In sozialen Bewegungskontexten hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Ausbeutung menschlicher Arbeit und ökologische Zerstörung ihre gemeinsame Ursache in der Expansions- und Steigerungsdynamik kapitalistischer Vergesellschaftung haben und dass deshalb die Frage nach Form und Richtung einer sozial-ökologischen Transformation zum zentralen Gegenstand emanzipatorischer Kämpfe geworden ist. Leider dreht sich die linke Debatte immer noch um die vereinfachte Entgegensetzung zwischen einer klassenkämpferischen Gerechtigkeitsperspektive einerseits und einer als individualistisch und ‹klassenblind› wahrgenommenen ökologisch motivierten Gesellschaftskritik andererseits. Dagegen argumentieren wir für eine mehrdimensionale Klassenanalyse, die Ungleichheiten in der Stellung zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln nicht auf vertikale Machtunterschiede (unten vs. oben) reduziert, sondern auch horizontale Unterschiede in der Art der Verstrickung in die dominanten Prozesse von Wirtschaftswachstum, Externalisierung und Expansion von Herrschaft als Klassenunterschiede begreift.

Fully automated luxury communism vs. Verantwortungsübernahme durch Konsumverzicht

Beispielhaft für die angesprochene vereinfachende Entgegensetzung ist eine Position, die etwa im Umfeld des amerikanischen Jacobin-Magazins vertreten wird. Sie knüpft an den Fortschrittsoptimismus der alten Arbeiter*innenbewegung an und setzt, zugespitzt gesagt, auf die Entfesselung ökologisch begrünter Produktivkräfte in Richtung eines fully automated luxury communism. Im Fokus steht der einmal mehr zum Hauptwiderspruch erhobene Klassenkonflikt zwischen Kapitalbesitzenden und Arbeiter*innen. Wachstumskritischen Positionen oder gar Degrowth wird aus dieser und verwandten Perspektiven unterstellt, sie seien Ausdruck der Interessen einer privilegierten professional managerial class, daher wie die Politik des alten Kleinbürgertums regressiv und antimodern und stünden im Gegensatz zum Interesse der arbeitenden Klasse an sozialem und technologischem Fortschritt. Indem sie alle, unabhängig von der Klassenzugehörigkeit, zur Veränderung ihrer Lebensweise aufriefen, verwischten Wachstumskritiker*innen den entscheidenden gesellschaftlichen Gegensatz und würden dem Kampf um Umverteilung und der Kontrolle über Kapital und Technologie letztlich schaden.

«Dagegen argumentieren wir für eine mehrdimensionale Klassen¬analyse, die Ungleichhei-ten in der Stellung zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln nicht auf vertikale Machtun-terschiede (unten vs. oben) reduziert, sondern auch horizontale Unterschiede in der Art der Verstrickung in die dominanten Prozesse von Wirtschaftswachstum, Externalisierung und Expansion von Herrschaft als Klassenunterschiede begreift.»

Dieser Vorwurf gegen Postwachstumspositionen ist teilweise durchaus berechtigt. Eine solche Leugnung der Bedeutung von Klassenkämpfen wird von Einzelnen offensiv vertreten. So wirft der medial präsente wachstumskritische Ökonom Niko Paech allen mit Klassen- und Kapitalismusfragen argumentierenden Linken vor, aus ideologischen Gründen überall nur Macht- und Verteilungskämpfe zu sehen, wo es doch eigentlich um grundlegende Orientierungen und persönliche Praxen gehe, die alle gleichermaßen beträfen. Er fordert dagegen individuelle «Verantwortungsübernahme» durch Konsumverzicht, Selbstversorgung und den Aufbau lokaler gemeinschaftlicher Alternativstrukturen. Politische Parteien und die von ihnen vertretenen gesellschaftlichen Mehrheiten hingen an der Nadel des Wachstums, weshalb es aussichtslos sei, durch Reformforderungen oder Druck von der Straße systemische Veränderung erreichen zu wollen. 

Beide Positionen, die Verabsolutierung des ‹alten› Klassenkampfs wie seine pauschale Verabschiedung, sind abziehbildhafte Vereinseitigungen. Dem gegenüber gibt es im Degrowth-Spektrum eine Pluralität ernsthafter Bemühungen, auch Klassenfragen aus einer Position der Nachhaltigkeit zu stellen, die internationalistische und feministische Perspektiven ernst nimmt und sich als kapitalismuskritisch versteht. 

Eine solche Degrowth-Perspektive argumentiert, dass Lohnarbeit Herrschaft ist und eine entscheidende Rolle für die innere Struktur kapitalistischer Gesellschaften spielt. Doch sie besteht darauf, das Ausbeutungsverhältnis zwischen Besitzenden und Lohnabhängigen klassentheoretisch zu dezentrieren und «Klasse» nicht auf «Besitz oder Nichtbesitz ökonomischer Produktionsmittel» zu reduzieren, sondern mit Blick auf die Gesamtheit steigerungsorientierter gesellschaftlicher Herrschafts- und Naturverhältnisse umfassender und im Kern sozial-ökologisch zu verstehen. Ins Zentrum des Klassenverständnisses rückt deshalb, neben der Stellung innerhalb der Produktionsverhältnisse, die Stellung sozialer Akteure und Gruppen innerhalb der umfassender verstandenen gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Der Begriff der «imperialen Lebensweise» (Ulrich Brand/Markus Wissen) bringt die Komplexität von sich überlagernden und miteinander vermittelten Herrschafts- und Externalisierungsprozessen, die zugleich auf eine globale Aneignungs- und Marginalisierungsdynamik des kapitalistischen Expansionismus bezogen sind, auf besonders einprägsame Weise auf den Punkt.

«Lohnabhängige im globalen Norden haben mehr zu verlieren als ihre Ketten. Ausschließlich auf Lebensweisen oder -stile zu verweisen vernachlässigt aber die Macht, die institutionel-len, sozialen und infrastrukturellen Zwänge und die Interessen, die hinter dieser Lebenswei-se stehen.»

Ein alleiniger Fokus auf Kapitalbesitz und Lohnarbeit verortet das Hindernis für Transformation demgegenüber zu einseitig in kapitalistischen Profitinteressen – zum Beispiel verkürzt auf das Argument, es seien nur 100 Konzerne, die als carbon majors für die Klimakrise hauptverantwortlich seien. Solch eine Sicht vernachlässigt, dass auch Lohnabhängige im globalen Norden mehr zu verlieren haben als ihre Ketten. Ausschließlich auf Lebensweisen oder -stile zu verweisen, vernachlässigt aber die Macht, die institutionellen, sozialen und infrastrukturellen Zwänge und die Interessen, die hinter dieser Lebensweise stehen. 

Ein sozial-ökologischer Klassenbegriff im Rahmen der imperialen Lebensweise wurde in der Degrowth-Literatur kaum näher diskutiert. Auf der Grundlage unserer eigenen Forschungen braucht es zwei Grundvoraussetzungen einer solchen wachstumskritischen Klassenanalyse: Einen Begriff eines im Singular zu begreifenden Transformationskonflikts, der aber dennoch wegen der gemeinsamen Bedingtheit der verhandelten Krisenphänomene durch die Zwänge expansiver Vergesellschaftung komplex und mehrdimensional ist. Und ein mehrdimensionales Klassenverständnis, für das sich von Pierre Bourdieus Konzeption des sozialen Raums viel lernen lässt. 

Der sozial-ökologische Transformationskonflikt als neue Form des Klassenkampfs

Kapitalistische Vergesellschaftung ist ein Prozess, der seiner inneren Logik nach auf Ausdehnung, auf Erfassung, ‹Eingemeindung›, logische und praktische Vereinheitlichung und damit im Ergebnis Kolonisierung immer weiterer Teile der Welt angelegt ist. Eben wegen dieser expansiven Eigenlogik war sie von Beginn an krisenhaft, zerstörerisch, konflikthaft und von herrschaftlichen Innen-Außen-Beziehungen geprägt. Diese Konflikthaftigkeit mündete historisch in unterschiedlichem Maß und Form in gesellschaftliche Kämpfe. Klasse steht nach wie vor für eine bestimmte Form, in der das geschah: Im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert war die Selbstwahrnehmung der Gesellschaften der industriellen Zentren stark durch das Spannungsverhältnis zwischen kapitalistischer Akkumulation und den Lebensinteressen der Lohnabhängigen und Kämpfen um Arbeitsbedingungen, Löhne und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums geprägt. Weil diese vielfältigen Kämpfe Ausdrucksformen eines tiefer liegenden, in der Dynamik von Vergesellschaftung angelegten strukturellen Gegensatzes sind, wurde daher auf abstrakt-analytischer Ebene oft vom ‹sozialen Konflikt› oder ‹dem Klassenkonflikt› im Singular gesprochen. Eine Kehrseite dieser Redeweise war, dass andere Dimensionen der negativen Folgen des Steigerungszwangs – Sklaverei und Genozide in den Kolonien, Raubbau an der Natur, unbezahlte Aneignung vergeschlechtlichter Reproduktionsarbeit – nicht als Teil dieses gesellschaftsprägenden Konflikts erschienen, von diesem logisch getrennt und ihm untergeordnet wurden. Auch tendierte der Kampf der auf diese Weise definierten Klassen um das Mehrprodukt dazu, ein solches Wachstum vorauszusetzen. Seine Akteure sahen die Fortsetzung des Expansionismus also immer mehr als Lösung statt als Ursache ihrer Probleme.

Heute kann nicht mehr verdrängt werden, dass das expansive Prinzip modern-kapitalistischer Vergesellschaftung nicht nur die Ausbeutung formal entlohnter Arbeit braucht, sondern untrennbar davon auch die herrschafts- und gewaltförmige Aneignung abgewerteter nicht-formeller Arbeit und Natur als verleugnete Voraussetzungen kapitalistischer Produktion sowie die Externalisierung negativer sozial-ökologischer Folgen und damit die systematische Zerstörung von Lebens- und Reproduktionsgrundlagen. Daher ergibt es Sinn, die Gesamtheit der Auseinandersetzungen um die expansive Vergesellschaftung, die sich gegenwärtig zuspitzen, heute als Ausdrucksformen eines Gesellschaftskonflikts zu begreifen – und zwar eines sozial­ökologischen Transformationskonflikts. Auch hier handelt es sich um einen Klassenkonflikt. Anders als beim alten ‹Sozialen Konflikt› ist ‹Klasse› aber weit umfassender zu verstehen: als analytischer Begriff für die Stellung innerhalb der zu transformierenden gesellschaftlichen Herrschafts- und Naturverhältnisse.

Wenn dieser Konflikt aber mehrere Dimensionen hat, wie lassen sich diese auf eine Art und Weise unterscheiden, die aus der verkürzten Entgegensetzung ‹Klassenpolitik vs. Wachstumskritik› hinausführt? Hierfür braucht es eine Konzeption von Klassen­struktur, die neben Eigentum beziehungsweise Eingebundenheit in den Produktionsprozess auch andere Bestimmungsgründe von Macht, Einfluss und Privilegien zur Kenntnis nimmt und damit quer zu ‹oben› und ‹unten› auch Unterschiede und Konflikte zwischen Klassenfraktionen herrschender wie beherrschter Klassen beschreiben und analysieren kann. Eine solche Konzeption des von vielfachen Bruchlinien durchzogenen Sozialen findet sich in der Soziologie Pierre Bourdieus und relational-klassenanalytischen Ansätzen in dieser Tradition. Sie analysieren die Klassenstruktur kapitalistischer Gesellschaften als die eines sozialen Raums, der eine vertikale Herrschaftsachse und eine horizontale Achse aufweist. Die vertikale Raumdimension beschreibt also das Ausmaß, in dem die Akteure aktiv in abstrakt-expansive Vergesellschaftungsprozesse involviert sind, die horizontale die Formen dieser Beteiligung, zwischen primär wissensbasiert-kulturellen links und ökonomischen rechts im sozialen Raum (die nicht deckungsgleich sind mit politisch linken und rechten Positionen).

In der oberen Hälfte des Raums befinden sich demnach – grob vereinfacht – zwei Formen relativer Privilegiertheit, in der unteren dagegen zwei Formen relativer Benachteiligung (alles innerhalb eines nationalen Sozialraums, der in Deutschland und vergleichbaren Ländern insgesamt stark zum privilegierten oder «imperialen» Ende globaler Verhältnisse hin verschoben ist): Oben links ‹bildungsbürgerliche› Positionen, in denen vor allem Bildung soziale Teilhabe, Einfluss und Freiheiten ermöglicht, oben rechts dagegen Fraktionen, die ihre Macht und Handlungsspielräume vor allem ihrem materiellen Reichtum oder Wohlstand verdanken. Unten links findet sich die prekäre «New working class» von Beschäftigten in abgewerteten Dienstleistungs- und Sorgetätigkeiten, informell Tätigen, aber auch Studierenden und Auszubildenden, rechts unten die «old working class» mit meist moderaten und oft veralteten Bildungsabschlüssen und häufig bescheidenen, aber sozialstaatlich und tariflich abgesicherten materiellen Verhältnissen.

Es lassen sich die beiden eingangs diskutierten vereinfachten Positionen als strategische Stoßrichtungen unterscheiden: Während die «klassenpolitische» Strategie die «alte» und die «neue» Arbeiter*innenklasse unten im Raum zu einen sucht, um eine Umverteilung von Reichtum und Produktionsmitteln von oben nach unten zu erkämpfen, ist eine Wachstumskritik à la Paech darauf gerichtet, die gebildetsten und reflektiertesten Fraktionen ganz am linken Rand gegen die nicht-nachhaltigen Lebensstile der Mehrheiten rechts im Raum in Stellung zu bringen und durch praktisches Erproben und Vorleben von Alternativen einen breiteren Wandel anzustoßen. Erstere legt sich mit der Macht des Kapitals an und wird deshalb von vielen als aussichtslos gesehen, zweitere richtet sich gegen die nicht nur gewohnten, sondern auch oft nicht frei gewählten, sondern von den Umständen erzwungenen Lebensweisen von Bevölkerungsmehrheiten und bringt daher leicht viele gegen sich auf. In einer softeren Variante, die vor allem die Rolle von ökologisch aufgeklärten, vegan und kerosinfrei lebenden Individuen als «Pionier*innen des Wandels» hervorhebt, erfreut sie sich gesellschaftlich dennoch großer Beliebtheit, weil sie bequem von politischen Transformationsforderungen und der Kritik an Machtverhältnissen ablenkt. Dementsprechend verwundert es wenig, dass der Streit um die sozial-ökologische Transformation in den letzten Jahren vor allem als eine ‹kulturelle› Auseinandersetzung wahrgenommen wurde, als eine Dynamik wechselseitiger Abgrenzung durch und entlang von Lebensstilen.

Klassen lassen sich in diesem Zusammenhang als soziale Großgruppen verstehen, die innerhalb des sozialen Raums ähnliche Positionen besetzen und ähnliche Interessen an Erhalt oder Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse haben. Sie sind aber nicht einfach da, sondern bilden sich als historisch-politische Akteure mit einem gemeinsamen Verständnis von Interessen und Zielen erst infolge langwieriger Bemühungen um ein gemeinsames Bewusstsein und den Kampf für das Gemeinsame heraus. Die Frage ist also nicht, wie sich objektiv bereits existierende Klassen mobilisieren lassen, sondern welche Prozesse der Klassenbildung entlang welcher gemeinsamen Interessen möglich und wünschenswert sind und wie es dazu kommen könnte. Abschließend möchten wir vier Thesen zur Diskussion stellen, als Anregung für ein Nachdenken über mögliche Strategien ‹wachstumskritischer Klassenkämpfe›.

«Die Frage ist also nicht, wie sich objektiv bereits existierende Klassen mobilisieren lassen, sondern welche Prozesse der Klassenbildung entlang welcher gemeinsamen Interessen möglich und wünschenswert sind und wie es dazu kommen könnte.»

These 1: Keine Angst vorm ökologischen Klassenkonflikt! Auch in der horizontalen Dimension dreht sich der Klassenkonflikt um Verteilungsfragen.

Die Wahrnehmung des horizontalen ökologischen Konflikts (beispielsweise um Tempolimit, SUVs, Fleisch, Flugverkehr), ist nach wie vor die, dass es hier vor allem um ‹Lifestylepolitik› gehe. Linke, die so argumentieren, sollten sich fragen, warum sie hierin eigentlich so willig eine Front zum Beispiel mit der Springerpresse, dem zentralen ideologischen Machtinstrument der ökonomischen Fraktion der herrschenden Klassen, bilden. Letztere haben ein großes Interesse an der Wahrnehmung des Konflikts als kulturell, weil dies verdeckt, dass es bei Klima- und Externalisierungsthemen um harte Interessen und Verteilungsfragen geht. Gerade relativ gutsituierten ‹bildungsbürgerlichen› Fraktionen verlangt auch ein teils in die Horizontale verlagerter Klassenkampf eine Infragestellung ihrer relativen Privilegien ab. 

These 2: Linke Transformationspolitik muss eine Politik öffentlicher Güter sein

Im Zentrum des neoliberalen politischen Transformationsprojekts stand der Versuch, möglichst große Teile der mittleren und oberen Klassensegmente im Sozialraum ‹von links nach rechts zu schieben›, indem einerseits der öffentliche Sektor möglichst weitgehend zerschlagen wurde und andererseits alle über breit gestreutes, zum Beispiel über kapitalisierte Renten de facto verpflichtend gemachtes Kapitaleigentum an die Fortführung des Kapitalismus und seiner Wachstumslogik angekettet werden sollten. Dieses herrschaftliche Klassenbildungsprojekt war nur in Teilen erfolgreich, bewirkte aber verheerende soziale Zerstörungen. Ökosoziale Politik gegen den Wachstumszwang ist eine Politik öffentlicher Güter, die die jahrzehntelange Förderung privaten Reichtums auf Kosten öffentlicher Armut umkehrt und die zunehmend zerfallenden Infrastrukturen allgemein zugänglicher Bedürfnisbefriedigung und Solidaritätsleistungen stärkt. Und das kommt nicht nur den unteren Klassen zugute, sondern auch den mit der Arbeit am Öffentlichen und Allgemeinen befassten kulturellen Fraktionen. All das verlangt die Umverteilung des rechts oben konzentrierten, drastisch angestiegenen privaten Reichtums dahin, wo er das Leben der ärmer Gewordenen sicherer und erfüllter machen kann. Es bedeutet auch eine Verlagerung des Konflikts in eine Diagonale links unten-rechts oben: gegen Eliteninteressen und autoritäre Politik.

These 3: Transnationale ökosoziale Klassenbildung kann gemeinsame Internalisierungsinteressen zum Ausgangspunkt nehmen:

Degrowth setzt voraus, die gesellschaftlichen Innen-Außen-Verhältnisse neu auszuhandeln: All das, was global dominante Gesellschaften und vor allem die in ihnen Privilegierten als Folge ihrer (imperialen) Lebensweise auslagern, muss beendet oder wieder ‹hereingeholt› und selbst getragen werden. Im globalen Norden findet Internalisierung vorrangig an den inneren Peripherien statt – da, wo die entwerteten Tätigkeiten – als Sorgende, unbezahlte Care- oder schlecht bezahlte Dienstleistungs- und Hilfsarbeit – verrichtet werden, aber auch zum Beispiel in ländlichen Räumen, wenn über Bürgerenergiegenossenschaften kollektiv versucht wird, die eigene Energieversorgung vor Ort aus erneuerbaren Quellen zu sichern und zugleich der Macht der fossilen Energiekonzerne wie der Dominanz der Städte etwas entgegenzusetzen. An diesen Fragen kann sich die oben angesprochene ‹Diagonale› der Klassenauseinandersetzung über den nationalen Sozialraum hinaus auf eine globale und planetarische Ebene verlängern. Um diese Internalisierung und gesellschaftliche Bearbeitung der Lasten und Folgeprobleme der Lebens- und Produktionsweise ist ein aktiver Klassenkampf von links und unten notwendig. Nicht zuletzt, um der von rechts oben seit langem aktiv betriebenen regressiven Politik des Beharrens auf Externalisierung etwas entgegenzusetzen. Hierum steht es gegenwärtig allerdings schlecht: Zwar wird Wachstumskritik in Umfragen am stärksten von unten links geäußert, aber ein verbindendes Selbstverständnis derjenigen, die durch Externalisierung benachteiligt sind, und das politische Wirksamwerden gemeinsamer Interessen mit Internalisierenden in Ländern des Südens setzt Klassenbildungsprozesse voraus, um die bisher viel zu wenig diskutiert, geschweige denn gekämpft wird. 

These 4: Degrowth nicht individuell vereinzeln, sondern politisch allgemein denken

Völlig konträr zu der Ansicht, es gehe um moralisch angeleitetes individuelles Handeln, können linke Konzepte überhaupt nur dann politisch aussichtsreich werden, wenn es gelingt, von der Illusion der Veränderung durch das Handeln vieler Individuen und kleiner Gemeinschaften wegzukommen und in kollektiv zu erkämpfenden, aus emanzipatorischer Sicht wünschenswerten gesellschaftlichen Arrangements zu denken. Es geht darum, nachvollziehbar begründete Regeln aufzustellen, deren verbindliche Geltung für alle wünschenswert ist, auch in Abwägung ihrer Vor- und Nachteile für jetzige und künftige Generationen, und die für die Sicherung gleicher Rechte für alle wie des Erhalts von Lebensvoraussetzungen geeignet sind. Verbindliche alternative Arrangements sollten auch, wo immer möglich, auf der Produktions- statt auf der Konsumseite ansetzen: Sie sollten nicht den Einzelnen die Inanspruchnahme eines Produkts oder einer Leistung verbieten, sondern nicht mehr erlauben, Untragbares wie SUVs, geplante Obsoleszenz oder industriell hergestelltes Fleisch überhaupt anzubieten. Am Ende werden auch in puncto Konsum gesellschaftlich ausgehandelte kollektive Selbstbindungen erforderlich sein. Aber nur dann, wenn zuallererst diejenigen Externalisierungspraktiken, die allein kleine dominante Klassenfraktionen zu reinen Vergnügungs- und Selbstdarstellungszwecken verursachen und die den gesellschaftlichen Schnitt um ein Vielfaches überschreiten, unmöglich gemacht werden, lässt sich sinnvoll demokratisch über die kollektiven Bindungen zur gerechten Absenkung jenes Schnitts verhandeln.