Wie unbeschwert lebt es sich als Studi. Eine Zeit, die dafür da ist, sich selbst zu entdecken, sich auszuprobieren, sich zu entfalten, kreativ zu sein, zu reisen, zu lesen, auszuspannen, zu feiern, zu saufen. In der Uni kann man billig essen, Kicker spielen, sich spannenden Input holen, im Marx-Seminar mitdiskutieren oder anderweitig dem jungen und naiven Idealismus frönen. Sich vielleicht sogar politisch engagieren, links, intellektuell angehaucht, auf alle Fälle völlig weltfremd. Hier und da kann Studi sich von einer interessanten Vorlesung berieseln lassen, aber wenn es schön draußen ist, dann ab an den See! Bis zur Prüfungsphase gilt es, das Studileben auszukosten, den mindestens mittelmäßigen Abschluss, der einem alle Türen öffnet, mit möglichst geringem Aufwand hinzubekommen. Sicher, der Studi-Job ist nicht so gut bezahlt, richtig zugepackt wird dort aber nicht und außerdem sind es eh nur die paar Stunden in den unendlich langen Semesterferien. Vorausgesetzt, man braucht mehr Geld als das üppige Bafög, das Geschenk vom Staat, das ab dem ersten Tag des Studiums und bis zum Nimmerleinstag ohne Nachfragen im Höchstsatz ausgeteilt wird. Darauf verzichten muss nur, wer reiche Eltern hat. Aber sind wir mal ehrlich: All diejenigen, die kein Bafög bekommen, werden großzügig durchgefüttert und machen sowieso keinen Finger krumm. Diese können sich dann statt eines etwas heruntergekommenen Zimmers in der verkifften Studi-WG eine vernünftige Wohnung besorgen. Studis leben nicht im materiellen Luxus – der kommt erst später – dafür ist Zeit da, Zeit im Überfluss. Als junger Mensch wird doch eh nicht viel gebraucht und hungern muss hierzulande niemand.
Wer bezahlt den ganzen Mist?
So oder so ähnlich ist das Bild, das viele Menschen vom Studi-Leben haben. Sicher, es sind polemisch formulierte Klischees, aber solche, auf die ich als Studierender im Alltag häufig treffe, die mich treffen. Das kann passieren, wenn ich Menschen begegne, die in Studierenden die faule Ausgeburt einer dekadenten Gesellschaft sehen. Diese stellen gerne die Frage, wer diese Gesellschaft vermeintlich aufbaut und aufgebaut hat, wer denn die Universitäten und das Studium, das Gammler-Dasein, Semester für Semester ermöglicht und bezahlt. Und das zur Ausbildung ahnungsloser Sesselpupser, die nichts wertvolles leisten und nie lernen müssen, was es bedeutet, richtig zu arbeiten. Es passiert mir aber auch, wenn ich auf Akademiker*innen früherer Generationen treffe, die eine Studienzeit hatten, welche Schnittmengen mit den beschriebenen Klischees aufweist.
Es mag Studierende geben, die heutzutage in Teilen das Klischee erfüllen, diese sind aber keine Mehrheit. Dennoch ist das Bild des unbeschwerten Studilebens eines, welches auf große gesellschaftliche Resonanz trifft und in den Köpfen weiterlebt.
OK Boomer: Realitätscheck
Es gibt Studierende, die ausreichend finanzielle Unterstützung erfahren, um sich auf ihr Studium zu fokussieren, oder sogar darüber hinaus eine unbeschwerte Studienzeit haben. Meine Realität und die vieler Studierender ist eine andere. Dabei ist es auch das Klischee, das Druck erzeugt. Es wird aus Familien herangetragen, die zum Teil Geld zuschießen, diesen Zuschuss aber an Bedingungen knüpfen. Abgesehen hiervon gibt es Eltern, die sich ohnehin weigern, eine in ihren Augen brotlose Kunst moralisch oder gar monetär zu unterstützen. Selbst eine Ausbildung, die diese Aussichten bietet, wird häufig nicht gebilligt. Als erste und einzige Person in meiner Familie, die durchs Studium mit der fremden Akademie in Berührung gekommen ist, kenne ich diese Haltungen gut. Auch bei anderen Studis aus Arbeiter*innenfamilien oder Familien, die aus dem landwirtschaftlichen Kontext stammen, höre ich häufig hiervon.
Natürlich ist der Druck, Leistung zu bringen, auch der, das Studium zu bestehen oder einen Bafög-Anspruch zu behalten. Wobei die Zahl der mehr oder weniger Glücklichen, die BAföG empfangen (im Verhältnis und auch absolut), seit 2013 kontinuierlich schrumpft. Es besteht oft der Druck, gut genug zu sein, um später in seinem Bereich, in dem es häufig nur wenige hart umkämpfte Stellen gibt, einen Job zu finden. Die Möglichkeit, sich auf den Erfolg im Studium zu konzentrieren, muss man sich aber erst einmal leisten können. Tagelang in der Bibliothek pauken kann nur, wer trotz Inflation und explodierender Mietpreise - die gerade in Universitätsstädten absurde Höhen erreichen – seine Tage nicht primär mit Lohnarbeit füllen muss.
Obwohl ich in Vollzeit studiere, finde ich mich des Öfteren in Situationen wieder, in denen die Lohnarbeit mehr Zeit und Kraft in Anspruch nimmt als das Studium. Dabei werde ich nicht vom Druck des Studiums, meiner eigentlichen Hauptbeschäftigung, verschont. Die universitären Aufgaben stapeln sich und müssen ins nächste Semester verschoben werden, wenn die Lohnarbeit deren Erledigung verhindert. Ich scheitere zudem häufig daran, mich nicht zu vergleichen, mir nichts anhaben zu lassen vom ständigen Druck, mich optimieren zu müssen, «schön», «cool», kreativ, interessant, breit belesen und weltbereist zu sein, was erlebt zu haben.
«Der eigene universitäre Erfolg, der gänzlich aus eigener Leistung zu Stande gebracht wurde, darf allen präsentiert werden. Im besten Fall krönt ihn sogar der akademische Titel. Fragen, welche Umstände diese Erfolge ermöglicht haben, bleiben hingegen ein unverschämter Angriff auf den talentierten Verstand der Erfolgreichen.»
Dabei wartet der ökologische und gesellschaftliche Kollaps weder auf die Erfüllung dieser «Bedürfnisse» noch auf den nächsten Abschluss.
Es bleibt die Aufgabe eines jeden Menschen, sich selbst zu definieren, übergeordnete Ideale zu entwickeln, um heute Strapazen für ein zukünftiges Ziel auf sich zu nehmen. Wir alle haben einen Körper, der sich mit körperlichen und sozialen Bedürfnissen meldet, psychisch und physisch gesund erhalten werden möchte. Ich finde mich aber ständig in Situationen der Überlastung wieder und scheitere daran, Kurse erfolgreich abschließen zu können. Häufig betrachte ich meine Fortschritte nur im Verhältnis zur Regelstudienzeit oder zu anderen Studierenden, die mehr Zeit für ihr Studium haben. In der Folge deute ich meine Fortschritte zu Versäumnissen um. Und das in Umständen, in welchen ich meine sozialen und körperlichen Bedürfnisse vernachlässige, Wünsche und Träume reihenweise beerdigt werden, viele von den Krisen des Kapitalozän. Wenn Menschen schlicht nicht mehr wissen, wofür sie etwas erleiden sollen, werden sie krank. Immer mehr Studierende leben in Armut, immer mehr Studierende leiden an psychischen Erkrankungen. Und das in einer Welt, die vor dem Abgrund steht, was für ein Zufall.
Ausnahmen bestätigen die Regel – Das Ego bestätigen die anderen, indem sie unterliegen
Unerwähnt bleiben sollten hierbei all diejenigen nicht, die auch die Universitäten füllen, diejenigen, die aus gutbürgerlichen Familien kommen, die nicht oder nur geringfügig lohnarbeiten und trotzdem mit dem Auto statt der Bahn zur Uni vorfahren, die die Corona-Semester in Portugal verbracht haben, die in den Semesterferien oder zwischendurch mal in den Urlaub fliegen, das Mensaessen verschmähen, stattdessen ins Restaurant gehen. Über Geld zu sprechen bleibt ein Tabu. Jeden Aspekt des eigenen Lebensstils, mit dem es sich vor anderen prahlen lässt, zur Schau zu stellen, ist hingegen in der Social-Media-Generation zur bürgerlichen Pflicht geworden. Der eigene universitäre Erfolg, der gänzlich aus eigener Leistung zu Stande gebracht wurde, darf allen präsentiert werden. Im besten Fall krönt ihn sogar der akademische Titel. Fragen, welche Umstände diese Erfolge ermöglicht haben, bleiben hingegen ein unverschämter Angriff auf den talentierten Verstand der Erfolgreichen, eine dreiste Verleugnung der Willensstärke, die vornehmlich von den Versager*innen vorgenommen wird, die sind, wo sie sind, weil sie nicht hart genug gearbeitet haben, oder weil sie von vornherein einfach nicht talentiert genug waren. Welche ökonomischen Hintergründe Akademiker*innen vermehrt haben, ist offensichtlich kein Zufall. Genauso wenig natürlich wie der Umstand, dass diese überproportional weiß, able-bodied und heterosexuell sind. Hier scheint eine wichtige ökonomische Trennlinie sichtbar zu werden, so ist der soziale Aufstieg doch häufig von akademischen Abschlüssen abhängig. Es wird deutlich, dass die strukturelle Dimension von Diskriminierungsformen auch entlang der Trennlinien des sozialen Aufstiegs verlaufen. Wer eh schon diskriminiert und/oder arm ist, dem wird es aufgrund dessen erschwert, zu Reichtum und Machtpositionen zu gelangen.
Arbeiter*innen? Klasse? Interesse?
Die überwiegende Mehrzahl aller, auch der Wohlhabenderen, arbeitet in Lohnarbeit. All diese Personen leben primär davon, dass sie ihre Arbeitskraft verkaufen. In Anbetracht der massiven Ungleichheit, die sich zwischen dem berühmten einem Prozent, den Eliten des globalen Finanzkapitals, und dem Rest der Bevölkerung ergeben, macht eine entsprechende Definition von Klasse augenscheinlich Sinn. Wenige Superreiche sind für einen unvorstellbar überdimensionierten Anteil ökologischer Schäden verantwortlich. Bezogen auf Kohlenstoffdioxid können dem reichsten einen Prozent mehr als doppelt so hohe Emissionen zugeordnet werden wie den ärmsten 50 Prozent. Dennoch ist es schwer, sich vorzustellen, dass gut bezahlte lohnarbeitende Menschen, die ihren Kindern monatlich Beträge überweisen können, die einem Durchschnittseinkommen in Vollzeit nahe kommen (oder es übersteigen), einer gleichen Klasse zuzuordnen sind wie diejenigen, die für weniger als ein Durchschnittseinkommen Vollzeit arbeiten; es ist schwer vorstellbar, dass die so versorgten Studierenden tatsächlich ein gleiches grundlegendes Klasseninteresse haben wie Studierende, die weniger Zeit mit Studieren verbringen können als sie lohnarbeiten müssen.
Es stellt sich die Frage, wer vom Status Quo profitiert. Analog zu den Ideen hinter den Ernährungsmodellen diverser sogenannter Klima-Diäten, lässt sich ein Ideal der Verteilung materieller Güter und eine entsprechende Feststellung von «Klasseninteresse» denken. Die Ernährungsmodelle schlagen eine Ernährungsweise vor, die eine ausgewogene Versorgung mit Nährstoffen gewährleisten soll und die bezüglich ihres CO2-Ausstosses so konstituiert ist, dass jede Person auf der Erde sich so ernähren könnte, ohne dass alle hiermit verbundenen Folgen ein nachhaltiges Fortbestehen der Menschheit gefährden. Auf einen Lebensstil als Ganzes übertragen wäre dieser nur nachhaltig, wenn er von jeder Person auf der Erde gelebt werden könnte, ohne dass die Gesamtheit seiner ökologischen Folgen ein Fortbestehen der Menschheit gefährdet. Liegt er über der Schwelle, hat dies unweigerlich zur Folge, dass dieser das Überleben der Menschheit gefährdet oder darauf abzielt, dass andere Personen zum Ausgleich kürzertreten müssen. Viele Lohnarbeitende haben somit ein begründetes Interesse am Status Quo und nicht am Wandel zu einem System, welches, zum Schutz der Allgemeinheit, eine Lebensweise verhindert, die nicht verallgemeinerbar ist.
«Auf einen Lebensstil als Ganzes übertragen, wäre dieser nur nachhaltig, wenn er von jeder Person auf der Erde gelebt werden könnte, ohne dass die Gesamtheit seiner ökologischen Folgen ein Fortbestehen der Menschheit gefährdet.»
Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht nahezu alle Personen in Deutschland, über vermeintliche Klassengrenzen hinweg, einen Lebensstil führen, der unter den heutigen strukturellen Umständen diese Schwelle übersteigt. Nichtsdestoweniger bleibt zum einen eine radikale Umverteilung und kollektive Neuorganisation der Produktionsmittel nötig, zum anderen lässt sich die politische Verantwortung, radikale Veränderungen zu bewirken, nicht auf das Konsumverhalten von Einzelpersonen abwälzen. Das Verteilungsproblem bleibt ein ökonomisches. Trotzdem lässt sich nicht verleugnen, dass der Konsum, der durch eine privilegierte ökonomische Position ermöglicht wird, den ökologischen Niedergang mitverursacht.
Was wollt ihr eigentlich?
Viele Menschen streben einen Lebensstil im Luxus an, ein Wort, das etymologisch die Verschwendung in sich trägt, eine Art zu leben, die die menschlichen Grundbedürfnisse übersteigt, Zerstörung und Unterjochung als Ursache und zur Folge hat. Dabei ergibt sich der Wert von Luxusartikeln und Statussymbolen nicht aus ihrer Beschaffenheit an sich oder aus ihrer biologischen Wirkung. Ein gutes Leben bedarf keiner Luxuskarre, keiner jährlichen Flugreise, keiner auf Rindersteaks basierenden Ernährung, keiner 200 Quadratmeter großen Penthouse-Wohnung im hippsten Teil der Stadt. Oftmals ergibt sich der Wert dieser Dinge erst daraus, dass sie vor anderen, die diese oft nicht haben, zur Schau gestellt, fotografiert und auf Instagram gepostet werden können. Sie werden im Kapitalismus als erstrebenswertes Ziel verhandelt.
Ein gutes Leben bedarf Zeit, der Möglichkeit sich zu entfalten, sich zu bilden, es braucht eine sinnvolle und zumutbare Beschäftigung, gepflegte soziale Beziehungen, die Gesundheit erhaltende Umstände, nicht zu viel, sondern ausreichend ausgewogene und giftfreie Nahrung, saubere Luft, einen gesunden Planeten und eine Zukunftsperspektive. All die Dinge, die dem Großteil der Bevölkerung der Erde durch den Luxus der Wenigen aufgefressen werden, bis nur noch Krümel übrig bleiben, um die gestritten werden darf. Es braucht Zukunftsaussichten, um heute etwas auszuhalten, sich Herausforderungen zu stellen, etwas zu erarbeiten und zu erkämpfen. Im Angesicht eines drohenden Endes der Menschheit ist es aber die Möglichkeit einer Zukunftsperspektive selbst, die erkämpft werden muss. Ein brauchbares Wirtschaftsmodell muss diese bieten. Es muss bei vielen dazu führen, dass sie weniger haben, so viel nur wie sie für ein gutes Leben brauchen. Bei den anderen, die mehr sind, muss es dazu führen, dass sie endlich ausreichend für ein gutes Leben haben, unterm Strich steht aber die Notwendigkeit, das Primat des Wachstums abzulösen. Eine Welt, in welcher alle echten Luxus leben können, ist möglich, wenn wir lernen, welche Bedürfnisse wir aus einem Bullshit-Diskurs verinnerlicht haben, die somit die falschen sind, und wir nicht weiter dem Zwang unterliegen, für diese zu arbeiten. Für mich hätte ein solches Leben wohl große Schnittmengen mit dem Klischee des Studilebens, von welchem gerade diejenigen behaupten, dass ich es längst hätte und dass mein ganzes Dasein verwerflich sei, die mich dazu zwingen wollen, ihre Bedürfnisse und ihre Arbeit anzunehmen.
Ich finde es wichtig, in einem Artikel, in dem ich meine widrigen Bedingungen im Studileben beklage, auch anzuerkennen, dass die Möglichkeit, studieren zu können, selbst ein Privileg darstellt. Es ist unerlässlich, die Mehrheit zu erwähnen, die nicht die Möglichkeit hat, Jahre ihres Lebens mit höherer Bildung zu verbringen, die längst nicht das hat, was den Privilegierten verloren zu gehen droht oder verloren gegangen ist, diejenigen, die in Kriegen, an Hunger und an Gift sterben, welche andere mit ihren verschwenderischen Scheinbedürfnissen verursacht haben. Es ist der Kampf um eine Perspektive, den es zu führen gilt. Die Unmöglichkeit, ein entspanntes Studileben führen zu können, trägt aber viel Potential in sich. Viele Studierende arbeiten in prekärer Lohnarbeit. Ihre Kämpfe um bezahlbare Wohnungen, um funktionierende Daseinsvorsorge oder faire Arbeitsbedingungen sind die gleichen, die diejenigen führen, die nicht eines Studiums wegen arbeiten. Vielleicht wird durch diese Umstände eine neue Tiefe der Solidarität zwischen Studierenden und Prekarisierten erst möglich. Klar ist, dass die Kämpfe, die es zu führen gilt, wichtiger sind als ein Studium. In einer Welt, in der weder Studierende noch sonst wer eine Lebensgrundlage finden, hat das, was im Studium vermittelt wurde, keinen Wert.