arranca!: ¿Beginnen wir mit den Gründen, warum man besser nicht in der PDS sein sollte. Es gab beim letzten Parteitag der PDS eine heftige Auseinandersetzung um das harmlose Transparent: „Ob friedlich oder militant, wichtig ist der Widerstand“ der „AG Junge Genossinnen“, der du auch angehörst. Bei diesem Konflikt wurden von Leuten beispielsweise aus der „AG ChristInnen in der PDS „Positionen vertreten, die z. T. sogar noch hinter das zurückfallen, was bei den Grünen geäußert wird.

Angela Marquardt: Bei der Diskussion ist klar geworden, daß viele PDS-Mitglieder die bürgerlichen Klischees im Kopf haben, nämlich: Militanz = Gewalt, die von Chaoten ausgeübt wird. Den Vorwurf, daß das noch hinter den Standpunkt von vielen Grünen zurückfällt, akzeptiere ich. Aber ich finde das auch nicht verwunderlich. In den Grünen sind solche Debatten viel früher gelaufen, die Leute in der PDS sind erst seit 1990 mit diesen Fragen konfrontiert und müssen jetzt einen Lernprozeß durchlaufen.

Der springende Punkt an dem Konflikt ist deswegen ein anderer: es gibt unheimlich viele PDS-Mitglieder, die nicht bereit sind, über den eigenen Tellerrand zu sehen, und die meinen, daß sie einen Alleinvertretungs-Anspruch für linke Politik besitzen. Das ist das gleiche Avantgarde-Selbstverständnis, das früher die SED hatte.

¿Heißt das, daß das Politisierungsniveau ganz einfach niedrig ist, daß also bestimmte Disskusionen in der PDS noch nicht geführt worden sind, oder heißt es, daß, – wie Trampertund Ebermann der Partei schon vor 3 Jahren vorgeworfen haben – der reaktionäre Gehalt in der PDS extrem groß ist? Trampert und Ebermann haben ja vertreten, daß die PDS im Grunde genommen eine spießig-bürgerliche Regionalpartei Ost ist …

Die Mitglieder der PDS scheuen sich vor denjenigen Diskussionen, durch die sie in eine linksradikale Ecke gedrängt werden könnten. Sie begleitet immer ein Widerspruch: Einerseits finden sie sich in dieser Gesellschaft nicht zurecht und lehnen sie im Prinzip ab, andererseits kommen sie mit der Ausgrenzung nicht klar, die sie nicht gewöhnt sind. Vor allem, was sie in die „Schmuddelkinder“-Ecke drängen könnte, nämlich Radikalität, haben sie Angst. Sie merken aber auch, daß diese radikale Opposition wichtig ist und daß die PDS von den anderen Parteien nichts zu erwarten hat.

¿Noch mal: Bedeutet, daß sich da etwas bewegen kann? Daß sich andere Positionen ergeben, wenn sich das Politisierungs-Niveau durch Diskussionen erhöht? Oder ist der reaktionäre Gehalt der PDS so groß, daß da sowieso nichts mehr zu machen ist?

Nein, letzteres glaube ich eben nicht. Die PDS-Mitglieder müssen die Oppositionsrolle annehmen. Die Partei wird auf lange Zeit nicht an Regierungen beteiligt werden, wir werden keine großen Bürgermeister stellen und gestalterische Politik wird sich darauf beschränken, daß wir überlegen, was ein Stadtrat sinnvoll machen kann. Wir sind also Opposition und ich finde das auch gut so.

Wenn sich die Leute in der PDS das endlich eingestehen, dann sehe ich auch die Möglichkeit, daß sich viele Mitglieder damit auseinandersetzen, wie sie Widerstand leisten können.

¿Für mich war die Parteitagsdiskussion ein wirklich unangenehmer Höhepunkt. Im Nachhinein gab es in den internen Parteizirkularen ja auch ganz üble Ausfälle gegen dich. Wie stark ist dieser Flügel in der PDS?

Als Flügel würde ich das nicht bezeichnen. Was ich wirklich schlimm in der Partei finde, ist, daß Diskussionen ignoriert werden. Die Leute wissen ja, was eigentlich linke Themen sind: Antirassismus, außerparlamentarischer Widerstand, Kampf gegen Schwulenfeindlichkeit usw. Sie finden die Themen auch ganz in Ordnung, solange sie nichts damit zu haben. Sie gehen der Auseinandersetzung aus dem Weg. Deswegen war das auf dem Parteitag sehr nützlich. Sie mußten Stellung beziehen, weil das Transparent unübersehbar am Rednerpult hing.

Wir sind durch diese Diskussion weitergekommen, die Standpunkte haben sich verschoben. Unser Spruch wird auf Wahlplakaten der AG Junge GenossInnen sein, ohne daß es deswegen Ärger geben würde.

¿Es gibt noch krassere Fälle als diese Debatte um Militanz. Zu der 750-Jahr-Feier in Potsdom wollte die Nazizeitung „Junge Freiheit „eine Podiumsdiskussion organisieren. Gregor Gysi hatte seine Teilnahme zugesagt, außerdem war der SPD·Bürgermeister Gramlieh angefragt. Das absurde an der Sache fand ich nicht, daß Gysi kommen wollte – meinetwegen kann er die Leute von der JF öffentlichkeitswirksam in Grund und Boden reden, das traue ich ihm zu. Die eigentliehe Unverschämtheit bestand darin, daß, als Gramlieh absagte, ihm – ich glaube von der Potsdamer PDS·Fraktionsvorsitzenden – „Intoleranz“ vorgeworfen wurde. Das muß man sich einmal vorstellen. Dazu kommen außerdem Ereignisse wie das Interview von dem PDS-Funktionär Scheringer mit der JF oder das Treffen von Vorstandsmitglied Christine Ostrowski mit Neonazis. Die PDS grenzt sich nach links offensichtlich klar ab, hat aber mit Rechtsradikalen keine Berührungsängste.

Zu der JF-Veranstaltung muß ich sagen, daß Gregor nicht wußte, mit wem er es da zu tun hat. Als er erfahren hat, was die JF ist, hat er abgesagt. Aber allein das ist zugegebenermaßen schon bezeichnend für die Partei, daß man die Junge Freiheit nicht kennt.

Es gibt bei dieser Hinsicht zwei Probleme in der PDS. Erstens herrscht eine große Unwissenheit, was Neonazis, ihre Strukturen und Organe usw. betrifft, und zweitens gibt es die Angst, intolerant zu sein. Die SED war ja eine extrem intolerante und ausgrenzende Partei. Meiner Ansicht nach darf man mit Nazis natürlich nicht reden. Aber ganz offensichtlich wollen viele PDS-Mitglieder den Fehler der Ausgrenzung nicht wiederholen. Das merkt man auch innerparteilich z.B im Umgang mit der kommunistischen Plattform. Die einzige Abgrenzung, die rigoros funktioniert, ist die gegenüber Autonomen, und dort ist das einzige Argument „Gewalt“, nichts anderes.

Im Prinzip gibt es in der PDS aber durchaus den Konsens – Ausnahmen bestätigen die Regel –, daß man mit Faschisten nichts zu reden hat. Ostrowski mußte nach ihrem Nazi-Treffen ja auch zurücktreten.

¿Die PDS versucht immer wieder, dem Mainstream hinterzulaufen. Wenn Schönhuber bei Gottschalk war, dann denken sich viele: „Mensch, wir müssen auch mit Faschisten reden“.

Ich bin auch oft entsetzt, wie PDS-Mitglieder sich verhalten. Scheringer redete mit dem Junge Freiheit-Typen, weil dessen Vater mit Scheringers Vater befreundet war. Im Gespräch gab es dann rassistische Kommentare von Scheringer. Darüber machen die sich keinen Kopf. Ähnlich der Bismarck-Enkel Einsiedel, der seine Wahlkampfrede mit den Worten „ich kandidiere aus deutschnationalen Gründen“ begonnen hat. Da sind uns allen die Unterkiefer runtergefallen.

Einsiedel hat dann in der Rede erläutert, daß er für die deutsche Einheit ist, aber nicht für die, wie sie jetzt gekommen ist. Daß er das nicht als Nationalist sagt, sondern als Sozialist. Aber es war trotzdem unglaublich.

Ich glaube, daß das viel damit zu tun hat, daß die PDS bisher eine Partei war, die immer nur reagiert hat. Es gibt Versuche, mit solchen Vorstößen zum Agieren, d.h. in die Öffentlichkeit zu kommen. Diese Praxis wird von manchen sogar zur Theorie gemacht, wie z.B. von Ostrowski, die danach ihr Vorgehen theoretisch zu erklären versuchte.

¿Das kannst du nicht einfach mit unklaren Positionen abtun. Niemand würde es der PDS vorwerfen, wenn sie nicht weiß, wie der antifaschistische Kampf am besten zu führen ist. Das wissen wir ja alle nicht genau. Das Problem ist ein anderes: Wenn die Berührungsängste nach Links größer sind als nach Rechts, heißt das, daß der Anteil von nationalistischem und rassistischem Gedankengut in der Partei sehr groß ist. Das ist ja auch nicht verwunderlich. ln der DDR gab es anti-polnische Hetzkampagnen, man hat sich auf eine deutschnationale Tradition berufen und VertragsarbeiterInnen wurden zum Teil noch mieser behandelt als Gastarbeiterinnen in der BRD.

Die DDR hatte das Problem, daß sie nach Identifikationspunkte zu suchen hatte, und da ist eine DDR-Identität aufgebaut worden. Es stimmt auch, daß die Gesellschaft in der DDR nicht weniger rassistisch war als in der BRD. Diese Vergangenheit holt die Partei immer wieder ein. Eine Aufarbeitung der DDR-Geschichte gibt es nur an aktuellen Themen, wie Halbe, Nationalbewußtsein oder Asylrecht. Und dann gibt es auch in der PDS Stimmen, die sich z.B. gegen den Beschluß „Offene Grenzen für alle“ ausgesprochen haben.

„Was linke Politik anbelangt, hoffe ich auf Bewegungen außerhalb der Parlamente.“

¿Bei der Diskussion um die Einsiedel-Kandidatur sind ja Promis für ihn in die Bresche gesprungen und meinten, „wer für Deutschland ist, ist noch nicht gleich Nationalist“. Mein Eindruck ist, daß die PDS sich gegenüber dieser ekelhaften Nationaldebatte entweder gar nicht verhält oder sogar auf den Zug aufspringt.

Nein, das macht sie sicher nicht. Die Leute, die die PDS-Politik aktiv gestalten, sind keine Nationalisten und diskutieren auch nicht über Nationalbewußtsein. Bei Einsiedel würde ich mir einmal die Biographie anschauen.1 Auch wenn ich nicht will, daß er mit seinen Äußerungen in den Wahlkampf geht, ist er sicherlich kein Nazi. Ich habe mit ihm diskutiert und ich gestehe ihm mit seiner Biographie schon zu, daß er ein anderes Verhältnis zu „Deutschland“ hat als ich. Aus dem Grund sind auch andere PDS-ler für ihn in die Bresche gesprungen, denn die Ausfälle gegen ihn auf der Landesversammlung in Bayern waren wirklich übel. Das ging so weit, daß die türkische Landesgeschäftsführerin der PDS in Bayern von einem Einsiedelgegner rassistisch angegriffen worden ist. Im übrigen sind die Einsiedel-Bemerkungen im Bundesvorstand kritisch diskutiert worden.

¿Wir hatten in der vorletzten arranca! ein Interview mit lvo vom „Neuen Deutschland“, in dem er davon sprach, daß es beim ND eigentlich drei Flügel gibt: einmal die orthodox-kommunistischen und die DDR rechtfertigenden Leute von der Kommunistischen Plattform, dann die in erster Linie sozialdemokratischen „Erneuerer“ und drittens eine kleine linksradikale Minderheit. Seiner Meinung noch wäre das in der PDS ähnlich. Wie schätzt du das Kräfteverhältnis innerhalb der PDS ein?

Die Strömungen, die öffentlich wahrgenommen werden und angeblich existieren, sind ja Kommunistische Plattform, der Rest der Partei und die Junge Genossinnen. Die Einzigen, die ich tatsächlich als eindeutige Strömung bezeichnen würde, ist die Kommunistische Plattform (KPF). Die Köpfe davon, z.B Sarah Wagenknecht, sind ziemlich autoritäre und orthodoxe Kommunistinnen. Selbst die KPF ist aber überhaupt nicht einheitlich. Da gibt es viele, die sich der KPF nur zurechnen, weil sie sich weiterhin aus tiefstem Herzen als KommunistInnen fühlen, ohne deswegen orthodoxe VerteidigerInnen des Realsozialismus zu sein.
Eure Aussage, daß linksradikale Positionen an den Rand gedrückt werden, ist richtig. Darüber haben wir ja schon geredet, linksradikal gilt bei vielen in der Partei immer noch als „gewalttätig“.

Eine Aufspaltung sehe ich aber auch anderswo, nämlich im Umgang mit der DDR: Es gibt in der PDS viele, die ein sehr kritisches Verhältnis haben und aus dieser Kritik heraus Politik machen wollen. Es gibt Leute, für die die Vergangenheitsaufarbeitung überhaupt keine Rolle spielt, die sich nur im hier und heute sehen, und dann gibt es die DDR-Nostalgiker. Die gefährlichsten in der PDS sind diejenigen, die während und nach dem Zusammenbruch der DDR gar keine Politik gemacht haben und sich jetzt mit den alten SED-Sprüchen wieder zu Wort melden.

¿Die Entscheidungsträger Bisky, Modrow, Brie z. B. kann man in erster Linie als Sozialdemokraten bezeichnen.

Sie betonen immer wieder, daß sie auch in der Tradition der Sozialdemokratie stehen. Aber um das genau zu beschreiben, müßte man sich darüber einigen, was „sozialdemokratisch „ ist.
Was ich der PDS als „Sozialdemokratisierung“ ankreide, ist nicht die Übernahme sozialdemokratischer Inhalte, also von Positionen, die die SPD aufgegeben hat, sondern die faulen Kompromisse, die zugunsten von Bündnissen und Wählerstimmen in Parlamenten gemacht werden. Ansonsten habe ich nichts gegen linke Sozialdemokratlnnen, und nichts gegen Leute, die sich in der PDS als solche verstehen. Was ich ablehne, ist die Übernahme eines Politikstils und daß die Partei den regierungsorientierten Weg der SPD geht. In dieser Ausrichtung auf den Staat und auf die Autoritäten treffen sich SozialdemokratInnen und orthodoxe KommunistInnen ja auch interessanterweise.

¿Was Du über linken Sozioldemokratismus sagst, finde ich richtig. Mit einer wirklich umwälzenden Reformpolitik, wie sie Österreichische Sozioldemokroten einmal in den 20er Jahren gemocht hoben, kann ich mich auch anfreunden. Man kann sich über politische Strategien – also Reform oder Revolution – streiten, auch wenn ich von der Notwendigkeit revolutionärer Umwälzungen überzeugt bleibe. Allerdings ist die Erfahrung mit der Sozialdemokratie, daß sie in der Regel eben keine grundlegenden Veränderungen anstrebt, sondern nur Modernisierungen des Bestehenden. Für Leute wie Modrow oder Bisky gilt – von außen betrachtet – das gleiche. Sie wollen die Verhältnisse nicht grundsätzlich in Frage stellen.

Bei deiner Einschätzung darfst du eine Sache nicht übersehen: Das, was wir in der Schule in der DDR über den Kapitalismus gelernt haben, ist das eine, die Wirklichkeit ist eine andere. Die Ost-Linke ist heute gezwungen, die Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft kennenzulernen. Gleichzeitig haben wir den Anspruch, sie zu kritisieren und zu verändern. Ich traue mir nach 4 Jahren noch nicht zu, den existierenden Kapitalismus fundiert zu kritisieren. Das gleiche Problem hat auch die PDS an sich. Man ist sich unsicher bei radikalen Formulierungen, weil man nicht weiß, ob die Kritik auch berechtigt ist. Da haben Westlinke wie Ulla Jelpke (die für die PDS/LL in Bonn sitzt) natürlich einen RiesenvorteiL Die weiß aus ihrer Geschichte heraus, wovon sie redet.

¿Aber die „Sozialdemokratisierung“ reicht ja weiter. Die PDS wird z. B. nicht müde, ihre Nähe zur SPD in bestimmten Fragen zu betonen. Wenn diese Anbiederung in der Zukunft größere Ausmaße annimmt, dann macht sich die PDS überflüssig, niemand braucht eine zweite SPD!

Ich habe ja schon vorhin gesagt, daß viele in der PDS mit ihrer Oppositionsrolle nicht klar kommen. Sie wollen mitmachen, nicht ausgegrenzt sein. Für mich ist klar, daß ich mit meiner Position unter den bestehenden Verhältnissen ausgegrenzt werden muß.

In diesem Sinne tut es der PDS jetzt total gut, Opposition sein zu müssen. Wenn sie 40%-Ergebnisse erreichen würde, würde ihr das sofort zu Kopf steigen. Das sah man ja auch bei den Kommunalwahlen in Brandenburg. Am liebsten würde sie dort überall einen Bürgermeister aufstellen. Man wünscht sich, auf der Nostalgie-Welle schwimmend großartige Ergebnisse zu erreichen. Mich interessiert das nicht. Ich will, daß wir in den Bundestag kommen, um dort zu arbeiten, aber ich will nicht machtfähig werden. Und das ist in der Partei zu wenig diskutiert worden. Es gibt keine Klarheit darüber, was denn Mehrheiten sind, ob es parlamentarische Koalitionen sind oder aber außerparlamentarische Bündnisse, die durch ihren Druck von außen die Verhältnisse verändern. Bis jetzt wird der Parlamentarismus auf jeden Fall überbewertet.

¿Bevor wir über die parlamentarischen Illusionen in der PDS reden, würde mich erst noch einmal interessieren, ob es zum Bruch zwischen der Partei und der Kommunistischen Plattform kommen wird?

Wenn ich das zu Ende denke, dann glaube ich wirklich, daß einige Leute aus der Kommunistischen Plattform früher oder später die PDS verlassen werden. Ihre Vorstellungen von einer Partei oder vom Funktionieren eines Staates lassen sich nicht langfristig mit dem Selbstverständnis der PDS vereinbaren.

¿Und daß sie versuchen werden, sich durchzusetzen …?

Das machen sie ja. Auf dem letzten Parteitag haben sie sich bemüht, die Offenen Listen zu verhindern. Bestimmte Beschlüsse, wie die Öffnung der PDS, versuchen sie immer wieder zu kippen. Sie hatten ja auch einen Alternativvorschlag für das neue Programm. Bei den Parteitagen sind sie damit aber bisher nie durchgekommen. Wie lange sie das weiter versuchen werden, weiß ich nicht. Ich für mich kann sagen, daß es Leute aus der Kommunistischen Plattform gibt, mit denen ich keine Gemeinsamkeiten habe. Ihr Staatsbewußtsein, ihre Autoritätsfixierung, ihr Avantgardedenken, ihr Verständnis der Vergangenheit, das alles teile ich überhaupt nicht. Ich will niemanden aus der Partei schmeißen, aber ich glaube, daß sie mit ihren Positionen in der PDS sich nicht durchsetzen werden und sich deswegen irgendwann fragen müssen, warum sie da sind. Aber das wird nicht die ganze KPF sein.

¿Eine andere Frage: Gibt es in der PDS Karrieristen?

Klar gibt es auch in der PDS Leute, die an ihren Posten kleben und an ihre Karriere denken. Du kannst zwar nicht auf so gut bezahlte Posten kommen wie in anderen Parteien, aber es gibt auch bei uns bezahlte Stellen und vor allem Öffentlichkeit. Die Ossi-Nostalgie und damit das Ansehen der Partei nimmt ja zu. Aus diesem Grund kannst du auch in der PDS Karriere machen.

¿Die Kriminalisierungsversuche haben sich anscheinend nicht schädlich ausgewirkt …

Nein, aber es gab durchaus Beunruhigung in der Partei. Der Verfassungsschutz will ja offiziell die Kommunistische Plattform bzw. die Kontakte zu autonomen Gruppen überwachen. Das ist natürlich völliger Quatsch, denn die PDS insgesamt wird überwacht, ob offiziell oder nicht. Aber diese Kriminalisierungsdiskussion hat schon seltsame Ergebnisse gebracht. In Thüringen wollten sie alles, was nach „Militanz“ oder verfassungsfeindlich klingt, aus den Parteidokumenten streichen und ein gemeinsam mit autonomen Gruppen organisiertes Friedensfest absagen. Der vorauseilende Gehorsam ging so weit, daß sie sich den Verfassungsschutzchef von Thüringen zur Fraktionssitzung eingeladen haben.

„ist die PDS angesichts des Rechtsrucks von SPD und Grünen einfach ein Gegenpart.“

¿Du hast jetzt mehrmals betont, daß du dir den Wiedereinzug der PDS in den Bundestag wünschst. Ich frage mich dagegen, ob es angesichts der parlamentarischen Illusion in der Partei nicht sogar schädlich wäre, wenn sie es schafft. Ein Einzug würde die parlamentarischen Illusionen weiter stärken …

Ich persönlich habe keine Illusionen, aber ich finde, daß man die Präsenz in den Parlamenten als Mittel zum Zweck nützen sollte. Ich glaube, daß die PDS in dreierlei als Oppositionspartei – etwas anderes steht sowieso nicht zur Debatte – im Parlament von Nutzen sein könnte: a) sie könnte ein öffendichkeitswirksamer Orientierungspunkt für die Linke – denn in der PDS werden bestimmte linke Grundsätze nicht aufgegeben – sein; b) garantiert die Präsenz z.B im Innenausschuß den Einblick in wichtige regierungspolitische Projekte. Ulla Jelpke hat das, was dort diskutiett worden ist, immer nach außen getragen. Bündnis 90/Die Grünen würden solche Informationen der außerparlamentarischen Linken sicher nicht zur Verfügung stellen; und c) ist die PDS angesichts des Rechtsrucks von SPD und Grünen einfach ein Gegenpart. Obwohl es in der PDS auch reaktionäre Positionen gibt, ist die Bundestagsfraktion bei keiner wichtigen Frage umgekippt. Aus diesem Grund finde ich es wichtig, daß diese Stimme nach 94 weiterhin gehört wird.

¿Wie schätzt Ihr die reale Stärke der PDS ein? Mich interessieren da weniger Prozente als die Mobilisierungsfähigkeit, die Möglichkeit, Widerstand auf die Straße zu bringen.

Widerstand hat etwas mit Selbstbewußtsein zu tun und die PDS hat sicherlich ihre Rolle dabei gespielt, den Ossi-Widerstand überhaupt auf die Straße zu bringen. Sie ist ja nicht nur Partei, sondern auch Rückgrat von den verschiedensten Organisationen und Initiativen. Einen Teil ihrer Mobilisierungsfähigkeit hat sich die PDS durch ihre Abgrenzung nach links selber genommen. Ein anderes Problem ist lange Zeit gewesen, daß die PDS eigentlich nur zu Anlässsen mobilisiert, wo sie selbst betroffen ist. Allmählich ändert sich das ein wenig. Bei Bündnissen wie gegen das dann abgesagte Fußball-Länderspiel am 20. April hat sich die PDS als eine Organisation von vielen eingebracht.

¿Die Demonstration zum Länderspiel war klein und der Anteil von PDS-Ierlnnen nicht hoch …

Ja, gut. Aber du mußt eben auch der Tatsache ins Auge schauen, daß 60% der PDS-Mitglieder RentnerInnen sind. Die gehen natürlich nur zu bestimmten Anlässen auf die Straße, du kannst von denen nicht erwarten, daß sie sich bei einer Rekrutenverabschiedung vor den Zug legen. Dafür hat die PDS ihre Stärke, wenn es um Rentendemos geht oder z.B um den Liebknecht-Luxemburg-Gedenktag. Ich glaube auch nicht, daß die Teilnahme an Demos das wichtigste ist. Ich will, daß sich die Leute irgendwo engagieren.

¿Die Mobilisierungsstärke ist trotzdem nicht besonders groß, wenn man sieht, daß es 135.000 PDS-Mitglieder gibt. Davon sind vielleicht 10% überhaupt irgendwo aktiv.

Es sind mehr, schon allein wegen den Kommunalabgeordneten usw. Aber ich finde diesen Punkt auch wirklich nicht so wichtig. Nicht die Anzahl der mobilisierbaren PDS-Mitglieder ist entscheidend, sondern ob die Partei als solche in der Lage ist, Widerstand zu organisieren. Das Wirken nach außen, der Widerstand mit Leuten außerhalb der PDS ist das eigentlich Wichtige.

Für mich ist die PDS keine Heimat. Ich nutze die Möglichkeiten der Partei, um außerparlamentarisch tätig werden zu können, bzw. solchen Widerstand zu stärken. In diese Arbeit kann ich keine 60.000 Rentnerinnen einbringen, aber ich kann eine Infrastruktur anbieten.

¿Wie schätzt Du die Chancen ein, in den nächsten Bundestag zu kommmen?

Mich begleitet da realer Optimismus. Zumindest das Direktmandat von Gregor ist ziemlich sicher, daß da noch 2 dazukommen, halte ich für wahscheinlich. Wichtig wird sein, daß sich die PDS nicht ausschließlich auf Wahlkampf konzentriert, daß sie sich öffnet und den linken Alleinvertretungsanspruch aufgibt. Sie muß sich selbst in Frage stellen und zeigen, daß sie Dinge, die von links kommen, ins Parlament tragen wird. Die Ost-Nostalgie ist sicherlich ein günstiger Faktor für uns.

¿Genau das ist aber auch ihr Problem: Die PDS wird nach wie vor nur als Regionalvertretung wahrgenommen. Dabei ist eigentlich genug Platz für eine bundesweit funktionierende linkssozialistische Partei. Die SPD hat sich Rechts von der Mitte eingerichet, die Grünen haben sich als Mittelschichts-Kraft etabliert. Es gibt in diesem Land keine Partei, die Unterklasseninteressen vertritt. Warum ist es der PDS bisher nicht gelungen, sich im Westen festzusetzen?

1990 stand die PDS vor dem Problem, im Westen niemanden zu haben. Sie ist dann ausgeschwärmt und hat jeden genommen, den sie kriegen konnte. Das heute als gescheitert angesehene Projekt „PDS/Linke Liste“ entstand damals. Es sammelten sich Leute aus allen politischen Spektren der westdeutschen Linken: MLPD, BWK, KB, Grüne, DKP usw. Ich glaube, daß sich die verschiedenen Gruppen nicht haben zusammenraufen können. Der Streit der Westlinken ist in die PDS hereingekommen. Bevor das Projekt entstehen konnte, war es schon völlig zerrüttet.

Außerdem wurden in der West-PDS teilweise Positionen vertreten, die uns aus unserer Ost-Vergangenheit einfach sauer aufstoßen mußten. Damit meine ich den ganzen „revolutionäre Arbeiterklasse-Diskurs“ oder die Theorie, daß die DDR durch den kalten Krieg kaputt gemacht wurde. Wir haben ja erlebt, wie die DDR vor allem an eigenen Fehler zugrunde gegangen ist. Die PDS wurde im Westen mit diesen Leuten, also den ehemaligen DKP-lern und so weiter, identifiziert.

„In den Institutionen gibt es im besten Fall reformistische Ansätze, da muß schon etwas von außen kommen.“

¿Ist die Freistellung von Gregor Gysi für die Arbeit im Westen jetzt als ernsthafter Versuch gemeint, auch dort Fuß zu fassen?

Es ist auf jeden Fall deutlich geworden, daß das Interesse im Westen sehr viel größer ist als die Zahl von dort 1200 Aktiven. Wir wollen, daß jetzt mehr Leute aus dem Bundesvorstand nach Westdeutschland fahren. Bisher hat Gysi Säle gefüllt, aber sonst war da nichts. Die anderen haben sich hinter ihm versteckt. Gysi soll ruhig weiterhin seine Säle füllen, aber andere müssen auch Veranstaltungen übernehmen, z.B in einen Jugendclub oder zu einer Hochschulgruppe gehen. Wir haben sowieso die Erfahrung gemacht, daß man von den 1000 Leuten, die zu einer Gysi-Veranstaltung kommen, nur die wenigsten davon überzeugen kann, PDS zu wählen. Andere Treffen in einem kleineren Kreis, wo Brie mit 10 Leuten theoretisch diskutiert und sich vielleicht eine neue Gruppe vor Ort bildet, sind deswegen viel wichtiger. Es gründen sich in Westdeutschland im Moment ja viele Wählerinitiativen PDS. Das sind Leute, die nicht in der Partei mitmachen, aber den Wahlkampf unterstützen wollen. Darauf setze ich mehr als auf Großveranstaltungen.

¿Wie erlebst Du die anderen GenossInnen im PDS-Bundesvorstand? Ist das ein autoritätsbelastetes Verhältnis, hat das was von einem Apparat oder ist das eher kollegial?

Ein richtiger Apparat ist das hier nicht, ganz einfach weil die Kapazität dafür nicht da ist.

Das Verhältnis mit den anderen war anfangs schon so, daß ich die Kleine war, die Politik machen wollte. Inzwischen ist das anders geworden, sie akzeptieren mich. Da muß ich aber auch dazu sagen, daß sich der Bundesvorstand nur alle 2 Wochen trifft und ansonsten alle ihr eigenes Ding machen. Dieses gemeinsame Vorgehen des Bundesvorstandes fehlt der PDS auch gelegentlich. Auf den Vorstandssitzungen reden wir über organisatorische Probleme, wenn es über inhaltliche Themen geht, dann sind das fast nie Diskussionen, die am Schluß einen Konsens hervorbringen. Zwischen mir und Sarah von der KPF z.B. besteht ein himmelweiter Unterschied. Der wird in der Auseinandersetzung nicht überwunden, sondern bleibt einfach im Raum stehen.

¿Wie bist Du überhaupt in den Bundesvorstand gekommen?

Die PDS hatte anfangs einen Bundesvorstand von 100 Leuten, in den ich durch einen Zufall gewählt wurde, weil zwei andere Frauen der „Jungen Genossinnen“ ausgefallen sind. Damals war ich noch nicht mal richtig Mitglied. Ende 1991 dann wurde der Bundesvorstand auf unseren Vorschlag hin auf 18 Leute reduziert. Kurz vor dieser Wahl haben mir Gysi und andere geraten, mich aufstellen zu lassen. Sie meinten, es wäre wichtig zu sehen, wie das Klima in der PDS ist, ob Leute wie ich überhaupt kandidieren können. Die Toleranzgrenze der Partei sollte ausgelotet werden. Und dann wurde ich mit 90 Prozent der Stimmen und dem besten Ergebnis nach Gysi auch tatsächlich gewählt.

¿Zum Abschluß die arranca!-Lieblingsfrage zur Neukonstituierung der Linken. Mit welchen Gruppen, Initiativen, Bündnissen kannst Du Dir vorstellen, daß in der Zukunft für die Linke wieder was zu holen sein wird?

Erstmal ist es mir natürlich wichtig, der Rechtswende etwas entgegenzusetzen. Da würde ich mit allen Leuten, die ehrlich gegen Neofaschismus und Rassismus auf die Straße gehen wollen, zusammenarbeiten. Was linke Politik anbelangt, hoffe ich auf Bewegungen außerhalb der Parlamente. In den Institutionen gibt es im besten Fall reformistische Ansätze, da muß schon etwas von außen kommen. Da denke ich an Antirassistische Inis, Antifa-Gruppen, „konstruktive“ Autonome, aber auch an linke SPDlerInnen. Also von radikaldemokratischen Ansätzen wie sie Jutta Ditfurth vertritt bis zur reformistischen Politik des Andre Brie. Außerdem finde ich sehr wichtig, daß über den Tellerrand hinweggeschaut und ein internationales Netwerk angestrebt wird.

¿Würdest Du politische Gefangene aus der RAF auch in die Diskussion einbeziehen?

Auf jeden Fall. Ich finde die Debatte dort sehr wichtig und bin der Meinung, daß die Erfahrungen der Gefangenen für eine Neukonstituierung der Linken unentbehrlich sind.

¿Militante Politik gehört also dazu?

Ja klar. Ich weiß nicht, was heute richtig ist und aus diesem Grund grenze ich niemanden aus. Ich lehne autoritäre Ansätze ab. Deshalb habe ich meine Probleme mit der KPF, sonst möchte ich mit möglichst vielen zusammenarbeiten.