Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert machte Anfang Mai 2019 in einem Interview mit der Zeit den Vorstoß, große Unternehmen wie BMW sollten «kollektiviert», also in gesellschaftliches Eigentum überführt werden. Dass daraufhin das reaktionäre Lager von AfD über CDU/CSU bis in die Spd hinein begann, verbal wild um sich zu schlagen, überrascht nicht. Im Gegenteil: Es zeigt, dass Kühnert mit seinen Forderungen den entscheidenden Nerv getroffen hat. Dass aber rund um die Eigentumsfrage – inklusive in der Klimagerechtigkeitsbewegung – kaum linke Debatten und Visionen existieren, ist ein Problem.
Die Eigentumsfrage ist nicht nur für soziale Gerechtigkeit der entscheidende Faktor, sondern auch für ökologische Zielsetzungen. Solange privatwirtschaftlich über Produktion entschieden wird und diese Entscheidungen unter Konkurrenz- und Profitzwang getroffen werden, ist die kapitalistische Ausbeutung und systematische Zerstörung von Natur und Umwelt unausweichlich. Solange private Energiekonzerne wie RWE & Co unseren Strom produzieren, sind 100% Erneuerbare ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Und selbst wenn: Ein ‹grüner› Kapitalismus kann nicht seiner eigenen ökologischen Krisenhaftigkeit entkommen.
Eine Vergesellschaftung, also: eine De-Privatisierung und Demokratisierung des Energiesektors, ist der einzige Weg, Produktion demokratisch steuern zu können – und sozial und ökologisch gerecht zu machen.
Die Energiewende, die niemals kam
Anders als politische Eliten, internationale Institutionen und Marktakteur*innen uns suggerieren, ist die globale Energiewende keineswegs schon unterwegs. Die Investitionen in erneuerbare Energien und ihr Anteil am globalen Strommix mögen (inkrementell) steigen und gegenüber der fossilen Energie generell ‹wettbewerbsfähiger› werden (wären da nicht die milliardenschweren Subventionen für die fossile Industrie…) – das ändert aber nichts daran, dass die Öl-, Gas- und Kohleindustrie fest im Sattel sitzt und keinerlei Anstalten macht, das Feld zu räumen.
Der globale Energiesektor ist dominiert von lobbystarken, fossilen Energiekonzernen wie Exxon Mobil, Shell, Chevron und BP sowie saudischen und chinesischen Staatsunternehmen (Saudi Aramco, Sinopec), die zu den größten Ölproduzenten der Welt gehören. In ihren Kapitalbilanzen sind die vorhandenen fossilen Reserven schon in Milliardenhöhe eingepreist – sie können die Fossilen gar nicht im Boden lassen ‹wollen›. Dadurch stehen auch bei anderen Emissionsschwergewichten wie der petrochemischen Industrie, die aus fossilen Rohstoffen etwa chemischen Dünger und Plastik herstellt, die Zeichen auf Expansion und Wachstum statt auf klimapolitisch notwendigem Schrumpfen.
Energie wird dabei nicht produziert, um die Energiebedarfe von Menschen zu decken, sondern um die Ware Energie zu verkaufen und damit Profit zu machen. Der Energiesektor unterliegt den gleichen Markt- und Konkurrenzmechanismen, die die gesamte kapitalistische Wirtschaftsordnung durchziehen, und somit auch dem Zwang von Akkumulation und Wachstum.
Indem der Energiesektor insgesamt wächst (jährlich um rund 2%), kommen sich der Ausbau der Erneuerbaren und die gleichzeitige Expansion der fossilen Energie kaum ins Gehege. Deutschland etwa exportiert überschüssigen Kohlestrom einfach ins europäische Ausland – auch deshalb sinken die CO2-Emissionen nicht, obwohl der Anteil der Erneuerbaren wächst.
Gleichzeitig ist der Zugang zur Ware Energie sehr ungleich verteilt und resultiert neben Verschwendung und Überfluss auch in Energiearmut – rund eine Milliarde Menschen haben global nach wie vor keinen Zugang zu Elektrizität. Auch in Industrieländern wie Deutschland ist Energieversorgung eine Klassenfrage: Menschen mit geringen Einkommen werden durch hohe Energiekosten überproportional belastet oder bekommen sogar komplett den Strom abgestellt. ‹Preissignale› und ‹der Markt› sind für die Klimakrise und die ihr eingeschriebene soziale Ungerechtigkeit nicht die Lösung, sondern das Problem.
Den Energiesektor vergesellschaften
Der überwältigende Anteil der global produzierten Energie wird in der Industrie und im Transportsektor verbraucht – der private Endverbrauch macht nur einen Bruchteil aus. Insofern macht die Frage, was, wie und wie viel wir (gesamtgesellschaftlich) produzieren, unter Energie- und Emissionsgesichtspunkten einen ganz erheblichen Unterschied. Nicht zuletzt würde eine Senkung des absoluten globalen Energieverbrauchs die Dekarbonisierung des Energiesektors – also die technische Transition zu 100% Erneuerbaren – erheblich erleichtern.
Der gegenwärtige Energie- und Ressourcenverbrauch des Globalen Nordens beruht auf und verstärkt globale Ungleichheit und Ungerechtigkeit, überschreitet ökologische Belastungsgrenzen bei weitem und muss sinken. Das wird nur möglich sein, wenn wir am Punkt der Eigentumsverhältnisse gesellschaftliche Kontrolle zurückerlangen.
Unter kapitalistischen Eigentumsverhältnissen ist schlicht keine glaubhafte Vision für den sozial-ökologischen Umbau (inklusive des Abbaus bestimmter Industriezweige) zu entwickeln.
Vergesellschaftung muss über Verstaatlichung – oder auch (Re-)Kommunalisierung – hinausgehen, damit nicht einfach wachstums- und profitgetriebene Energieunternehmen in öffentlicher Hand entstehen. Ziel ist die Demokratisierung der Energieversorgung und ihre Gemeinwohlorientierung, ihre Ausrichtung an sozialen und ökologischen Zielsetzungen.
Der Berliner Energietisch verfolgte 2011-2013 in einem Volksentscheid eine solche Stoßrichtung der Vergesellschaftung: Für eine demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung sollte einerseits das Berliner Stromnetz vollständig rekommunalisiert werden. Zum anderen sollte ein zu gründendes, demokratisches Berliner Stadtwerk die Energieversorgung im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge sozial gestalten, Energiearmut entgegenwirken und die Versorgung mit 100% dezentral erzeugten erneuerbaren Energien vorantreiben.
«Mit einer Vergesellschaftung zentraler Wirtschaftszweige können langfristige Lösungen für die Arbeiter*innen in allen Bereichen der klima- und umweltzerstörenden Branchen politisch erarbeitet werden. Es ermöglicht, die Lage der betroffenen Beschäftigten nicht zu ihrem individuellen Problem am Markt zu machen und sie gleichzeitig nicht gegen das Schicksal der Menschen im Globalen Süden auszuspielen.»
Mit einer Vergesellschaftung zentraler Wirtschaftszweige können langfristige Lösungen für die Arbeiter*innen in allen Bereichen der klima- und umweltzerstörenden Branchen politisch erarbeitet werden. Es ermöglicht, die Lage der betroffenen Beschäftigten nicht zu ihrem individuellen Problem am Markt zu machen und sie gleichzeitig nicht gegen das Schicksal der Menschen im Globalen Süden auszuspielen.
Wie könnte ein vergesellschafteter Energiesektor aussehen? Das Subsidiaritätsprinzip, also die Betonung von Selbstbestimmung und der lokalen Ebene, die am nächsten an Menschen dran ist und auf der sie am direktesten über ihre Belange mitentscheiden können, sollte eine zentrale Rolle spielen. In der Commons-Bewegung gibt es hierzu einiges an Wissen, historischer Erfahrung und gegenwärtiger Praxis. Kommunale Energieräte könnten eine wichtige Einheit in einer demokratisch organisierten Energieversorgung darstellen.
Darüber hinaus braucht es aber auch Aushandlung, Koordination und Steuerung von Produktion auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Auf die notwendigen übergeordneten sozialen und ökologischen Kriterien und Zielsetzungen muss sich die Gemeinschaft in einem demokratischen Prozess einigen, genauso wird es gesellschaftliche Strukturen geben müssen, die beispielsweise für Ausgleich zwischen unterschiedlich gut versorgten Regionen sorgen.
Nicht zuletzt muss die Vision auch für die alleinerziehende Krankenschwester, für die eh schon überforderte Familie und für Menschen taugen, die nicht den Großteil ihrer Zeit mit gesellschaftlicher Aushandlung verbringen wollen oder können. Sie darf nicht in maximaler Selbstorganisation mehr Arbeit produzieren, als die Menschen ohnehin schon haben – auch wenn wir von einer Zukunft mit verkürzter Arbeitszeit ausgehen. Das bedeutet auch, dass es einen Grad an professionellen Verwaltungsstrukturen braucht. Selbstverwaltung bedeutet nicht (nur), immer alles selber machen zu müssen, sondern über die grundsätzlichen Fragen mitbestimmen zu können, die heute unter privaten Eigentumsverhältnissen erst gar nicht verhandelbar sind.
Rwe & Co enteignen?
Mittlerweile wird bundesweit mit Bezug auf den ‹Vergesellschaftunsgparagraphen› §15 des Grundgesetzes über die Enteignung großer profitorientierter Wohnungsunternehmen wie der Deutsche Wohnen diskutiert. Es zeigt, dass die Eigentumsverhältnisse im Kontext der sozialen Fragen von Verteilung und Profitabschöpfung gesellschaftlich bereits angreifbarer sind als in der Debatte um die (sozial-)ökologische Krise.
Eine Enteignung der großen Energiekonzerne zu fordern, mag deutlich unrealistischer erscheinen: Die unmittelbare Betroffenheit ist viel weniger gegeben als bei einem freidrehenden Immobilienmarkt, der zu exorbitanten Mieten, Privatisierung und massenhafter Verdrängung führt. Weniger attraktiv macht eine solche Forderung auch die Gefahr, dass mit einer Enteignung die sozial-ökologischen Folgekosten der fossilen Industrie kollektiviert und auf die Gesellschaft umgelegt werden könnten.
Andererseits zeigt die Deutsche-Wohnen-Enteignen-Kampagne, dass gesellschaftliche Realitäten und die ‹politische Unmöglichkeit› von radikaleren Maßnahmen kein Naturgesetz sind. Und objektiv betrachtet: Die fossilen Energiekonzerne haben die globale ökologische Krise an vorderster Front mitverursacht – und an der Zerstörung über das letzte Jahrhundert Milliarden verdient. Damit sollte sich die Frage der «gerechte[n] Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten», die §14 GG im Falle von Enteignung vorsieht, noch einmal ganz anders stellen – insbesondere wenn wir den Anspruch von globaler Klimagerechtigkeit ernst nehmen.