Am 8. und am 15. März 2019 gingen weltweit Millionen Menschen auf die Straße. Sowohl der feministische Streik am Frauen*kampftag als auch die Streiks der Schüler*innen von Fridays for Future, die am 15. März mit einem weltweiten Aktionstag ihren vorläufigen Höhepunkt fanden, sind außergewerkschaftlich organisierte Proteste, in denen genau diejenigen eine Stimme bekommen, die sonst viel zu selten gehört werden: junge Menschen, Frauen* und Trans/Inter. Beide Bewegungen sind inspirierend in ihrer Selbstorganisation und Schlagkraft. Bisher ist jedoch völlig offen, wie Geschlechtergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit endlich Wirklichkeit werden können.

Die These, die hier diskutiert werden soll, ist, dass beide Bewegungen im Kern den gleichen Ausgangspunkt für ihre – sehr unterschiedlichen – konkreten Forderungen haben: Es geht darum, die patriarchale Externalisierung von Arbeit und Folgekosten anzugreifen und ein gerechtes Zusammenleben von Menschen auf diesem Planeten zu ermöglichen. Deshalb lohnt sich ein Vergleich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Klima- und feministischem Streik und die Frage, was beide voneinander lernen können. Ich stelle diesen Vergleich an aus der Perspektive einer Klima-Aktivistin mit queerfeministischem Anspruch und Fokus auf Deutschland. Dieser Artikel kann deshalb nur ein erster Anstoß sein.

Zwei Graswurzelbewegungen werden groß

Talkshows und Zeitungsartikel der letzten Wochen klingen oft so, als habe die 16-jährige Greta Thunberg aus Schweden den politischen Streik erfunden. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt aber, dass sowohl Frauen*- und feministische Streiks als auch Schul- und Unistreiks eine lange Tradition haben.

Unter dem Slogan «Ni Una Menos» («Nicht eine [Frau] weniger»), unter dem 2016 zum feministischen Massenstreik in Argentinien aufgerufen wurde, ist in den vergangenen Jahren eine kontinuierlich wachsende, weltweite feministische Streikbewegung entstanden. Se Millionen Menschen streikten am 8. März 2018 in Spanien. In diesem Jahr gab es erstmals auch einen feministischen 8M-Streik in Deutschland, mit Aktionen in mehr als 20 Städten und Zehntausenden auf den Straßen bei Großdemos und kleineren Aktionen.

Die Medienstars sind die Schüler*innen von Fridays for Future, ihre Ikone Greta, und in Deutschland vor allem die 22-jährige Studentin Luisa Neubauer. Die Klimastreiks schaffen es, anders als andere Schulstreiks bisher, einen enormen Medienhype zu erzeugen, der über Monate hinweg anhält. Obwohl die Bewegung realpolitisch noch nichts erreicht hat, wird Greta mit Preisen überhäuft, spricht auf internationalen Konferenzen und plötzlich sitzen Schüler*innen neben Minister*innen in Talkshows. Liegt es daran, dass die Klimakrise – anders als Studiengebühren in Deutschland oder schärfere Waffengesetze in den Usa – ein globales Thema ist, zu dem an einem Tag 1,6 Millionen Schüler*innen auf allen Kontinenten schulstreiken können? Oder daran, dass Fridays-for-Future-Aktivist*innen über soziale Medien bestens in der Lage sind, ihre eigenen Bilder und Geschichten zu verbreiten? Vielleicht liegt es auch daran, dass «Stoppt die Klimakrise!» eine Forderung ist, die die Stärke der unmittelbaren Betroffenheit innehat, aber auch weit über Identitätspolitik hinausgeht – weil es um die Zukunft von allen geht. So gelingt es den Schüler*innen zwar bisher nicht, die Politik zum Handeln zu bewegen, wohl aber, den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zum Thema Klima zu drehen und selbst Themen zu setzen. Die Breitenwirkung der Klimastreiks manifestiert sich hierzulande auch in Unterstützungsorganisationen wie Scientists for Future, Parents for Future und viele mehr. Nur die Feminists for Future fehlen noch. Wobei es natürlich nicht darum gehen soll, dass Feminist*innen sich einfach der Schüler*innenbewegung anschließen. Beide Seiten könnten sich zusammensetzen und gemeinsame Aktionsmöglichkeiten finden.

Alle sozialen Kämpfe für Gerechtigkeit – ob für bezahlbare Mieten, gegen Abschiebungen oder Armut – haben eine Gender-Komponente. So auch der Kampf um Klimagerechtigkeit. Klima- und Geschlechtergerechtigkeit können deshalb nur gemeinsam erkämpft werden. Es gibt viele Gruppen, die genau das bereits versuchen – von Ngos, die sich in der «Women and Gender-Beobachtungsgruppe» bei den Weltklimakonferenzen zusammenschließen, bis zum queerfeministischen Aktionsfinger bei Ende Gelände. Fridays for Future und der feministische Streik als zwei weltweite, wachsende Bewegungen haben das Potential, diese Zusammenhänge größer zu denken, bekannter zu machen und zum Vorbild für andere zu werden.

Die feministische Forderung «Wir wollen keine Femizide mehr» («Ni Una Menos») und die Klimaforderung «Wir wollen eine Zukunft» sind deshalb so stark, weil die Frauen* und die Schüler*innen selbstorganisiert um ihr eigenes Überleben kämpfen und dabei gleichzeitig weit über reine Partikularinteressen hinausgehen. Bisher finden beide Kämpfe weitgehend unabhängig voneinander statt. Es gab nur wenige gemeinsame öffentliche Aktionen und solidarische Bezugnahmen aufeinander. Auch personelle Überschneidungen zwischen beiden Bewegungen sind kaum sichtbar. Mit dem Fokus von Fridays for Future auf Greta (weltweit) und Luisa (in Deutschland) als Einzelpersonen, der Orientierung in Richtung Talkshows und Großdemos können viele linksradikale Gruppen, gerade die queerfeministischen, wenig anfangen. Dabei geht es beim Thema Klima um existenzielle Fragen von Geschlechtergerechtigkeit.

«No climate justice without gender justice!»

Feminismus wird als Konflikt von race, Klasse und Gender verhandelt, Klimagerechtigkeit im Kontext von Fridays for Future in erster Linie als Generationenkonflikt. Aber auch Klimagerechtigkeit ist ein Klassen-, Gender- und Nord-Süd-Konflikt. Die einfache Formel «Wir streiken für das Überleben aller auf diesem Planeten», die so eingängig ist und Fridays for Future so berühmt gemacht hat, muss ausdifferenziert werden, um Fragen von Geschlechtergerechtigkeit mit in den Blick zu nehmen. Frauen, vor allem aus dem Globalen Süden, sagen schon lange: «There will be no climate justice without gender justice!» Sie spüren die Intersektionalität von Klima- und Geschlechterungerechtigkeit am eigenen Leib – weil sie diejenigen sind, die sich nach Wirbelstürmen und Überschwemmungen um die Kranken kümmern, die ihre Kinder ernähren müssen und die alleine zurückbleiben, wenn männliche Familienmitglieder vor den Folgen der Klimakrise fliehen. Andersherum braucht jeder feministische Gesellschaftsentwurf einen lebenswerten Planeten, auf dem er umgesetzt werden kann. Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen werden in einer patriarchalen Gesellschaft immer zu Lasten der marginalisierten Gruppen gehen. Keine Frage: Wer im Patriarchat nicht dem cis-männlichen Idealbild entspricht, ist seit Jahrtausenden Gewalt ausgesetzt. Mit der Überhitzung des Klimas aber werden die bestehenden Ungerechtigkeiten weltweit zum Todesurteil für Millionen Menschen. Das ist eine globale und unmittelbar akute Krise, die größte Krise der Menschheit und insbesondere eine Gerechtigkeitskrise.

«Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen werden in einer patriarchalen Gesellschaft immer zu Lasten der marginalisierten Gruppen gehen.»

Es ist deshalb höchste Zeit, dass Feminist*innen den Schüler*innen zuhören. Umgekehrt können die Schüler*innen von der feministischen Streikbewegung lernen, struktureller und intersektionaler zu denken und über ihre realpolitischen Forderungen hinaus einen globalen Gerechtigkeitsanspruch zu stellen. Aus einer (Geschlechter-) Gerechtigkeitsperspektive geht es nicht nur darum, dass Deutschland «Netto-Null-Emissionen» ausstößt. Es geht auch darum, dass für dieses «Netto-Null» nicht Menschen im Globalen Süden von ihrem Land vertrieben werden, um dort Wälder als CO2-Senken auszuweisen, die Emissionen aus Industrieländern «ausgleichen» sollen. Es geht nicht nur darum, eine 100-prozentige erneuerbare Energieversorgung zu sichern, sondern auch darum, dass weniger Strom verbraucht wird und dieser für alle bezahlbar ist – dafür braucht es eine Vergesellschaftung der Stromnetze und eine Zerschlagung der großen Energiekonzerne. Und es geht nicht nur darum, einen Preis für CO2 einzuführen, sondern es geht darum, Kosten und Arbeit einerseits und Zugang zu Ressourcen und Wohlstand andererseits fair zu verteilen.

Gemeinsam am System rütteln

Beide, 8M und Fridays for Future, kommen nicht umhin, das bestehende Wirtschaftssystem in Frage zu stellen. Der Kapitalismus mit seinem Wachstumszwang beruht auf falschen Normen und auf Ausbeutung von menschlichen und natürlichen Ressourcen. So wie unbezahlte Care-Arbeit (die mit den Folgen der Klimakrise zunimmt) an Frauen* ausgelagert wird, so werden die Folgen der Klimakrise in den Globalen Süden und an junge und zukünftige Generationen ausgelagert. Es profitieren, überspitzt formuliert, die älteren, reichen, weißen Männer* in Industriestaaten, die die Legitimität ihrer Machtposition in der Gesellschaft damit begründen, dass «sie halt schon da sind» bzw. dass «das-und-das immer schon so war». Es ist ein patriarchales System, das uns in die größte Gerechtigkeitskrise der Menschheit treibt. Es ist ein patriarchales System, das es jungen Frauen wie Greta und Luisa und den vielen weniger bekannten Vorkämpfer*innen von Fridays for Future trotz medialer Unterstützung so schwer macht, ihre Forderungen auf politischer Ebene gegen ältere Männer in Anzügen und Chefsesseln durchzusetzen. Nur wenn Feminist*innen und Klimastreikende sich zusammentun, lassen sich Geschlechter- und Klimaungerechtigkeiten endlich stoppen.

«Der politische, ungehorsame Streik, die Weigerung, weiter mitzumachen, ist das Moment, durch das sich die streikenden Feminist*innen und Schüler*innen ihrer eigenen Wichtigkeit und Wirkmächtigkeit bewusst werden.»

Unmittelbarer gemeinsamer Anknüpfungspunkt ist der politische Streik als Aktionsform, also die Verweigerung der eigenen Rolle im Gesellschaftssystem. «Du als Schüler*in musst zur Schule gehen und tun, was dir gesagt wird» bzw. «Du als Frau* musst eine gutaussehende und liebevolle Tochter/Mutter/Karrieristin etc. sein» sind Normen in der patriarchalen Gesellschaft, die durch die Streiks in Frage gestellt werden. Das ist ein Angriff auf die bestehenden Machtstrukturen: Indem sie die ihnen zugewiesene Arbeit in der Schule bzw. zu Hause verweigern, befreien sich Schüler*innen ebenso wie Feminist*innen aus der ihnen zugewiesenen Rolle der «Unmündigen», die von politischen Entscheidungen ausgeschlossen und darin nicht berücksichtigt werden. Zwar ist der Schulstreik eine viel indirektere Form der Auseinandersetzung mit dem Klimathema als der feministische Streik, bei dem die Tätigkeiten direkt bestreikt werden, die Kern der politischen Auseinandersetzung sind. Wichtig ist aber bei beiden Streiks das Moment des Ungehorsams, das einerseits Medienaufmerksamkeit schafft und andererseits die Streikenden selbstermächtigt. Der politische, ungehorsame Streik, die Weigerung, weiter mitzumachen, ist das Moment, durch das sich die streikenden Feminist*innen und Schüler*innen ihrer eigenen Wichtigkeit und Wirkmächtigkeit bewusst werden. Mit der Kraft, die sie daraus ziehen, rütteln Schüler*innen und Feminist*innen an den Grundfesten unseres Systems. Es geht um nichts Geringeres als das Überwinden der patriarchalen Externalisierungsgesellschaft.

Zusammenkommen und voneinander lernen

Wie also kann dieses Rütteln koordiniert werden, um gemeinsam noch gefährlicher zu werden? Bei dem 8M-Frauen*streik in Deutschland wurde über Monate hinweg in großen Vollversammlungen der Aufruf, die Forderungen und die Ausrichtung des Streiks diskutiert. Auch in Argentinien, Spanien und vielen anderen Ländern haben sich die Frauen*streiks in Vollversammlungen (Asambleas) organisiert. Es gibt den Anspruch, Menschen aus verschiedenen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten anzusprechen und mitzunehmen, auch wenn das die Zusammenarbeit mitunter langwieriger macht.

Fridays for Future dagegen ist in Deutschland aus Whatsapp-Gruppen geboren, die sich in mittlerweile mehr als 400 lokalen Gruppen mit Präsenztreffen manifestieren. Entschieden wird von Woche zu Woche – denn zwischen zwei Streiks liegen nicht 365 Tage, sondern sieben. Meist gilt das Prinzip: Die erste gute Idee gewinnt. Mit diesem Tempo sichert sich Fridays for Future die Aufmerksamkeit der Medien über Monate hinweg – bleibt aber eine sehr weiße, sehr akademische Bewegung. Das kann kein Vorwurf an die Schüler*innen sein – die Klimabewegungen der vergangenen Jahrzehnte waren im Globalen Norden ebenso weiß und akademisch. Durch mehr Austausch mit der feministischen Streikbewegung aber hätte Fridays for Future jetzt die Chance, inklusiver und dadurch langfristig stärker zu werden. Die Frage ist nicht, welche Organisationsform die bessere ist, sondern wie durch möglichst viele unterschiedliche, aber untereinander koordinierte Beteiligungsformate möglichst viele Menschen angesprochen werden können. Ob Whatsapp-Gruppen, Asambleas, neue Plattformen oder alte Mailinglisten: Wichtig ist, Kommunikationskanäle und Orte für neue Diskurse und neue Bündnisse zu schaffen.

Der 8. März 2020 ist ein Sonntag. Wie wäre es mit einem ganzen Streik-Wochenende für Klima- und Geschlechtergerechtigkeit, mit Lohnarbeitsstreik schon am Freitag, mit Straßenfesten, Demos und Partys am Wochenende – vielleicht sogar mit Beteiligung der Gewerkschaften, die endlich verstehen, dass politische Streiks nicht nur legitim, sondern dringend notwendig sind, und dass Klima- und Geschlechtergerechtigkeit die Voraussetzungen sind für gute Arbeit und ein gutes Leben für alle?

Das gegenseitige Kennenlernen kann schon jetzt beginnen: Mit #FeministsForFuture bei den Streiks der Schüler*innen, mit intersektionalerem Verständnis von Ungerechtigkeiten sowie mehr Offenheit für nicht-akademische und queere Identitäten bei den Klima-Aktivist*innen, mit gemeinsamen Aktionen und mit entsprechenden Workshops und Vernetzungstreffen bei Klimacamps, dem Feminist-Future-Camp und anderen Gelegenheiten. Es ist wichtig, die Ausbeutungs- und Abhängigkeitspfade der patriarchalen Externalisierungsgesellschaft nachzuzeichnen und zu verstehen. Es ist wichtig, anzuerkennen, dass zwar allen jungen Menschen durch die Klimakrise ihre Zukunft gestohlen wird, aber dass diese Ungerechtigkeit andere bestehende Ungerechtigkeiten noch verschärft. Und es ist wichtig, die Überwindung der zerstörerischen und ausbeuterischen patriarchal-kapitalistischen Verhältnisse, in denen wir leben, als gemeinsames Ziel zu formulieren.

Die Aktion #Ichstreike8M hat dieses Jahr – bewusst oder unbewusst? – einen bekannten Slogan aus der Klimabewegung übernommen. Um «5 vor 12» haben Frauen* und Queers bundesweit Stühle in den öffentlichen Raum gestellt und jegliche Arbeit bestreikt. «Es ist 5 vor 12, es muss endlich etwas geschehen» – das sagen Klima-Aktivist*innen auch immer wieder. Die Wahrheit ist: Es ist schon 12. Wir müssen jetzt handeln, und zwar alle gemeinsam.