Gehörten zum Anti-Atom-Protest allerdings auch massive Auseinandersetzungen mit der Polizei, geht die Klimabewegung deutlich weniger konfrontativ vor. Sie ist für klandestine Kleingruppenaktionen wie das Anketten an Gleise (‹Lock-Ons›) oder für Massenaktionen à la Ende Gelände bekannt, aber weniger für Steinhagel und Molotow-Cocktails. Im Vergleich zu den Schlachten in Wyhl und Wackersdorf, aber auch zu manchem Castor-Protest, wirken Aktionen der Klimabewegung nahezu friedfertig. Massenhafte Infrastruktur-Sabotage oder vehemente Verteidigung gegen die Polizei sind dabei nicht an der Tagesordnung. Eine Sehnsucht danach ist dennoch spürbar, auch innerhalb der Interventionistischen Linken. Sind angekündigte Massenaktionen zivilen Ungehorsams also die Antwort auf eine Krise der Massenmilitanz?

Weitere Fragen für die Klimabewegung schließen sich daran an: Muss die Bewegung ihre Aktionsformen radikalisieren und auf taktische Eskalation setzen? Wie sollte sie mit der immer härter werdenden Repression umgehen? Und entfalten ihre Aktionsformen überhaupt genügend politischen Druck?

«Was, wenn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung die Stürmung eines Braunkohlekraftwerks immer noch skandalöser findet als dessen schiere Existenz?»

Gründe für ein kompromissloses Vorgehen gegen fossile Infrastruktur, Autofabriken, Flughäfen und industrielle Landwirtschaftsanlagen gibt es ja wahrlich genug. Angesichts der objektiven Zustände in Zeiten der Klimakrise bleibt uns eigentlich überhaupt keine andere Wahl als der Aufstand. Aber was, wenn die subjektiven Bewusstseinszustände in der Bevölkerung das nicht erlauben? Was, wenn die Diskurshoheit eben doch daran hängt, dass wir eher als Umweltschützer*innen denn als Steinewerfer*innen verstanden werden? Was, wenn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung die Stürmung eines Braunkohlekraftwerks immer noch skandalöser findet als dessen schiere Existenz? In solchen Zeiten können wir nicht darauf warten, bis die Zeit reif ist für den massenhaften Aufstand, sondern müssen die subjektiven Bewusstseinszustände den objektiven Notwendigkeiten annähern.

Anschlussfähige Massenaktion

Genau in diesem Sinne ist eine Massenaktion des zivilen Ungehorsams im Stil von Ende Gelände der Versuch, ein transparentes, berechenbares, gut geplantes und dadurch anschlussfähiges Aktionsangebot an möglichst viele Menschen zu machen und sie zum kollektiven Regelübertritt zu ermutigen. Genau an den Punkten, wo eine kapitalistische Gesellschaft derartig versagt, dass sie ihre zukünftigen Existenzbedingungen selbst vernichtet, ist auf einmal eine reale und naheliegende Handlungsoption mit transformativem Potential denkbar: Sich selbst vor den Bagger stellen, mit den eigenen Händen die Barrikade im Wald aufbauen. Wenigstens für ein paar Augenblicke das Gefühl kollektiver Handlungsmacht spüren. So erscheinen die ständigen Ohnmachtsgefühle gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen ein Stück weit erträglicher.

Deshalb sind Massenaktionen zivilen Ungehorsams nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern eine elementare antikapitalistische Praxis. Sie vermitteln ein antagonistisches Verhältnis zu Autoritäten allein schon durch die Aktionsform, nach innen wie nach außen. Wie viele Menschen haben nicht auch ihre politische Haltung radikalisiert, just nachdem sie das erste Mal von der Polizei aus einer Blockade geräumt oder auf dem Weg dorthin niedergeknüppelt wurden und dabei die ganze Härte staatlicher Gewalt spürten? Wie viele Menschen wurden nach einer Aktion derartig angesteckt vom kollektiven Willen zur gemeinsamen Sache, dass sie sich anschließend in neuen Gruppen und verbindlichen Strukturen organisierten? Das rapide Wachstum und der inzwischen erreichte Organisierungsgrad der Klimabewegung seit den Aktionen von Ende Gelände und vor allem seit der Hochphase der Auseinandersetzung um den Hambacher Forst sind prächtige Beispiele dafür.

Dieser Übergang von der Punktualität des Protest-Events zur Kontinuität der Organisierung sollte das Ergebnis jeder guten Kampagne sein, denn nur so bauen wir langfristig Gegenmacht auf. Das gesellschaftliche Bewusstsein verändert sich nur langsam. Aber es hat sich in den vergangenen 50 Jahren in Sachen Ökologie erheblich gewandelt und das ist in erster Linie das Resultat sozialer Bewegungen. Wenn wir mit Tausenden von Menschen durch Polizeiketten fließen, Zäune niederreißen, an Wasserwerfern vorbei Autobahnen überqueren und 24 Stunden lang eine Kohlebahn besetzen, dann ist das für die einen ein Ausdruck von Massenmilitanz und für die anderen eine friedliche ungehorsame Massenaktion. Darin liegt ihre Stärke: Die Aktionsform passt zu vielfältigen subjektiven Bewusstseinszuständen – und erweitert diese, ohne die Frage der Militanz zur Gretchenfrage zu erklären.

Diskurshoheit erringen

Aber auch nach außen können Massenaktionen zivilen Ungehorsams dank ihrer wirkmächtigen Bilder für die Unversöhnlichkeit und Radikalität politischer Forderungen einen Resonanzraum eröffnen, der mit öffentlichen Positionierungen, Pressemitteilungen und Interviews ungleich schwieriger zu erreichen ist: «Actions speak louder than words» ist eben nicht nur eine hohle Phrase. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Aktionsform und politischer Botschaft, ohne dass eins durch das andere zu ersetzen wäre. Ohnehin ist ziviler Ungehorsam kein gepolsterter Straßenkampf, sondern ein stetiges Ringen um Diskurshoheit und damit letztlich um Hegemonie.

«Damit war alles dafür ­bestellt, die Aktivist*innen nach der Stürmung des Kraftwerks ‹Schwarze ­Pumpe› über eine Gewaltdebatte ins diskursive Abseits zu drängen.»

Wenn massenhafte Gesetzesverstöße zum Protest oder Widerstand gegen einen bestimmten Zustand offen angekündigt werden, dann öffnet sich ein Diskursraum, innerhalb dessen verschiedene Seiten um Legitimität für ihre jeweiligen Standpunkte ringen. So hatte die Lausitzer Kohlelobby 2016 ihr Terrain ideal vorbereitet, indem sie überall in der Region «Gewalt stoppen»-Plakate mit klarem Bezug auf Ende Gelände angebracht hatte. Damit war alles dafür bestellt, die Aktivist*innen nach der Stürmung des Kraftwerks «Schwarze Pumpe» über eine Gewaltdebatte ins diskursive Abseits zu drängen.

Daran zeigt sich, wie elementar die Verbindung zwischen Form und Inhalt ist im Ringen um gesellschaftliche Legitimation. Der oft beschworene Satz «Wir sagen, was wir tun und wir tun, was wir sagen» erzeugt nicht nur Transparenz und Verlässlichkeit für die Teilnehmer*innen, sondern beschreibt auch treffend die Wirkung einer Aktion, deren Botschaft sich durch die Taktik und deren Taktik sich durch die Botschaft vermittelt. Dabei wollen wir nicht das eine mit dem anderen verwechseln, aber die Taktik muss sich immer an der Beschaffenheit des Diskurses orientieren. Eine Kraftwerksstürmung wäre in Zeiten, in denen die gesamte Medienlandschaft über Klimakrise und Hitzewellen berichtet, wahrscheinlich um einiges vermittelbarer als noch vor drei Jahren in der Lausitz. Dort begann sie aus einer spontanen Dynamik heraus, verhalf Ende Gelände zu einem überwältigenden Medienecho, verschlechterte aber die Bedingungen für den lokalen Anti-Kohle-Widerstand und für künftige Massenaktionen in der Region erheblich.

Es wird in Zeiten autoritärer Formierung für die Klimabewegung nicht einfacher, den Betrieb von Kohleinfrastruktur zu stören. Das neue Polizeigesetz in Nordrhein-Westfalen kann Aktivist*innen, die sich nicht identifizieren lassen, bis zu sieben Tage Gewahrsam einbringen. Es ist ein «Lex Hambi» – eine Antwort des Staates auf die Praxis kollektiver Personalienverweigerung, bei der sich Aktivist*innen durch Verweigerung der Personalienangabe und Verkleben der Fingerkuppen der Identitätsfeststellung widersetzen. Auf diesem Wege konnten tausende Aktivist*innen in den vergangenen Jahren Repressionen durch straf- oder zivilrechtliche Verurteilungen vermeiden. Diese Praxis ist eine der Erfolgsbedingungen im Kampf gegen die Kohle. Einige Aktivist*innen, die Anfang Februar aus Protest gegen das skandalöse Ergebnis der Kohlekommission einen Bagger im Tagebau Garzweiler besetzten, bekamen allerdings das neue «Lex Hambi» bereits zu spüren und saßen mehrere Tage in Gewahrsam. Parallel wurde gegen 18 Aktivist*innen in der Lausitz wegen einer Baggerblockade U-Haft angeordnet. Hambi-Aktivistin «Eule» war sogar knapp sechs Monate im Gefängnis. Wegen einer Kraftwerksblockade 2017 in Weisweiler erhebt Rwe zwei Millionen Euro Schadensersatzansprüche, die zivilrechtlich gegen Aktivist*innen eingeklagt werden sollen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Wie können nun Kleingruppenaktionen weiter durchgeführt werden, wenn das Risiko harter Strafen und millionenschwerer Schadensersatzansprüche steigt? Wie kann bei Massenaktionen weiterhin ein verlässliches und anschlussfähiges Aktionsangebot an potentielle Teilnehmer*innen formuliert werden, wenn nicht unwahrscheinlich ist, dass einige Menschen anschließend tage-, wochen- oder monatelang in Gewahrsam und Haft sitzen werden?

Bündnisfähigkeit und Innovationsdruck

Der beste Schutz vor Repression ist und bleibt unsere gesellschaftliche Verankerung. Insofern muss die Klimabewegung unbedingt ihre Bündnisfähigkeit bewahren, wenn sie bei den zu erwartenden kommenden Repressionswellen auf Solidarität und Unterstützung hoffen will. Die Praxis der Personalienverweigerung aufzugeben, wäre fatal. Würden sich zukünftig alle Baggerblockierer*innen ausweisen, wären die Gefangenensammelstellen wahrscheinlich leerer. Über kurz oder lang wäre aber ein wesentlicher Teil der Aktivist*innen mit zivilrechtlichen Unterlassungserklärungen, Vertragsstrafen und Schadensersatzforderungen konfrontiert. Die eigene Identität gegenüber der Polizei und den Gerichten preiszugeben, mag individuell sinnvoll oder notwendig sein. Würden sich jedoch alle so verhalten, hätten die Kohlekonzerne leichtes Spiel.

Doch nicht nur die zunehmende Repression, sondern auch die Ökonomie der Aufmerksamkeit setzt das bisherige Modell von Massenaktionen zivilen Ungehorsams unter enormen Innovationsdruck. Wie kann eine Aktion genug öffentliches Interesse erregen, wenn die immer gleichen Taktiken angewandt und die immer gleichen Bilder erzeugt werden? Eine naheliegende Antwort darauf ist eine Radikalisierung der Taktik. Mit massenhafter Sabotage an Kohle-Infrastruktur ließe sich vielleicht die vermeintliche Effektivität von Blockaden erhöhen, aber der Preis dafür wäre immens: Die Anschlussfähigkeit unserer Aktionen würde leiden und die gesellschaftliche Legitimität noch dazu. Das heißt nicht, dass Sabotage und andere Taktiken per se falsch wären. Es heißt bloß, dass wir nur sukzessive, Stück für Stück die Grenzen dessen verschieben können, was im Diskurs als ziviler Ungehorsam gilt und dadurch legitimierbar ist.

«Wenn tausende Menschen sich von staatlichen Herrschaftsinstrumenten nicht mehr abschrecken lassen, wenn sie ihre Angst verlieren und kollektiv einen Wald verteidigen oder in einen Tagebau eindringen, dann verschieben sich die Grenzen dessen, was in einer Gesellschaft als legitim und notwendig angesehen wird.»

Im Gegensatz dazu sollten wir uns bemühen, noch niedrigschwelligere und anschlussfähigere Taktiken für Massenaktionen zu entwickeln. Nicht immer braucht es dafür eine bis ins letzte Detail ausgefeilte Aktionschoreographie. Manchmal reicht es, viele Menschen am passenden Ort zur passenden Zeit zu versammeln und sie einzuladen, ein paar Schritte weiterzugehen als die Polizei erlaubt. Dafür ist es zentral, bei kulturellen Alltagspraxen anzusetzen, die auf einen Protestkontext angewandt werden und darin neue Bedeutung entfalten. Die Waldspaziergänge beim Hambi 2018 sind dafür das beste Beispiel: Mit der Bezugnahme auf Spaziergänge hat dieses Aktionsangebot an universelle Alltagspraxen angedockt und war damit per se niedrigschwellig. Gleichzeitig hat es ungemein selbstermächtigende Erfahrungsspielräume für tausende Menschen eröffnet, die völlig frei, teilweise sogar mit Kindern auf den Armen, Polizeiketten durchflossen. Wie selbstverständlich wurden Barrikaden gebaut. Ohne ein Wimpernzucken haben sich generationenübergreifende Gruppen von Menschen der Polizei im strömenden Regen entgegengestellt, um sie aus dem Wald zu vertreiben. Dies sind jene Momente, in denen Gegenmacht Gestalt annimmt. Wenn tausende Menschen sich von staatlichen Herrschaftsinstrumenten nicht mehr abschrecken lassen, wenn sie ihre Angst verlieren und kollektiv einen Wald verteidigen oder in einen Tagebau eindringen, dann verschieben sich die Grenzen dessen, was in einer Gesellschaft als legitim und notwendig angesehen wird.

Wie weiter?

Die Aktionen von Ende Gelände zwischen 2015 und 2017 haben erheblich dazu beigetragen, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die katastrophalen Auswirkungen der Braunkohleindustrie zu schaffen und den Kohleausstieg auf die politische Agenda zu setzen. Sie haben für Kämpfe gegen fossile Infrastruktur eine Aktionsform etabliert, deren Bilder um die Welt gingen und die europaweit vielfach kopiert wird. Als es 2018 dann darum ging,  ganz konkret einen Wald zu verteidigen, der während der Kohlekommissions-Verhandlungen zum Symbol für den Kohleausstieg geworden war, brauchte es andere, noch niedrigschwelligere Aktionsformen wie die Waldspaziergänge. Ende Gelände kam Ende Oktober, als der Kampf eigentlich schon gewonnen war, mobilisierte zwar erfolgreich 5.000 Menschen, konnte aber keinen ausreichend großen Druck aufbauen, um das Ergebnis der Kohlekommission entscheidend zu beeinflussen.

Für die Zukunft sollte daher gelten: Massenaktionen zivilen Ungehorsams bleiben ein elementarer Bestandteil interventionistischer Politik. Sie können aber keinem Patentrezept folgen. Wir benötigen massenhafte Aktionsformen, mit denen wir nicht nur Agenda-Setting betreiben und Diskurse zuspitzen, sondern auch konkrete politische Entscheidungen in unserem Sinne beeinflussen können. Es sind nicht immer die Bilder aus der Kohlegrube, die unsere Botschaft am eindrucksvollsten vermitteln. Warum haben wir nicht zu Tausenden das Bundeswirtschaftsministerium umzingelt und angekündigt, die Vertreter*innen der Kohlekommission erst herauszulassen, wenn sie den sofortigen Kohleausstieg verkünden? Wenn‘s drauf ankommt und Kommissionen oder Runde Tische klimapolitische Entscheidungen treffen, dürfen wir in Zukunft nicht mehr an der Seitenlinie stehenbleiben. Nächstes Mal sind wir da, mit der passenden Taktik und mit mächtig viel Wut im Bauch.