Denn es bleibt nicht viel Zeit, um die irreversiblen Schäden einzudämmen, die der global entfesselte Kapitalismus und die imperiale Produktions- und Lebensweise verursachen. Eingebettet in rassistisch-sexistische Herrschaftsverhältnisse und eine Politik der Ausgrenzung wirkt die Klimakrise als Brandbeschleunigerin für zahlreiche andere Krisen. Bei einem weiteren ‹Business as usual› rasen wir auf eine sozial-ökologische Katastrophe zu. Wir wollen dafür argumentieren, dass in diesen ‹dystopischen› Zeiten der Kampf für Klimagerechtigkeit der lang gesuchte Hebel sein könnte, um rassistisch-kapitalistische Ausbeutungspraktiken offenzulegen, gesellschaftlich zu delegitimieren und dadurch angreifbar zu machen. Doch wie sind die, die ‹dystopische› Ausgangslage konstituierenden, Herrschaftsverhältnisse miteinander verknüpft? Welche Bewegungsdynamiken lassen sich aktuell in Österreich und darüber hinaus beobachten und was sind potentielle Auswirkungen aktueller Kämpfe für Klimagerechtigkeit auf die Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse?
Verschränkung von Herrschaftsverhältnissen
Die ‹dystopischen› Verhältnisse spitzen sich zu, sowohl auf diskursiver als auch auf materieller Ebene. Beim Klimaschutz versagen Österreich und Deutschland jämmerlich. Insbesondere im Verkehrssektor stiegen seit 1990 die CO₂-Emissionen, in Österreich um ganze 66,7 Prozent. Ein politischer Wille, daran etwas zu ändern, ist nicht erkennbar. Ausbeuterische, naturzerstörerische Praxen der Ressourcengewinnung werden weiter vorangetrieben. Die von Klimakatastrophen am stärksten Betroffenen werden weitgehend allein gelassen und die frühindustrialisierten Staaten werden ihrer historischen Verantwortung für die Klimakrise nicht gerecht.
Aktuell können wir der Erderwärmung und den durch sie verursachten Krisen förmlich zusehen: Die bisher fünf heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung liegen gerade hinter uns; der Meeresspiegel steigt deutlich schneller an als bislang angenommen; Berichte über katastrophale Dürren und Unwetter sowie die durch sie ausgelösten humanitären Katastrophen gehören in der Berichterstattung schon fast zur Normalität – mittlerweile auch im Globalen Norden. Das Zeitfenster, das uns bleibt, um noch schlimmere Katastrophen zu verhindern, schließt sich. Zugleich kamen über die letzten Jahre in Ländern wie Österreich, den USA, Brasilien und Italien rechts-autoritäre Regierungen an die Macht, die in ihrer Rhetorik wie auch konkreten Politik Klimakrisenleugnung, rechte Hetze, Ausgrenzung und Antifeminismus fest miteinander verknüpfen.
Für die Stabilisierung ihrer Hegemonie ist die Leugnung des Klimawandels funktional. In Anlehnung an den Begriff des «psychological wage of racism» können wir heute von einem «psychological wage of climate denial» sprechen. Der «psychological wage of racism» beschreibt, wie etwa Schwarz-Blau in Österreich über die Kürzung von Löhnen und Sozialleistungen oder aktuell die Einführung der 60-Stunden-Woche und des 12-Stunden-Tages hinwegtäuscht, indem sie einen Versicherheitlichungsdiskurs bedient, Geflüchtete und Migrant*innen an den Rand der Gesellschaft drängt und die Abschiebepraxis intensiviert. Mit einer rassistischen und spalterischen Sozialpolitik wird den einheimischen Lohnabhängigen signalisiert, dass sie zwar selbst keine Verbesserungen erfahren, aber in ihrem Status aufgewertet werden, indem man andere weiter abwertet.
Analog dazu verhält es sich beim Thema Klimakrise: Die Existenz der Klimakrise und ihr kausaler Zusammenhang mit der kapitalistisch-imperialen Produktions- und Lebensweise wird abgestritten. Effektive Maßnahmen zur Bekämpfung ihrer Ursachen bleiben aus. Gleichzeitig werden in Österreich aktuell Tempolimits auf den Autobahnen erhöht, mit der Einführung von pilot*innenlosen Lufttaxis geliebäugelt und extrem klimaschädliche Großprojekte wie die Lobau-Autobahn oder die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat vorangetrieben. All das wird mit individuellen Freiheitsversprechungen verknüpft; der sozial ungleiche Zugang zu Automobilität und Flugreisen hingegen ausgeblendet. Es wird signalisiert: Ihr dürft auf der Autobahn rasen und weiterhin viel fliegen. Euer Lebensstil steht nicht auf dem Spiel. Daraus ergibt sich ein öffentlicher und psychologischer Lohn der Leugnung des Klimawandels.
«Diese Politik ist das Resultat der zugespitzten Verteidigung einer imperialen Lebensweise, die durch den zunehmenden Verlust ihres Außens, durch Migrationsbewegungen und die Auswirkungen der Klimakrise ihre auf Ausbeutung beruhenden Privilegien in Gefahr sieht.»
Insgesamt hat sich durch den Rückgriff auf den «psychological wage of climate denial» bzw. «racism» als Herrschaftsmechanismen das Sag- und Machbare deutlich verschoben, systematische Angriffe auf institutionalisierte Errungenschaften wurden intensiviert, gesellschaftliche Handlungs- und Gestaltungsspielräume beschnitten und Widerstand verstärkt kriminalisiert. Diese Politik ist das Resultat der zugespitzten Verteidigung einer imperialen Lebensweise, die durch den zunehmenden Verlust ihres Außens, durch Migrationsbewegungen und die Auswirkungen der Klimakrise ihre auf Ausbeutung beruhenden Privilegien in Gefahr sieht.
Damit stehen wir vor der fatalen Situation, dass Gesellschaften wie die österreichische nicht nur nach innen repressiver werden, sondern diese Wohlstandsinseln auch nach außen mit militärischer Gewalt vor Kriegsflüchtlingen, Armutsmigrant*innen und den Betroffenen des Klimawandels verbarrikadiert werden. Zehntausende Menschen sterben deshalb auf ihren Fluchtrouten nach Europa oder in die USA.
Hoffnung in ‹dystopischen Zeiten›
Hoffnung in diesen ‹dystopische Zeiten› macht das Aufbegehren der Bewegung für Klimagerechtigkeit, deren zahlreiche Akteur*innen auch in diesem Heft Position beziehen. Doch woher kommt die enorme Dynamik und das Mobilisierungspotential der Bewegung sowie das widerständige Bewusstsein ihrer Protagonist*innen? Auch wenn in Österreich seit dem Regierungsantritt von Schwarz-Blau generell eine Zunahme an Protesten zu beobachten ist, war es vor allem das Thema Klimagerechtigkeit, das einen enormen Aufschwung erlebte. Vielfach wird zurecht betont, dass junge Menschen heute zur ersten Generation gehören, die den Klimawandel auch hier im Globalen Norden effektiv spürt, aber gleichzeitig die letzte ist, die ihn mit realistischen Erfolgschancen noch bekämpfen kann. Es ist wohl diese Kombination aus Dringlichkeit und eigener Betroffenheit durch die Klimakrise, die eine neue, äußerst dynamische Generation an Aktivist*innen hervorgebracht hat.
Inspiriert von den Fridays-for-Future-Protesten und den Aktionen von System Change not Climate Change hat sich mittlerweile in Wien ein breites Spektrum an Organisationen zu einer Vernetzungsplattform zusammengeschlossen, an der über die genannten Gruppen hinaus u.a. auch Extinction Rebellion, die Gewerkschaftsjugend, katholische Jugendverbände und große Umwelt-Ngos mitwirken. Auch wenn eine genauere inhaltliche Bestimmung dessen, was für diesen Kreis der Kampf für Klimagerechtigkeit bedeutet, noch aussteht, ist es gelungen, den Begriff als Bezugspunkt zu setzen und mit einer Kritik an rechts-autoritärer Politik und der Einschränkung gesellschaftlicher Handlungsspielräume zu verknüpfen. Unklar bleiben bislang jedoch das Verhältnis gegenüber dem Staat und eine gemeinsame Perspektive darauf, wie die Handlungs- und Gestaltungsmacht errungen werden kann, die es braucht, um sofortige Maßnahmen gegen die Klimakrise durchzusetzen.
Verknüpfung von Kämpfen schafft Raum für solidarische Projekte
Hierfür war im vergangenen Februar der politische Vorstoß der demokratischen Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus, Alexandria Ocasio-Cortez, für einen ‹Green New Deal› ein inspirierendes und diskussionswürdiges Beispiel. Die dadurch ausgelösten Debatten sind Anzeichen dafür, dass die rechte Diskurshegemonie in der nächsten Zeit gewaltig in die Defensive geraten könnte: Ocasio-Cortez gelang es mit ihrer Resolution, die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit glaubhaft mit der Forderung nach effektivem Klimaschutz zu verbinden. Darin unterscheidet sie sich radikal vom demokratischen Partei-Establishment. Die Resolution umfasste sowohl Vorschläge für eine sozial-ökologische ‹Modernisierung› der Gesellschaft und eine Reduzierung von Treibhausgasen, als auch – bezogen auf die Gerechtigkeitsfrage – Forderungen nach Reparationszahlungen an «frontline and vulnerable communities» für historisches Unrecht und ihre Einbeziehung in die Gestaltung der Transformation. Über 600 Umweltgruppen und soziale Bewegungen haben sich in einem offenen Brief dazu geäußert und ihre Unterstützung sowie ihre solidarische Kritik am ‹Green New Deal› zum Ausdruck gebracht – etwa bezüglich grün-kapitalistischer Elemente wie Emissionshandel, ‹Offsetting›, CO₂-Abscheidung und -Speicherung.
Auch wenn angesichts der gegebenen Kräftekonstellation, die für die Klimakrise ursächliche kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht grundsätzlich hinterfragt wird und soziale Bewegungen nun weiter Druck aufbauen und etwa für die Verankerung wachstumskritischer Positionen in dem Programm kämpfen müssen: Ocasio-Cortez‘ Projekt beweist, dass die Ohnmacht, nichts gegen rechts-autoritäre Verhältnisse ausrichten zu können, durch einen radikalen Reformismus überwunden werden kann.
Thematisch setzt sich in Österreich unter dem Namen Wege aus der Krise bereits seit 2010 eine Allianz aus Gewerkschaften, Ngos und Bewegungsakteur*innen mit ähnlichen Anliegen auseinander und positioniert sich (wenn auch zurückhaltend) mit solidarischen Perspektiven in aktuellen Debatten. Das kämpferische Potential ist jedoch sehr beschränkt; der politische Wille, wirklich ein Gegenprojekt zu Schwarz-Blau zu formieren, ist nicht erkennbar. Es bleibt abzuwarten, ob es möglicherweise durch die aktuelle Dynamik der Bewegung für Klimagerechtigkeit gelingt, der Allianz etwas Kampfgeist einzuhauchen und damit auch auf institutioneller Ebene Druck aufzubauen, um das Schwarz-Blaue Projekt in Bedrängnis zu bringen.
Ein neues Hainburg unter anderen Vorzeichen?
Bislang positionierten sich Gewerkschaften und Arbeiterkammer in den Debatten um klimaschädliche Großprojekte wie der dritten Piste oder der Lobau-Autobahn im Namen von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen stets an der Seite der Wirtschaftskammer sowie dem Parteien-Konglomerat aus SPÖ, ÖVP und FPÖ. Diese zerstörerische Allianz hat in Österreich bereits eine lange Tradition und kam schon 1984 bei den wochenlangen Besetzungen der Hainburger Au zur Verhinderung des Baus eines Wasserkraftwerks zum Ausdruck – der bislang größten Aktion zivilen Ungehorsams in der österreichischen Nachkriegsgeschichte.
Im April 2019 wurde die erste Großdemo des neuen Klimabündnisses hingegen nicht nur von der Gewerkschaftsjugend, sondern auch durch eine Solidaritätsbekundung der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge unterstützt. Es bedarf jedoch weiterer Bemühungen, um diese eher unverbindliche Unterstützung in eine konkrete Positionierung gegen klimaschädliche Großprojekte und für gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze zu verwandeln. Die Klimabewegung hat bereits angekündigt, den für Ende des Jahres geplanten Baubeginn der Lobau-Autobahn in ein neues Hainburg verwandeln zu wollen – hoffentlich dann mit veränderten Kräfteverhältnissen und zumindest einem Teil der Gewerkschaftsbewegung als Unterstützerin.
«Wenn die Bewegung für Klimagerechtigkeit den Kampf gegen die globale Klimakrise mit sozialen Kämpfen in Europa verknüpfen und dafür auch die institutionell verankerten rechts-autoritären Verhältnisse überwinden will, dann muss sie die Machtfrage stellen.»
Hoffnung bezüglich der Kooperation zwischen Gewerkschafts- und Klimabewegung machten jüngst die Erfahrungen in Brüssel. Dort gingen am 15. März 2019, zum globalen Klimastreik, rund 30.000 Menschen auf die Straße, um für Klimagerechtigkeit zu demonstrieren und wurden dabei von den Gewerkschaften offensiv unterstützt. Nicht nur forderten die Arbeiter*innen damit eine lebenswerte Zukunft für ihre Kinder ein: Sie sehen das enorme Momentum, das die Klimastreiks aktuell entfalten, auch als Möglichkeit, wieder Gerechtigkeitsfragen auf die politische Agenda zu setzen und damit der durch Abschottungsdebatten übertünchten Angriffe auf Arbeiter*innenorganisationen entgegenzuwirken. Die Perspektive der Klimagerechtigkeit betrachtet den Klimawandel als notwendigerweise eingebettet in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Sie bietet hier Möglichkeiten, solidarische, gerechtigkeitsfokussierte Perspektiven zu eröffnen und stellt damit aktuell in Belgien, Österreich, aber auch in vielen weiteren Ländern das wohl dynamischste Gegen-Narrativ zu rechts-autoritären Abschottungs- und Austeritätsdiskursen dar.
Die Machtfrage stellen
Doch diskursive Interventionen werden nicht ausreichen, um der Klimakrise Einhalt zu gebieten. Angesichts der Dringlichkeit des gesellschaftlichen Umlenkens ist es notwendig, institutionelle Zugänge nicht aus dem Blick zu verlieren und den Aufbau von Handlungsmacht in der Gesellschaft mit Interventionen in den Staat zu verknüpfen. Ob über die Erweckung des Kampfgeistes der durch den Korporatismus gezähmten Gewerkschaften oder über das Erwirken taktischer Interventionen auf parlamentarischer Ebene: Wenn die Bewegung für Klimagerechtigkeit sich nicht mit der Hoffnung auf grün-kapitalistische Maßnahmen zur Reduzierung der CO₂-Emissionen zufrieden geben möchte, wenn sie den Kampf gegen die globale Klimakrise mit sozialen Kämpfen in Europa verknüpfen und dafür auch die institutionell verankerten rechts-autoritären Verhältnisse überwinden will, dann muss sie die Machtfrage stellen. Dafür muss sie sich der materiellen Basis ihres politischen Projekts bewusst werden – also darüber, durch welche strategischen Bündnisse und den Zugang zu welchen Machtressourcen sich ein gesellschaftlicher Block für Klimagerechtigkeit formieren lässt, der das Potential besitzt, die rechts-autoritäre, die Klimakrise ignorierende Hegemonie zu überwinden.
Doch endlich tut sich etwas – und gerade weil die konkreten Inhalte und die Form des progressiven Vorstoßes für Klimagerechtigkeit umkämpft sind, müssen sie nun von den Vielen mitentwickelt, verteidigt, korrigiert und vorangetrieben werden. Die Interventionen auf verschiedenen politischen Ebenen – von direkten Aktionen gegen klimaschädliche Infrastrukturprojekte oder gegen Abschiebepraktiken über Massenproteste auf der Straße bis hin zum Ringen um fortschrittliche Positionen innerhalb der Parteien, Gewerkschaften und Institutionen – müssen nun in einer klugen innerlinken Arbeitsteilung miteinander verknüpft werden. Das Konzept der Klimagerechtigkeit kann dabei als Richtschnur dienen, um stets die Ausschlüsse in diesem Prozess sichtbar zu machen und trotz der aktuellen Notwendigkeit, in staatliche Politik zu intervenieren, deren herrschaftlichen Charakter und zentrale Rolle in der Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse nicht aus dem Blick zu verlieren.