‹Intersex›-Personen können für plural-queere Politiken eine willkommene Blaupause sein, um der biologischen Zweigeschlechtlichkeit als Machtkonzept ein Schnippchen zu schlagen. Die Forderungen der ‹Intersex›-Aktivist_innen sind da jedoch häufig anders gelagert.
Tacheles: Worum geht´s eigentlich?
Michel Reiter beschreibt die gesellschaftliche Wahrnehmung von ‹Intersexuellen› mit den Worten: «Unser verstümmeltes Geschlecht ist ein medizinisches Konstrukt, also Theorie. So schob man uns von einem Nichts in das andere Nichts: Unser Geschlecht, wie es uns angeboren wurde, hat keine gesellschaftliche Existenz.»
Während Gynäkolog_innen die Verschreibung von Östrogenen bei ‹Frauen› – seien es beispielsweise die Pille oder Medikamente zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden – genauestens abwägen, wird ‹intersexuellen› Menschen die lebenslange Einnahme von Hormonen oft arglos zugemutet, wenn die körpereigenen Hormonproduzenten – Hoden oder Eierstöcke – zur Herstellung eines eindeutigen Geschlechts-körpers entfernt werden und anschließend der Hormonverlust kom- pensiert werden muss. Auf diese Weise wird in die Körper ‹intersexueller› Personen massiv eingegriffen – nicht selten ohne die Einwilligung der Patient_innen selbst.
Seit den 1990er Jahren werden Stimmen von ‹Intersex›-Aktivist_innen zunehmend lauter. Was mit ersten Veröffentlichungen US-amerikanischer Selbsthilfegruppen 1993 beginnt, schwappt bald auch in den deutschsprachigen Raum. Initiativen wie die Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG) oder die XY-Frauen entstehen, letztere gründen 2004 Intersexuelle Menschen e.V. Im Forderungskatalog des Vereins steht an erster Stelle der Punkt «Keine nicht lebens- oder gesundheits- notwendigen Eingriffe ohne informierte Einwilligung der betroffenen Menschen.» Es folgen Forderungen nach «verbindlichen ‹Standards of Care› im Gesundheitswesen», die «Einbeziehung des Themas ‹Intersexualität› in Lehrpläne von Schulen und Ausbildungsstätten für medizinisches Personal» und die «Einbindung des Begriffs Intersexualität in geltendes Recht». Für ‹Intersexuelle› steht damit das Recht auf körperliche Unversehrtheit an erster Stelle, anhand der verschiedenen Forderungen wird außerdem deutlich, dass die Existenz ‹intersexueller› Personen auf verschiedenen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens verschleiert wird.
Um sich mit weitergehenden Problematiken wie der Gewalt des kulturel- len Zweigeschlechtersystems überhaupt auseinandersetzen zu können, ist somit die bedingungslose Anerkennung der Körperkategorie ‹intersex› als lebenswerte notwendig. Die medizinische Diagnose ‹intersexuell› bedeutet gegenwärtig, dass der diagnostizierten Person genitale Operationen bevorstehen und mit deren Durchführung der ‹intersexuelle› Körper so verändert wird, dass er in eine Norm passt: Der ‹intersexuelle› Körper wird als nicht existenzberechtigt klassifiziert und zerstört. Die medizinische Klassifikation ‹intersexuell› ist also untrennbar mit der Durchführung genitaler Operationen verbunden. Der Begriff ‹Intersexualität› als politischer, nicht medizinischer, beinhaltet also immer die Kritik an der Gewalt gegen den ‹intersexuellen› Körper, nicht nur – und nicht zwingend – den Aspekt der Verunsicherung hegemonialer Geschlechtskonzepte.
‹Intersexualität› als politisches Moment steht damit zunächst für die Auseinandersetzung mit der Verhinderung von Operationen im Genitalbereich, die die Betroffenen als Verstümmelung ihrer gesunden Körper ansehen. Weiter gedacht steht er damit für die Aufklärung von Eltern ‹intersexueller› Kinder und Mediziner_innen sowie für die Krisenintervention bei Betroffenen. Außerdem beinhaltet es die Aufrechterhaltung des Diskurses um genitale Operationen, denn seit der Einführung des Begriffes DSD (Disorders of Sex Development) 2006 wird es der Medizin noch leichter gemacht, ‹Intersexualität› als Krankheit zu diagnostizieren und ‹intersexuelle› Neugeborene einer der zwei gültigen Geschlechtskategorien zuzuordnen oder gar bei pränatal diagnostizierter ‹Intersexualität› die Abtreibung des Ungeborenen vorzuschlagen. Last not least ist die ausschließende Zweigeschlechtlichkeit des Grundgesetzes zu kritisieren (Art. 3, Abs. 2 GG), die Basis diverser staatlicher Argumentationen gegen ‹intersex›-Rechte ist. Daraus folgt die Kritik konkreter Umsetzungen des GG (bspw. PStG §§ 18 und 21, LPartG), um überhaupt die Bedingung der Möglichkeit für die Anerkennung ‹intersexueller› Rechte zu schaffen.
Es muss also zunächst die Existenzberechtigung ‹intersexueller› Körper gesichert werden. ‹Intersex›-Politiken beinhalten nicht zwingend auch gleich die Auseinandersetzung mit der Kritik des kulturellen Systems der Zweigeschlechtlichkeit im Allgemeinen. Und damit wären wir bei den Reibungspunkten mit Queer-Aktivist_innen.
Wo ist der Haken?
Der Haken ist zunächst eigentlich ganz einfach zu beschreiben: Queere Politiken (im Sinne des plural-queeren Ansatzes) berücksichtigen ‹intersex›-Personen, die sich als zwischengeschlechtlich identifizieren. Sie berücksichtigen, dass sich gegen eine kongruente Geschlechtsidentität im Sinne der hegemonialen Gesellschaft gestellt wird. In Flyern oder Texten zur Kritik der Zweigeschlechtlichkeit wird des Öfteren sogar die chirurgische Gewalt gegen ‹Intersexuelle› angerissen und damit die Gewalt des zweigeschlechtlichen Systems untermauert. Selten wird dagegen in queeren Texten auf die Forderungen von ‹Intersex› eingegangen. ‹Intersexuellen› geht es aber zunächst einmal unabhängig von ihrem Verständnis als geschlechtliche Wesen, also unabhängig davon, ob sie sich als geschlechtlich ein- oder mehrdeutig oder als nicht verortbar verstehen, um die Beendigung der Gewalt gegen ihre Körper und ein Aufwachsen ohne traumatisierende Gewalterfahrungen. So kann beim Lesen queerer Texte schon einmal der Eindruck entstehen, ‹Intersexuelle› werden lediglich als Beweis der gewaltvollen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit angebracht aber nicht als Mitstreiter_innen mit eigenen Forderungen gesehen. Tatsächlich sucht mensch die oben genannten Dreh- und Angelpunkte ‹intersexueller› Politiken in den Veröffentlichungen oft vergeblich. Dass es richtig und gut ist, die Gewalt des Geschlechterverhältnisses zu kritisieren, soll an dieser Stelle nicht in Frage gestellt werden. In Veröffentlichungen zu queeren Politiken fehlt jedoch meist der explizite Hinweis auf die Gewalt an ‹intersexuellen› Körpern durch die gängige medizinische Praxis.
Dabei gibt es verschiedene Stellen, wo sich die queere Argumentations-logik mit dem ‹Intersex›-Aktivismus solidarisch verbinden ließe; nur leider wird das – gerade für die Aktivist_innen selbst – nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Für Queer-Aktivist_innen, die umfassend mit dem Konzept Queer vertraut sind und einem plural-queeren Ansatz folgen, liegt die Solidarität mit ‹Intersex›-Personen auf der Hand. Wie lässt sich nun die angekündigte geschwisterliche Zusammenarbeit konzipieren?
Es waren zwei Königskinder … die konnten zusammen nicht kommen … oder doch?!
Queer-politische Solidarität mit ‹Intersex›-Problematiken bedeutet immer wieder die kritische Betrachtung eigener Handlungsstrategien aus einer privilegierten Position heraus – dies ist Queer-Aktivist_innen innerhalb anderer Machtverhältnissen wie z. B. Weiß-Sein oder Klassen-zugehörigkeit bereits vertraut. Es muss ein Reden mit, nicht über ‹Intersex› stattfinden, damit die Politiken den nicht-privilegierten Positionen gerecht werden. Als im geschilderten Verhältnis privilegierte Position ist es folglich Aufgabe der Queers, an ‹Intersex›-Aktivist_innen mit dem Wunsch nach Zusammenarbeit heranzutreten und die Möglichkeit des Zutritts zu ‹intersexuellen› Räumen zu erfragen (Foren, Veranstaltungen, Stammtische etc.), statt darauf zu warten, dass vom Gegenüber die Initiative ergriffen wird, oder anstatt wohlgemeinte Einladungen in spezifisch privilegierte queere Räume auszusprechen: ‹Intersex›-Aktivist_innen wären in diesen Räumen gezwungen, sich als De-Privi- legierte zu unterwerfen und also ihre Politik – wie bisher – den Queer-Politiken nachzuordnen. Angemessene Herangehensweise ist somit eine Bitte um Zutritt zum ‚intersexuellen‘ Raum, die Bitte um Information über ‹Intersexualität› aus ihrer Perspektive und die Diskussion darüber, wie sich eine solidarische Zusammenarbeit gewünscht wird. Nur so ist es möglich, aus den bisherigen Begrenzungen herauszukommen und eine angemessene Verbündetenpolitik zu entwickeln und zu praktizieren. Die Sichtbarmachung traumatisierender medizinischer Behandlungspraxen gegen ‹intersexuelle› Menschen und die konkrete Forderung der Beendigung genitaler Operationen im Kleinkind- und Jugendalter muss selbstverständlichen Eingang in Queer-Politiken finden, und zwar unabhängig vom Gender-Verständnis der Betroffenen. Sich als ‹weiblich› oder ‹männlich› verortende ‹Intersexuelle› sind ebenso Teil der Forderungen wie etwa ‹Zwitter›, ‹Hermaphroditen› oder ‹Zwischengeschlechter›. Die bereits entwickelten antisexistischen Praxen queerfeministischer Politiken bieten Anknüpfungspunkte, zukünftig auch ‹Intersex›-Personen als Betroffene sexualisierter Gewalt mitzudenken und sie zu beraten und zu unterstützen. Notwendig wäre meines Erachtens auch die Erarbeitung eines Konzeptes für den Umgang mit Betroffenen (kinder)chirurgischer sexualisierter Gewalt unter Zusammenarbeit mit ‹Intersex›-Aktivist_innen.
‹Intersexualität› queer einzubeziehen heißt, die spezifischen Bedürfnisse wahr und ernst zu nehmen als eigenständige Dimension der (queeren) Identitätskritik. Die plural-queere Kritik an hegemonialen Identitätsentwürfen beinhaltet diese Dimension bereits indirekt, indem machtvolle Ausschlüsse und damit die gewaltvolle Verwerfung un-normierter Identitätsentwürfe angegriffen werden. Es fehlt bisher der explizite Verweis, dass im Namen einer normgerechten Geschlechts-identitätsentwicklung, die festgelegt wird von Medizin, Biologie und Psychologie, gewaltvoll in ‹intersexuelle› Körper eingegriffen wird – eine solche Formulierung scheint mir präziser als der recht globale Verweis auf die Gewalt des Geschlechterverhältnisses.
Sich die eigene privilegierte Position bewusst zu machen und das entsprechende Handeln folgen zu lassen, das Bewusstsein von der Normierungspraxis der Medizin an ‹intersexuellen› Körpern und ihren intrinsischen Begründungslogiken, die Suche nach einer gemeinsamen Sprache aufgrund von ähnlichen (jedoch nicht ohne weiteres ver-gleichbaren) Erfahrungen, indem von Seiten der Queers aktiv der Dialog mit Instanzen des ‹Intersex›-Aktivismus gesucht wird, können Schritte einer geschwisterlichen Zusammenarbeit sein.