennen, aber alle Menschen kennen ihn! […] Gekaufte Politiker, Päderasten und Genderspasten. Das ist was die BRD aus deutschen Menschen machte.» Das Video zum antisemitischen, nationalistischen und antifeministischen Song enthält etliche Bildmaterialien aus dem Nationalsozialismus.

N‘Socialist Soundsystem (auch kurz Enessess genannt) sind ein Hip-Hop-Duo aus Ludwigshafen, das als Neben-Projekt der Rechtsrock-Band Häretiker im Jahr 2010 gegründet wurde. Die beiden Musiker treten unter den Künstlernamen «Blastbeatkönig von Thule» und «Henry8» auf, und räumen explizit ihr instrumentelles Verhältnis zur Subkultur des Hip-Hop ein, von der sie sich explizit abgrenzen. Im Song «Scheiss auf Hip-Hop» heißt es so beispielsweise rassistisch und brutal: «Ich hab zu 1000% keinen Bezug zu eurer Neh-Ga-Szene, Enessess hat weiße Gene, Rap ist autogenes Training, Gangstarapper scheiße reden, Zeit, dass sie mal leiser werden, Suicide wär zu erwägen, Laken auf die Gleise legen!»

«Das vorrangige Problem ist, dass rechte Subkulturen wie die des NS-Rap ungemein attraktiv wirken und eine kontinuierliche Verbindung von Lebenswelt und Politik ermöglichen.»

Diesen extrem rechten Künstler_innen (und ebenso allen anderen) kann man dem Hip-Hop (leider) nicht «wegnehmen». Das vorrangige Problem ist, dass rechte Subkulturen wie die des NS-Rap ungemein attraktiv wirken und eine kontinuierliche Verbindung von Lebenswelt und Politik ermöglichen. Zudem gibt es Regionen in Deutschland, in denen sie zur hegemonialen, repressiven Konvention wurden und in denen nicht-rechte Jugendliche, Linke, LGBTIQs, Jüdinnen und Juden, POCs, Schwule, Lesben, Feministinnen… kaum eigene (Schutz-)Räume zur Organisation von Gegenkultur haben.

Gegenüber rechten Subkulturen müssen andere Räume geschaffen und zugleich klare Grenzen (immer enger) gezogen werden; ihre Menschenfeindlichkeit muss dekonstruiert und gleichsam verdeutlicht werden, welche Konsequenzen sie als umgesetzte Politik hätte und hat. Dem Faszinationscharakter vermeintlich aneignender Modernisierungen sollte hierbei nicht nachgegeben werden. Verbote können ein Instrument sein, ersetzen aber nicht politische Auseinandersetzungen. Die Praxis zur Prävention rechter Subkulturen muss prinzipiell Offenheit sein – gegenüber Menschen, Veränderungen, Erfahrungen, Unwägbarkeiten, der Hybridität jeder Gesellschaft und jeder Kultur. Eine Offenheit, die dort endet, wo (vermeintlich) Andere diskriminiert und verletzt werden, und politische Bewegungen autoritäre Ziele verfolgen.