Zwar finden die meisten Linken wohl, das Abtreibungen zugänglich sein sollten, aber die genauen Umstände sollen bitte Privatsache der ungewollt schwanger Gewordenen bleiben. Dahinter steht die oft unausgesprochene Haltung, dass Abtreibung etwas moralisch Verwerfliches sei.
Abtreibung als Tabu und Praxis
Warum eigentlich wird im gesellschaftlichen und linken Diskurs so ohne Weiteres angenommen, dass eine Abtreibung ein Erlebnis sein muss, das nach schweren Gewissenskonflikten und in tiefer Trauer stattfindet? Steht hinter dieser Annahme nicht doch der Wunsch, dass Frauen zumindest nicht ohne emotionale Schwierigkeiten Selbstbestimmung über ihre Körper ausüben sollten? Und wenn eine Abtreibung zu einem schwierigen Erlebnis wird – hat das nicht oft mehr mit dem Schweigen zu tun, das eine Abtreibung umgibt, als mit dem Vorgang an sich?
Eine kritische Debatte über die rechtlichen und praktischen Bedingungen, unter denen Abtreibungen in der BRD stattfinden, ist als erster Schritt hin zu einem emanzipatorischen Umgang mit dem Thema notwendig. Obwohl die letzten intensiven Debatten um eine Neufassung des § 218 erst Anfang der 1990er Jahre stattfanden, wissen viele heute nicht mehr, was der § 218 ist und dass Abtreibungen in Deutschland keineswegs legal oder erlaubt sind. In diesem Paragraphen, der Schwangerschaftsabbrüche mit bis zu drei Jahren Knast belegt, werden mehrere Bedingungen aufgeführt, unter denen eine Abtreibung straffrei bleibt. Die am häufigsten genutzte Ausnahme ist die Fristenlösung, der zufolge Schwangere bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis nach einem Beratungsgespräch und einer dreitägigen Wartezeit abtreiben können. Unter diesen Bedingungen gilt eine Abtreibung als „rechtswidrig, aber straffrei“. Nicht rechtswidrig ist der Abbruch, wenn eine Schwangerschaft den „körperlichen oder seelischen Gesundheitszustand“ einer Frau gefährdet. Diese medizinische Indikation ist an keine Frist gebunden. Bis zur zwölften Woche sind Abtreibungen nicht rechtswidrig, wenn die Schwangerschaft wahrscheinlich durch sexuelle Nötigung zustande gekommen ist (kriminologische Indikation). Minderjährige können sich nur dann selbstständig für eine Abtreibung entscheiden, wenn ein/e Arzt/Ärztin die „Einwilligungsfähigkeit“ bescheinigt, also wenn sie „nach ihrem Reifegrad in der Lage ist, die Bedeutung eines Schwangerschaftsabbruches zu erkennen“.
Die Beratung ist im § 219 und im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt. Sie soll „dem Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen, das „ein eigenes Recht auf Leben hat“, ist aber auch „ergebnisoffen zu führen“.
Das juristische Paradox des „rechtswidrigen, aber straffreien“ Abbruchs schlägt sich auf den gesellschaftlichen Umgang mit Abtreibung nieder: Es ist nicht wirklich okay, einen Abbruch zu haben, und ohne Scham und Rechtfertigungsdruck soll es ihn auch nicht geben. Aus einer feministischen Perspektive steht diese Rechtspraxis dem Recht jedes Menschen, über sich und seinen/ihren Körper selbst zu bestimmen, entgegen. In der Zwangsberatung wird unterstellt, dass Frauen nicht in der Lage sind, eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Stattdessen hat die Schwangere sich einer staatlich legitimierten, moralischen Kontrollinstanz zu unterwerfen, bevor ihr ein begrenztes Selbstbestimmungsrecht zugestanden wird.
Aber auch nach dieser entmündigenden Prozedur ist Abtreibung nicht unbedingt in der wünschenswerten Form zugänglich. Grundsätzlich gibt es zwei Arten abzutreiben: die instrumentelle und die medikamentöse (siehe hierzu Infobox). Welche Methode als besser empfunden wird, ist sehr individuell. Eine Absaugung gilt im Allgemeinen schonender als eine Ausschabung, leider wird letztere aber noch von manchen Ärzt_innen praktiziert. In der BRD werden nur relativ wenige Abbrüche medikamentös durchgeführt (etwa 10 Prozent). Allerdings ist die Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Methoden aus Unkenntnis seitens der Ärzteschaft oder auch aus Kostengründen nicht immer gegeben.
Selbstbestimmung?
Der Slogan „Mein Bauch gehört mir“, mit dem in der zweiten Frauenbewegung das Recht auf körperliche Selbstbestimmung formuliert wurde und der Selbstbestimmungsbegriff sind heute von feministischen Aktivist_innen nicht mehr (ungebrochen) benutzbar. Unserer Meinung nach ist er im neoliberalen Diskurs im Sinne von Selbstmanagement und Selbstoptimierung umgedeutet worden. Die argumentative Konzentration auf Selbstbestimmung blendet die gesellschaftlichen Bedingungen aus, unter denen wir uns entscheiden müssen und die eine wirklich freie Entscheidung verunmöglichen.
Der Slogan bleibt zwar insofern richtig, als er sich gegen die Entscheidungshoheit von Gesetzgeber_innen, Ärzt_innen und Richter_innen über die Körper von Frauen1 richtet. Auch eine Verteidigung des Subjektstatus der Frau gegenüber dem Fötus, der ihr gerade von Abtreibungsgegner_innen oft als gleichberechtigtes (Rechts-)Subjekt entgegengestellt wird, ist weiterhin unumgänglich.
In Zeiten der technischen Machbarkeit von Pränataldiagnostik (PND), Präimplantationsdiagnostik (PID) und Designer-Babys2 müssen sich Feminist_innen allerdings die Frage stellen, worüber Frauen denn selbst bestimmen können sollen. Durch diese Reproduktionstechniken werden keine Freiheiten, sondern Entscheidungszwänge produziert, durch die auf die Frauen ein gesellschaftlicher Druck zur Kontrolle und Optimierung des „Produktes“ ausgeübt wird.
Von der Grundforderung der Frauenbewegung, dass es allein Sache der Schwangeren sein soll, sich für oder gegen die Fortführung einer Schwangerschaft entscheiden zu können, wollen wir nicht abgehen. Dies führt uns allerdings nicht zu der Aussage, Frauen hätten das Recht zu entscheiden, was für ein Kind sie haben wollten. Frauen müssen eine Schwangerschaft ablehnen können. Dazu muss ihnen die nötige Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden.
Es ist aber genauso vonnöten, über die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Ressourcen zu sprechen, derer es bedarf, um eine Schwangerschaft anzunehmen. Dies heißt dafür zu streiten, dass Kinder nicht Armut bedeuten und dass Behinderung kein Defizit darstellt.
Für einen linken Feminismus bedeutet dies, immer den gesellschaftlichen Kontext mitzudenken, in dem sich Entscheidungen artikulieren und zu fragen, wer denn unter welchen Umständen über was entscheiden kann und was das bedeutet. Die Kriterien der kapitalistischen Verwertungslogik umzusetzen, ist nicht die Freiheit, die wir meinen.
Das Kreuz mit den 1000 Kreuzen
Wenn es schon innerhalb der Linken nicht einfach ist, offen über Schwangerschaftsabbrüche zu sprechen, haben wir im gesellschaftlichen Mainstream erst recht nicht die Diskurshoheit. Selbsternannte Lebensschützer_innen haben zunehmend Erfolg damit, Debatten in ihrem Sinne zu beeinflussen. Aus einem evangelikalen und katholischen, größtenteils stramm rechtskonservativen Spektrum kommend, engagieren sich Abtreibungsgegner_innen für die Verschärfung der Abtreibungsgesetze. Sie arbeiten dabei mit gefälschten Zahlen, sprechen von 1000 statt 440 Abtreibungen pro Werktag, und geben sich als Retter der zur Abtreibung verführten Frauen. Letztere bekämen unweigerlich das so genannte Post-Abortion-Syndrome (PAS), das sich durch Depressionen, Drogensucht und Selbstmord äußere. Dass das PAS nie wissenschaftlich nachgewiesen wurde, hindert die Abtreibungsgegner_innen nicht daran, mit dieser Konstruktion moralischen Druck aufzubauen und Ängste zu schüren.
Auch wenn die 1000 Kreuze Märsche „für das Leben“, die Abtreibungsgegner_innen regelmäßig in Berlin, München, Münster und Fulda durchführen, oft wie die bizarre Inszenierung einer wirren Minderheit wirken: „Lebensschützer_innen“ haben gute Verbindungen zur Politik. Christian Wulff saß von 2005 bis 2010 im Kuratorium der evangelikalen Organisation pro christ, deren Führungsfigur Ulrich Parzany neben Abtreibungen auch Homosexualität als „Sünde“ und „Krankheit“ bezeichnet. Ursula von der Leyen pflegt ein gutes Verhältnis zum Arbeitskreis Christlicher Publizisten, der sich arge Sorgen um das Aussterben der Deutschen macht und von der Leyens Vater, den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, mit den Worten zitiert: „Wenn die Türken hier mal die Macht übernehmen, kann es an Albrecht nicht gelegen haben.“ Bei Lebensschützer_innen verbindet sich patriarchale Ideologie, die Frauen mit Kindern in Küche und Kirche sehen will, mit Homophobie, Nationalismus. Kurz: „Lebensschutz“ ist Teil eines weit verbreiteten Rechtskonservatismus in der BRD.
Auch beim letzten Berliner „Marsch für das Leben“ im September 2010 wurden Grußworte etwa von den Bundesminister_innen Schavan, Guttenberg und Pofalla verlesen. Ungestört können die Abtreibungsgegner_innen jedoch schon seit 2008 nicht mehr durch die Hauptstadt ziehen: Feminist_innen und Antifaschist_innen begleiten sie lautstark und lassen die Kreuze, die für Abtreibungen stehen sollen, in die Spree platschen.
Abtreibung – rechtliche und praktische Tipps
Beratung: Die Zwangsberatung ist ebenso wie die dreitägige Bedenkzeit eine Bevormundung, die unterstellt, Frauen könnten nicht alleine und rational entscheiden, was sie mit ihrem Körper tun. Leider kommt Eine nicht darum herum, wenn sie eine Abtreibung will. Pro familia bietet ebenso Beratungen an wie einige evangelische und katholische Stellen und die Kommunen. Eine Suchmaschine gibt es auf den Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: http://www.familienplanung.de/beratung/beratungsstellensuche
Die „Mitwirkung und Gesprächsbereitschaft“ der Schwangeren darf nicht „erzwungen“ werden, d. h. du musst keine Angaben über deine Situation machen. Eine korrekte Beraterin wird dir auch keine Infos aufdrängen, allerdings gibt es in ländlichen Gegenden manchmal nicht die Option eine weltanschaulich neutrale Beratungsstelle aufzusuchen.
Kosten: Eine Abtreibung kostet je nach Methode 360-460 Euro. Wenn dein Einkommen unter 1001 Euro (West) oder 984 Euro netto (Ost) liegt, kannst du bei einer Krankenkasse die Kostenübernahme beantragen (muss nicht deine sein). Die Kostenübernahme muss vor dem Abbruch gestellt werden. Das gilt auch für illegalisierte Migrantinnen und Menschen ohne Krankenversicherung!
Methoden: Die Abtreibung kann (bis zur 9. Woche) medikamentös mit der Abtreibungspille erfolgen, oder instrumentell (Absaugen oder Ausschaben). Bei Ersterem bekommt frau zunächst Mifegyne, das die Schwangerschaft beendet. 2 bis 3 Tage später wird Prostaglandin eingenommen, das die Abstoßung des Schwangerschaftsgewebes herbeiführt. Dieses Medikament wird normalerweise in der Arztpraxis eingenommen, wo frau dann noch einige Stunden bleibt. Die Blutungen können schmerzhaft sein. Eine Absaugung oder Ausschabung kann mit örtlicher Betäubung oder unter Vollnarkose passieren. Eine Absaugung ist allgemein schonender als eine Ausschabung.