Patrick Stary: Du bist Teil eines neuen Organisierungsexperimentes in Österreich mit dem Namen Superlinke bzw. Für eine Linke mit gesellschaftlicher Bedeutung. Es ist klar, dass du hier in keiner Weise als Repräsentantin sprichst, aber erzähl doch mal: Wie bist du zu diesem Experiment gekommen und was genau kann man sich darunter vorstellen?

Renate: Ich komme aus der autonomen Linken der 1980er Jahre und bin Mitglied der Redaktion der Zeitschrift grundrisse. In den letzten Jahren habe ich immer wieder mit verschiedenen Leuten darüber nachgedacht, was zu tun wäre, um die sehr starke Zersplitterung der autonomen Linken und die weit verbreitete Weigerung, sich der so genannten ‚sozialen Frage‘ politisch zu stellen, zu überwinden. Unter anderem war ich an einer Kampagne beteiligt, die versucht hat, antikapitalistische, linke Gruppen gegen die Erhöhung von Energiepreisen für Privathaushalte mitten im Winter zusammenzubringen, weil wir dachten, dass das ein Anknüpfungspunkt für Massenmobilisierung sein könnte. Das ist mehr oder weniger gescheitert. Es ist daraus noch ein relativ großer antikapitalistischer Block auf der Großdemo „Wir zahlen nicht für eure Krise!” im März 2009 entstanden und das war“s dann auch wieder. Der Anstoß zum Projekt Superlinke kam im Herbst 2009 und ich hab das eine Zeit lang eher skeptisch beobachtet. Die Fallstricke, in die so etwas geraten kann, sind ja unendlich. Endlose Programmdiskussionen, Selbstbespiegelungen, das Kleben an den jeweils eigenen Begrifflichkeiten, allerlei Unterstellungen einerseits oder auch zu schnelle Festlegungen – alles Prozesse, die zum Wegbleiben von Leuten führen können, die eigentlich interessiert wären, was dann vielleicht nicht einmal bemerkt und reflektiert wird. Ich hatte dann aber den Eindruck, dass doch die meisten an einem vorsichtigen, sich gegenseitig wohlwollenden Prozess interessiert sind. Insgesamt handelt es sich um eine schwierige Gratwanderung, da doch Leute aus sehr unterschiedlichen Strömungen beteiligt sind und das auch so bleiben soll. Es soll ja einerseits mehr als ein Netzwerk, also wirklich eine Organisierung mit Verbindlichkeit werden, andererseits aber sollen unterschiedliche Positionen zu verschiedenen Fragen möglich sein. Wir sind natürlich auch schon in Fallen getappt, zum Beispiel hatten wir erbitterte Programmdiskussionen, ohne überhaupt offiziell über ein Programm zu diskutieren, das hat sich durch die Hintertür eingeschlichen. Und das obwohl wir uns einig sind, dass wir eine Programmatik entwickeln wollen, die offen und prozesshaft ist und deren Startpunkt unser gemeinsames Experiment und nicht eine von allen in allen Punkten geteilte ‚Weltanschauung‘ ist.

Superlinke ist übrigens der nicht-offizielle Name, der sich irgendwie eingebürgert hat und ziemlich umstritten ist. Mir gefällt er, weil er selbst-ironisierend ist und Massenkulturanklänge hat.

In eurem Aufruf nennt ihr als einen der Gründe die Unzufriedenheit mit der österreichischen Linken. Kannst du etwas genauer ausführen, was euch stört und was ihr stattdessen versuchen wollt?

Die Linke in Österreich ist extrem zersplittert. Autonome Gruppen beschäftigen sich gern mit Abgrenzungen, können oft nicht einmal untereinander miteinander, mischen sich wenig ins unreine Handgemenge und mobilisieren leider nahezu nie zu sozialen Fragen. Anarcho-syndikalistische Gruppen beschränken sich auf den Versuch von Organisierungen an Arbeitsplätzen. Trotzkistische und andere marxistisch-leninistische Gruppen wissen immer schon vorher ganz genau, wie's geht, obwohl es nie so geht. Gemeinsame Mobilisierungen sind extrem schwierig und rar. Es gibt ja nicht einmal eine gesellschaftlich relevante reformistische linke Kraft, die von links kritisiert und angetrieben werden könnte. All das führt dazu, dass linke Positionen in einer handbreiteren Öffentlichkeit quasi nicht präsent sind. Die Superlinke möchte also, dass eine Linke mit gesellschaftlicher Dimension oder Bedeutung entsteht. Dabei sind Leute, die mal in trotzkistischen oder maoistischen Organisationen waren, die aus der autonomen Bewegung kommen, bei Attac waren, der Kommunistischen Partei Österreich nahe gestanden sind, bei der Alternativen Liste waren, Leute, die noch nie politisch organisiert waren … Gemeinsam ist uns, Kommunismus als wirkliche Bewegung zu begreifen, die den jetzigen Zustand aufhebt. Das heißt, Prozesse, die diese Aufhebung anstreben, müssen im Hier und Jetzt stattfinden. Also weder ‚zuerst Machtübernahme und dann …‘ noch StellvertreterInnenpolitik. Dazu ist sicher auch der ernsthafte Versuch wesentlich, über den Tellerrand der linken Szene hinauszuschauen. Klar ist: Wenn wir dazu beitragen wollen, gesellschaftliche Brüche zu vertiefen, müssen und wollen wir uns auch auf ‚Kritik im Handgemenge‘ einlassen, das heißt uns nicht aus der Realität zurückzuziehen, weil es dort so viele Widersprüche gibt. Tja und was unser Verhältnis zum Staat betrifft: den begreifen wir als Unterdrückungsverhältnis und wollen ihn weder übernehmen noch sehnen wir uns nach Keynesianismus und Fordismus zurück. Dass wir uns gegenwärtig in einer der tiefsten Krisen des kapitalistischen Weltsystems befinden, ist ja kein Geheimnis mehr. Der Kapitalismus hat zum ersten Mal seit 1989 auch seine Hegemonie auf symbolischer Ebene eingebüßt. Die Linke hat nun bessere Chancen und steht gleichzeitig vor der gewaltigen Herausforderung, nicht nur die Krisenursachen zu analysieren, sondern eine plausible und kommunizierbare Systemalternative gesellschaftlich als tatsächlich möglich zu verankern.

Ihr steht ja gerade erst am Anfang, aber die Idee ist in der Welt, ihr habt zusammen mit Interessierten einen ersten gemeinsamen Ratschlag veranstaltet, es liegt bereits ein ungefährer Vorschlag für eine künftige Struktur vor und weitere Treffen sind geplant. Wie ist der Start deiner Ansicht nach verlaufen und wie wird es in den nächsten Monaten weitergehen?

Ich fand den Ratschlag sehr gelungen, wir haben danach auch sehr viele positive Rückmeldungen gekriegt. Es haben sich dort drei inhaltliche Komitees gegründet, die sich weiter treffen: zu Antirassismus (dieses Komitee hat auch schon mit kleineren Interventionen wie einem Flugblatt und zwei Stadtspaziergängen begonnen), zur Prekarisierung und ein eher theoretisches Komitee zu Organisations-, Transformations- und Revolutionsstrategien sowie zur Analyse der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise. Dieses Komitee denkt momentan auch über die Planung von Veranstaltungen nach. Kürzlich haben sich auch Leute zu einem Ökokomitee zusammengefunden, das nach kurzer interner Debatte in ein Komitee „Kritik imperiale Lebensweise” erweitert wurde. Dieses Komitee will sich beim nächsten Ratschlag mit kurzen Thesen vorstellen. Alle Komitees sind prinzipiell offen und die Termine und Debatten auf unserer Website öffentlich zugänglich. Was aus ihnen wird, muss sich erst zeigen.

Zur Organisationsstruktur gibt’s Überlegungen, wie zugleich Offenheit und Verbindlichkeit gewährleistet und der Verfestigung von Hierarchien entgegengearbeitet werden kann. Klar wird da zum Beispiel über Rotationsprinzip und Geschlechterverhältnis nachgedacht.

Insgesamt denken wir aber, dass wir uns nicht in der Diskussion über einen aufgeblähten Organisationsapparat verzetteln wollen, sondern dass das ein Prozess ist, der entlang dessen, was wir tun, verlaufen muss. Ich würde sagen: soviel wie nötig, so wenig wie möglich. Wir haben jetzt ein Organisationskomitee gegründet, das ebenfalls prinzipiell offen ist.

Das Orga-Komitee trifft sich regelmäßig, bereitet unter anderem die Gesamttreffen vor und soll diese von Kleinkram entlasten. Klar haben wir auch schon über diverse Befürchtungen der Verselbstständigung des Organisationskomitees gesprochen. Wichtig ist auch das Nachdenken darüber, wie wir Bedingungen für die Beteiligung von Menschen schaffen können, die aus verschiedenen Gründen nicht so viel Zeit für Politik haben und wie wir einen sorgsamen, möglichst wenig ausschließenden Umgang miteinander entwickeln.

Einen zweiten Ratschlag werden wir frühestens im Januar 2011 organisieren. Ich denke, wir müssen doch auch bald praktisch hand lungsfähig werden und versuchen, in gesellschaftliche Debatten hörbar und sichtbar zu intervenieren. Und hier gibt es meiner Meinung nach zwei zentrale Felder: Antirassismus und die sozialen Kürzungen, die kommen werden. Jetzt im Herbst 2010 finden in Wien Wahlen statt, die Sozialkürzungen kommen sicher erst danach. Einstweilen ist eine Mobilisierung schwierig, da sich die Regierungsparteien sowohl auf Bundes- als auch auf Gemeindeebene bedeckt halten. Was jetzt stattfindet, ist ein extrem übler Wahlkampf von Seiten der FPÖ. Erstes Beispiel: „Mehr Mut für unser ‚Wiener Blut‘ – Zuviel Fremdes tut niemandem gut.” Mit diesem Slogan ist Wien im Ultragroßformat zugepflastert. Zweites Beispiel: Es gibt eine Boykottkampagne gegen eine große Molkerei, weil sie Milchpackungen mit türkischer Aufschrift für türkische Geschäfte produziert. Und das vor dem Hintergrund der extrem restriktiven Asyl- und Aufenthaltspolitik der Bundesregierung. Und die Sozialdemokratie treibt ebenfalls den (Un)Sicherheitsdiskurs voran, immer mehr uniformierte Sicherheitstruppen werden eingeführt, in den Gemeindebauten, in den U-Bahnen etc. Wobei schon auch gesagt werden muss, dass Wien zwar einerseits mit rassistischen (nicht nur) FPÖ-Plakaten zugepflastert ist, andererseits kaum eines davon nicht mit allerlei kreativen Mitteln umgestaltet wird. Also ich denke, dass der langsame und vorsichtige Diskussionsprozess des letzten dreiviertel Jahres innerhalb der Superlinken schon gut war, dass wir jetzt aber kollektive Handlungsfähigkeit anstreben sollten.

Wie waren die Reaktionen auf euer Projekt bisher?

Die meisten Reaktionen sind sowohl wohlwollend als auch skeptisch, mit dem Tenor: ja, eine breitere Organisierung ist notwendig, aber ob es grad die Superlinke sein kann? Viele verhalten sich abwartend beobachtend, was schade ist und einer der Gründe, warum ich meine, wir sollten mehr interventionistische Praxis entwickeln. Damit greifbarer wird, was wir wollen. Andere meinen, dass wir unser Selbstverständnis noch weiter diskutieren und genauer ausformulieren sollten. Ich glaube, dass uns viele auch zu vage finden. Öfters kommen Leute zu einem Treffen, um mal zu schauen und gerade von den jüngeren Leuten sind einige nach den ersten Malen wieder ferngeblieben. Es gilt da auch so eine Art Spagat auszuhalten zwischen welchen, die sehr stark in der ‚Szene‘ verwurzelt sind, und solchen, die es für notwendig halten, sich in Sprache und Gestus von der ‚Szene‘ abzusetzen, um gesellschaftliche Relevanz zu erlangen. In der nächsten Ausgabe der grundrisse wird es jedenfalls einen Schwerpunkt zu Organisierung geben, in dem auch mindestens ein kritischer Beitrag zur Superlinken von außerhalb des Projekts enthalten sein wird.

Wo wollt ihr perspektivisch hin und damit meine ich nicht gleich den großen Wurf ‚alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch …‘, ihr wisst schon, sondern wo wärt ihr gerne in fünf oder sechs Jahren?

Hm, schwierige Frage. Darüber haben wir eigentlich noch nie gemeinsam gesprochen. Wir sind ja doch noch am Beginn eines Selbstverständigungsprozesses, der allerdings praktischer werden soll. Dann haben die Debatten auch mehr Fleisch und es wird weniger abstrakt, also konkreter sichtbar, was wir wollen. Schön wäre, wenn wir in ein paar Jahren eine Organisierungsplattform geworden sind, die bereits in einige soziale Kämpfe interveniert hat und die eigene Geschichte trotz aller Differenzen und Auseinandersetzungen, die ganz sicher kommen werden, als positiv wahrnimmt. Das hängt natürlich auch davon ab, ob und welche sozialen Kämpfe entstehen. Schlimm wäre, wenn wir in Vereinsmeierei versinken oder von Richtungsstreits paralysiert oder einfach ein Splittergrüppchen mehr sind. Schön, wenn wir dazu beigetragen hätten, dass mehr Menschen eine Systemalternative zum Kapitalismus für möglich halten und auf vielfältigen Ebenen vernetzte Versuche von Widerstand, Aufstand und konstituierender Macht stattfinden, deren Teil wir sind.