Scheinlösungen und ‹technofixes›, also (groß-)technologische Ansätze zur Lösung von gesellschaftlichen und ökologischen Problemen, begleiten die Debatte um den Klimawandel seit Jahrzehnten. Dazu gehören Marktmechanismen wie Emissionshandel und ‹carbon offsets›, Bioenergie und Agrartreibstoffe, Redd+, Erdgas und fossiles Carbon Capture & Storage (CCS). Für die internationale radikale Klimabewegung war die Richtschnur der politischen Bewertung immer, ob die vorgeschlagenen ‹Lösungen› zu Klimagerechtigkeit beitragen: Zielen sie auf die Überwindung des Systems von Extraktion und Ausbeutung, von endlosem Wachstum und steigendem Ressourcenverbrauch, von globaler Ungleichheit und Unterdrückung, das den Klimawandel und andere sozial-ökologische Krisen hervorgebracht hat? Oder auf die Erhaltung genau dieser strukturellen Ursachen?
Unter dem Begriff «Geoengineering» oder «Climate Engineering» drängen seit einigen Jahren neue Technofixes auf die politische Agenda. Damit sind großtechnologische Eingriffe in die planetare Umwelt – die Biosphäre, Atmosphäre und Ozeane – gemeint, um einige Symptome des Klimawandels hinauszuzögern, einzudämmen oder zu unterdrücken.
Dabei wird oft in zwei Kategorien unterschieden: Carbon Dioxide Removal (CDR) und Solar Radiation Management (SRM). Mittels CDR soll der Atmosphäre großmaßstäblich CO2 entzogen und unterirdisch oder in den Ozeanen gelagert werden. SRM zielt darauf ab, den Temperaturanstieg direkt zu unterdrücken – etwa, indem Partikel in die Stratosphäre eingebracht oder Wolken aufgehellt werden, die einen Teil des einfallenden Sonnenlichts zurück ins All werfen sollen, sodass es die Erde gar nicht erst erwärmt.
Nicht zuletzt angesichts der globalen Treibhausgasemissionen, die auch in 2019 weiter steigen, trifft Geoengineering den Nerv der politischen Handlungsunfähigkeit. Es droht einen gefährlichen Paradigmenwechsel einzuleiten, der die Aufmerksamkeit weg von Emissionsminderungen hin zu großtechnologischer Klimamanipulation verschiebt. Die einstigen ‹Notfalloptionen› gedeihen in einem Klima der angeblichen Alternativlosigkeit und schließen nahtlos dort an, wo die Interessen von Kapital und politischen Eliten effektive Klimapolitik verhindern. Insbesondere aus Diskussionen um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens ist das Thema kaum noch wegzudenken – vor allem in Form von sogenannten ‹Negativen Emissionen›.
Die Vorstellung, dem Problem Klimawandel mit großtechnologischen Eingriffen beizukommen, verschleiert jedoch die strukturellen Ursachen der Klimakrise und ihre Verwobenheit mit den anderen sozial-ökologischen Krisen des 21. Jahrhunderts. Geoengineering ist als Teil des kapitalistisch-autoritären Gegenentwurfs eine Kampfansage an Klimagerechtigkeit und die dafür kämpfenden Bewegungen.
Geoengineering verschärft die Klimakrise, anstatt sie zu lösen
Geoengineering greift tief in die globalen Ökosysteme und Kreisläufe ein. Um einen klimarelevanten Effekt zu erzielen, müssten diese Technologien im globalen Maßstab eingesetzt werden. Somit wären auch die Risiken und negativen Auswirkungen globalen Ausmaßes. Sie wären zudem stark ungleich verteilt und würden insbesondere zu Lasten derer gehen, die auch bereits von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen sind.
CDR-Technologien würden neue extraktive und transnationale Großindustrien aufsetzen. Sie alle benötigen, je nach Technologie, riesige Mengen an Land, Biomasse, Energie, Rohstoffen oder anderen Ressourcen. Die CDR-Technologie BECCS etwa, die großmaßstäbliche Bioenergieproduktion mit der unterirdischen Lagerung von CO2 mittels CCS kombinieren soll, würde die Effekte von Privatisierung von Land, Gefährdung von Ernährungssouveränität, Entrechtung und Vertreibung massiv verschärfen: In Klimaszenarien werden teilweise mehrere Hundert bis über 1,5 Milliarden Hektar Land für BECCS ‹eingesetzt›. Zum Vergleich: Die globale Nahrungsmittelproduktion findet ebenfalls auf rund 1,5 Mrd. Hektar Land statt.
Aus der Geschichte – auch der Geschichte der internationalen Klimapolitik – lässt sich bereits erahnen: Diese Landmassen und die benötigten Ressourcen und Rohstoffe wären wohl kaum im Globalen Norden zu finden. Stattdessen würden neokoloniale Extraktions- und Ausbeutungsmuster auch hier und unter dem Deckmantel des Klimaschutzes ausgeweitet und fortgeschrieben.
«Die multiplen sozial-ökologischen Krisen des 21. Jahrhunderts – globale Ungleichheit, Hunger, Entrechtung, die Zerstörung von lebensnotwendigen Ökosystemen – würden durch Geoengineering im Namen des Klimaschutzes verschärft.»
Der Einsatz von SRM würde, nach allem, was sich aus Computersimulationen ableiten lässt, regional stark unterschiedliche Auswirkungen haben. Sehr wahrscheinlich gäbe es regionale Gewinner*innen und Verlierer*innen. Niederschlagsmuster könnten sich verändern und in unterschiedlichen Erdteilen zu Dürren oder Überschwemmungen führen sowie den ostasiatischen Monsun beeinträchtigen, von dem rund zwei Milliarden Menschen für Frischwasserzugang und Ernährungssicherheit abhängen.
Die multiplen sozial-ökologischen Krisen des 21. Jahrhunderts – globale Ungleichheit, Hunger, Entrechtung, die Zerstörung von lebensnotwendigen Ökosystemen – würden durch Geoengineering im Namen des Klimaschutzes verschärft.
Das fossile Zeitalter verlängern
Die Öl- und Gasindustrie betreibt seit mehreren Jahrzehnten Forschung zu Geoengineering-Technologien, hält Patente auf einzelne Technologien und hat immer wieder Einfluss auf diskursprägende Studien zum Thema genommen. Ihr unmittelbares Interesse an Geoengineering, aber auch das der anderen klima- und umweltschädlichen Industrien wie Automobil- und Bergbauindustrie liegt auf der Hand: Die Aussicht auf einen großtechnologischen ‹Fix› der Klimakrise mindert vermeintlich die Dringlichkeit, drastisch und sektorübergreifend Treibhausgasemissionen zu reduzieren und erlaubt es den entsprechenden Industrien, erst einmal weiterzumachen wie bisher.
Geoengineering steht der sozial-ökologischen Transformation auch strukturell im Weg. CDR-Technologien würden neue extraktive Großindustrien mit transnationalen Wertschöpfungsketten schaffen – und in der Gesamtbilanz absehbar mehr Emissionen produzieren als der Atmosphäre zu entziehen.
Großindustrielles CDR würde eine massive Ausweitung transnationaler Infrastruktur zum Transport und der Einlagerung von CO2 bedeuten – diese Infrastruktur, insbesondere der Ausbau von Pipelines, ist Infrastruktur der fossilen Industrie und würde von eben dieser gebaut werden. In Anbetracht der möglichen Erweiterung ihres Geschäftsfelds überrascht es nicht, dass die fossile Industrie in ihren Energieszenarien in großem Stil auf CCS und auch CDR setzt.
Der großindustrielle Einsatz von BECCS würde zwar in Teilen die Verbrennung fossiler Rohstoffe mit der Verbrennung von Biomasse ersetzen. Diese ‹Bio›-Energie ist aber, anders als oft behauptet, keineswegs CO2-neutral und sogar ineffizienter als fossile Brennstoffe. Zudem bliebe damit das gegenwärtige Energiesystem erhalten, das auf der Verbrennung von Rohstoffen basiert. Somit ist BECCS ein zusätzlicher Blockadefaktor für die Transformation hin zu einer dezentralen Energieproduktion aus tatsächlich erneuerbaren Quellen.
Ähnliches gilt für den Verkehrssektor, der vom Verbrennungsmotor geprägt ist. Eine andere CDR-Technologie ist das sogenannte Direct Air Capture (Dac), das CO2 in einem energieintensiven Prozess direkt aus der Umgebungsluft filtert. Verschiedene kommerzielle Pilotprojekte und Unternehmen arbeiten daran, aus dem abgeschiedenen CO2 neue Produkte wie Kohlensäure für Softdrinks, Plastik und andere Materialien herzustellen, die dann verkauft werden können – damit sich die Herausfiltern überhaupt lohnt.
Auch an der Herstellung von synthetischem Treibstoff aus CO2 wird geforscht, um ihn in der existierenden Transportinfrastruktur – etwa im motorisierten Individualverkehr, im Flugverkehr und in der Schifffahrt – einzusetzen. Die Befürworter*innen preisen die dadurch schwindende Notwendigkeit der Veränderung existierender Infrastruktur, Produktions- und Konsumweisen im Verkehrssektor offen als Vorteil der Technologie an.
Das gebundene CO2 landet jedoch angesichts der Kurzlebigkeit der Produkte entsprechend schnell wieder in der Atmosphäre. Das hält Silicon Valley und andere Investoren, darunter vor allem die Öl-, Gas- und Kohleindustrie, Bergbau- und Automobilindustrie, nicht davon ab, aktuell massiv in die Kommerzialisierung dieser Technologien zu investieren.
Autoritarismus & Militarisierung des Klimas
Der globale Rechtsruck und der Aufstieg extrem rechter bis faschistischer Kräfte macht sich auch klimapolitisch bemerkbar: Durch den Ausstieg aus multilateralen Abkommen und Prozessen sowie einer extrem industriefreundlichen und repressiven Politik, die besonders auch die sozialen Bewegungen trifft, die für Klimagerechtigkeit, Landrechte und Ernährungssouveränität kämpfen – siehe Trump und Bolsonaro. Politische Unterstützung für Geoengineering wächst aktuell vor allem in den Usa und Saudi Arabien, also Ländern, in denen die fossile Industrie auf der Seite des Kapitals eine zentrale Rolle spielt, aber auch in Brasilien, Ägypten und Japan. China und Russland halten sich international bislang im Hintergrund, betreiben aber mindestens strategische Forschungsprogramme.
«Die Idee, die globalen Ökosysteme und das Klima manipulieren, kontrollieren und steuern zu können, leistet auch autoritären Allmachtsfantasien Vorschub.»
Die Idee, die globalen Ökosysteme und das Klima manipulieren, kontrollieren und steuern zu können, leistet auch autoritären Allmachtsfantasien Vorschub. Es spitzt die Tendenz zu, gesellschaftliche Probleme zu entpolitisieren und vermeintlich ‹rational› und ohne politische Reibungsverluste durch Marktmechanismen oder technologische Eingriffe zu regeln.
Damit ist ein solches Projekt anti-emanzipatorisch und treibt den demokratischen Abbau voran, etwa indem der Einsatz dieser Technologien erkämpfte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (wie etwa kollektive Landrechte und Ernährungssicherheit) unterminieren würde und indem die Entscheidungsgewalt über global-klimatische Parameter einer technokratischen Elite übertragen werden müsste.
Geoengineering, in jeglicher Variation, würde die großmaßstäbliche Sammlung und Verarbeitung globaler Klima- und Umweltdaten voraussetzen: Geoengineering bräuchte ein praktisch permanentes Monitoring und Überwachen von Veränderungen, sowie Nachjustieren des Klimasystems.
Das eröffnet ein potentiell gigantisches neues Feld der Inwertsetzung von Daten über die globale Umwelt – eine neue Runde ursprünglicher Akkumulation. Die Ausweitung von Big Data auf globale Klima- und Umweltdaten trägt auch autoritäre Züge von immer tiefer greifenden Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten derjenigen Konzerne und staatlichen Akteure, die diese Daten besitzen und das globale Klima auf dieser Grundlage steuern würden.
In militärischen und sicherheitspolitischen Kreisen gibt es zudem das Narrativ, den Klimawandel als Problem nationaler Sicherheit und Geoengineering als mögliches Instrument der Gefahrenabwehr zu konstruieren. Somit ist ein Wettrüsten und die Möglichkeit der Militarisierung von Geoengineering im Kontext von globalem Rechtsruck, Autoritarismus und stark geschwächtem Multilateralismus ein reales Risiko. Dabei würden politische, ökonomische und militärische Kräfteverhältnisse entscheiden, wer die Kontrolle über das globale Thermostat übernimmt, wenn eine solche Technologie erst einmal entwickelt ist. Spätestens aber in Anbetracht der global stark ungleich verteilten Risiken und Auswirkungen ist ein Ausbleiben von lokalen, regionalen und internationalen Konflikten über den Einsatz von Geoengineering und seinen Folgen kaum vorstellbar.
Wider die Alternativlosigkeit
In der Klimawissenschaft hat sich rund um den 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarats (Ipcc) bereits einiges bewegt. Im Bericht sind erstmals Klimaszenarien enthalten, die ohne ‹Negative-Emissions-Technologien› wie BECCS auskommen. Im Hinblick auf den nächsten großen Sachstandsbericht des Ipcc (Ar6 in 2021/2022) wird innerhalb der Klima-Community zunehmend diskutiert, welche Rolle Postwachstumsszenarien und andere Szenarien, die transformativeren Wandel modellieren können, spielen sollten.
«Die angebliche Alternativlosigkeit von Geoengineering ist ein ideologisches Projekt, das der fossilen Industrie und denjenigen politischen Kräften in die Hände spielt, die am Status Quo festhalten wollen.»
Bislang sind alle existierenden Klimamodelle wachstumsbasiert und (gesamtgesellschaftlich) konsum-maximierend: Die ‹Notwendigkeit› von Geoengineering in den Klimaszenarien ist daher vor allem ein Artefakt der neoklassischen und strukturkonservativen sozio-ökonomischen Annahmen, die ihnen zugrunde liegen. Anders gesagt: Sie spiegeln in ihren Annahmen die dominante Wirtschaftsordnung wider, innerhalb derer Klimaschutz sich eigentlich nur dann lohnt, wenn er mit Wachstum, Standortvorteilen durch technologische Innovation und letztlich Profiten einhergeht.
Klar ist: Ein sofortiger Ausstieg aus der fossilen Infrastruktur und eine sozial-ökologische Transformation hin zu dezentraler, erneuerbarer Energie; kollektive Formen der Mobilität; agrarökologische, kleinbäuerliche Produktionsweisen statt industrieller Landwirtschaft und veränderte Ernährungs- und Konsummuster, aber auch die Senkung des absoluten globalen Energie- und Ressourcenverbrauchs durch gesellschaftlich gesteuerte, an Bedarfen und Bedürfnissen anstatt an Wachstum und Profiten orientierte Produktion, gekoppelt mit dem sozial und ökologisch gerechten Schutz und der Regenerierung von natürlichen Ökosystemen (vor allem von Wäldern) zur Bindung von CO2 – würde Geoengineering ohne Frage obsolet machen.
Die angebliche Alternativlosigkeit von Geoengineering ist ein ideologisches Projekt, das der fossilen Industrie und denjenigen politischen Kräften in die Hände spielt, die am Status Quo festhalten wollen.
Als Klimagerechtigkeitsbewegung sollten wir dieser Alternativlosigkeit klar widersprechen und nicht in die vermeintliche Notwendigkeit von disruptiven Großtechnologien einwilligen, die nicht nur als Scheinlösungen verkleidete Akkumulationsstrategien oder Ausweichmanöver sind, sondern auch die multiplen globalen Krisen nur noch verschärfen würden, anstatt ihnen Abhilfe zu leisten.