Angesichts der eskalierenden sozialen Ungleichheit, dem Aufstieg rechter Formationen und der sich rasend zuspitzenden Klimakatastrophe scheint es einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als ein Ende des Kapitalismus. Dies bezeichnete der britische Philosoph Mark Fisher als «kapitalistischen Realismus»: Die Vorstellung, dass der Kapitalismus nicht nur das einzig mögliche politische und wirtschaftliche System ist, das funktioniert, sondern dass es auch unmöglich ist, sich eine kohärente Alternative überhaupt auszumalen.

Aktuell gibt es jedoch Anzeichen dafür, dass eine neue Phase beginnt. In den letzten Jahren haben linke  Akteure wieder begonnen, positive Zukunftsvisionen vorzulegen: Dies zeigt sich in den Bewegungen hinter dem Aufstieg von Jeremy Corbyn und Bernie Sanders, in der Diskussion um einen ‹Green New Deal›, die vor allem durch die US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez angestoßen wurde (und in Europa u.a. durch Yannis Varoufakis propagiert wird) oder im sozialistischen Futurismus eines auf automatisierter Produktion und Grundeinkommen basierenden «fully automated luxury communism». Langjährige rein defensive Auseinandersetzungen werden nun durch offensive Momente ergänzt. Und: Hitzesommer, Schüler*innen-Streikbewegungen und Extinction Rebellion (XR) katapultieren die Klimakrise auf der öffentlichen Prioritätenliste nach oben und stoßen das Fenster für Kämpfe für «Systemwandel» im Sinne von «System change, not climate change!» weit auf.

In diesem Kontext wird in der Debatte um Alternativen vermehrt auf «Degrowth» oder «Postwachstum» Bezug genommen. Kritisiert als «Unmöglichkeitstheorem» (John Bellamy Foster) oder genutzt als implizite Abgrenzungsfolie in der gesamten Ausgabe der sozialistischen Zeitschrift Jacobin zu Ökologie (Earth, Wind and Fire, 2018) – vor allem im englischsprachigen Raum dient die Abgrenzung von Degrowth dazu, eine progressive Agenda des ‹Green New Deal› zu legitimieren.

‹Green New Deal› …und dann?

Die Idee des ‹Green New Deal› ist an den New Deal der 1930er Jahre angelehnt, der nach der Weltwirtschaftskrise die US-Wirtschaft durch massive öffentliche Investitionen und Arbeitsprogramme auf Wachstumskurs brachte. Angesichts der Klimakrise soll heute ein milliardenschweres öffentliches Investitionsprogramm in erneuerbare Energien, Techniken und Materialien – ein ‹grüner› New Deal – die beschleunigte Dekarbonisierung der Wirtschaft ermöglichen,  Arbeitsplätze schaffen und den Wohlstand der ärmeren Bevölkerungsschichten steigern.

Dieses makroökonomische Programm ist wie sein Vorgänger auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet – es geht auch darum, ein neues kapitalistisches Akkumulationsregime auf einer postfossilen Energiebasis zu eröffnen. Wachstumskritische Argumente zu den «Grenzen des Wachstums» sind damit das scheinbar rückwärtsgewandte Feindbild. Aber lässt sich globale Klimagerechtigkeit mit solch einem technikfokussierten und produktivistischen Investitionsprogramm erreichen? Wenn nein, welche Potentiale stecken trotzdem in diesen aktuellen makroökonomischen Diskussionen? Und was wären die Alternativen?

Wir argumentieren, dass ein Makro-Horizont zentral ist, um die Klimakrise zu bearbeiten; dass dieser jedoch der einer solidarischen Postwachstumsökonomie sein muss; und dass die Klimagerechtigkeitsbewegung in die Diskussion um die Zukunft von Wachstum und Kapitalismus intervenieren sollte. Denn trotz ihrer Erfolge schafft es die Klimagerechtigkeitsbewegung mit ihrem Fokus auf die Orte der Zerstörung bisher nicht, einen neuen Horizont aufzuspannen hin zu einer ganz anderen, postkapitalistischen (und notwendigerweise auch Postwachstums-)Gesellschaft.

Übermorgen ist zu spät

Die Fokussierung der Klimagerechtigkeitsbewegung auf Konflikte an Tatorten der Klimakrise und auf Verankerung in lokalen Auseinandersetzungen war und ist enorm produktiv. Paradigmatisch stehen dafür die Konflikte um die Braunkohletagebaue und die politische Dynamik um den Hambacher Wald im Herbst 2018. Dass sich nun im Spektrum dieser Bewegung Kampagnen gegen Steinkohle, gegen das System Auto etc. abzeichnen, ist eine sinnvolle Fortsetzung dieser Strategie.

Gleichzeitig läuft die Zeit dafür ab, dass emanzipatorische Strömungen übergreifende gesellschaftliche Entwürfe – oder seien es auch nur neue konzeptionelle (makro-)ökonomische Horizonte wie der Postwachstumsökonomie – in eine ferne Zukunft auslagern können. Der Weg des Aufschiebens von utopischem Denken in die Zukunft ist durch die Realität der Klimakrise verstellt. Denn die Zukunft ist dystopisch vorstrukturiert – durch den Anstieg der CO2-Konzentration. Ein neuer Horizont muss in der Gegenwart aufgerissen werden – für jeden anderen Zeitpunkt ist es zu spät. Die Dominanz der Gegenwart, mit der Fredric Jameson die postmoderne Erfahrung charakterisierte, ist beendet.

Eine solidarische Wirtschaftsweise jenseits des Wachstums sollte daher im Hier und Jetzt ein Element unserer tagtäglichen Kämpfe werden. Diese makroökonomische Perspektive sollte in unseren realpolitischen Strategien eine Rolle spielen – nicht nur angesichts der Dramatik der Biosphärenkrise und ihrer zivilisationsbedrohenden Folgen, sondern auch, weil das globale finanzmarktgetriebene Akkumulationsregime auch zehn Jahre nach der Finanzkrise hochgradig instabil ist. Wir vertreten daher die These, dass die Antwort auf die nächste schwere Rezession oder den nächsten Finanzcrash darüber entscheidet, ob es möglich sein wird, die Klimakrise abzubremsen. In Reaktion auf den Crash von 2007/08 wurden Milliarden Dollar weltweit mobilisiert, um Banken zu retten und ein fossilistisches «Weiter so» durchzusetzen.

Falls die politische Reaktion auf die nächste Finanzkrise wieder wachstumsorientierte Konjunkturprogramme und billiges Zentralbankgeld für Banken und fossilistische Konzerne ist, wird sich das Zeitfenster schließen, um unter einer 2-Grad-Erwärmung zu bleiben. Statt wachstumsorientierter Investitionen ist es notwendig, den Bankensektor zu vergesellschaften und eine solidarische Postwachstums­ökonomie zu erkämpfen.

Was ist Postwachstum(sökonomie)?

In den letzten zehn Jahren hat sich unter den Schlagwörtern ‹décroissance›, ‹degrowth› und ‹Postwachstum› eine vor allem europäische Bewegung versammelt, die das vorherrschende Entwicklungsmodell des kapitalistischen Wachstums kritisiert und nach Alternativen sucht. ‹Degrowth› ist dabei vor allem ein politischer und provozierender Slogan, der die Hegemonie des Wachstumsparadigmas in Frage stellt. Die Kernidee ist eine sozial-ökologische Transformation der Produktions- und Lebensweise, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die daher für den Globalen Norden eine demokratisch organisierte Reduktion von Produktion und Konsum global auf ein sozial und ökologisch gerechtes Niveau bedeutet.

Die Idee einer Postwachstumsökonomie führt vielfältige und teils widersprüchliche Strömungen zusammen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den Technikoptimismus des seit den 1990er Jahren vorherrschenden Nachhaltigkeitsdiskurses mit seinem Versprechen der Entkopplung von BIP-Wachstum und Umweltverbrauch kritisieren. Ökologische Gerechtigkeit, so ein Kernargument dieser Kritik am ‹grünen Wachstum›, kann nur erreicht werden, wenn die ‹imperiale Lebensweise› des Globalen Nordens auf Kosten des Globalen Südens und der Biosphäre überwunden wird. Weil eine absolute Entkopplung von Umweltverbrauch und Wirtschaftswachstum unmöglich ist, impliziert dies eine Verringerung der Wirtschaftsaktivität im Globalen Norden.

Schrumpfen als Selbstzweck?

Die Reduktion der Wirtschaftsaktivität ist dabei nicht das Ziel, sondern eine Konsequenz des Transformationsprozesses. Postwachstumsökonomie heißt nicht, die Wirtschaft innerhalb der bestehenden ökonomischen Strukturen und Verteilungsverhältnisse zu schrumpfen. Ein alleiniger Fokus auf einen Schrumpfungsimperativ ist verkürzt und gefährlich, wie neoliberale und konservativ-neofeudalistische Spielarten von Wachstumskritik zeigen, die sie zur Rechtfertigung von Austerität und Sozialabbau nutzen.

«Ein alleiniger Fokus auf einen Schrumpfungsimperativ ist verkürzt und gefährlich, wie neoliberale und konservativ-neofeudalistische Spielarten von Wachstumskritik zeigen, die sie zur Rechtfertigung von Austerität und Sozialabbau nutzen.»

Im Gegensatz dazu zielt Postwachstum auf eine demokratisch ausgehandelte Transformation ab, die nicht nur Wirtschaftsstrukturen einbezieht, sondern grundlegend auch Lebensweisen und Vorstellungswelten. Die Kernfrage der Postwachstumsdebatte lautet, wie gesellschaftliche und ­ökonomische Institutionen so verändert werden können, dass sie nicht mehr wachstumsabhängig und wachstums­treibend sind sowie ohne Wirtschaftswachstum soziale Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und ein gutes Leben für alle möglich machen.

Revolutionäre Realpolitik zur Überwindung von Kapitalismus und Produktivismus

Diese Frage, wie eine solidarischen Postwachstumsökonomie auf den Weg gebracht werden könnte, ist alles andere als trivial. Das liegt daran, dass innerhalb kapitalistischer Gesellschaften Wachstum die Voraussetzung nicht nur für den Akkumulationsprozess auf Basis privater Eigentumsrechte ist, sondern auch für die Reproduktion der (Über-)Lebensbedingungen der Vielen. Eine solidarische Postwachstumsökonomie zielt daher auch auf ein Ende der kapitalistischen Produktionsweise ab. Diese Überwindung kann dabei nicht auf der Basis zunehmender Produktivitätsfortschritte geschehen, die in der Geschichte des fossilistischen Kapitalismus oft die Grundlage für soziale Errungenschaften dargestellt haben und auf der auch die Hoffnung vieler technologieoptimistischer Linker basiert. Denn die umfassende Biosphärenkrise steht solch einer hochproduktiven Hightech-Zukunft – soll sie denn global gerecht sein – entgegen.

Mit dieser technologiekritischen und in Teilen anti-produktivistischen Perspektive widerspricht eine solidarische Postwachstumsökonomie grundlegend den eingangs erwähnten öko-modernistischen Positionen. Auch wenn beide – Postwachstum und ein ‹Green New Deal› oder ‹Roboterkommunismus› – die grundlegende Herrschaftskritik und ein Verständnis für die Notwendigkeit systemischer Alternativen teilen, ist die Trennung zwischen diesen Perspektiven und den damit verbundenen sozialen Bewegungen tief. Diese verläuft zwischen dem technikoptimistischen Produktivismus, der – in der Tradition der sozialistischen und sozialdemokratischen Arbeiter*innenbewegung – auf Wachstum, Produktivitätszuwachs und Umverteilung setzt und tendenziell vertikale Organisationsformen bevorzugt, und jenen Bewegungen, die – näher an der Tradition des Anarchismus – auf Selbstorganisation setzen und Wirtschaftswachstum grundlegend hinterfragen. Während Erstere Modernität, Globalisierung und generell technologischen Fortschritt begrüßen – denn diese schaffen, so wird argumentiert, die Voraussetzungen der Befreiung – fokussieren Letztere vor allem auf nicht-kapitalistische Formen des deglobalisierten, dezentralen und solidarischen Wirtschaftens, die es im Hier und Jetzt zu stärken gilt.

Was aber bedeutet es, wenn im Makro-Horizont einer solidarischen Postwachstumsökonomie monetäres Wachstumspotential und Rohstoffdurchsatz verringert werden sollen, während die Reproduktion der Arbeiter*innenklasse im umfassenden Sinne von sozialer Sicherheit zugleich verbessert werden soll? Die Idee einer solidarischen Postwachstumsökonomie liefert kein geschlossenes utopisches Projekt, sondern ist bisher eine Collage, die Fluchtlinien skizziert. Um ein interventionsfähiges Konzept zu werden, bedarf sie einiger griffiger wirtschaftspolitischer Rezepte.

«Denn nur wenn sich wirtschaftliche Aktivitäten nicht an Produktivitätssteigerung und Wachstum ausrichten, kann der Ressourcenverbrauch schnell reduziert und gleichzeitig ein gutes Leben für alle erreicht werden.»

Besonders charakteristische Vorschläge, die deshalb im Sinne einer «revolutionären Realpolitik» (Rosa Luxemburg) in der Degrowth-Szene diskutiert werden, sind eine radikale Arbeitszeitverkürzung für alle sowie eine gesellschaftliche Stärkung der Sorge-Arbeiten, ein Grund-, aber vor allem auch ein Maximaleinkommen, der Ausbau sozialer Infrastrukturen und nicht-monetärer, commons-basierter Formen der Daseinsvorsorge sowie eine radikale Umverteilung von Vermögen. In den Debatten um Postwachstumsökonomie spielen vor allem drei Einstiegsforderungen eine zentrale Rolle: Die Begrenzung und radikale Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs; das Thema Arbeitszeitverkürzung – eine 20-25h-Woche bei gleichem Lohn für mittlere und niedrige Einkommen; und der Vorschlag kostenloser sozialer Infrastruktur ­für alle (ÖPNV, Telekommunikation, Wohnraum), also eine umfassende Vergesellschaftung der Daseinsvorsorge, die unabhängig von der Wachstums- und Konkurrenzlogik kollektiv und demokratisch organisiert wird. Denn nur wenn sich wirtschaftliche Aktivitäten nicht an Produktivitätssteigerung und Wachstum ausrichten, kann der Ressourcenverbrauch schnell reduziert und gleichzeitig ein gutes Leben für alle erreicht werden.

Gegen den Wachstumszwang intervenieren

In den letzten zwei Jahren ist immer sichtbarer geworden, dass der Kapitalismus mit wachsender Geschwindigkeit das Leben auf diesem Planeten an sich tötet. Zu Recht wiesen die streikenden Schüler*innen zu Beginn ihrer Pressekonferenz am 8. April im Berliner Naturkundemuseum darauf hin, dass gegenwärtig das sechste Massensterben von Arten stattfindet.

Programme für eine Postwachstumsökonomie müssen daher darauf ausgerichtet sein, die Biosphäre zu revitalisieren – eine biodiverse Flora und Fauna in stabilen Ökosystemen neu zu produzieren. Um das «Web of Life» (Jason Moore) wieder dichter werden zu lassen, müssen durch Monokulturen ausgemergelte Landschaften neu bepflanzt, Böden entsiegelt, Erosion durch Aufforstung gestoppt und Flussläufe renaturiert werden. Zerstörte Ökosysteme müssen mit Hilfe von Investitionsprogrammen in Biodiversität großflächig regeneriert werden. Menschliche Arbeitskraft würde so – ganz im Sinne der feministischen Diskussionen um eine Care-Ökonomie – in einem erheblichen Maße nicht in die Produktion von neuen maschinellen Produktionsmitteln oder Waren fließen, sondern Leben produzieren, welches keinen unmittelbaren monetären Mehrwert abwirft.

Mit Forderungen nach substantieller Arbeitszeitverkürzung und großen Investitionsprogrammen in Biodiversität könnte die radikale Bewegung für Klimagerechtigkeit über öko-keynesianische Projekte wie die ‹Green New Deals› hinaus gehen. Andere Akzente sind inhaltlich möglich, aber ohne Zuspitzung bleibt die Idee einer solidarischen Postwachstumsökonomie blass. Sie kann aber ein Element sein, um die Kampagnen der Klimagerechtigkeitsbewegung in eine breitere (makroökonomische) Alternative einzubetten. Und weil sich durch die aktuellen Bewegungsdynamiken die Parameter der gesellschaftlichen Diskussion um Biosphären- und Zivilisationskollaps gerade rapide verändern, gilt es, das Möglichkeitsfenster zu nutzen.