arranca!: Die Bundesregierung verstaatlicht Uniper, die IG BAU fordert eine Teilverstaatlichung von großen Wohnungskonzernen und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas möchte eine Verstaatlichung von Wasser-, Strom- und Gasversorgung neu diskutieren. Was unterscheidet diese Debatte um öffentliches Eigentum von der Vergesellschaftung, auf die Deutsche Wohnen und Co. enteignen oder ihr mit der Vergesellschaftungskonferenz hinauswollen?
Justus: Die aktuellen Debatten zeigen, dass die Eigentumsfrage auch dank Deutsche Wohnen und Co. enteignen zurück ist. Selbstverständlich gehört die Grundversorgung im Sinne von allgemeinen Basisleistungen wie Wohnen, Bildung oder eben Energie vollständig in öffentliches Eigentum. Die momentanen Verstaatlichungen folgen jedoch dem klassischen Krisenmodell, der Sozialisierung von Verlusten. Solidarische Vergesellschaftung geht weit über die Änderung des Eigentumstitels hinaus: Es geht darum, die Wirtschaft zu demokratisieren und langfristig an gesellschaftlichen Interessen auszurichten. Im Energiesektor würde das bedeuten, die großen Konzerne zu enteignen und auf verschiedenen Ebenen demokratische Planungsprozesse für den ökologischen Umbau zu beginnen. Die Enteignung ist dafür nur der erste Schritt. Danach geht es darum, demokratische und politisierte Organisationsformen zu schaffen. Deutsche Wohnen & Co. enteignen hat mit dem Konzept einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) einen guten Vorschlag für den Wohnsektor gemacht. Dabei geht es eben nicht darum, die Wohnungen an den Berliner Senat zu übergeben, sodass dieser sie bei nächster Gelegenheit wieder privatisieren kann. Das wollen wir für andere Sektoren durchdenken und demokratische Planung jenseits von Markt und Staat politisch diskutieren.
arranca!: Als Gruppe Klimaschutz und Klassenkampf seid ihr bei der Vergesellschaftungskonferenz dabei. Wieso und an welchen Stellen ist die Eigentumsfrage für eure politische Arbeit relevant? Was sind eure Perspektiven auf die aktuellen Vergesellschaftungskampagnen?
«Wir als Klimaaktivist*innen haben uns mit den Beschäftigten des Werkes zusammengeschlossen und gefordert, dass das Werk erhalten bleibt und dass die Produktion auf klimafreundliche Produkte umgestellt wird.»
Laura: Klimaschutz und Klassenkampf ist als Kampagne in einem konkreten Kampf um das Werk eines Münchner Automobil-Zulieferers entstanden. Dieses Werk – ein BOSCH-Werk – sollte geschlossen werden, angeblich für den ‹Klimaschutz›. In dem Werk werden Einspritzdüsen für Diesel-Motoren hergestellt. Tatsächlich ging es nicht um Klimaschutz, sondern darum, das Werk nach Osteuropa zu verlagern, um geringere Löhne zahlen zu können. Wir als Klimaaktivist*innen haben uns mit den Beschäftigten des Werkes zusammengeschlossen und gefordert, dass das Werk erhalten bleibt und dass die Produktion auf klimafreundliche Produkte umgestellt wird. Man hätte in dem Werk beispielsweise Wärmepumpen bauen können. Obwohl mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in einem offenen Brief erklärt haben, dass sie für die Umstellung der Produktion auf klimafreundliche Produkte einstehen, hat sich das Management von BOSCH geweigert, diese Umstellung umzusetzen. Eigentlich keine Überraschung: Wie jeder Konzern produziert natürlich auch BOSCH nur das, was ihnen die meisten Profite bringt. Unsere Kampagne hat gezeigt, dass es nicht die Beschäftigten sind, die einer klimafreundlichen und bedürfnisorientierten Produktion entgegenstehen. Es sind die Eigentumsverhältnisse.
arranca!: Der Erfolg von Deutsche Wohnen & Co enteignen zeigt ja, dass Enteignung durchaus populär sein kann. Ist es an der Zeit, die Vergesellschaftung von Autokonzernen zu fordern? Was ließe sich damit gewinnen?
Justus: Deutsche Wohnen und Co. enteignen hat gezeigt, dass wir erfolgreiche Politik machen können, wenn wir eine konkrete Verbesserung der alltäglichen Lebensumstände der Menschen anbieten mit einem Lösungsansatz, der dauerhaft über die aktuellen Verhältnisse hinauszeigt. Die Vergesellschaftung der großen profitorientierten Wohnungsbaukonzerne in Berlin wäre ein weitreichender Schritt, um die Wohnraumversorgung in Berlin gänzlich gemeinwohlorientiert zu organisieren und den skandalösen Status Quo zu beenden, dass Vonovia und Co. Milliardengewinne mit unserer Miete machen. Von diesem Politikansatz können wir auch einiges für andere politische Auseinandersetzungen lernen.
«Vergesellschaftung würde bedeuten, mit den Arbeitenden und Betroffenen demokratisch den ökologischen Umbau voranzutreiben. Dafür müssen wir die Eigentumsfrage in konkrete Arbeitskämpfe reintragen und zeigen, dass die große Mehrheit der Menschen davon etwas hat.»
Wie Laura in Bezug auf den Kampf um das BOSCH-Werk gezeigt hat, gibt es gerade in der Industrie Konfliktlinien entlang der Eigentumsfrage und natürlich sollten wir für eine Vergesellschaftung von Autokonzernen kämpfen. Allerdings sind die strategischen Ausgangsbedingungen und Akteurskonstellationen andere als die im Wohnsektor. Gerade die Arbeitenden sind hier an erster Stelle betroffen und sollten eine wichtige Rolle spielen – alleine schon wegen ihrer Organisationsmacht und dem Wissen über ihren Betrieb. Bei einer solidarischen Vergesellschaftung des Mobilitätssektors haben aber nicht nur Arbeitende mitzureden und zu gewinnen. Vergesellschaftung würde bedeuten, mit den Arbeitenden und Betroffenen demokratisch den ökologischen Umbau voranzutreiben. Dafür müssen wir die Eigentumsfrage in konkrete Arbeitskämpfe reintragen und zeigen, dass die große Mehrheit der Menschen davon etwas hat.
Ebenso ist genau jetzt die Zeit, die Eigentumsfrage in dieser konkreten Form zu stellen und politisch ein grundlegend anderes Mobilitätssystem zu fordern. Der aktuelle Hitzesommer hat erneut das dramatische Ausmaß der Klimakrise gezeigt. Eine Antriebswende vom Verbrenner zum E-Auto reicht dazu offensichtlich nicht aus. Stattdessen muss es um ein öffentliches Mobilitätssystem gehen, dass die Bedürfnisse aller Menschen erfüllt. Das wird nicht gelingen, wenn VW weiter 10 Millionen Autos pro Jahr produzieren möchte. Die Entscheidung darüber, was und wie produziert wird, muss daher an gesellschaftlichen Bedürfnissen, den Interessen der Beschäftigten und den absoluten Ressourcengrenzen orientiert sein und nicht an der Renditeerwartung von VW-Aktionär*innen.
arranca!: Als Klimaschutz und Klassenkampf wart ihr in einem konkreten Arbeitskampf involviert. Wie seht ihr die Rolle von Industriearbeitenden und den Gewerkschaften für radikale Politik?
Laura: Letzten Endes ist die zentrale Konfliktlinie in unserer Gesellschaft immer noch die zwischen Kapital und Arbeit. Natürlich sind nicht alle Lohnabhängigen Industriearbeiter*innen. Aber in der Frage danach, was produziert wird, haben Industriearbeiter*innen eine spezielle Position: Denn sie sind es ja, die die Maschinen dort betreiben – und sie sind also diejenigen, die über das Mittel des Streiks die Möglichkeit haben, Druck auf die Eigentümer*innen der Werke auszuüben. Für den Kampf um die Vergesellschaftung der Automobilindustrie ist das Bündnis mit den Beschäftigten dort absolut notwendig. In den letzten Jahrzehnten hat es wenig sichtbare Kämpfe innerhalb der Industriearbeiterschaft gegeben. Das hat sicher auch mit der sozialpartnerschaftlichen Orientierung der Gewerkschaften zu tun. Diese Situationsanalyse ändert aber nichts an der Notwendigkeit, die Beschäftigten für unsere Kämpfe zu gewinnen. Und in unserer Kampagne haben wir gesehen: Die Offenheit dafür ist da. Was es bräuchte, wäre eine stärkere Orientierung auch innerhalb der Linken hin zu Klassenpolitik.
Justus: Ja es braucht ökologische Klassenpolitik! Den Menschen in den Industrien und darüber hinaus ist es überwiegend bewusst, dass die Autokonzerne weder das Wohl der Arbeitenden noch gesellschaftliche Bedürfnisse nach Mobilität im Sinn haben. Es fehlt weniger am Bewusstsein als an der konkreten Organisationsarbeit und politischen Angeboten. Die Industriegewerkschaften haben in den letzten Jahren in Verteidigungskämpfen und Sozialpartnerschaft den Anspruch größeren gesellschaftlichen Wandels überwiegend aufgegeben. Trotzdem hat auch die IG Metall noch die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien in ihrer Satzung stehen. Die Gewerkschaften, aber vor allem die Basis hätte viel daran zu gewinnen, wenn gewerkschaftliche Politik wieder politischer werden würde. Wir brauchen eine Klassenpolitik, die die Systemfrage stellt und damit zeigt, dass Gewerkschaften nicht Partikularinteressen verfolgen, sondern Teil eines größeren politischen Projekts sind.
arranca!: Seid ihr weiterhin zu der Frage Klimaschutz und Klassenkampf aktiv? Und welche Fragen, welche Probleme in der momentanen gesellschaftlichen Erzählung begegnen euch? Welche öffnen ein Potential für eine linke Organisierung entlang der Frage von Vergesellschaftung? Auf welche Widerstände stoßt ihr?
Laura: Klimaschutz und Klassenkampf war eine Kampagne von Aktivist*innen des Antikapitalistischen Klimatreffens. Die Antikapitalistischen Klimatreffen versuchen, Klimapolitik mit einem klassenkämpferischen Ansatz zu machen. Also: Ja, auf jeden Fall werden wir weiter zu diesen Fragen aktiv sein. Allerdings findet Klassenkampf nicht nur an Werkstoren statt – und unsere Arbeit beschränkt sich dementsprechend auch nicht darauf. Wir sehen in der Eigentumsfrage den wichtigsten Hebel für die Lösung der Klimakrise: In einem System, in dem die Frage, was produziert wird, allein anhand der Frage entschieden wird, was am meisten Profit bringt, wird diese Krise sich notwendigerweise immer weiter verschärfen. Deswegen ist Vergesellschaftung eigentlich die einzig logische Antwort auf die Frage danach, was wir gegen den Klimawandel tun können. Allerdings ist es den Konzernen und der Politik gut gelungen, die Debatte davon abzulenken. So hat beispielsweise der Ölkonzern BP den ‹ökologischen Fußabdruck› erfunden, um den Blick der Menschen auf die ‹individuelle Verantwortung› zu lenken. Und das hat gut verfangen.
«Wir haben im Gespräch mit den Beschäftigten bei BOSCH gemerkt: Sehr viele von ihnen waren extrem überrascht, dass wir als Klimaaktivist*innen gemeinsam mit ihnen kämpfen wollten. Sie hatten ‹die Klimabewegung› immer mit dem moralischen Zeigefinger assoziiert, der ihnen sagt, sie dürften nicht mit dem Auto zur Arbeit fahren.»
Wir haben das auch im Gespräch mit den Beschäftigten bei BOSCH gemerkt: Sehr viele von ihnen waren extrem überrascht, dass wir als Klimaaktivist*innen gemeinsam mit ihnen kämpfen wollten. Sie hatten ‹die Klimabewegung› immer mit dem moralischen Zeigefinger assoziiert, der ihnen sagt, sie dürften nicht mit dem Auto zur Arbeit fahren. Dieses Bild zu durchbrechen, ist auf jeden Fall nicht einfach. Aber es lohnt sich. Auch, weil es eine der großen Lügen unserer Zeit entlarvt: Dass es einen Widerspruch zwischen Klimaschutz und sozialer Politik gäbe. Wenn wir nicht mehr darüber streiten, wer persönlich am seltensten Auto fährt, sondern gemeinsam darum kämpfen, dass die Automobilindustrie in die Hände der Gesellschaft überführt wird, löst sich dieser vermeintliche Widerspruch von alleine.
Justus: Dem würde ich vollkommen zustimmen. In diesen Auseinandersetzungen wird ähnlich wie bei den Haustürgesprächen, die Deutsche Wohnen und Co. enteignen im Wahlkampf geführt hat, deutlich: Diejenigen, die unter den herrschenden Zuständen leiden, haben eine konkrete Vorstellung davon, dass und wie diese auch anders aussehen könnten. Darin steckt auch das Potenzial von Vergesellschaftung. Denn im Kapitalismus gilt natürlich: Wem´s gehört, der entscheidet. Erst wenn die Demokratie nicht mehr am Betriebstor endet, können wir kollektiv darüber entscheiden, was wir angesichts absolut begrenzter Ressourcen produzieren wollen und können. Deswegen müssen wir sowohl eine andere Eigentumsform erkämpfen, als auch die Beteiligung der Beschäftigten und Betroffenen durchsetzen – also: eine Vergesellschaftung.
arranca!: Könnte die Eigentumsfrage und die soziale Frage über die Vergesellschaftungsforderung ein neuer Bezugspunkt für die radikale Klimabewegung werden?
«Ich denke, fast alle Klimaaktivist*innen, die keine Karriere bei den Grünen anstreben, wissen, dass die Eigentumsfrage wichtig ist. Was noch nicht so verbreitet ist, ist allerdings die Schlussfolgerung, dass Klimapolitik als Klassenpolitik geführt werden muss.»
Laura: Auf jeden Fall. Wer eine Zeit lang in der Klimabewegung aktiv ist, dem fällt automatisch irgendwann auf, dass das Argument gegen Klimaschutz immer dasselbe ist. Es lautet: «Das ist leider mit unseren persönlichen Profiterwartungen nicht zu vereinbaren». So wie jetzt in der Energiepreiskrise: Während wir alle Angst vor dem Winter haben, haben die großen fossilen Energiekonzerne allein im letzten Vierteljahr 60 Milliarden Dollar Gewinn gemacht. Und diese Gewinne stecken sie – in den Ausbau der fossilen Energien. Erneuerbare Energien ausbauen? Bezahlbaren Strom anbieten? «Das ist leider mit unseren persönlichen Profiterwartungen nicht vereinbar». Es gibt in jeder Entscheidung, die die Klimabewegung betrifft, Gewinner*innen und Verlierer*innen. In der Energiepreiskrise sind die Gewinner*innen die Eigentümer*innen der fossilen Energiekonzerne und die Verlierer*innen alle anderen. Die Trennlinie läuft entlang der Eigentumsfrage. Ich denke, fast alle Klimaaktivist*innen, die keine Karriere bei den Grünen anstreben, wissen, dass die Eigentumsfrage wichtig ist. Was noch nicht so verbreitet ist, ist allerdings die Schlussfolgerung, dass Klimapolitik als Klassenpolitik geführt werden muss. Diese Schlussfolgerung hat nämlich Auswirkungen: auf unsere Bündnispartner*innen ebenso wie auf unsere Aktionsformen. Wir denken beispielsweise, dass es nicht ausreicht, die Tore von schweinischen Konzernen zu blockieren – man muss auch mit den Menschen, die hinter den Türen arbeiten, eine Verbindung schaffen. Und es bedeutet, dass es nichts bringt, ‹die Gesellschaft› zu adressieren – weil ‹die Gesellschaft› nicht unser Gegner ist und den Klimaschutz blockiert. Unsere Gegnerin ist die herrschende Klasse und das muss in unserer Politik klar werden.›
Justus: Auch davon würde ich Vieles unterstützen. Die Trennlinie verläuft entlang der Eigentumsfrage. Wir brauchen dringend noch mehr strategische Arbeit und praktische politische Erfahrung, wie wir diesen Bezugspunkt in den Mittelpunkt unserer Politik stellen können. Wie wird die Eigentumsfrage zum zentralen Pfeiler eines linken Hegemonieprojekts? Die Vergesellschaftungskonferenz kann ein Ort sein, um an dieser Frage weiterzudenken. Unser Ziel ist, dass sehr viele Aktive aus Bewegungen, Gewerkschaften und der organisierten Linken zusammenkommen und gemeinsam diese analytische Einsicht konkret werden lassen: Wie setzen wir die Eigentumsfrage in das Zentrum sozialistischer Politik und übersetzen dies auch in unsere Auseinandersetzungen und politische Praxis?