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Klimaaktivist*innen besetzen geplante Autobahntrassen, während die Autobeschäftigten sich gegen die drohenden Strukturbrüche durchs E-Auto wappnen. Energetische Sanierungen werden von Umweltverbänden eingefordert, aber von Mieter*innen-Initiativen als Aufwertungsinstrument bekämpft. Ganz aktuell könnte sich an den explodierenden Energiekosten ein heißer Herbst entzünden, aber dreckige fossile Energie muss ein schnelles Ende haben.

Allzu oft stehen die soziale und die ökologische Frage in der gesellschaftlichen Debatte gegeneinander. Wir wollen den gemeinsamen Spielraum ausloten – und zwar anhand einer alten, in die Jahre gekommen Freundin der Linken: der Klasse. Die ist mit ihrer Arbeit neben der Natur nach wie vor der ökonomische Quell kapitalistischen Reichtums – ihr wisst schon, wo Produktion, da geht auch Streik. Wie verhalten sich also die Klassenfrage(n) zu den ökologischen Entwürfen einer postkapitalistischen Gesellschaft?

Dass kapitalistische Produktionsweisen – ob nun mit oder ohne grünen Umbau – kein nachhaltiges Wirtschaften zulassen, ist zumindest in der radikalen Linken ein Allgemeinplatz. Weniger Einigkeit besteht darüber, wie eine mögliche sozial-ökologische Alternative aussehen könnte. Prominenteste Kandidatin ist der Postwachstums- oder Degrowth-Ansatz. Er plädiert für eine sozial-ökologisch verträgliche Abkehr vom Wirtschaftswachstum (vor allem im Globalen Norden) sowie eine grundsätzliche Transformation der Produktions- und Lebensweisen.

Doch wer soll verzichten? Soll das Unternehmen schrumpfen, die Profite geschmälert, das Wachstum gelassen werden oder soll die breite Klasse, pardon: Masse die Schrumpfkur machen? Oder ist ein globales Wachstum ohne den Kapitalismus doch ökologisch und sozial zu machen?

Den Linken, die sich für zukünftige Postwachstumsperspektiven stark machen, wird nicht selten vorgeworfen, dabei die Interessen der arbeitenden Klassen zu ignorieren. Arbeiter*innen hätten ein Interesse an weiterem Wachstum und den einhergehenden materiellen Wohlstandsgewinnen, so die Argumentation. Von Wachstumskritiker*innen wird hingegen oft behauptet, dass der Wohlstand großer Bevölkerungsteile im Globalen Norden auf der Ausbeutung von arbeitenden Menschen sowie der überproportionalen Aneignung und Belastung von Ressourcen und ökologischen Senken im Globalen Süden basiere. Gibt es also eine geteilte Arbeiter*innenklasse?

Überhaupt: Was taugt dann die gesellschaftliche Kategorie Klasse, um eine lebenswerte Welt für Alle zu erringen? Wer ist hier Arbeiter*innenklasse und wie hängen Klassen mit den vielfältigen gesellschaftlichen Machtverhältnissen, Hierarchisierungen und Polarisierungen entlang von Geschlecht, Race, Staatsangehörigkeit und so weiter zusammen? Welche Rolle spielen Habitus, Alltagspraxis und Weltanschauung im Klassen- und Ökobewußtsein? Welche feministischen Postwachstum- und Klassentheorien stellen den Diskurs vom Kopf auf die Füße? Wie manifestieren sich der kapitalistische Wachstumszwang und damit Klassenverhältnisse jeweils in konkreten Naturverhältnissen in verschiedenen Ländern, Regionen und gesellschaftlichen Feldern?

(Klassen-)Interessen leiten sich von Bedürfnissen ab. Auf einer grundlegenderen Ebene stellt sich damit also die Frage, welche Bedürfnisse im Kapitalismus nicht befriedigt werden und welche gar übermäßig – ihr werdet es ahnen: letztere sind solche, mit denen man Geld machen kann. Wir fragen uns also: Was sind Klassenbedürfnisse der Subalternen, der Multitude, der Arbeitenden? Was ist ungerechter Wohlstand, der auf Ungleicheit basiert, und was ein gutes Leben für alle?

Wie können wir letztlich diese Analysen in effektive Strategien hin zu einer sozial-ökologischen (Postwachstums-)Transformation ummünzen? Wo sind Ansatzpunkte eines Klassenstandpunktes in den aktuellen Konflikten um steigende Energiepreise, Inflation und postfossile Lösungswege? Ist es gar die Klimakrise, die einen neuen Zyklus von Klassenkämpfen einleitet? Und wie kann eine nachhaltige Transformation gemeinsam mit linken Bewegungen im Globalen Süden gelingen? Ist der erste Schritt weg vom Kapitalismus in der Vergesellschaftung als Weg zur Arbeiter*innenkontrolle zu suchen?

Wir freuen uns über konkrete, strategische, experimentelle oder utopische Antworten auf diese Fragen. Neben Essays sind insbesondere Bildbeiträge, fiktionale Texte, Briefwechsel, Interviews, Tagebucheinträge oder andere Formate willkommen. Wir wünschen uns besonders Beiträge von Personen, die sich nicht einem weißen cis-Mann-Spektrum zuordnen. Wir bitten euch, uns eure Vorschläge bis zum 27. November 2022 zu schicken – als kurze Beschreibung von ca. einer halben Seite. Der Redaktionsschluss für fertige Artikel ist dann am 31. Dezember 2022.

Eure arranca!-Redaktion