Für eine Welt, in die viele Welten passen
Das Treffen, in Kurzform Encuentro genannt, war als Nachfolgetreffen des letzten „Intergalaktischen Treffens“ im lakandonischen Urwald in Mexiko gedacht. Zu diesem Treffen war von der EZLN, die im Januar 1994 den Aufstand gegen die mexikanische Regierung im Bundesstaat Chiapas probte, eingeladen worden, um gemeinsam über die zapatistischen Grundforderungen und den „Erzfeind Neoliberalismus“ zu diskutieren. Selbstverständlich fand sich deshalb auch dieses Jahr viel Zapatistisches beim Zweiten Treffen, das in verschiedensten Arbeitsgruppen und verteilt über ganz Spanien Themen wie Ökonomie, Kultur, Patriarchat, Ökologie und Marginalisierung behandelte. Doch was spannend klingt, gelang nicht immer. So machte sich die Dominanz der europäischen TeilnehmerInnen genauso bemerkbar wie der permanente Drang nach Repräsentation. Dazu kam die scheinbar unausgesprochene Losung, möglichst wenig Kritik und viel gemeinsamen Kampfeswillen zu demonstrieren.
Viele Welten – und es bleibt dunkel
Neben der inhaltlichen Beliebigkeit des Treffens kam es zu Kritik und handfesten Auseinandersetzungen an den verschiedensten Punkten. So hatte eine organisatorische Panne bei der Auftaktkundgebung in Madrid zur Folge, daß der Europasprecher der peruanischen MRTA, Isaac Velasco, nicht öffentlich reden konnte. Velasco hat in der BRD und verschiedenen anderen europäischen Ländern politisches Betätigungsverbot. Sein Auftritt wäre nicht nur deshalb dringend notwendig gewesen. Statt dessen zelebrierte mensch in Spanien weniger politische Forderungen, als viel mehr den eigenen revolutionären Habitus.
Ein Treffen, das emanzipatorische Strategien gegen die kapitalisitsche Welt(un)ordnung, Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung entwickeln will, muß diese Begriffe zunächst einmal deutlich definieren. Nur so kann anhand der gemeinsamen Konkretisierung, was das Encuentro sein kann und sein soll, erreicht werden, daß so etwas nicht wieder passiert. Leider ist dies in Spanien nicht gelungen.
Eine Welt – und wie geht’s weiter
Schon in Spanien regten sich deshalb kritische Stimmen. So gab es den Wunsch nach umfangreichen nationalen Auswertungstreffen, die dann auch eine Auswertung auf internationaler Ebene möglich machen sollten. So auch in der BRD.
Doch schon über die Frage der Bewertung gab es verschiedene Ansichten. Die einen beklagten die Sinnlosigkeit des Treffens, von anderer Seite wurden es und seine „konkreten Ergebnisse“ hochgelobt. Ein Mittelweg ist wohl angebracht. Neben konkreten Bündnissen und Kontakten, die am Rande des Encuentros entstanden, ist vor allem von Bedeutung, wie viel das Encuentro über die Probleme innerhalb einer linken, internationalistischen Bewegung ausgesagt hat. Die organisatorischen Pannen zu beheben, dürfte das kleinste Problem sein. Was viel schwerer (und wichtiger) sein wird, ist die Frage, wie es möglich ist, dem Encuentro neben seiner symbolischen Bedeutung auch ein inhaltliches Fundament zu geben. Angesichts der als neoliberal beschriebenen Veränderungsprozesse des globalen Kapitalismus in dieser Welt steht linke Politik eher hilflos als kampfbereit da. Das läßt sich durch die entstandenen Aktionsbündnisse nur schwer überdecken. Bevor die Diskussion über globale Netzwerke des Widerstandes geführt werden kann, muß deshalb erst einmal darüber diskutiert werden, was das sein kann. Erst der politische Analyse der globalen Prozesse kann eine „Gegenbewegung“ folgen. Dazu muß der „Kampf in den Metropolen“ neu diskutiert und inhaltlich fundiert werden. Unrealistisch ist es zu glauben, die kapitalistische Welt(un)ordnung könnte tatsächlich in den Ländern des Trikonts außer Kraft gesetzt werden. Die beste Solidaritätsbewegung für die Aufständigen in Chiapas ist deshalb eine anti–kapitalistische Bewegung in den kapitalistischen Zentren.
Davon ist mensch aber heuer noch weit entfernt. Bei der gemeinsamen Auswertung gingen solche Aspekte eher unter. Nachdem der erste Ärger und Mißmut verraucht waren, schickte mensch sich dann an, selbst zu organisieren, natürlich besser als „die da unten in Spanien“. Dabei galt es, linke Formeln wie Basisnähe und Transparenz mit Effizienz und kontrollierbarer Haushaltung zusammenzubringen. Über die eigenen Organisationstalente wurde aber das, was eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte, vergessen (oder nicht doch ignoriert?): Diskutierbare Inhalte.
Eine organisatorische Verbesserung kann förderlich sein, diese zu erreichen. Sie darf aber nicht zum Stein der Weisen verkommen. Die Forderung des Nachbereitungstreffens, das nächste intergalaktische Encuentro frühestens im Jahr 2.000 zu veranstalten, läßt zumindest Raum für die nötigen Diskussionen. Diese müssen nun geführt werden. Doch auch die hiesigen FreundInnen der Zapatistas haben noch einige Unklarheiten auszuräumen und Positionen zu diskutieren.
Meine Welt und Deine Welt – und die soli-linke Kulturverliebtheit
Ein Knackpunkt ist dabei das „neue“ Politikverständnis, das in der heutigen „Chiapas Soli Szene“ grassiert und „Politik als Kultur“1 versteht. Der Begriff der Kultur wird zum neuen Zauberwort, mit dem sich jede inhaltliche Auseinandersetzung umgehen läßt. „Viele sehen sich scheinbar als politische Wesen, die losgelöst von ihrer eigenen Kultur anderen Kulturen gegenüberstehen“, kritisierte ein Auswertungspapier. „Das Nicht-betrachten unserer eigenen, auch der politischen Kultur, bewirkt genau dieses scheinbare Neutralisieren der eigenen Kultur, das die Anderen zur Ausnahme macht“2. Nicht mehr das Konstrukt Kultur an sich, das genauso wie Nation, Volk und Geschlecht das Andere schon als Gegen-Kategorie in sich trägt, ist länger das Problem, sondern das „Nichtbetrachten unserer eigenen, auch der politischen Kultur“. Was denn „unsere eigene Kultur“ ist, wenn nicht allerhöchstens ein politisches Selbstverständnis, wagen wir nicht zu fragen, denn außer „deutsch“, „mann“, „frau“, „links“, „rechts“ bleibt da nicht mehr viel übrig.
An anderer Stelle wurde eine Politik gefordert, „die sich nicht auf die Mechanik von Machtbeziehungen beschränkt, sondern Politik als Kultur versteht“3. Das klingt ähnlich nebulös wie vieles, was im neuerstarkenden Internationalismuszusammenhang geäußert wird. Es erinnert etwas an rohe Eier. Bloß nicht von dem reden, was passiert, lieber den eigenen Widerstand hochjubeln. Auch wenn wir unter uns Hierarchien abbauen wollen, müssen wir zunächst anerkennen, daß es diese Hierarchien gibt. Die Welt ist durchwoben von Macht und Machtbeziehungen und auch bei uns ist das nicht alles so frei, wie es scheint. Machtbeziehungen, die sich an Herkunft, Geschlecht oder Bildung (Sprachen) orientierten, waren auch in Spanien präsent. Auch der Einwand, „Politik als Kultur“ zu verstehen, verschweigt die Bedeutung, die Kultur und kulturelle Verhaltensweisen haben. Was anklingt, ist die subkulturelle Verhaltensweise: „Hey, ihr müßt uns akzeptieren, wir sind eine Kultur!“, die in der politischen Auseinandersetzung aber auch immer wieder darauf zurückgeworfen wird: „Eben, also seid zufrieden.“ Kultur wird immer mehr zum Ersatz der Kategorien Volk, Rasse und Nation und so zu einem zentralen Bestandteil neurechter Diskurse. Aber auch Linke haben ihre Erfahrung mit der zweifelhaften Gunst, eine Kultur zu sein, schon gemacht. Die außerparlamentarische Linke 1968 konnte von der parlamentarischen Ex-Linken ohne weiteres als Kultur absorbiert werden. Neben der herrschenden Kultur gab es von da an eben noch Sub-Kultur, StudentInnen-Kultur und sonstige Kulturen, deren politische Relevanz mit zunehmender Kulturalisierung notwendigerweise abnahmen.
Das gefährliche Spiel mit der Kultur ist in der Chiapas-Soliszene allein deshalb virulent, weil auch die Zapatistas auf das Argument der kulturellen Eigenständigkeit gesetzt haben. Die Forderung nach kultureller Autonomie ist die einzige, auf die die mexikanische Regierung tatsächlich eingegangen ist. Leider führt dies auch dazu, daß die EZLN und ihre politischen VerhandlungsführerInnen bei weitergehenden Forderungen nun auf diese „kulturelle Eigenständigkeit“ zurück verwiesen werden. „Eine Reduktion schließlich auf die Frage nach ‚kultureller Autonomie‘ würde – ungeleugnet der jahrhundertelangen rassistischen Unterdrückung – den Fall der EZLN in die politische Bedeutungslosigkeit befördern.“4 Und könnte aus der Forderung nach kultureller Autonomie nicht auch „eine spezifisch mexikanische Reservatsordnung resultieren“5?
Ungeachtet dessen war auch in Spanien das Spiel mit Symbolen und kulturellen Merkmalen omnipräsent. Vom Zapatistenpüppchen bis zum Marcosschal war für Revolutionsdevotionalien gesorgt. Auch die beiden chiapanekischen Companer@s wurden im Laufe des Encuentros in den kulturellen Strudel hineingezogen. Bei den zahlreichen Repräsentationsveranstaltungen schien es, als ob die beiden von den VeranstalterInnen regelrecht „präsentiert“ wurden. Der Eindruck, daß sie lediglich zur Authenzitätssteigerung des Treffens beitragen sollten, drängte sich dabei auf.
Dabei richtet sich unsere Kritik nicht gegen die beiden chiapanekischen Companer@s, sondern gegen jene, die die beiden lediglich als „echte Campesinos“ vorführten und so „mißbrauchten“.
So überlebenswichtig der Kampf der Zapatistas in Chiapas ist: Er ist nicht auf ein solches Treffen zu übertragen. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es ihnen nämlich ums „Überleben“. Auch Symbole, wie die der Companer@s, die Symbole ihrer Heimat präsentierten, sind zunächst einmal nur Symbole, die in einer anderen Umgebung (z.B. einer Arena mit zahlreichen „Fans“) eine andere Bedeutung bekommen können. Um ihre Bedeutung muß gekämpft werden – inhaltlich und politisch.