Diese Recherchepraxis, die davon ausgeht, dass das zur Veränderung der Produktionsweisen notwendige Wissen in den Arbeits- und Lebensbedingungen selbst begründet liegt und sich in den Wünschen der dort Beschäftigten artikuliert, war für uns zentral. Denn es ging uns nicht so sehr darum, den diffusen Betrieb, in dem KulturproduzentInnen beschäftigt sind, soziologisch zu umreißen. Vielmehr wollten wir nach Möglichkeiten von Widerstand suchen, die etwas anderes als die Refordisierung der Denk- und Lebensweisen wollen.
Wir befragten zunächst Personen aus unserem näheren und weiteren Umfeld in Berlin, darunter auch uns selbst, nach Alltag, Wünschen und Perspektiven. Darüber hinaus interviewten wir Personen, die nicht nur kulturelle Produkte, sondern auch Diskurse und gesellschaftspolitische Handlungsfelder erarbeiten. Damit wollten wir das Verhältnis zwischen der Prekarität der jeweiligen Lebensverhältnisse und der Widerspenstigkeit von Kultur- und Wissensproduktion in den Blick bekommen, um von dort nach kollektivierbaren Linien zu suchen, die aus der individuellen Erfahrung hinausführen. Unsere Fragen waren:
Wie sieht dein Arbeitsleben aus? Was gefällt dir daran und was sollte sich ändern? Wann und warum wird dir alles zuviel, und was machst du dann? Was stellst du dir unter einem ‚guten Leben’ vor? Sollten KulturproduzentInnen sich auf Grund ihrer gesellschaftlichen Vorzeigerolle mit anderen sozialen Bewegungen zusammentun, um an neuen Formen der Organisierung zu arbeiten? Die Fragen sind angelehnt an die von Fronte della Gioventù Lavoratrice und Potere Operaio Anfang 1967 in Mirafiori durchgeführte Umfrageaktion ‚Fiat ist unsere Universität’.
kpd – ein kleines postfordistisches Drama sind: Brigitta Kuster, Isabell Lorey, Katja Reichard, Marion von Osten. Die hier folgenden Zitate sind Teile des Drehbuchs für Kamera läuft!. Zugrunde liegen Interviews, die die Gruppe im Februar 2004 während eines viertägigen fiktiven Castings aufnahm. Die Redaktion der arranca! hat die Interviewsequenzen verfremdet und neu montiert.
Fordismus
… Ich habe jahrelang mein Geld an der Kinokasse verdient. Als ich damit aufgehört hab, war das befreiend, wegen der Monotonie … Es war aber auch schade, denn es war noch so ein schön fordistischer Job, wo man so hin geht, den Kopp an den Nagel hängt, zehn Stunden durchschubbert und wieder nach Hause geht. Eine berechenbare, allseits gut abgesprochene Arbeit, mit Anfangszeiten, mit Betriebsrat, mit allen sozialstaatlichen Vorteilen …
… Letztens habe ich bei so ’nem stressigen Stiftungsprojekt mitgearbeitet. Ich war richtig angestellt, und habe begonnen, ganz fordistische Eigenschaften anzunehmen. So im Sinne: Ich überidentifiziere mich hier jetzt echt nicht und bring mich um, sondern lasse einfach innerlich den Griffel fallen …
Neoliberale Subjektivierung
… Ich arbeite eigentlich immer in Gruppen oder Kollektiven, die sich Projekte ausdenken und dann versuchen, sie zu realisieren. Arbeit sickert dann so in dein Leben … Mein ganzes Leben steht unter dieser Arbeitsmöglichkeit. Ich muss die Grenze, wann die Arbeit aufhört, selber setzen, weil du tendenziell überall immer noch mehr reinstecken kannst. Diese Selbstunternehmerisierung funktioniert nicht unbedingt über einen starken Außendruck, sondern über die Konfrontation mit einem starken Innendruck. Arbeit ist für mich auch irre bedrohlich. Freie Zeit empfinde ich auch nicht als freie Zeit, sondern denke permanent: Oh scheiße, dann musst du noch das machen, und dann musst du noch das machen …
… Meine Tage sind von permanenten Operationen der Mikrokrisenbewältigung, der Selbstorganisation und der Selbstmotivation durch Selbstverführung, Selbstüberlistung, einem permanenten Tricksen am Ich strukturiert. Immer wieder nehme ich mir vor, mit Hilfe eines zuverlässig-verbindlichen Fahrplans so durch den, von einem wohldurchdachten und von „Personal“ und Angehörigen geführten Haushalt abgesicherten Tag getragen zu werden, wie es die regelmäßigkeitsbesesessenen „großen“ Schriftststeller und Künstler in ihren Autobiografien entwerfen. 7 Uhr Schreibtisch, 9 Uhr Frühstück, 10 Uhr Schreibtisch, 12 Uhr den Hund ausführen, 13 Uhr Mittag, 14 Uhr Korrespondenz, 16 Uhr Schreibtisch, Korrektur des am Vormittag Geschriebenen, 19 Uhr Abendessen, 20 Uhr Hund ausführen. 23 Uhr Bettruhe. Stattdessen: lauter Irregularitäten und Unberechenbarkeiten …
… Und in der Öffentlichkeit beginnst du, vor anderen zu simulieren, du seist an einer ganz tollen Arbeit dran. Da geht es nämlich darum, deinen Marktwert zu performen …
… Wenn man sieht, wie man die Zeit beschleunigt, wie die Zeit rast… Mein Arbeitsplan ist viel schneller, als mein Zeitvermögen. Ich will da nicht immer hinter herhecheln, alles so zuschaufeln, immer so weiter rasen … aber stehenbleiben ist auch gefährlich …
… Dieser permanente Aufruf, das eigene Sein – vermittelt über Arbeit oder Ereignisse, die sein müssen – zu erfahren, reicht vom Sex über die Drogen, über das Ausgehen bis zur Arbeit. Man ist in viele, viele Richtungen mobilisiert, präsent zu sein und aktiv da zu sein …
… Mir tut jetzt seit Monaten mein Arm weh! Das ist ja der Computerarm, der streikt. Eine körperliche Verweigerung: Ich-will-nicht-mehr! … Und dann staut sich wahnsinnig viel Arbeit auf … Und da zeigt sich, was das alles hier für ein biopolitisches Modell ist, schön, jung und gesund zu sein … und zu bleiben …
Stress – Angst
… Was wir hier erleben, ist doch nichts singuläres, sondern Prekarität betrifft viele in anderen Berufen auch, diese Angst um die eigene Existenz auf einer finanziellen Ebene. Selbst wenn man es nicht reduzieren kann auf das Finanzielle, aber der Auslöser ist, ob du Geld hast oder nicht …
… Diese Angst, dass du raus fällst, dass dich niemand mehr ansprechen wird, dass du im Grunde nicht mehr Teil bist von dieser produktiven Bewegung, diese Angst, die ja so projiziert wird in diesem neoliberalen Wir-müssen-uns-selber-Erfinden …
… Das kenne ich aus dieser langen Phase in meinem Leben, wo ich weder konkrete Aufträge noch Geld hatte. Mein damaliger Freund hat mich dann finanziell unterstützt, und ich saß immer nur zu Hause und hatte Angstkrämpfe. Ich hatte so richtige Herzprobleme und habe dann auch die ganze Zeit nur noch so verkrampft dagesessen …
… Es gibt einfach nur mich und den Markt, und ich muss sagen, das produziert Stress. Und jetzt auch mit diesen ganzen veränderten sozialstaatlichen Absicherungen, die nicht mehr vorhanden sind, da stellen sich diese Fragen auch neu. Darum finde ich auch, arbeitslos Sein, das ist total schlimm …
… Ja und Geld umverteilen! Dieses Scheiss-Geld! Ich muss andauernd an den unmöglichsten Stellen Dampf produzieren, damit sich dahinter der Finanzzylinder ein bisschen bewegt. Wenn ich länger nichts in Aussicht habe, bekomme ich Angstzustände. Und dann siehst du, dass du mit kulturellem Kapital keine Miete zahlen kannst. Aber das ist dein Privatproblem im Rausch der Projekte … und das Häuschen von der Oma wird ja dann auch nicht vergesellschaftet …
Arbeit – Leben
… Für mich gehört aber zu einem guten Leben noch viel mehr Faulheit … Komischerweise ist das wahrscheinlich nicht Freizeit in dem Sinne von dem, was die allgemeine Vorstellung einer sinnvollen Freizeit ist … Wenn ich hier Zuhause sitze und über irgendein Thema schreibe, das mir gefällt, das mich interessiert, und ich hör dazu ein paar bestimmte Musiksachen, oder ich schau mir ein paar Texte an, dann ist das zwar objektiv gesehen Arbeit, aber es fühlt sich null unangenehm an, es gibt keinen Stress, es gibt kein „Ich-muss-irgendwas-aus-Gründen-der-Verwertung-Tun“. Das ist von Freizeit fast nicht zu unterscheiden. Es ist angenehmes Arbeiten in den eigenen vier Wänden. … Vielleicht ist es so: Wenn ich was Unangenehmes tun muss, und ich es dann nicht tue, dann wird’s Freizeit …
… Ich sehe den Begriff des ‚guten Lebens’ dann eben doch eher im Kontext meiner Arbeit. Das ganze Produzieren und Tätigsein macht mich schon glücklich. Ich wüsste gar nicht, was ich denn sonst machen sollte. – In Urlaub fahren? …
… Seitdem ich ein Kind habe, habe ich meinen Lebensunterhalt nicht mehr über diese Projekte finanziert, sondern Unterstützung bekommen … Ich bin jetzt allein erziehende Mutter. Es war richtig Arbeit, damit umgehen zu können, und es war Arbeit zu versuchen, damit auch glücklich zu sein. … Es gibt eine Morgenprobe, das ist eher eine Mittagsprobe, und noch ’ne Abendprobe. Und auf den Abendproben bin ich eigentlich nicht, weil ich dann Zuhause sein muss. … Es ist ein enormer Leistungsdruck, das hinzukriegen als Mutter und Künstlerin …
… Zuhause ist es bedrohlich, dieses Abgeschottete erinnert mich immer daran, ich sollte mir jetzt mal Zeit nehmen und mich länger an was dran hocken. Ich bin ja permanent in diesem Kommunikationsrausch. Alles ist durchflutet von Anfragen, da ist permanent Alarm – aber auch Ideen … Und dann stresst es mich, wenn ich alleine zuhause hocke, dann tut die Stille weh …
… Wir haben fast nur mit unserer eigenen Generation zu tun. Das finde ich schon sehr schwierig. Und darin stellt sich auch wieder ’ne wichtige feministische Frage: Wie ist es möglich, so was wie Reproduktion in irgendeiner Art und Weise positiv zu denken, ohne dieses Rückzugsding, ohne diese Familienbarriere, ohne diese klassische Fortpflanzungs-Repräsentation …
Arbeitsbedingungen
… Ich hab mir das ja mal angeschafft, für so Bastelsachen: Layout und Musikmachen. Und jetzt ist daraus das verlängerte Telefon und der schriftliche Anrufbeantworter geworden. Ich bekomme hundert beschissene Emails am Tag. Und das ist wirklich der Punkt, an dem ich Lust habe, dieses Scheiss-Schlepptop auf die Strasses zu werfen und zu sagen: Fick dich selbst! …
… Für mein Arbeitsleben gibt es keine passende Beschreibung. Weil es befristete Anstellungsverhältnisse sind, an unterschiedlichen Orten gleichzeitig. Ich bin üblicherweise 3 Tage da, 3 Tage hier, 2 Tage dort. Alles ist sehr stark davon abhängig, wie ich in welche institutionellen Verhältnisse einbezogen bin. Diese unterschiedlichen Institutionen wollen interessanterweise alle meine Sozialität, sie wollen sehr stark meine Zusammenhänge und Kontakte, aber die wollen mich nicht als Produzent und interessieren sich auch nicht für die Reise- oder Lebensprobleme, die mit dieser Art von Arbeiten entstehen … Die Sozialität, die ich vorher entwickelt habe zum Beispiel mit meinen feministischen Freundinnen, durch das In-der-Kneipe-Rumstehen- und-Auseinandersetzungen-Haben, also diese informellen Formen von Wissensproduktionen, Austausch, Distribution, die wird plötzlich so abgefragt …
… Interessant bei dem Job war, dass ich in einem Raum mit Leuten zusammen gearbeitet habe, die alle ihre private Sphäre mitgebracht haben. … Vielleicht war das berlinspezifisch, dass alle diesen Job als so eine Art Freizeit empfunden haben. Wir waren Musiker, Fotografen, Künstler. Deswegen gab es eine zeitlang auch keinen Betriebsrat, weil alle dachten, sie arbeiten gar nicht in einer Firma …
… Durch die Billigairlines habe ich angefangen zu fliegen, anstatt mit der Bahn zu fahren, trotz ökologischem Wahnsinn … Manche Texte schreibe ich oft zwischen Tür und Angel. … Ich muss insgesamt viel nebenher organisieren, da geht bestimmt pro Woche ein halber Tag drauf … Wenn ich das zusammenzähle, die Eigenwerbung, das Kontakte Halten, Gespräche Führen, Geldeintreiben … Was da für Zeit drauf geht, wenn man sich selbst als Büro begreift. Das ist Wahnsinn. … Und da ist ja auch noch die Organisation, sich Freizeit herbeizuschaffen. Meine Freundschaften sind ja verstreut in der Welt …
Soziale Räume – Kämpfe
… Ich habe immer schon Räume selbstorganisiert. Ich finde es wichtig, eigene Räume zu haben, auch materiell, sich räumlich zu äußern. Es ist auch ein Ort einer kollektiven Selbstbehauptung, man kann sich sozusagen adressieren …
… Die Arbeitsweise und Methode, sich mit anderen zu solidarisieren, zusammen was zu entwickeln, war immer auch ein politisches Projekt, das sich an Welt, an Weltaneignung richtet, ein soziales Umfeld produziert, Vergesellschaftung, und das ist Materie, über die man als Kulturschaffende nachdenkt …
… Das ist doch politisch, ein nicht so arbeits-wahnsinniges und nicht so heteromäßiges Leben gegen diese Mobilisierung zur Arbeit hin zu bekommen! Man müsste mehr auf die Sachen schauen, die verbinden, statt zu denken, man erlebt das alles hier, den ganzen Wahnsinn alleine …
… Ich glaube, man muss tatsächlich ’ne Organisierung erfinden, die gewerkschaftliche Organisationsform komplett transformieren, oder vielleicht ’ne neue erfinden … Und dann muss man in Kämpfe eintreten, wie auch immer die sind, keine komplett Gesellschaft verändernden Kämpfe, es geht dabei nicht um eine Revolution, das muss man sich klar machen, es kann nur um neue, aber strukturell klassische Arbeitskämpfe gehen, und die sind im besten Falle reformerisch, aber nicht revolutionär …
… Wenn immer mehr solche Arbeits- und Lebensverhältnisse strukturell ’ne Ähnlichkeit haben, muss es doch auch einen kollektiveren, solidarischeren Umgang geben. Und das ist eine gesellschaftliche Frage …
… Dass es Aktionsformen gibt, die einem gefallen, Arbeitslosenbüros besetzt wurden, Techniker im Theater gestreikt haben und all das. Dass man gemeinsam was rocken kann und Veränderungen anstoßen, das muss man viel eher betonen, dass sich das auf Gemeinsamkeit und Stärke hinbewegen kann …