Wir haben natürlich nicht wirklich geglaubt, die progressive Körperpraxis geliefert zu bekommen (wenn auch in naiv-stillen Momenten ganz heimlich darauf gehofft) und den Leser_innen damit klare Wege aus allen Dilemmata präsentieren zu können. Bemerkenswert ist aber doch, dass von den (überraschend) vielen und (wie gewohnt) interessanten Artikelvorschlägen sich die meisten auf einen Körper als beschränkende, begrenzende und aus-grenzende Instanz beziehen. Zu den Potentialen und Ressourcen des Körpers, zu Widerstandsmöglichkeiten durch den Körper – kaum ein Wort.
Schließlich formte sich auch in unseren eigenen Diskussionen kein klar definiertes Bild von Körper als politischer Instanz. Und so sind wir vor allem zu zwei Erkenntnissen gekommen. Erstens: die Auseinandersetzung mit dem Thema lässt uns nicht immer unbedingt zu Lösungen kommen, eröffnet jedoch ein Feld vieler interessanter Fragen, die unser politisches Denken und Handeln fundamental berühren. Zweitens, wie es ein Redaktionsmitglied auf unserer Suche nach der Antwort auf die Frage, wie es sich eigentlich um den Körper als solchen steht, schließlich formulierte: „Vielleicht verhält es sich mit dem Körper wie mit Gesellschaft. Ohne konkreten Kontext bedeutet Gesellschaft erst einmal nichts. Oder alles. Erst in konkreten Situationen bekommt der Begriff ‚Gesellschaft‘ Substanz, wird für die Linke analysierbar. Ebenso vielleicht der Körper.“
Also haben wir beschlossen, den Körper in den Kontext unserer eigenen Politik zu stellen und nachzusehen, was sich da so zeigt. Nach einer kurzen Weile ratloser Stille in den Diskussionen bei FelS ist vor allem eins deutlich geworden: Der Körper ist tatsächlich immer mit dabei.
Körper – immer dabei
„Das gute Leben, das wir wollen und wofür wir streiten steht ja doch in einem ziemlichen Widerspruch zum Aufstehen um fünf Uhr, um dann im Schneetreiben mit dem Bus nach Dresden zu fahren, um sich dort dann wiederum bei null Grad auf die nasse Straße zu setzen. Oder auch dazu, tagelang auf Plena abzuhängen. Aber es finden sich hier eben auch sehr ambivalente Momente. Wenn ich zum Beispiel an gemeinsame Erfahrungen denke, in denen klar wird: wir sind handlungsfähig. Das ist schon cool. Ganz abgesehen davon, dass ich ja auch gerne mit euch abhänge.“
Der Körper wird in unserer Politik bei FelS zwar nur selten explizit verhandelt, spielt jedoch permanent eine Rolle. Wir wehren uns gegen Polizeikontrollen und fragen, wie rassistische Zuschreibungen, die unter anderem auf vermeintlich visuell wahrnehmbaren, verkörperlichten Markierungen beruhen, zu bekämpfen sind. Wir stören den 1000-Kreuze-Marsch der sogenannten Lebensschützer_innen und widmen uns dabei dem Körper als umkämpftem Feld. Unsere Körper durchbrechen (im günstigsten Fall) Barrikaden und dann kehren wir (im günstigsten Fall) mit blauen Flecken nach Hause zurück. Manchmal spüren wir Angst dabei, manchmal nicht. Gemeinsam mit all den anderen neoliberal durchdrungenen Individuen richten wir uns und unsere Körper zu, aber unabhängig davon, ob wir uns von dem Effizienzgedanken mühselig abgrenzen oder uns ihm anpassen: es bleibt anstrengend und Entspannungsübungen sollen es dann wieder rausreißen. Auf Plena rutschen wir stundenlang auf unbequemen Stühlen herum und wünschen uns dabei, dass es in diesen Zusammenhängen nicht darum gehen muss, unsere Körper und unsere Haltung zu optimieren, um Gehör zu finden. Schließlich wollen wir auch ernst genommen werden, wenn wir leise sprechen und möchten uns in solidarischen Räumen bewegen, in denen Aussehen und Auftreten keine Rolle spielen. Es bleibt abzuwarten, ob sich in diesen Wahrnehmungen und Kategorisierungen etwas verändert, wenn unsere Diskussionen immer mehr in Blogs, Mailinglisten und Internetportale verlegt werden und ob die visuelle Ausblendung von Faktoren wie Alter, Aussehen, gesellschaftlichen Markierungen etc. zu einer tatsächlichen Ent-Körperlichung führt – und inwiefern dies Auswirkungen auf unsere Politikgestaltung haben wird.
Wo ein Antifakörper ist …
Denken wir an den klassischen Einsatz von Körper in der Politik, dann geht es für gewöhnlich erst einmal um ‚Massenpolitik‘. Demonstrationen gewinnen ihren Ausdruck nicht zuletzt durch Körpermasse(n). Der schwarze Block hat – mittlerweile nicht mehr nur auf linken Demos – eine einschüchternde Funktion, vor allem aber macht er Körper unidentifizierbar: die einzelnen gehen in einem gemeinsamen Körper auf und schützen sich so gegenseitig vor Repression. Wir bilden Ketten, ballen die Faust und formen gemeinsam mit vielen Menschen Worte, Sätze, Botschaften. Wir organisieren uns zu menschlichen Schutzschilden und Hindernissen, andere betonieren sich ein, treten in Hungerstreik, blockieren mit purem Körpereinsatz Panzer, ‚sterben‘ in Die-Ins.
Während der G8-Proteste in Genua 2001 hatte sich eine Metapher etabliert, die das „Empire als belagerte Burg“ beschreibt: Regierungsvertreter_innen, die sich mit Zäunen, Sperrzonen etc. die protestierende Multitude förmlich vom Leib halten mussten. Das italienische Autor_innenkollektiv WuMin kommt allerdings in einer rückblickenden Betrachtung der Proteste zu folgendem Schluss: „Wenn auch [...] beflügelnd und effizient, so war die Metapher doch irreführend. Keine Belagerung war im Gange, weil man keine Macht belagern konnte, die überall war.“ Wenn wir uns also dieser Analyse anschließen und Macht weniger als eine Versammlung von Burgleuten betrachten, sondern sie vielmehr als strukturell und allgegenwärtig begreifen, dann drängen sich Gedanken auf, die den klassischen körperlichen Einsatz auf der Straße in Frage stellen: Bedeutet eine solche Perspektive, dass der Protest auf der Straße, die körperliche Verausgabung, das Blasenlaufen, das Zehen-Einfrieren und das Einstecken von Gewalt und Schlägen vergeblich ist? Oder gar ein Ohnmachtszeugnis? Unsere Antwort lautet: Nein. Oder: Naja, nur manchmal. Aktionen mit körperlichem Einsatz im engeren Sinn können durchaus sinnvoll sein. Die Besetzung von öffentlichem Raum kann eine wichtige Repräsentationsfunktion übernehmen. Wie ein Genosse aus unserer Antifa-AG dies in einer Diskussion wunderbar plastisch auf den Punkt brachte: „Wo ein Antifakörper ist, kann kein Nazikörper sein“ Und: das rauschhafte Element und Gefühl der Selbstermächtigung, wenn es einer Masse von Menschen gelingt, durch eine Polizeikette zu fließen um den Nazis den Weg zu versperren, einen Castor-Transport zu stoppen oder umsonst Bus zu fahren, ist ein nicht zu unterschätzendes Moment konkret erfahrener Handlungsfähigkeit.
Gleichzeitig gibt es aber auch dieses Gefühl, das eine_n beschleichen kann, wenn viele Stimmen dieselben Parolen brüllen und man sich nicht ganz sicher ist, ob man in der Masse nicht auch manchmal Dinge machen würde, die ein unangenehmes Schaudern erzeugen. Auf die Spitze getrieben: Die Angst, Teil eines ‚Volkskörpers‘ oder zumindest einer Schafherde zu werden. Dabei stellen wir uns nicht selten die Frage: Wollen wir im Kollektiv über individuelle Ängste hinauswachsen oder wünschen wir uns eher, unsere eigenen Grenzen überhaupt wahrzunehmen, damit wir hinterher keine Grenzen überschritten haben, die wir eigentlich lieber nicht hätten überschreiten wollen? Angst und Panik in der – sicher nicht immer selbst gewählten – Konfrontation mit ‚Sicherheitskräften‘ kann aus der gemeinsamen Stärke ganz schnell das versehrte Individuum herauspurzeln lassen. Und dann muss dieses Individuum am nächsten Tag auch noch zum Amt, ganz ohne die anderen, die gestern auf der Demo noch neben ihm gestanden haben.
Körper – Komplize der Macht
Diese Fragen deuten daraufhin, dass der Blick nicht nur auf den klassischen Massenkörperstraßenaktionen verweilen, sondern vielmehr auch geschärft werden sollte für den Körper als Kampfplatz an sich, als Sammelbecken für Einschreibungen verschiedenster Art, als Ort, in dem sich Bedürfnisse, Ängste und Lüste, aber auch Herrschaftsverhältnisse wie race, class, ability, gender verschränken und wirksam werden. Den Blick dafür zu schärfen, um eine Politik zu etablieren, die nicht unreflektiert den gewöhnlich normgemäßen, unmarkierten, weißen, gesunden Körper als Basis politischer Handlungsfähigkeit setzt.
Im Körper materialisiert sich der ungleich verteilte Zugang zu Nahrung, Gesundheitsversorgung, anerkannter Kultur oder Karrieremöglichkeiten. Hier werden die unterschiedliche Lebenserwartung, die unterschiedliche Häufigkeit von Krankheiten usw. erfahrbar, hier zeigen sich Auswirkungen gesundheitsschädlicher Arbeitsbedingungen. Haltung, Aussehen, Ernährung und Selbstverwirklichung der Individuen sind auch klassenspezifischer ‚Natur‘, in der Linken nicht weniger als anderswo. Auch hier finden sich Normierungen wie Dresscodes, Jugendlichkeitsvorstellungen, Ernährungserwartungen, die mal als Druck, mal als einfach so gewollt erlebt werden. So werden auch im Körper gesellschaftliche Verhältnisse sichtbar.
Körper, du Opfer?! Zu kurz gedacht: Über körperliche Lern- und Dressurprozesse erschließen wir uns unseren Alltag, entwickeln einen Sinn für das, was wir als Normalität verstehen und reproduzieren damit nicht zuletzt eben diese vermeintliche Normalität. Die Lernprozesse laufen über körperlich Erfahrbares und körperliche Emotionen (Scham, Ängstlichkeit, Zorn zum Beispiel). Das seelische Befinden drückt sich über den Körper aus. Dies kennen wir unter anderem als physische Reaktion auf bestimmte Machtsituationen: der Schweißausbruch im Jobcenter, das Zittern vor der Bullenkette, die Übelkeit im Vorstellungsgespräch. Hinterhältig verweist uns der Körper immer wieder in unsere Schranken, statt uns bei emanzipatorischer Politik zu unterstützen.
„Der Körper ist gleichsam Waffe, Subjekt und Objekt politischen Kampfes!“ (White Overalls, Finnland)
Wie also voran mit diesem Körper? Schließlich gibt es da noch dieses Problem: Es reicht nicht, sich klar darüber zu werden, dass sich rassistische, sexistische, neoliberale etc. Diskurse in unsere Körper einschreiben, denn da stehen wir nun mit diesen Körpern, die wir ja nicht einfach von uns lösen können. Die körperlichen Praxen lassen sich durch einen rationalen Erkenntnisprozess in Frage stellen, aber nicht auf Fingerschnipp ändern.
Es gab und gibt zahlreiche Ansätze innerhalb der Linken, die Formen der körperlichen Repräsentation und Auseinandersetzung jenseits der klassischen Massenkörperaktionen auszuprobieren und zu etablieren. Denken wir beispielsweise an die Epochen von Pink&Silver, in denen dem schwarzgekleideten autonomen Demonstrationssubjekt mittels einer bewussten Körperinszenierung ein anderes Politikverständnis, damit aber auch ein anderes Verständnis von Körpereinsatz entgegengesetzt wurde und wird.
Auch bei FelS gibt es solche Ansätze. ‚Keiner muss allein zum Amt’ ist eine Form, bei der sich die Menschen im Alltag fast wörtlich ‚an die Hand nehmen‘. Die (zur Zeit auf Eis gelegte) Mayday-Parade konnte individuelle Ausdrücke in Sprechblasen mit einer großen Multitude verbinden. Aktionstrainings geben einen Vorgeschmack darauf, wozu Körper in Aktion in der Lage sein können.
Wozu sie häufi g nicht in der Lage sind und warum nicht, werdet ihr in vielen der folgenden Artikel erfahren. Zum Beispiel wie „schwarze Körper“ als erotisch, exotisch und kleinkriminell kodiert werden. Wie NGOs in Tansania koloniale Grenzziehungen reproduzieren. Wie Intersexuelle chirurgisch „korrigiert“ und diskursiv ausgeschlossen werden. Wie Körper in der Psychiatrie und in Bildungsanstalten zugerichtet werden. Wie über Aussehen und Dresscodes diskriminiert wird und warum davon auch die Linke nicht frei sein (kann). Was ableism ist, aber auch, wie sich die Krüppelbewegung erfolgreich gegen ihre Entmündigung zur Wehr gesetzt hat. Was Gewichtsdiskriminierung bedeutet und was die Ziele der Fat-Acceptance-Bewegung sind. Warum manche Männer Teil einer Risikogruppe sein wollen und wer davon profi tiert. Dass Abtreibungen in Deutschland entgegen anders lautender Gerüchte immer noch nicht legal sind und warum eine selbstbestimmt Entscheidung für oder gegen Kinder bei der Forderung nach ihrer vollständigen Legalisierung nicht stehen bleiben darf. Dass sich gesellschaftliche Anforderungen an die Schönheit im Alter nicht einfach aufl ösen, sondern lediglich transformieren. Und wir nehmen in all diesen Diskursen wieder mal zur Kenntnis, dass Empowerment und Selbstbestimmung unter dem Postulat der ökonomischen Eigenverantwortung schnell zur hinterhältigen Fremdführung zweiter Ordnung werden. Doch auch notre bel Michel, dem wir diese Erkenntnis zu großen Teilen verdanken, kann uns gehörig in die Scheiße reiten. Wenn wir nämlich feststellen, dass sich unsere Identität am Ende schneller zersetzt als irgendwer gucken kann und wir ratlos vor der Alternative stehen: kein Essproblem oder Feministin oder vegan oder was denn jetzt? Vielleicht liegt die Antwort ja in der Aufl ösung materieller Körper im Cyborgkommunismus, die sich solch leidigen Fragen nicht länger stellen müssen. Vorausgesetzt, wir sitzen damit am Ende nicht doch wieder einem präpostmodernen Maschinenfetisch auf. Das Fazit unserer Autor_innen, aber auch unserer eigenen Überlegungen:
Der Körper ist nicht nur Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern schafft sie auch. Ein Ernstnehmen dieser Erkenntnis könnte bedeuten, subversive Praxen als Gegenbewegung und als kollektive Arbeit des körperlichen Verlernens zu verstehen: Vor der Musterung die Körper runterrockern, damit die professionellen Totmacher_innen gleich abwinken. Uns unordentlich anziehen, um im Vorstellungsgespräch zu verhindern, den ungewollten Job zu bekommen. Mit Engelskostümen auf dem Weihnachtsmarkt Spenden für den Afghanistan- Krieg sammeln und hoffen, dass die Menschen nach der Spende die Ironie doch noch verstehen. Irritieren. Querschlagen. Unsere Körper sind kein Spielzeug und wir können nicht einfach so ab jetzt alles anders machen. Und wir werden nicht über Nacht zu unseren eigenen (beispielsweise Drag-)Kings und Queens. Aber vielleicht über dreihundertsiebzig Nächte. Das alles stellt die Welt nicht auf den Kopf, schafft den Kapitalismus nicht ab und führt uns nicht auf direktem Weg in eine bessere Gesellschaft. Aber streng logisch betrachtet ist es so: Wenn wir die Verhältnisse reproduzieren können, dann können wir sie auch brechen. In immer wieder neue Richtungen, die wir für richtig halten. Das ist mühsam und mit Anstrengungen verbunden, und viele Wiederholungen werden nötig sein. Aber manchmal kann es eben auch richtig fl ashen. Try it out. Kopf hoch und Pogo. Oder auch: Bodycheck und linker Haken!
Vielen herzlichen Dank an unsere Layouterin T., die für die Gestaltung dieser Ausgabe so gekonnt den Zeichenstift geschwungen hat.
In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen,
Eure arranca!